Schramme | Gerechtigkeit und soziale Praxis | Buch | 978-3-593-38180-0 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 903, 274 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 344 g

Reihe: Campus Forschung

Schramme

Gerechtigkeit und soziale Praxis


1. Auflage 2006
ISBN: 978-3-593-38180-0
Verlag: Campus

Buch, Deutsch, Band 903, 274 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 215 mm, Gewicht: 344 g

Reihe: Campus Forschung

ISBN: 978-3-593-38180-0
Verlag: Campus


Thomas Schramme erklärt die Einbeziehung der Bürger in die Gesellschaft zum zentralen Motiv sozialer Gerechtigkeit. Damit löst er die philosophische Gerechtigkeitstheorie aus ihrer Verankerung in einer abstrakten, ideal konzipierten Welt. Für ihn ist Gerechtigkeit keine Kategorie, die nur in den Köpfen von Philosophen definiert wird. Vielmehr wird ihr Inhalt in gesellschaftlichen Kämpfen festgelegt. Sowohl das tatsächlich Realisierbare als auch die realen Gerechtigkeitsauffassungen der Bürger bestimmen, was als gerecht bzw. ungerecht zu gelten hat.

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Inhalt
Vorwort. 7
Einleitung. 8
Teil 1: Methoden und Ziele der Gerechtigkeitstheorie
1. Schwierigkeiten mit dem Gerechtigkeitsbegriff.21
Soziale Gerechtigkeit.23
Die Anwendungsbedingungen der Gerechtigkeit.29
Formale Gerechtigkeit.35
Zwei Arten der Gerechtigkeit.41
2. Ebenen der Theoriekonstruktion.46
Sind Gerechtigkeitsauffassungen irrtumsanfällig?.49
Generierung.55
Rechtfertigung.58
Realisierbarkeit.64
3. Versöhnung durch Entsagung: John Rawls.67
Grundlagen.68
Generierung im Urzustand.72
Rechtfertigung im Überlegungsgleichgewicht.80
Idealismus oder Realismus?.92
Die Weiterentwicklung bis zu Political Liberalism.95
Versöhnung oder Wettbewerb?.101
4. Theoriekonstruktion durch Empirie und Interpretation.105
Mögliche Funktionen der empirischen Gerechtigkeitsforschung.105
Was die Leute meinen: David Miller.112
Gerechtigkeit durch kommunale Selbstbestimmung: Michael Walzer.118
Pluralismus ernstgenommen.129
5. Kämpfe um Gerechtigkeit und die Aufgaben der
Gerechtigkeitstheorie.132
Das Ethos der Gerechtigkeit.134
Gerechtigkeitstheorie zwischen Realismus und Gesellschaftsutopie.137
Teil 2: Das philosophische Scheitern des Egalitarismus
6. Verteilungsgleichheit und Chancengleichheit.143
Distributive Gleichheit.145
Die positive Argumentation für Gleichverteilung.148
Gleichheit im moralischen Status vs. Verteilungsgleichheit.151
Chancengleichheit.154
7. Gleichheit als Präsumtion.162
Zwei Arten der Gleichheit.162
Die Gleichheitspräsumtion.165
Gleichheit ist keine Präsumtion.167
Die Gleichheitspräsumtion ist unbegründet.172
Die Gleichheitspräsumtion ist nutzlos.184
Die Gleichheitspräsumtion ist schädlich.187
Teil 3: Sphären der Inklusion
8. Der Wohlfahrtsstaat als Instrument der Inklusion.193
Die Welten des Wohlfahrtsstaats.193
Kampf um Inklusion.200
9. Dystopischer Liberalismus.204
Negative und positive Freiheit.207
Die Unvermeidbarkeit einer dystopischen Theorie des guten Lebens.215
10. Bedürfnisse, Würde und politische Teilnahme.222
Ermöglichung von Bedürfnisbefriedigung als Leidvermeidung.223
Würdeschutz und Anerkennung.231
Politische Inklusion.237
Literatur.241
Register.271


Einleitung

'Es ist schon alles gesagt worden. Nur noch nicht von allen.' Die philosophische Diskussion über Gerechtigkeit vermittelt häufig den Eindruck, als wolle sie diesem Diktum Karl Valentins gerecht werden. Doch selbst wenn schon alles gesagt sein sollte, besteht dennoch kaum Hoffnung, dass die Debatte bald beendet wäre. Denn es fehlt die Einigkeit unter den Gerechtigkeitstheoretikern. Und dennoch sind nahezu alle Theoretiker überzeugt, sie könnten uns sagen, was die richtige oder wenigstens am besten begründete Gerechtigkeitsauffassung ist oder wie eine wirklich gerechte oder wenigstens die vergleichsweise gerechteste Welt aussehen würde. Meiner Meinung nach ist diese Überzeugung aus verschiedenen Gründen verfehlt. Der wichtigste Grund besteht darin, dass man keine Gerechtigkeitsauffassung gegenüber anderen in der Art auszeichnen kann, dass sie nicht mehr zu bezweifeln wäre. Was als gerecht gilt, wird nicht in der philosophischen Denkerstube, sondern in konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ausgehandelt. Das würden zugestandenermaßen auch viele Gerechtigkeitstheoretiker bestätigen, doch gleichzeitig betonen, dass es ja darum ginge, was als gerecht gelten solle. Im Kampf um Gerechtigkeit gebe es eben Ziele, die philosophisch besonders ausgezeichnet werden könnten. Mit dieser Argumentation wird jedoch eine Trennung zwischen faktischen und idealen Gerechtigkeitsauffassungen eingezogen, die wiederum in meinen Augen nicht überzeugt. Was die Gerechtigkeit fordert, kann nur in Abhängigkeit von den tatsächlichen Gerechtigkeitsauffassungen bestimmt werden. All das heißt nicht, dass die philosophische Diskussion über Gerechtigkeit sinnlos ist. Bloß sollte ihr Status anders als üblich konzipiert werden.Die Philosophie kann keine Gerechtigkeitsauffassung allgemeingültig begründen, sie kann nur Empfehlungen aussprechen und versuchen, Menschen dazu zu bringen, diese anzunehmen. Sie kann außerdem versuchen, die realen Voraussetzungen zu klären, unter denen der Kampf um Gerechtigkeit von jedem geführt werden kann. Die Rechtfertigung von Gerechtigkeitsprinzipien aber muss gegenüber konkreten Personen stattfinden, nicht gegen eine abstrakte Idee wie die der Vernunft. Die Überzeugungen der Menschen im Hier und Heute entscheiden über die Durchschlagskraft einer philosophischen Gerechtigkeitstheorie, keine andere Instanz. Viele Theoretiker glauben, sie könnten den Pluralismus der tatsächlich vorhandenen individuellen Gerechtigkeitsauffassungen eindämmen oder ihm entgehen, indem sie Prinzipien entwickeln, denen jeder unter bestimmten Umständen zustimmen könnte. Unter realen Bedingungen würde zwar sicherlich keine der vorhandenen Theorien auf allgemeine Zustimmung bauen können, doch immerhin dann, wenn alle Personen vollkommen vernünftig wären oder andere kontrafaktische Bedingungen erfüllt wären. Meines Erachtens ist auch dieser Ansatz zum Scheitern verurteilt, denn die Behauptung, dass eine Theorie unter hypothetischen Bedingungen von jedem akzeptiert werden könnte, gebiert unter realen Bedingungen eine bloße Verheißung der Allgemeingültigkeit. Weithin gültige Elemente einer gerechten Ordnung sind dennoch denkbar, nur basieren diese auf historischen Entwicklungen, die tatsächlich zu geteilten Werten führten, nicht auf kontrafaktischen Annahmen. Überdies verengt das Ziel der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit den Bereich der Gerechtigkeitstheorie in fataler Weise. Denn unter Bedingungen moderner pluralistischer Staaten muss in eng begrenzte und abstrakte Sphären vorgedrungen werden, soll noch eine gemeinsame Gerechtigkeitsauffassung gefunden werden. In der philosophischen Diskussion wird der Bereich der Gerechtigkeit meist auf die gesellschaftliche Grundstruktur eingegrenzt. Die Gerechtigkeit dient demzufolge gewissermaßen als Rahmenordnung für den Pluralismus der individuellen Vorstellungen vom guten Leben. Gerechtigkeit wird beschränkt auf die Funktion, den Schiedsrichter in einer Welt von Interessen- und Wertkonflikten zu mimen. Doch es existieren auch Gerechtigkeitsfragen jenseits des grundlegenden Bereichs gesellschaftlicher Ordnung. Und spätestens dort lassen sich das Gerechte und das Gute nicht säuberlich trennen. Gerechtigkeitstheorien müssen dann selbst auf bestimmte Auffassungen des Guten zurückgreifen und sind daher niemals für jeden akzeptabel. Indem sie die Funktion der Gerechtigkeitstheorie auf die Harmonisierung konfligierender Ansprüche beschneidet, versagt sich die politische Philosophie zudem eine wesentliche Aufgabe: die Ausformulierung einer Utopie der guten Gesellschaft, die sich einem Wettbewerb der Ideen stellt - sich also gerade nicht aufschwingt, eine allgemein verbindliche Begründung abzuliefern. Durch die Einengung der Gerechtigkeitstheorie auf die Lösung von Interessenkonflikten und ihre Beschränkung auf den Bereich der grundlegenden gesellschaftlichen Regeln, manövriert sich die politische Theorie ins Abseits. Sie hält sich aus den gesellschaftlichen Konflikten heraus und will es allen recht machen. Doch dieses Ziel ist weder tatsächlich zu verwirklichen noch sinnvoll (vgl. Kateb 1968: 40ff.). Die Gefahr besteht, dass unter diesen Voraussetzungen bald erneut die Totenglocken für die Gerechtigkeitstheorie geläutet werden könnten, weil sie keine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Zu Beginn der sechziger Jahre waren Nachrufe auf die politische Philosophie häufig vorzufinden. Isaiah Berlin sah die große Verbreitung der Abgesänge einem positivistischen Weltbild geschuldet, das der politischen Theorie keine wirklichkeitsbezogenen Aufgaben lies. Der Positivismus sorge dafür, dass die vermeintliche Wissenschaft beschränkt werde auf die empirische Untersuchung der Welt anhand eindeutiger Methoden, während der Philosophie die logische Analyse der Sprache bliebe. Da keine allgemein akzeptierte Methode zur Beantwortung normativer und evaluativer Fragen in der politischen Sphäre sichergestellt werden könne, gedeihe die politische Theorie nicht zur politischen Wissenschaft. Sie stehe mit ihrem Anspruch auf Normativität sozusagen zwischen den Stühlen. Doch, so Berlin, insofern die politische Theorie mit Konzepten zu tun habe, die durch menschliche Selbstinterpretationen geprägt seien, sei sie eben eine genuin philosophische Disziplin - wobei die Aufgaben der Philosophie natürlich von Berlin anders bestimmt wurden als im logischen Positivismus. Denn gäbe es die methodologischen Konflikte nicht, so könnte sie, nach Meinung Berlins, als bloß angewandte Wissenschaft - sozusagen als politische Technik - ausgeübt werden. Solange aber die menschliche Welt pluralistisch sei, solange bleibe die politische Theorie philosophisch. 'If we ask the Kantian question, >In what kind of world is political philosophy - the kind of discussion and argument in which it consists - in principle possible?Only in a world where ends collide<.' (Berlin 1962: 8).


Thomas Schramme, PD Dr. phil., ist Senior Lecturer an der University of Wales in Swansea.



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