Schmitz | Benzin im Wischwasser | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 182 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

Schmitz Benzin im Wischwasser

Berliner Taxigeschichten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-948949-03-7
Verlag: edition subkultur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Berliner Taxigeschichten

E-Book, Deutsch, 182 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

ISBN: 978-3-948949-03-7
Verlag: edition subkultur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Herr Schmitz ist Taxifahrer in Berlin. Und als solcher trifft man jeden Tag die skurrilsten und interessantesten Gestalten und erlebt die schrägsten Geschichten.
Herr Schmitz hat sie aufgeschrieben und erklärt uns nun mit viel Humor und einer Prise Philosophie, wie mit Schlechte-Laune-Verbreitern, Gurus oder Nazis im Taxi umzugehen ist, dass man als Pedant am besten über sich selbst lacht oder was Taxifahrer eigentlich unter einem „rauchenden Hund“ verstehen.
„Benzin im Wischwasser“ ist nach seinem gefeierten Debüt „Der Fuchsflüsterer vom Zeltinger Platz“ Christian Schmitz’ zweites Buch mit Berliner Taxigeschichten in der Edition Subkultur.

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Von Unfällen und dem Unterschied zwischen Arm und Reich
Ein Unfall ist unschön. Mehrere Unfälle sind noch unschöner. Am unschönsten ist es, wenn am Ende gar nichts mehr geht. So erging es mir erst neulich, als ich in Zehlendorf Mitte am Teltower Damm im dicksten abendlichen Berufsverkehr einen Funkauftrag hatte, bei dem eine ältere Dame mit Rollator nach Erledigung ihrer Besorgungen abgeholt werden mochte. Vor dem Geschäft gilt absolutes Halteverbot. Ich halte vorm Laden, gehe hinein, erkenne meine Fahrgästin mit einem Blick, greife sie mir und bahne uns mit gespreizten Ellenbogen im Nieselregen über den Bürgersteig hinweg einen Weg Richtung Taxe durch hektisch rempelnde Menschenmassen hindurch, die nach Feierabend noch ihre Einkäufe erledigen, bevor es nach Hause geht. Die alte Dame klammert sich an ihren Rollator und stützt sich gleichzeitig in meinen rechten Arm, dass ich mich frage, auf wen von uns beiden sie sich mehr verlässt. Sie bedankt sich unaufhörlich, betont immer und immer wieder, wie unangenehm ihr das sei, auf meine Hilfe angewiesen zu sein. „Aber Sie sehen ja, junger Mann, bei den vielen Menschen käme ich gar nicht alleine zu Ihrem Auto.“ „Schon in Ordnung“, entgegne ich. „Wir werden alle nicht jünger. Ein Wimpernschlag, und ich bin auf Hilfe genauso angewiesen, wie Sie es jetzt sind.“ Sie bemüht sich, mir mit einer kleinen Wendung des Kopfes ein Lächeln zu schenken. Aber das ist zu beschwerlich. Routiniert verfrachte ich sie auf den Beifahrersitz, reiche ihr schon einmal den Sicherheitsgurt, um sie später anschnallen zu können, schlage die Beifahrertür mit dem rechten Knie zu, klappe den Rollator zusammen und verstaue ihn mitsamt ihrem Stock, ihrer Handtasche, ihren Einkaufstaschen und verschiedenen Tüten im Kofferraum der Taxe. Taxifahreralltag. Ich sitze kaum hinter meinem Lenkrad und bin gerade dabei, die alte Dame anzuschnallen, da höre ich trotz ihres unaufhörlichen Redeschwalls links von mir ein hässliches knackend-krachendes Geräusch. Ich fahr herum und sehe, wie ein großer Gelber der BVG vorbeizieht, während mein linker Außenspiegel nur noch am seidenen Fädchen seiner Verkabelung hängt. „Dit kann do wo nee wah sein!“, entfährt es mir. „Der fährt mir meinen Spiegel kaputt und fährt einfach weiter!“ Ich schmeiß den Motor an, dreh mich nach hinten links um – Abraxas oder wem auch immer sei Dank, eine kleine Lücke im Strom der Blechlawine – setze den Blinker, reiß das Lenkrad rum, und schon bin ich weg vom Fahrbahnrand. Ich bin direkt hinter dem Bus und kann mir so wenigstens sein Kennzeichnen einprägen. Doch alle Verfolgungsjagdszenarien à la James Bond erübrigen sich, da der Bus in der nächstgrößeren Lücke am Fahrbahnrand mit absolutem Halteverbot anhält, den Warnblinker einschaltet, die Türen sich öffnen und die ersten Fahrgäste dem Bus entsteigen, während ich hinter diesem halte. „Entschuldigen Sie“, sage ich zu der alten Dame neben mir. „Ich bin gleich wieder zurück.“ Und raus bin ich aus dem Taxi und beim Busfahrer, der auch schon seinerseits auf der Straße steht und auf mich wartet. Kurzer knapper Wortwechsel zwischen uns, dass ich im absoluten Halteverbot usw. usf., dass er deswegen mir nicht meinen Außenspiegel etc. pp. … Wir vereinbaren, dass er die Polizei ruft und ich mich um meine alte Dame kümmere. Da bemerke ich, dass jemand hinter mir steht und ganz offenbar etwas von mir möchte. Es ist ein kleiner zierlicher junger Mann, der ohne Umschweife zur Sache kommt. „Sie sind schuld an dem Auffahrunfall!“, fährt er mich unvermittelt an. Ich: „Wie bitte, ich bin was?“ Aus dem Wust an Worten, der sich über mich ergießt, versuche ich mir die Essenz dessen zu erschließen, was er mir sagen will. Danach soll es so gewesen sein, dass ich unvermittelt und ohne zu blinken vom Fahrbahnrand losgefahren sei, sodass ein nachfolgendes Fahrzeug meinetwegen scharf bremsen musste, auf das er, der junge Mann, mit seinem Wagen auffuhr. Ich denke: „Dit kann do wo nee wah sein, was der mir da erzählt. Er fährt einem anderen auf und ich soll schuld daran sein?“ Ich versuche, ihm in seiner Aufgeregtheit klarzumachen, dass ich eine alte Dame im Taxi habe, um die ich mich kümmern muss. Danach würde ich zu ihm und seinem Wagen kommen. Der Busfahrer steht ungerührt daneben. Im Folgenden entschuldige ich mich bei der alten Dame, dass die Umstände es mir leider unmöglich machten, sie nach Hause zu fahren, winke einen Kollegen heran, dem ich ohne viele Worte die alte Dame samt Rollator und Gepäck übergeben kann, der sie mir seinerseits ohne viele Worte abnimmt. Er erkennt auch so, dass ich in einem Schlamassel stecke. Mehr muss er nicht wissen. Das hält nur auf. Taxifahrer können recht pragmatisch veranlagt sein. Sodann begebe ich mich zu dem Unfall, für den ich angeblich verantwortlich sein soll. Dort treffe ich auf den jungen Mann, eine junge Frau und einen älteren Herrn. Der ältere Herr gehört zu dem Wagen, auf den der junge Mann aufgefahren ist. Er ist freundlich, höflich, zurückhaltend und sagt nicht viel. Die junge Frau ist das genaue Gegenteil. Sie ist groß und von kräftiger Statur und ist, wie sich herausstellt, die Freundin des jungen Mannes. Sie beschimpft mich ohne Unterlass. Ich sei schuld daran, dass ihr Freund aufgefahren sei. Einwände meinerseits zwecklos. So pendle ich zwischen den dreien und dem Busfahrer hin und her. Mit dem Busfahrer muss ich nicht viel reden. Wir schweigen uns einfach nur in gegenseitiger Abneigung an. Endlich erscheint die Polizei vor Ort, eine Beamtin und ein Beamter. In geschulter Manier verschaffen sie sich in kürzester Zeit einen groben Überblick über die verfahrene Situation, nehmen alle Daten auf und schaffen es bei alledem sogar noch, beruhigend auf die junge Frau einzuwirken, dass diese sage und schreibe den Mund hält. Das wäre geschafft. Wir sind alle entlassen, der Bus fährt fort, die beiden Wagen mit dem älteren Herrn und dem jungen Pärchen fahren fort und ich möchte auch fortfahren. Ich setze mich in meine Taxe, drehe den Zündschlüssel und es passiert nichts. Ich denke: „Dit kann do wo nee wah sein! Jetzt verreckt mir zu allem Überfluss auch noch diese Scheißkarre!“ Aber alles Fluchen hilft nichts. Die ganze Aktion hat immerhin weit über eine Stunde gedauert. Währenddessen brannte das Standlicht, die Warnblinker blinkten und alle Taxielektronik von Fackel über Taxameter bis Funkgerät zog Saft aus einer altersschwachen Batterie einer beileibe nicht mehr betriebsneuen Taxe. Daran hatte ich in der Situation nicht gedacht. Mein Fehler. Ich winke einen Kollegen heran und er gibt mir – der Mensch muss ja auch mal Glück haben im Leben – sofort und ohne große Umschweife Starthilfe. Ich zücke mein Portemonnaie und bitte ihn um eine Quittung. Er winkt ab, wickelt sein Starthilfekabel ein, wirft es in den Kofferraum und weg ist er. Nun muss nur noch der Außenspiegel provisorisch hergerichtet werden, dann ist meine Taxifahrerwelt wieder in Ordnung. Ich steuere die nächstgelegene Autowerkstatt an, in der Hoffnung, dass mir dort mit etwas Klebeband ausgeholfen werden kann. Ein freundlicher Mitarbeiter nimmt sich Zeit für mich und fixiert mir den Außenspiegel, dessen Glas glücklicherweise nicht zerbrochen ist. Ich zücke mein Portemonnaie und frage ihn, was er dafür bekommt. Der winkt nur ab, nimmt sein Klebeband und verschwindet in der Werkstatt. Ich kann mein Glück kaum fassen, auf wie viel freundliche hilfsbereite Menschen ich heute gestoßen bin. Endlich kann ich wieder daran gehen, Geld zu verdienen. Während ich an der Taxihalte auf den nächsten Auftrag warte, schreibe ich eine Textnachricht an meinen Chef, damit dieser Bescheid weiß, und rufe meine Frau an, um mich bemitleiden zu lassen, was ich doch für ein armer bedauernswerter Pechvogel bin. Und einige Zeit später werde ich, wenn auch widerstrebend, dem guten Rat unseres Firmenanwalts folgen und das Bußgeld bezahlen, das mir auferlegt wird. Ich hätte den Fahrbahnrand verlassen, ohne zu blinken, und den nachfolgenden Verkehr gefährdet. Das sehe ich zwar anders, aber was hilft es? Wegen der paar Euro Justitia bemühen? Wohl kaum. Aus Prinzip Streiten ist immer schlecht. Bald sind auch Spiegel und Batterie erneuert und alles ist, als ob nie etwas geschehen wäre. Das ist doch das Schöne am Taxifahreralltag, das er einen solcherart Unannehmlichkeiten schnell vergessen lässt. Dazu ist bei aller Gleichförmigkeit dann doch wiederum jeder Tag zu verschieden, als dass die Gedanken an derlei Unbill haften bleiben. Nehmen wir einmal das Beispiel der drei jungen schwarzen Amerikanerinnen, die ich neulich mit großem Gepäck vom Hauptbahnhof nach Kreuzberg gefahren habe. Die drei setzen sich alle nach hinten ins Taxi, ein Phänomen, das mir immer wieder mit jungen Frauen widerfährt. Ganz unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft fühlen sie sich ganz offenbar zu dritt auf der Rücksitzbank zusammengepfercht sicherer, als dass eine von ihnen die Gesäßkarte ziehen und sich zu dem alten Mann nach vorne setzen muss. Aber bitte, wie sie wollen. Die drei kommen denn auch ohne Umschweife mit mir ins Gespräch, das sie immerhin mit der Frage eröffnen: „Do you speak English?“ Das ist nicht selbstverständlich. Da haben sie einen Pluspunkt bei mir. Ich bejahe und frage meinerseits, woher sie kämen und ob sie das erste Mal in Berlin seien. Sie kämen aus New York City und seien schon mehrfach in Berlin gewesen, weil sie im Filmgeschäft tätig wären, nicht als Schauspielerinnen, sondern bei Events, Festivitäten, Veranstaltungen aller Art rund ums Thema Film. So plätschert die Unterhaltung dahin, während sich mein Taxi wie von selbst seinen Weg durch das Dunkel der noch jungen Nacht bahnt. Bei dem...


Schmitz, Christian
Christian Schmitz ist gebürtiger Berliner und einer dieser klugen Taxifahrer der Hauptstadt. In seinem geheimen früheren Leben war er nämlich Historiker.
Taxifahrer ist er immer noch mit Leib und Seele. Weder die Mauer noch deren Fall noch die Pandemie konnten das ändern. Und nach Jahren auf dem Fahrersitz haben sich allerlei lustige, skurrile und nachdenklich machende Geschichten über jene Leute angesammelt, die auf seiner Rückbank oder dem Beifahrersitz gesessen haben.
2018 erschien deshalb seine erste Taxigeschichtensammlung „Der Fuchsflüsterer vom Zeltingerplatz“ in der Edition Subkultur. Seitdem ist er mit seinen Geschichten auch auf Berliner Lesebühnen zu erleben.



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