E-Book, Deutsch, Band 5, 544 Seiten
Reihe: Das Geheimnis von Askir
Schwartz Die Feuerinseln
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-492-95456-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Geheimnis von Askir 5
E-Book, Deutsch, Band 5, 544 Seiten
Reihe: Das Geheimnis von Askir
ISBN: 978-3-492-95456-3
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1. Morgenrot Wenn die Sonne aufgeht, so sagen die Priester, öffnet sich das Tor zu Soltars Hallen und der Gott erfüllt sein Versprechen den Menschen gegenüber: Auf die Nacht des Todes folgt neues Leben. Solange sein Licht die Erde berührt, stehen die Tore zu seinen Hallen offen und ist noch Zeit für die Geister der Toten, zu ihm zu gelangen. Hier oben, auf einem hochgetürmten Stapel aus Baumwollballen am Rand des Flusshafens von Gasalabad, schaute ich über die Stadt und ihre Mauern hinweg und sah sein Licht rot aus der Wüste aufsteigen. Rot wie das Blut auf meinen Kleidern. Der Flusshafen kannte auch zu solch früher Stunde kaum Ruhe, gut ein Dutzend Schiffe lagen hier an den Kais, flussaufwärts warteten zwei weitere Kornkähne aus Kasdir darauf, anlegen zu können. Drei andere wurden gerade entladen. Vor Kurzem noch wäre mein Erstaunen groß gewesen, zu erfahren, welche Mengen an Korn diese Stadt jeden Tag verbrauchte. Es hätte mich fasziniert, zuzusehen, wie das Korn entladen, säcke- und körbeweise auf Eselskarren verbracht wurde und wie es sich in einer fast endlos langen Kette aus Gespannen und Lasttieren durch das enge Gedränge hier am Hafen seinen Weg bis zur Kornbörse suchte. Schon lange bevor der erste Kahn des Morgens hier anlegte, hatten dort an der Börse die Händler von Gasalabad über die Kurse entschieden und das Korn bereits verkauft, ob nun als einzelnen Sack oder ganze Schiffsladung. Nicht nur Korn wurde verladen, jedes erdenkliche Gut fand seinen Weg hierher, unter anderem auch Baumwolle. Zu festen Ballen gepresst und verschnürt, wurde sie dann vier bis fünf Ballen hoch am Rand des Hafens gestapelt. Auf einem dieser Stapel hatte ich mir einen Platz gesucht und saß dort wie auf einem hohen Thron, inmitten all des Trubels und doch seltsam unberührt davon. Die Stadt erstreckte sich auch jenseits des Gazar; die Arena befand sich dort auf der anderen Seite und eine Garnison der Stadtsoldaten. Hunderte andere Gebäude drängten sich im Schutz der hohen Stadtmauer, doch ich kannte diesen Teil der Stadt kaum. Nur einmal, mitten in der Nacht, war ich durch diese Viertel zu unserem Haus zurückgekehrt. Doch mein Blick galt nicht der Stadt selbst, sondern dem goldenen Licht des Morgens, das sich seinen Weg durch das offene Tor und die Schießscharten bahnte und die Zinnen in einem rotgoldenen Schein aufleuchten ließ. Eben noch war der Himmel über den Zinnen von dunkler Nacht überzogen gewesen, jetzt wich sie mit jedem Atemzug dem Tag. Wo vorhin noch das Funkeln der Sterne zu sehen gewesen war, wurde der Himmel immer heller und verdrängte die Dunkelheit. In dem Moment, wenn die Sonne die Erde nicht mehr berührt, schließen sich die Tore des Gottes wieder und trennen die Toten von den Lebenden. Natalyia war nun sicher vor der Macht des Gottes ohne Namen. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. »Du siehst übel aus.« Zokoras Stimme, dunkel und rauchig, unverwechselbar. Es war müßig, darüber zu spekulieren, wie sie mich gefunden hatte. Von all jenen, die ich in der letzten Zeit kennengelernt hatte, verstand ich sie am wenigsten. Klein und zierlich, mit Haut in der Farbe von Ebenholz und dunklen, forschenden Augen, schien sie mir vertraut und zugleich auch unendlich fremd. In ihren Augen fand man einen Willen und eine Stärke, die ihre körperliche Größe vergessen machten. Sie war eine Prinzessin ihres Volkes, eine Priesterin der Göttin Solante, der dunklen Schwester Astartes, eine tödliche Kämpferin mit Magie und Stahl. Und – vielleicht – ein Freund. Ich hatte sie nicht kommen hören. »Wo ist Natalyia?«, fragte sie. »Sie ist tot.« Ich öffnete ein Auge und schaute zu ihr hinüber. Sie saß neben mir, mit dem Rücken am gleichen Ballen, an den auch ich mich lehnte, nur dass sie so gerade saß, dass sie den Ballen gar nicht berührte. Sie trug das Gewand einer Leibwächterin, ein dunkler Schleier schützte ihre Augen. Ich wusste, dass das Licht des Tages zu grell für sie war. Jetzt aber löste sie den Schleier und schaute mich mit diesen dunklen Augen an. Es lag keine Überraschung in ihrem Blick, keine Trauer, nur Akzeptanz, als wäre es etwas, auf das sie lange gewartet hatte. Tief in ihren Augen schimmerte es rötlich. »Es war also nicht so einfach wie gedacht?« »Doch«, entgegnete ich. »Alle im Tempel sind ertrunken.« »Was ist geschehen?« »Sie wollte nur sichergehen, dass alle ersaufen, dabei kam sie dem Nekromanten zu nahe. Er zwang sie dazu, ihn an die Oberfläche zu bringen und vor dem Ertrinken zu bewahren. Es kam zum Kampf zwischen uns, danach war ich dem Tode nahe.« Unwillkürlich sah ich nach oben. Dort, in einer Höhe, aus der Gasalabad selbst so klein erschienen war, dass ich die große Stadt mit meinem Daumen hätte bedecken können, hatte es sich entschieden. Es war die Macht des Nekromanten, die uns beide in diese Höhe entführt hatte, und als er starb, stürzte ich in den Fluss. Niemand überlebte einen solchen Sturz. Auch ich nicht. »Sie setzte sich Seelenreißer unters Herz, ließ sich in die Klinge fallen und gab ihr Leben, damit ich geheilt wurde.« Ich hörte mir zu, als ich das sagte. Meine Stimme klang mir fremd. So fern, so unbeteiligt. Ich hätte gern ausführlicher davon berichtet, aber ich konnte nicht. »Sie starb, damit du lebst?«, fragte Zokora mit überraschend sanfter Stimme. »Ja.« Ich zog meine Knie an, stützte mein Kinn darauf und blickte hinunter in den Hafen. Drei Flusssegler lagen dort vertäut, einer davon so groß wie die beiden anderen zusammen. Dieses Schiff wurde gerade beladen, ein großer Ballen schwang am Lastarm herum, um in den Laderaum abgelassen zu werden. Der Name des Schiffs war Lanze des Ruhms, und es gehörte mir. Schon vor Tagen hatten wir beschlossen, dass wir heute abreisen wollten. Ich erinnerte mich daran, dass ich am Tag zuvor noch gesagt hatte, wie froh ich darüber war, dass diese Stadt keinen von uns das Leben gekostet hatte. Ein etwas voreiliger Gedanke. »Sie hat mich nicht gefragt, ob ich leben will.« »Warum hätte sie das tun sollen?«, meinte Zokora. »Ich hätte nicht gewollt, dass sie ihr Leben für mich wegwirft.« »Sie hat es nicht weggeworfen.« »Das sehe ich anders.« »Es dreht sich nicht alles um dich, Havald«, sagte sie. »Sie tat es für sich, weil es für sie das Richtige war.« Sie wandte sich mir zu, ihr Blick war intensiv. Der rötliche Funke in ihren Augen war deutlich zu erkennen. »Es wäre nicht meine Wahl gewesen.« »Aber es war ihre.« Ich neigte den Kopf. »Ich weiß.« Sie musterte mich, dann nickte sie. »Wo ist sie? Ist sie sicher?« »Ich habe sie zum Tempel Soltars gebracht.« Niemand wusste, wie mächtig Kolaron, der Herrscher von Thalak, wirklich war. Nur eins war gewiss: Er war ein Seelenreiter, und schon einmal hatte Natalyias Seele unter seinem Bann gelegen. Vor Kurzem erst war sie im Tempel im Namen Soltars getauft worden. Deshalb hatte ich sie dorthin gebracht, dort war sie sicher. »Ich nehme Abschied von ihr«, teilte Zokora mir mit, glitt elegant von der Baumwolle und landete vier Ballen tiefer geschickt wie eine Katze. Dann war sie auch schon im Gedränge des Hafens verschwunden. Ich blieb auf dem Ballen sitzen und sah eine Weile zu, wie die Lanze des Ruhms beladen wurde. Deral, der Kapitän, hatte um Erlaubnis gebeten, Ladung aufnehmen zu können. Er meinte, dass es eine Schande wäre, nach Askir zu segeln und keinen Profit dabei zu machen. Gerade schaute er zu, wie die Ladeluken verschlossen wurden, und erteilte dem Ersten Maat Anweisungen, dann rief ein anderes Besatzungsmitglied ihn zu sich. Am Ufer wartete eine junge Frau auf unseren Kapitän, dunkel gekleidet und mit einem Schleier verhüllt. Sie sprach ihn an, und er schüttelte den Kopf. Sie legte eine Hand auf seinen Arm, beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Selbst auf die Entfernung sah ich seine Überraschung. Widerwillig, so schien es mir, nickte er, und ein Beutel wechselte seinen Besitzer. Die junge Frau ging an Bord, suchte sich achtern nahe der offenen Kabine ein Kissen und ließ sich dort nieder. Ich hatte zugestimmt, Ladung aufzunehmen, mich aber gegen Passagiere ausgesprochen. Was also hatte die junge Frau zu unserem Kapitän gesagt, dass er gegen meine Anweisung handelte? Gestern noch hätte ich dringend wissen wollen, was sich eben dort zugetragen hatte, heute jedoch war meine Neugier gedämpft. Zu sehr war ich in meinen Gedanken gefangen. Was, bei allen Göttern, hatte Natalyia bewogen, sich in meine verfluchte Klinge zu stürzen? In ihrem Großmut hatten die Götter manchen Menschen magische Talente geschenkt. Der eine war vielleicht dazu imstande, mit Tieren zu sprechen, ein anderer verformte Stein mit bloßen Händen. Natalyia war fähig gewesen, durch Stein zu gehen. Doch die dunkle Gabe der Nekromantie, ein Geschenk des Namenlosen, um die Menschen zu versuchen, war etwas anderes. Mit diesem Talent vermochte ein Nekromant sich die Seele und das Talent eines Menschen anzueignen, ein Vorgang, der oft mit grausamer und tödlicher Folter einherging, denn niemand gab gern seine Seele auf. Askannon, so sagt die Legende, habe die Bannschwerter dazu erschaffen, Nekromanten zu zwingen, die Seelen wieder freizugeben. Es hieß auch, dass diese Klingen ihrem Träger Schutz gegen die Seelenreiter bieten sollten. Davon hatte ich indes wenig bemerkt. Mehrfach schon hatte ich einem dieser Unheiligen gegenübergestanden, und bisher war es ihnen bemerkenswert gut gelungen, meinen Geist zu...