Buch, Deutsch, Band 908, 251 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 316 g
Reihe: Campus Forschung
Ärzte und Technik im Operationssaal
Buch, Deutsch, Band 908, 251 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 213 mm, Gewicht: 316 g
Reihe: Campus Forschung
ISBN: 978-3-593-38188-6
Verlag: Campus
Die Technik bestimmt immer stärker das ärztliche Handeln. Cornelius Schubert beleuchtet die Rolle und die zunehmende Eigendynamik technischer Entwicklungen innerhalb der modernen Krankenhausmedizin. Am Beispiel des chirurgischen Operationssaals zeigt er, wie
Ärzte die Technik im Spannungsfeld von Routine und Flexibilität nutzen. Jenseits einseitiger Technikkritik ermöglicht seine Studie ein differenziertes Verständnis für die Interaktionen von Mensch und Gerät in hoch technisierten Arbeitssituationen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Mathematik | Informatik EDV | Informatik Informatik Mensch-Maschine-Interaktion
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizintechnik, Biomedizintechnik, Medizinische Werkstoffe
- Technische Wissenschaften Sonstige Technologien | Angewandte Technik Medizintechnik, Biomedizintechnik
Weitere Infos & Material
Vorwort 7
1. Einleitung: Alltag, Arbeit, Artefakte 9
1.1 Problemstellung 10
1.2 Neue Begriffe für neue Phänomene 14
1.3 Studiendesign und Aufbau des Buches 17
2. Kognitionswissenschaftliche Perspektiven 21
2.1 Können Maschinen denken? Die KI-Kontroverse 21
2.1 Mensch und Maschine: Eine Leitdifferenz im Wandel 22
2.1 Intention und Intelligenz: ontische oder zugeschriebene Eigenschaft? 26
2.2 Von verteilten Kognitionen zu verflochtenen Aktivitäten 29
2.3 Vom Denken zum Handeln 41
3. Soziologische Perspektiven 45
3.1 Techniksoziologie 50
3.2 Arbeitssoziologie 71
3.3 Medizinsoziologie 85
3.4 Resümee zu Technik, Arbeit, Medizin 111
4. Struktur und Praxis sozio-technischer Kooperation 113
4.1 Sozio-technische Ensembles 113
4.2 Routinierte Improvisation 125
5. Sozio-technische Ensembles im Operationssaal: eine Fallstudie 136
5.1 Die Beobachtung von Arbeit, Interaktion und Interaktivität 137
5.2 Methodisches Vorgehen 145
5.3 Ergebnisse 164
6. Routinierte Improvisation als eine Form hybrider Kooperation 223
Literatur 229
Personenverzeichnis 245
Stichwortverzeichnis 248
Die zunehmende Durchdringung weiter Teile des gesellschaftlichen Lebens mit Artefakten lässt sich besonders in den letzten Jahren beobachten, denn die moderne Mikroelektronik ermöglicht es, portable Geräte mit einem breiten Funktionsspektrum an die Frau oder den Mann zu bringen. Neben den Artefakten des Alltags spielt die Technik im Kontext der Arbeit eine noch größere Rolle. Aus diesem Grund ist als empirisches Feld eine hoch technisierte Arbeitssituation ausgewählt worden, genauer gesagt der chirurgische Operationssaal (OP) in Krankenhäusern. Der Operationssaal, aber auch andere Hochtechnologie-Settings wie U-Bahn-Leitstellen, Flughafen-Tower oder Kontrollräume in Kernkraftwerken sind ohne den Einsatz moderner Technologie nicht denkbar. Dabei gibt es nicht nur eine Technologie, sondern verschiedene, heterogene Technologien und Artefakte (Instrumente, Maschinen und Medien), die oft von ebenso heterogenen Akteuren (Ärzte, Schwestern, Techniker) genutzt werden.
Speziell der OP weist sich durch eine hohe Dichte an unterschiedlichen Akteuren und Artefakten aus. Auf der Seite der Akteure existiert sowohl eine starke horizontale wie auch vertikale Segregation der Professionen. Anästhesistinnen und Anästhesisten, Chirurginnen und Chirurgen, Pflegekräfte und technisches Personal sind arbeitsteilig organisiert, innerhalb der Ärzteschaft ist die vertikale Segregation nach Position zusätzlich von hoher Bedeutung. Da die Akteure alle zeitgleich mit der Operation beschäftigt sind, entsteht eine hohe Dichte an Interaktionen zwischen ihnen. Wie schon gesagt, sind die Menschen jedoch nicht alleine im OP, sondern umgeben von einer Vielzahl von Artefakten. Die Spannbreite reicht vom einfachen Instrument wie dem Skalpell über diverse Medien wie der Patientenakte bis hin zu komplexen computergesteuerten Überwachungssystemen wie dem anästhesistischen Monitoring. Kaum ein Arbeitsschritt wird allein von Akteuren durchgeführt, in den meisten Fällen sind Artefakte auf die eine oder andere Art und Weise eingebunden, was zusätzlich zu einer hohen Dichte an Interaktivitäten zwischen Mensch und Technik führt.
Die vorliegende Studie geht davon aus, dass die materielle Umwelt als konstitutives Element kollektiver Arbeitsprozesse gesehen werden muss. Die anschließende und im Folgenden zu erörternde Frage muss demnach lauten, welchen Anteil die Artefakte an der Konstitution von chirurgischen Operationen haben und speziell, welche Qualität die Technik in den Konstitutionsprozess mit einbringt.
Dabei soll im Folgenden weder versucht werden, technischen Artefakten Intentionalität unterzuschieben oder das Bewusstsein von Menschen in Frage zu stellen, um anschließend die Differenzen von Mensch und Technik in einer (postmodernen) Diskussion über sich aufzulösende Trennschärfen zu verwischen. Die vorliegende Studie möchte vielmehr eine genaue empirische Aufstellung davon geben, wie Mensch und Technik in einer bestimmten, hoch technisierten Arbeitssituation in Wechselwirkung treten. Ziel der Analyse ist es, dieses Zusammenwirken als einen wechselseitigen Prozess heterogener Aktivitäten von Mensch und Technik zu konzeptionalisieren und zu klären, welche theoretischen Vorannahmen dazu gemacht werden müssen und welches begriffliche Inventar dafür benutzt werden sollte.
Die Fallstudie bietet sich für eine solche Analyse aus zweierlei Hinsicht an. Zum Ersten stützt sich die Argumentation in weiten Teilen auf Praktiken, also auf die beobachtbare Performanz, das Tun und Sprechen von Menschen, speziell im Sinne strukturierender und koordinierender Aktivitätsabfolgen. Operationsprozeduren beruhen notwendigerweise zum großen Teil auf standardisierten Verfahren und Routinen, müssen aber ebenso an die Kontingenzen der jeweiligen Situation angepasst werden. Daher bieten Operationen eine Vielzahl verschiedener, lokal begrenzter Interaktions- und Interaktivitätssequenzen, die sowohl in ihren Gemeinsamkeiten verglichen werden können, aber auch immer als kontrastierende Elemente dienen, wodurch sich sowohl die Unterschiede zwischen Mensch und Technik herausarbeiten lassen als auch die Ähnlichkeiten zwischen ihnen deutlich werden. Zum Zweiten ist durch das Konzept der funktionalen Arbeitsteilung die Aufteilung verschiedener Arbeitsschritte auf mehrere Akteure schon lange Thema der Soziologie. Eigentlich, so könnte man fast sagen, ist es ein ziemlich alter Hut. Nimmt man allerdings die Technik mit in den Blick, wird die Angelegenheit komplizierter. Wie beschreibt man Phänomene von Differenzierung und Integration, wenn neben Akteuren auch Artefakte beteiligt sind? Welche Art von Kooperation entsteht in Kollektiven, in denen Mensch und Technik zusammenwirken? Wie unterscheidet sich die Interaktion von der Interaktivität?