E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Schmid Ein knorriger Typ
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-384-07596-3
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman mit Julius Nidda
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-384-07596-3
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Julius Nidda hat sich vorgenommen, im Ruhestand Cold Cases aus der eigenen Abteilung zu klären. Er ist ein knorriger Einzelgänger ohne fixe Beziehung und überzeugter Reisemuffel. Mit seiner geliebten Enkelin begibt er sich viel zu selten auf die Jagd nach Schmetterlingen. Viel häufiger trifft er sich mit zwei Bekannten im Lokal 'Notausgang'. Durch seine Hilfsbereitschaft für eine junge Nachbarin wird er zum Kriminellen. Als er sich wegen einer attraktiven Frau für eine Kurzreise entschließt, begibt er sich in eine ungeahnte Gefahr.
Konrad Schmid wurde im Innviertel (Oberösterreich) geboren. Nach dem Studium an der Universität Salzburg unterrichtete er bis 2012 an einem Linzer Gymnasium. Seine Abenteuerlust führt ihn ins Gebirge, in andere Länder oder an seinen Schreibtisch, wo seine Bücher entstehen. Literarische Veröffentlichungen: Pseudo. Kriminalsatire (2015) Zu schön für die Fische. Kriminalroman (2017) Der Glanz der Archenmuschel. Road Novel (2019) Ein knorriger Typ. Kriminalroman mit Julius Nidda (2023)
Autoren/Hrsg.
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Wieder ein Freitag. Nicht einmal die Sonne sieht zu, als ein älterer Mann am Morgen seine Tritte in den frischen Schnee drückt. Dem Frost marschiert er mit steifen Schritten entgegen. In leichten Straßenschuhen. Typisch Julius. Mögen andere bis auf die Knochen frieren, er zieht sein Vorhaben verbissen durch. Einmal jede Woche. Auf dem Weg und den schmalen Wiesen daneben liegt trübes Weiß, schattenlos. Seit Tagen hängt über der Hauptstadt Steinfeld und dem Keilsee ein unsichtbarer Kältesee. Die Uferränder kauern unter einer Eisschicht. Täglich wächst sie ein paar Zentimeter zur Mitte hin. Der Mann bewegt sich dort jeden Freitag mit einem treuen Begleiter (für niemanden sichtbar). Morgen ist Samstag. Mit Vorliebe an Wochenenden kommt es zu Gewalttaten innerhalb der Familie, weiß Julius Nidda aus Erfahrung. Der Sonntagnachmittag bis in den Abend hinein ist ein günstiger Zeitpunkt für blutige Messer. Beziehungstaten in und wegen der Familie. Das hartnäckige Zusammenleben mehrerer Personen wurde mit der Zeit zu einem Reizwort für den Mann, der die Aufklärung von Schwerverbrechen als seine Lebensaufgabe ansieht. Am Anfang lag immer eine Leiche, am Ende wurde ein überführter Täter verhaftet. Meistens, aber nicht immer. Die Sonntage des Mannes verliefen unbeschwert, bis eine Familie explodierte. Feiertage im Doppelpack endeten selten ohne Einsatz. Im ambitionierten Rentnertempo bewegt er auf dem Uferweg seinen vernachlässigten Körper. Man könnte ihn für einen Einzelgänger halten, schließlich lebt er seit langem allein. Gegen die Einschätzung als Alleingänger würde er sich nicht wehren. Stumm protestierend passt sich sein unsichtbarer Begleiter der Geschwindigkeit an. Er muss sie hinnehmen. Mitgefühl kann er nicht erwarten. Wenn es um seine subjektive Gesundheit geht, bleibt der Kriminalpolizist im Ruhestand hart. 60 Minuten sind eine gute Stunde und sogar dem inneren Schweinehund zuzumuten. Einmal pro Woche ist ein vernünftiger Kompromiss, ist Julius Nidda überzeugt. Besser als nie, aber noch lange kein Sport. Die angepriesenen 10.000 Schritte erreicht er, wenn er anders als beim Trinkgeld großzügig aufrundet. Jeder Freitag verlängert sein Leben um eine Woche, hat er berechnet. Nach oben hin keine Grenze, wenn er regelmäßig in Bewegung bleibt. Es geht auch ohne Hund, den ihm eine engagierte Jungärztin empfohlen hat, und ohne gesunde Körner zum Frühstück. Was soll ich mit Zährealien oder wie das Vogelfutter heißt, lautete sein brüsker Einwand. Die Medizinerin gab auf. Auf dem menschenleeren Landungssteg für Ausflugsschiffe pflegt eine Entengroßfamilie das nasse Gefieder. Für ihr Vorhaben trauen sie den dünnen Eisrändern nicht. Die weißen Rundungen sind ungleichmäßig geformt und werden vom Seewasser getränkt, das sich allmählich in Eis verwandelt. Solange er seinen Beruf ausübte, hatte er es mit Rändern zu tun. Er ermittelte an den äußersten Grenzen der Gesellschaft, an deren Kante der Abgrund lauert. Wörter mit der Silbe „ab“ gehörten zu seinem Berufsleben. Bis zu seinem Abgang vor wenigen Jahren. Sein Abschied vom Dienst war ein nüchterner Formalakt. Abgabe der Waffe und des Dienstausweises. Alles andere blieb in seinem Inneren. Gespeichert, einzementiert für immer. Unter dem durchsichtigen Eis schwappt dreckiger Schaum hin und her. Abschaum. Dieses Wort drängt sich ihm auf, als er anhält und fröstelnd die Uferlinie entlang starrt. Ein böses Wort für böse Menschen. Ein böses Wort kann auch ein ehrliches sein. In seinem Inneren hat sich vieles abgelagert: Kalk in den Gefäßen und Gelenken, irgendwo unter der Haut reichlich Milieudreck. Der lag jede Nacht in seinem Bett und machte ihm den Schlaf und die Leber schwer. Verbrecher sind allemal Randfiguren. Gekränkte Existenzen, die vergewaltigen und töten. Sie verlassen ihren Platz am Rand erst, wenn nach ihnen gefahndet wird. Dann rücken sie in die Schlagzeilen mit ihren Gewalttaten. Manche genießen die plötzliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Ihre Verachtung verteilt die Polizei dann zu gleichen Teilen auf die Kriminellen und die hungrigen Medien. Manchmal lebt ein alter Fall auf, wenn Julius Nidda den Schaumrand seines halbvollen Bierglases nachdenklich betrachtet. Das weiße Muster hat selten das gleiche Aussehen (dürfte von der Innenwand des Glases abhängen). Gegen das Licht betrachtet nimmt frisch gezapftes Bier einen goldfärbigen Bernsteinton an. Seit der Begegnung mit einem Augenpaar lebt diese Farbe in seiner Erinnerung. Nicht anders als ein ungelöster Fall aus vergangener Zeit, der seinem Kopf keine Ruhe lässt. In solchen Momenten meldet sich seine frühere Dienstzeit wie ein notorischer Stalker. Sie setzt ihm zu. Sie bestraft ihn ähnlich einem antiken Frevler, dessen Namen er längst vergessen hat (eben Schulwissen). In der Unterwelt ist jener an ein brennendes Rad gebunden, das sich immerfort dreht. Bei einigen Ermittlungen bin ich gescheitert und trage als Leiter die Verantwortung, aber warum dafür eine Strafe? Ein Gehirn mit einer Reset-Funktion wäre die eleganteste Lösung. Die Möglichkeit des geplanten Vergessens würde mein Leben erleichtern. Das Unglück der Alten ist das Schwinden des Erinnerungsvermögens, mein Unglück das quälende Fortleben von unerledigten Fällen – verjährt, aber nicht vergessen. Seltsam, was in meinem Kopf überlebt hat. Ob es Chirurgen so ergeht, denen ein ärztlicher Kunstfehler vor langer Zeit unterlaufen ist? Oder einem Statiker, der den Einsturz einer Brücke durch einen Rechenfehler verschuldet hat? Selbstzweifel machen das Leben schwer. Es wird unruhig auf dem Steg, als ein frei laufender Hund bellend am Ufer auftaucht. Den Enten bleibt nur die Flucht ins Wasser. Kopfüber verschwinden sie im See für eine halbe Minute oder länger und erscheinen an anderer Stelle wieder. Er hält sie für Haubentaucher, die sich Nahrung vom Grund holen. In einer kurzen Zeitungsmeldung fand er am Morgen einen Namen mit Leuchtkraft. Ein Fall aus der Tiefe seines Berufsgedächtnisses. Es ging um einen der seltenen Täter, die durch ein Verbrechen von der glänzenden Mitte an den Rand geschlittert sind. Aus gesundheitlichen Gründen wird der ehemalige Unternehmer Ludwig Kranzinger vorzeitig aus der Haft entlassen. Er wurde wegen eines Frauenmordes zu 18 Jahren verurteilt und hätte noch 11 Jahre zu verbüßen. Der Alloro-Konzern gehört inzwischen mehrheitlich seiner früheren Frau Constanze Menze. Auf G! ruft Robert den zwei Biergenossen zu, als sie das Erste des Tages antrinken. Der Maler trägt langes, gewelltes Haar, das er zu selten wäscht oder zu oft mit einem Gel schmiert. Seiner Statur nach könnte er mit einem Langstreckenläufer verwechselt werden. Deshalb ist er stets in Künstler-Schwarz gekleidet; kaum etwas wäre peinlicher für ihn, als für einen masochistischen Sportler gehalten zu werden. Schweiß inspiriert niemals. Willi, Robert und Julius finden sich häufig zur gleichen Zeit im „Notausgang“ im Eichengrund ein, weil ihnen ihr aufmerksamer Körper gemeldet hat, wann er das erste Bier des Tages einfordert. Eine verlässliche innere Uhr mobilisiert sie, ihr schlauchförmiges Stammlokal in der Vorstadt aufzusuchen. Intellektuelle, die sie höchstens vom Hörensagen kennen, würden von einem Jour fixe sprechen. Der Kreativität des Malers verdanken sie den Prost-Ersatz „Auf G!“, mit dem sie in durstiger Huldigung Gambrinus, einen legendären König, als den genialen Erfinder des Bierbrauens ehren. Ohne das goldgelbe Schaumgetränk (zählt für das Trio zu den homöopathischen Nahrungsergänzungsmitteln) hätten sie niemals zusammengefunden. Jeder hängt beim ersten Bier den Gedanken nach, die von draußen mitgebracht wurden. Bier ohne Schaum ist kein Bier (Julianisches Credo Artikel 1). Sein mildes Hopfenbouquet garantiert mit einem dezenten Malzaroma ein Erlebnis für Genießer wie sie. Die umsichtige Wirtin des Notausgangs mutet ihnen kein Industriebier zu, das zum internationalen Massengeschmack zusammengebraut wird. Juttas Gaumenfreude wird speziell für ihr Lokal von einer Privatbrauerei hergestellt. Es ist in der Dreierrunde, wo nur selten ein lautes Lachen zu hören ist, stiller als an anderen Tischen. Hitzige Debatten und heftiger Streit halten sich fern von ihnen. Niemand hat sie noch danach gefragt, aber sollte es einmal dazu kommen, würden sie unisono von sich geben: Gemeinsames Schweigen hat heilsame Kräfte (Artikel 2 des Trios). Es tut jeder Psyche gut, auch der männlichen. Schweigen verbindet (das stärkste Band zwischen Komplizen). Es gibt kein peinliches Schweigen (Artikel 3) und gesellig nur für andere zu wirken ist ihnen keine Anstrengung wert. Alles bleibt, wie es ist, beteuern sie einstimmig, wenn sich nachts ihre Wege trennen. Die abendlichen Zusammenkünfte sind dem Trio unverzichtbar geworden. Denkt Julius an früher, scheint es ihm,...