E-Book, Deutsch, 181 Seiten
Schneiders / Bieker Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-17-030768-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 181 Seiten
ISBN: 978-3-17-030768-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der soziale Dienstleistungssektor hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Zunehmend werden von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern Kompetenzen im Bereich des (wirtschaftlichen) Managements erwartet. In den meisten Studiengängen der Sozialen Arbeit wurden daher Module etabliert, die in ökonomische Aspekte Sozialer Arbeit einführen. In diesem Lehrbuch werden sowohl Grundlagen der Finanzierung und Wirkungsmessung vermittelt als auch Daten und Informationen zur wirtschaftlichen Bedeutung der Sozialwirtschaft präsentiert. Studierende erhalten einen Einblick in die Beschäftigungsstrukturen im Sektor sowie einen Überblick über (neue) Beschäftigungsfelder im Kontext von Digitalisierung und demographischem Wandel. Die Analyse des Phänomens der "Ökonomisierung" stellt einen weiteren Schwerpunkt dar.
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2 Finanzierung Sozialer Dienstleistungen
Zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen benötigen Unternehmen Kapital. Hiervon können Rohstoffe, Maschinen und Immobilien angeschafft sowie die Arbeitskräfte bezahlt werden. Die Beschaffung dieses Kapitals kann man als Finanzierung bezeichnen. Wirtschaftsunternehmen nutzen zur Finanzierung Eigenkapital und Kredite sowie Erlöse aus bereits verkauften Gütern und Dienstleistungen. Kredite werden bspw. bei Banken aufgenommen und mit einem Aufschlag (Zinsen) wieder zurückgezahlt. Verkaufserlöse kommen u. a. durch den Austausch von Waren bzw. Dienstleistungen gegen Geld zwischen Unternehmen und Endverbraucher_innen zustande. Ziel des Kapitaleinsatzes eines Wirtschaftsunternehmens ist die Erwirtschaftung einer Rendite bzw. eines Gewinns, der dann wiederum entweder reinvestiert wird oder aber an die Eigentümer_innen bzw. Anteilseigner_innen des Unternehmens ausgeschüttet wird. Diese betriebswirtschaftlichen Grundlagen können nur eingeschränkt auf die Sozialwirtschaft übertragen werden. Als größter Unterschied zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen ist die fehlende Gewinnabsicht bei einem Großteil der Anbieter – nämlich den als gemeinnützig anerkannten – zu nennen. Auch gemeinnützige Unternehmen können Überschüsse erwirtschaften, diese müssen jedoch für den satzungsgemäßen Zweck des Sozialunternehmens eingesetzt werden und somit auf jeden Fall reinvestiert werden. Hinzu kommt, dass die Mittelzuflüsse aus Erlösen für Dienstleistungen nicht durch die Inanspruchnehmenden, sondern zu einem erheblichen Anteil von der öffentlichen Hand erfolgen. Abhängig vom Handlungsfeld bzw. den angebotenen Dienstleistungen unterscheiden sich Höhe und Struktur der Mittelbedarfe erheblich: Für stationäre Einrichtungen wie bspw. Werkstätten für Menschen mit Behinderung, stationäre Angebote der Kinder- und Jugendhilfe oder Kindertagesstätten sind bereits vor Aufnahme des Betriebs Beträge in Millionenhöhe erforderlich, bei ambulanten oder aufsuchenden Angeboten (wie bspw. der Sozialpädagogischen Familienhilfe oder anderen mobilen Diensten) wird die Kostenstruktur der laufenden Aufwendungen insbesondere durch Personalkosten dominiert. Soziale Dienstleistungen werden zum einen von der öffentlichen Hand direkt erbracht (bspw. in Form von kommunalen Beratungsangeboten). Zum anderen werden öffentliche Mittel für die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen, die von anderen Akteuren (frei-gemeinnützige bzw. privat-gewerbliche Anbieter) erbracht werden, bereitgestellt. Hierbei spielen insbesondere Kommunen und sogenannte Parafisci (bspw. Sozialversicherungen) eine zentrale Rolle. Darüber hinaus stellen Bundesministerien, Landesministerien oder nachgeordnete Behörden finanzielle Mittel zur Verfügung. Neben diesen öffentlichen Kostenträgern gewinnen in den letzten Jahren andere private Akteure an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf Stiftungen hinzuweisen. Des Weiteren übernehmen die Adressat_innen selbst in einigen Handlungsfeldern einen Teil oder vollständig die Kosten. Letzteres stellt jedoch in den Bereichen, die durch das Sozialgesetzbuch geregelt werden, die Ausnahme dar. Eigenanteile orientieren sich i. d. R. an der Leistungsfähigkeit des_der Adressat_in, unterliegen aber auch länderspezifischen Unterschieden. So weisen bspw. die Entgelte, die für den Besuch von Kindertagesstätten entrichtet werden müssen, große Unterschiede in Abhängigkeit vom Bundesland, aber auch von der Kommune auf. Während einige Bundesländer mittlerweile für alle Kinder mit Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz auf Elternbeiträge verzichten (bspw. Berlin und Rheinland-Pfalz) und den Kommunen die Kosten erstatten, werden in anderen Kommunen Beiträge in Höhe von mehreren Hundert Euro pro Monat erhoben. Ein Großteil der Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, wird nicht von der öffentlichen Hand (v. a. den Kommunen) selbst angeboten, sondern von sogenannten Freien Trägern. Zu diesen Freien Trägern gehören insbesondere Organisationen, die in den sechs Wohlfahrtsverbänden organisiert sind ( Kap. 1.2). Diese auch als Wohlfahrtskorporatismus bezeichnete Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und gemeinnützigen Dienstleistungsorganisationen hat in Deutschland eine lange Tradition. Im Sozialgesetzbuch wird den Freien Trägern an verschiedenen Stellen sogar eine privilegierte Stellung zugewiesen. Dieses enge Kooperationsverhältnis hat sich jedoch in den letzten Jahren gelockert ( Kap. 5.1). Das Verhältnis zwischen öffentlichem Kostenträger, Dienstleistungserbringer und Inanspruchnehmer_in weist Besonderheiten auf und ist abhängig vom Handlungsfeld bzw. der spezifischen Dienstleistung. Ein Großteil der öffentlich finanzierten Leistungen ist im sogenannten sozialwirtschaftlichen Dreieck organisiert. Hierbei handelt es sich um eine Konstellation, die sich nur im Bereich der sozialen Dienstleistungen findet und aus den Spezifika sozialer Dienstleistungen resultiert. Folgendes Schaubild zeigt das Verhältnis der verschiedenen Akteure ( Abb. 3). Anders als in anderen Wirtschaftsbeziehungen vollzieht sich der ökonomische Tauschakt (Ware/Dienstleistung gegen Geld) nicht zwischen dem_der Inanspruchnehmer_in und dem Dienstleistungserbringer, sondern der Kostenträger ist als dritter Akteur in den Prozess mit eingebunden. Die Inanspruchnehmenden haben gegenüber einer Sozialversicherung oder einem anderen öffentlichen Träger einen Rechtsanspruch auf eine Leistung. Nach erfolgter Feststellung des Bedarfs bzw. des Rechtsanspruchs erbringt der Kostenträger diese Leistung aber nicht selbst, sondern beauftragt mit der Leistungserstellung einen Dienstleistungserbringer. Dieser Dienstleistungserbringer schließt mit dem Kostenträger einen Vertrag, in dem die Bedingungen der Leistungserstellung spezifiziert werden (Art und Umfang der Dienstleistung sowie Höhe der monetären Leistung, die der Kostenträgerleistet. Der Dienstleister erbringt dann die Dienstleistung für die Inanspruchehmenden mit dem entsprechenden Rechtsanspruch. Abb. 3: Das Sozialwirtschaftliche Dreieck (eigene Darstellung) Fallbeispiel JugendJetzt
Im Falle von JugendJetzt basiert die Finanzierung der Dienstleistungen auf § 28 SGB VIII (Erziehungsberatung) Kostenträger der Beratungsleistung sind in diesem Falle je nach Bundesland die Jugendämter, Landesjugendämter und Träger der überörtlichen Jugendhilfe. Dienstleistungserbringer (JugendJetzt), Kostenträger (Jugendamt) und Leistungsinanspruchnehmer_innen (Kinder und Eltern mit erheblichen Erziehungs- bzw. Beziehungsproblemen) stehen in einem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zueinander. Dabei haben die Inanspruchnehmer_innen gegenüber dem Kostenträger einen Rechtsanspruch auf Hilfe. Diese wiederum schließen rechtsverbindliche Leistungsvereinbarungen mit den Leistungserbringern. Die Leistungserbringer (hier JugendJetzt) erbringen die Leistungen und erhalten hierfür vom Kostenträger eine Vergütung ( Abb. 3). Merke
Ein Großteil der sozialen Dienstleistungen wird nicht in marktförmigen Prozessen ausgetauscht. Anders als bei einer Beziehung zwischen Kunde und Wirtschaftsunternehmen, wie bspw. zwischen dem_der Käufer_in eines Autos und dem_der Autohändler_in, besteht also kein marktförmiges Austauschverhältnis, in dem der_die Kund_in ein Produkt oder eine Dienstleistung gegen Bezahlung erwirbt bzw. nutzt, sondern die Bezahlung der Dienstleistung erfolgt durch den Kostenträger. Darüber hinaus fehlt ein weiteres Merkmal einer marktförmigen Austauschbeziehung: Der_die Inanspruchnehmer_in hat zwar grundsätzlich ein Wahlrecht, was den Dienstleistungserbringer angeht. In der Praxis empfiehlt aber das Jugendamt einen Dienstleister. Im Verlauf des Hilfeprozesses haben der_die Adressat_innen bzw. deren Angehörige im Rahmen von Hilfeplangesprächen bzw. der Teilhabeplanung zwar ein Mitspracherecht, es kommen aber i. d. R. nur die Angebote in Frage, mit denen seitens des Kostenträgers bereits ein Versorgungsvertrag besteht. Der öffentliche Kostenträger verfügt insofern über ein Nachfragemonopol und kann damit einen erheblichen Einfluss auf die Preise nehmen. Die Preisgestaltung ist damit nicht Resultat von Wettbewerb bzw. dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage, sondern wird in Aushandlungsprozessen zwischen öffentlichem Kostenträger und Sozialunternehmen gebildet. Neben Finanzierungen im sozialwirtschaftlichen Dreieck werden einige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch nach SGB besteht, auch im sogenannten Einkaufsmodell organisiert. Dies betrifft v. a. das Pflegegeld (§ 37 SGB XI) bzw. das...