E-Book, Deutsch, 214 Seiten
Reihe: zur Einführung
Schweppenhäuser Theodor W. Adorno
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96060-092-3
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 214 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-092-3
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der große Einfluss, den das Denken Theodor W. Adornos (1903-1969) auf die bundesrepublikanische und die internationale Philosophie ausgeübt hat, gründet sich vor allem auf die gemeinsam mit Max Horkheimer im Exil verfasste "Dialektik der Aufklärung". In diesem Buch zeigen die Verfasser, wie das Projekt, den Menschen aus der Befangenheit im Mythos zu befreien, in die "Selbstzerstörung der Aufklärung" mündet. Von Adornos philosophischen Anfängen bis zu seiner Auseinandersetzung mit der "Kulturindustrie" werden in dieser Einführung die Fäden sichtbar, die die Arbeitsfelder des Philosophen, Soziologen, Kritikers und Komponisten verbinden.
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1. Der Versuch, die Kindheit verwandelnd einzuholen
Im kalifornischen Exil lernte Adorno 1943 den von ihm hochverehrten Schriftsteller Thomas Mann als Nachbarn in Hollywood kennen. Der weltberühmte Nobelpreisträger, der schon auf die Siebzig zuging, weihte den unbekannten, gerade vierzigjährigen Musikphilosophen in sein aktuelles work in progress ein: Thomas Mann war dabei, den Roman über die Dialektik der deutschen Kultur zu schreiben. Im Doktor Faustus steht eine Kultur zur Debatte, die nicht von ungefähr in jene archaische Brutalität umschlägt, die mit den modernsten technologischen Instrumenten und Verwaltungsmaßnahmen exekutiert wird, sondern aufgrund ihrer eigenen strukturellen Ambivalenz. Adorno wurde in Hollywood zum musiktheoretischen Mitautor von Manns Roman. Davon erzählt der »Zauberer« Thomas Mann in seinem Entstehungsbericht zum Doktor Faustus, der auch eine kurze biographische Vorstellung seines neuen Bekannten enthält. Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt geboren. Thomas Mann schreibt: »Sein Vater war deutscher Jude« – nämlich Oscar Wiesengrund, ein zum Protestantismus konvertierter Frankfurter Weingroßhändler –, »seine Mutter, selbst Sängerin, ist die Tochter eines französischen Offiziers korsischer – ursprünglich genuesischer – Abstammung und einer deutschen Sängerin« (ihr Name war Maria, geb. Calvelli-Adorno della Piana). »Adorno, wie er sich mit dem Mädchennamen seiner Mutter nennt, ist ein Mensch von ähnlicher, spröder, tragisch-kluger und exklusiver Geistesform [wie] Walter Benjamin, der, von den Nazis zu Tode gehetzt, das […] Buch über das ›Deutsche Trauerspiel‹, eigentlich eine Philosophie und Geschichte der Allegorie hinterließ.« »Aufgewachsen in einer ganz und gar von theoretischen (auch politischen) und künstlerischen, vor allem musikalischen Interessen beherrschten Atmosphäre«1, entfaltete Adorno schon als junger Mann eine beeindruckende geistige Wirkung im liberalen Frankfurt. Seine glückliche Kindheit und Jugend wurde, wenn überhaupt, nur durch das Ressentiment getrübt, das ihm, dem privilegierten Hochbegabten, bornierte Mitschüler entgegengebracht haben mögen. Später, in den Minima Moralia, hat er diese »bösen Kameraden« als »Sendboten« des Faschismus beschrieben.2 Derartige Erfahrungen wurden zur Grundlage seiner Idiosynkrasie gegen »konformistische Identität«, die er seit den vierziger Jahren mit innovativen sozialwissenschaftlichen Methoden untersuchte.3 Philosophisch geschult wurde Adorno durch den älteren Freund Siegfried Kracauer, den bedeutenden Feuilletonisten der Frankfurter Zeitung: »Über Jahre hindurch las er mit mir, regelmäßig Samstag nachmittags, die Kritik der reinen Vernunft. Nicht im leisesten übertreibe ich, wenn ich sage, daß ich dieser Lektüre mehr verdanke als meinen akademischen Lehrern.« (GS 11, 388) Als Student war Adorno bereits ein einflußreicher Musikkritiker im Geiste der radikalen Moderne. Er trat früh für Schönberg ein. Eigene Kompositionen von ihm wurden in Frankfurt aufgeführt. Mit 21 Jahren schloß er sein Studium der Philosophie, Musikwissenschaft, Psychologie und Soziologie mit der Promotion in Philosophie bei Hans Cornelius ab. Cornelius war auch der akademische Lehrer und Förderer von Max Horkheimer, dem späteren Leiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Begründer der Kritischen Theorie der Gesellschaft. 1925 ging Adorno für ein Jahr nach Wien. »Dieser merkwürdige Kopf hat die berufliche Entscheidung zwischen Philosophie und Musik sein Leben lang abgelehnt«, lesen wir bei Thomas Mann. »Zu gewiß war es ihm, daß er in beiden divergenten Bereichen eigentlich das Gleiche verfolge. Seine dialektische Gedankenrichtung und gesellschaftlich-geschichtsphilosophische Tendenz verschränkt sich […] mit der musikalischen Passion. Die Studien, welche dieser dienten, Komposition und Klavier, betrieb er […] bei Alban Berg und Eduard Steuermann in Wien. 1928 bis 1931 war er als Redakteur des Wiener ›Anbruchs‹ im Sinne der radikalen modernen Musik tätig.«4 Zurück in Frankfurt, intensivierte er den Kontakt zum Institut für Sozialforschung, mit dessen Direktor Horkheimer ihn seit der Universitätszeit gemeinsame theoretische Interessen verbanden. »Als ich Dich«, berichtete Adorno später in einem Offenen Brief an Max Horkheimer zu dessen siebzigsten Geburtstag, »im psychologischen Seminar von Adhémar Gelb zuerst sah, erschienst Du, der acht Jahre Ältere, mir kaum als Student; eher wie ein junger Herr aus wohlhabendem Haus, der der Wissenschaft ein gewisses distanziertes Interesse zollt. Du warst unversehrt von jener beruflichen Deformation des Akademikers, der gar zu leicht die Beschäftigung mit gelehrten Dingen mit der Realität verwechselt. Nur war, was Du sagtest, so gescheit, scharfsinnig und vor allem: unabhängig, daß ich Dich rasch genug als der Sphäre überlegen fühlte, aus der Du Dich unmerklich draußen hieltest.« (GS 20.1, 156) Ein Hauptgegenstand der Arbeit des Instituts war die Erforschung der Ursachen des Selbstauflösungsprozesses der bürgerlichen Gesellschaft, der in Deutschland zum autoritären Staat führen sollte. Um zu begreifen, warum die beherrschten Menschen sich gegen ihr eigenes Interesse der Herrschaft unterwarfen und sich mit ihr identifizierten, verband Horkheimers Kritische Theorie Einsichten von Marx mit einer zur analytischen Sozialpsychologie weiterentwickelten Psychoanalyse und begann, die bis dahin in Deutschland kaum bekannte Methodik der empirischen Sozialforschung in ihre Untersuchungen zu integrieren. Philosophie hatte in Horkheimers Institut die Aufgabe, die auf diesen Sachverhalt gerichteten interdisziplinären, zu einem guten Teil empirischen, Forschungen systematisch zu einer materialistischen Theorie der ausgebliebenen gesellschaftlichen Umwälzung zusammenzubringen, um doch noch zu ihr beitragen zu können, soweit es eben möglich war. Neben Herbert Marcuse, Leo Löwenthal, Erich Fromm und anderen arbeitete Adorno in diesem Rahmen als Musiktheoretiker an einer interdisziplinär angelegten ideologiekritischen Theorie des gesamtgesellschaftlichen Verlaufs.5 Er untersuchte den gesellschaftlichen Gehalt der Musik, um Aufschlüsse über den Doppelcharakter von Kunstwerken zu gewinnen, die er zugleich als autonome Gebilde und gesellschaftlich bestimmte Produkte begriff. Den gesellschaftlichen Gehalt der Musik förderte er nicht soziologistisch von außen, sondern durch die Analyse der ästhetischen Formgesetze der Werke selbst zutage. (Vgl. GS 14, 14ff.) Innermusikalische Analysen und musiksoziologische Untersuchungen der gesellschaftlichen Bedingungen und Folgen von Verbreitung, Rezeption und Produktion von Musik wurden bei Adorno zusammengeführt. So konnte er aus seinem Spezialgebiet, der Musik, Einsichten in die gesellschaftliche Totalität gewinnen. Zugleich arbeitete er, angeregt von Ernst Bloch und Georg Lukács und in produktivem Austausch mit seinem Lehrer und Freund Walter Benjamin, in seiner Habilitationsschrift über Kierkegaard den gesellschaftlichen und den potentiell kritischen Gehalt von Philosophie heraus. (Vgl. GS 2) »Ich sah Benjamin recht häufig, ich würde sagen: jede Woche mindestens einmal, wahrscheinlich häufiger, während der ganzen Zeit, in der er in Frankreich lebte«, schrieb Adorno später über die Zeit seit 1923, als er durch Kracauer mit Benjamin bekanntgemacht worden war. »Auch später regelmäßig und viel, nicht nur bei seinen Besuchen hier, sondern vor allem in Berlin. […] Ich war damals blutjung, er immerhin elf Jahre älter, und ich habe mich durchaus als den Nehmenden betrachtet. Ich weiß, daß ich mit einer ungeheuren Faszination ihm zugehört, ihn dann manchmal Näheres gefragt habe. Recht bald sah ich Sachen von ihm, die er mir gab, ehe sie veröffentlicht waren«. (GS 20.1, 173f.) 1931 habilitierte sich Adorno, so Thomas Mann weiter, »als Privatdozent an der Frankfurter Universität, wo er Philosophie lehrte, bis er von den Nazis verjagt wurde«6. Danach versuchte er zunächst, in Deutschland zu »überwintern«. Gleichzeitig bemühte er sich, in Oxford akademisch Fuß zu fassen. Bis 1937 kehrte Adorno von dort regelmäßig zu längeren Aufenthalten nach Frankfurt zurück. Nach anfänglichen Mißverständnissen und Verstimmungen konnte er 1938 als fester Mitarbeiter ins Institut für Sozialforschung integriert werden7 und zusammen mit seiner Frau, der promovierten Chemikerin Margarete Karplus, in die USA emigrieren. »Seit 1941 lebt er«, berichtet Thomas Mann, »fast nachbarlich nahe bei uns, in Los Angeles.«8 Dort erst änderte er seinen Namen in Theodor W. Adorno. Die ständige Mitarbeit im engsten Kreis des Instituts, die in der Emigration begann, zunächst in New York, dann in Los Angeles, bestimmte Adornos weitere Tätigkeit, aber auch spezifische...