E-Book, Deutsch, 206 Seiten
Schmidt-Traub Angststörungen im Alter
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8409-2328-9
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 206 Seiten
ISBN: 978-3-8409-2328-9
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Ängste sind im Alter sehr viel weiter verbreitet als bislang angenommen. Angststörungen im Alter werden häufig übersehen und bleiben daher unbehandelt. Meist treten sie gemeinsam mit Depressionen und verschiedenen körperlichen Erkrankungen auf. Ältere Personen begeben sich eher ungern in Psychotherapie und Psychotherapeuten schrecken häufig davor zurück, mit älteren Patienten zu arbeiten, obwohl diese meistens gut auf kognitive Verhaltenstherapie ansprechen. Der Band informiert über Angststörungen im Alter und zeigt Therapiemöglichkeiten auf.
Das Buch informiert ausführlich über das Alter und den Alterungsprozess und geht auf die Diagnostik von Angststörungen ein. Die weiteren Kapitel stellen verschiedene Angststörungen dar und beschreiben Besonderheiten der Behandlung von alten und hochbetagten Menschen. Multimodale, evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten auf der Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie werden insbesondere umfassend für die generalisierte Angststörung vorgestellt, da diese im Alter am häufigsten vorkommt. Es werden auch störungsübergreifende Behandlungsbausteine aufgezeigt, die sich gleichzeitig für die Behandlung von depressiven Störungen eignen. Ergänzt werden sie durch Behandlungsvorschläge für altersspezifische Begleitprobleme, wie Schlafstörungen, Schmerzen oder Inkontinenz. Zahlreiche Behandlungsbeispiele mit alten und hochbetagten ängstlichen Menschen veranschaulichen das therapeutische Vorgehen. Das Buch schließt damit eine Lücke bei der Behandlung von Ängsten im Alter.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Gerontopsychologen und -psychiater sowie Hausärzte.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie Gerontopsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
Weitere Infos & Material
1;Angststörungen im Alter;1
2;Inhaltsverzeichnis;9
3;Einführung;13
4;1 Alter und Altern aus psychotherapeutischer Perspektive;17
4.1;1.1 Körperlich-biologische Veränderungen im Alter;19
4.2;1.2 Psychologische Aspekte des Alterns;28
4.3;1.3 Soziale Aspekte des Alterns;43
4.4;1.4 Überblick über die wichtigsten Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten im Alter;53
5;2 Internalisierende Störungen im Alter;58
5.1;2.1 Probleme beim Erkennen von internalisierenden Störungen bei älteren Personen;58
5.2;2.2 Vorkommen und Verlauf von Angststörungen im Alter;60
5.3;2.3 Genetische, neurobiologische und weitere Erklärungsansätze der Angst;62
5.4;2.4 Entstehungsbedingungen, Vorkommen und andere Aspekte von Depressionen im Alter;65
5.5;2.5 Schutzfaktoren, Lebenserwartung und Therapiebereitschaft;70
5.6;2.6 Integrierte kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von internalisierenden Störungen;71
6;3 Überlegungen zu Diagnostik und Therapie von Angststörungen im Alter;74
6.1;3.1 Allgemeine Hinweise für Diagnostik und Therapie;75
6.2;3.2. Hinweise für den Umgang mit älteren Patienten in der Therapie;77
7;4 Generalisierte Angststörung (GAS);79
7.1;4.1 Diagnostik der GAS;79
7.2;4.2 Therapie der GAS;89
8;5 Panische und phobische Ängste;124
8.1;5.1 Diagnostik;124
8.2;5.2 Therapie;133
8.3;5.3 Diagnostik und Therapie der Fallangst;136
9;6 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS);139
9.1;6.1 Diagnostik;139
9.2;6.2 Therapie;145
10;7 Zwangsstörungen;146
10.1;7.1 Diagnostische Kriterien der Zwangsstörung;146
10.2;7.2 Therapie;147
11;8 Depressionen, Demenz, Delirium im Alter;153
11.1;8.1 Depressionen;153
11.2;8.2 Demenz;161
11.3;8.3 Delirium;165
12;Literatur;167
13;Anhang;185
13.1;Liste der Alltagsfertigkeiten und Hilfsmittel;187
13.2;Bildgebende Verfahren;188
13.3;Genetische und neuropsychologische Aspekte der bewussten und unbewussten Angstverarbeitung und Depression;189
13.4;Angst- und Sorgentagebuch;191
13.5;Testpychologische Messverfahren für die internaliserende Störung und Schmerzen;192
13.6;Progressive Muskelentspannung;194
13.7;Sensorisches Entspannungstraining;195
13.8;Visualisierungsübung;197
13.9;Bauchatmung;198
13.10;Schlafprotokolle;199
13.11;Blasentraining und Beckenbodenübungen;201
14;Sachregister;203
3 Überlegungen zu Diagnostik und Therapie von Angststörungen im Alter (S. 72-73)
Sofern sie nicht dement sind, erfüllen auch ältere Patienten die psychischen Voraussetzungen für eine psychotherapeutische Behandlung. In einer vergleichenden Studie zur Psychotherapiefähigkeit von älteren und jüngeren Patienten, die in einer Ambulanz behandelt wurden, konnten in den untersuchten Gruppen keine Unterschiede in der Eingangsdiagnostik oder Diagnosehäufi gkeit – das galt für alle psychischen Störungen – gefunden werden (Maercker et al., 2004). Die älteren Patienten zeigten jedoch eine höhere psychische Funktionsfähigkeit und in zwei von acht interpersonellen Merkmalen sogar günstigere Ausgangswerte. Die von ihnen benötigte Anzahl von psychotherapeutischen Behandlungsstunden war infolgedessen auch signifi kant geringer (nur 21) als bei jüngeren Erwachsenen.
Warum besteht aber bei älteren Menschen eine geringere Nachfrage nach Psychotherapie? In Kindheit, Jugend und jüngerem Erwachsenenalter der Geburtskohorten aus den zwanziger und dreißiger Jahren grassierten noch starke Vorurteile gegenüber psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Vorurteile bestanden bei Psychiatern und Psychotherapeuten ebenso wie bei Patienten. In der psychiatrischen Lehrmeinung der Nachkriegsjahre wurden Kriegsheimkehrer trotz schrecklicher Fronterfahrungen in der Regel für psychisch unversehrt erklärt. Die meisten Psychiater jener Zeit erwarteten von ihren Patienten, dass sie trotz aller Widrigkeiten des Lebens hartnäckig und mit Willenskraft zupacken (Goltermann, 2009). Wen wundert es, dass die meisten Vertreter dieser Altersgruppen heute noch psychische Probleme für Schwäche halten und sie deshalb eher verschweigen als in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu gehen.
Psychotherapie wird aber nicht nur aus Schamgefühlen oder Vorurteilen (vgl. S. 91) von älteren Menschen gemieden. Manchmal spielen auch ganz pragmatische Gründe eine Rolle, wie körperliche Bewegungseinschränkungen oder der Geldmangel für Fahrkarten zur Praxis. Nicht zuletzt wissen viele Senioren nicht, dass ihnen psychotherapeutische Behandlung als Leistung der Krankenkasse zusteht.
Hausärzte und Internisten sind häufig die erste Anlaufstelle für ältere Patienten. Nicht immer wird nach psychischen Problemen gefragt. Die diagnostische Nosologie wird zudem erheblich erschwert durch komorbide somatische Erkrankungen, Medikamentenwirkungen und funktionelle Einschränkungen. So kommt es, dass in etwa 50 % der Fälle bei älteren Menschen Angststörungen übersehen werden (Ayers et al., 2007, Wisocki, 2002). Nach der Auswertung von einschlägigen Studien nennen Ayers et al. (2007) und Boerner (2004) folgende Gründe für das häufi ge Übersehen von Angststörungen im Alter:
• Pathologische Ausprägungen der Angst lassen sich bei Betagten nicht so leicht von normaler Angst unterscheiden. Herausforderungen im Alter, wie z. B. das Ausscheiden aus dem Beruf, Leistungseinbußen oder Sterben und Tod von Nahestehenden, lösen bei vielen älteren Personen Ängste aus. Angesichts solcher Erfahrungen würden auch eine ganze Reihe von jüngeren Personen Angst bekommen. Diese normalen Ängste im Alter tragen dazu bei, irrationale Ängste zu überlagern.
• Angststörungen stellen sich im Alter etwas anders dar. Die geringere Bewegungsfreude und das soziale Rückzugsverhalten von älteren Menschen mit agoraphobischen und sozial-phobischen Ängsten werden von den Betroffenen oftmals selbst und von ihren Ärzten als Alterserscheinungen abgetan und heruntergespielt.
• Angstbedingte Beeinträchtigungen, die mit einer oder mehreren Angststörungen einhergehen, werden von älteren Personen oft hingenommen oder als nicht der Rede wert abgetan.
• Da die Diagnose und Behandlung von Angststörungen im Alter empirisch noch zu wenig abgesichert ist, sind Ärzte und Psychotherapeuten weniger sensibilisiert für die Wahrnehmung von Angststörungen im Alter.
Merke: Ältere Personen mit Angststörungen kommen dreimal weniger in psychotherapeutische Behandlung als ältere Patienten mit affektiven Störungen (Ayers et al., 2007). Anstatt in psychotherapeutische Behandlung zu gehen, nimmt schätzungsweise jeder vierte Senior über 70 Jahre Psychopharmaka ein, an erster Stelle Beruhigungsmittel (Ayers et al., 2007, Helsley & Vanin, 2008, Kuhlmey, 2009, Volz & Stieglitz, 2010, vgl. S. 115). Kurzfristig sedieren diese Mittel und rufen Schwindel, veränderte Reaktionszeiten und weitere Nebenwirkungen hervor, langfristig können sie zu Abhängigkeit führen.
3.1 Allgemeine Hinweise für Diagnostik und Therapie
Entsprechend der Vorkommenshäufi gkeit von Angststörungen im Alter (vgl. S. 58) werden in den Kapiteln 4 bis 7 die Diagnostik und Therapie von spezifi schen Ängsten dargestellt. Abgesehen von der Fallangst (vgl. S. 130) sind es dieselben Angststörungen, mit denen auch jüngere Erwachsene zu kämpfen haben. Sie zeigen allerdings eine andere Auftretenshäufi gkeit. Zudem werden bei Senioren häufiger komorbide Ängste und Depressionen beobachtet als bei jüngeren Menschen (vgl. S. 69).
Die am häufigsten vorkommenden spezifi schen Angststörungen im Alter sind generalisierte Angststörung (vgl. Kapitel 4), gefolgt von Panikstörung mit und ohne Agoraphobie, spezifi scher und sozialer Phobie (vgl. Kapitel 5), posttraumatischer Belastungsstörung (vgl. Kapitel 6) und Zwängen (vgl. Kapitel 7). Im Kapitel 8 wird auf die Diagnose und Behandlung von Depressionen und auf die Charakteristika von Demenz und Delirium eingegangen. Internationale klinische Studien orientieren sich an den diagnostischen Kriterien des DSM-IV. Demgegenüber halten sich Therapeuten in der praktischen klinischen Arbeit in Europa mehrheitlich an die Kriterien des ICD-10, das als diagnostischer Leitfaden für explorative Gespräche dient und die Grundlage für die diagnostische Einschätzung und den Bericht zum Antrag auf kognitive Verhaltenstherapie bildet.