E-Book, Deutsch, 188 Seiten
Seiler Tote verdienen Ruhe
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-3444-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mysteriöse Todesfälle in der Provence
E-Book, Deutsch, 188 Seiten
ISBN: 978-3-7412-3444-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der verwitwete Robert Schneider führt als kantonaler Beamter ein eher biederes Leben, bis er ein Opfer des Stellenabbaus wird. Knall auf Fall verliebt er sich in eine junge Deutsche und folgt dieser Hals über Kopf in die Provence, wo er in erhebliche Turbulenzen gerät. Er wird mit mysteriösen Todesfällen konfrontiert, versucht diese aufzuklären, gerät dabei selber in Gefahr und wird schliesslich von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt. Dabei lernt er einen Teil Provence sowie deren Bewohner, Alltag, Bräuche, Geschichte und Küche kennen.
Roland Seiler ist 1946 in Bönigen im Berner Oberland geboren. Nach einer Lehre als Vermessungszeichner und dem Ingenieurstudium an der Fachhochschule in Basel war er zuerst in der Verwaltung, dann rund 25 Jahre als Verbandsfunktionär tätig. Während 16 Jahren vertrat er die Sozialdemokratische Partei im Grossen Rat des Kantons Bern. Seit 1972 ist er verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau in Moosseedorf (Kanton Bern) und in Cucuron (Provence).
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«Ich habe Angst!», flüsterte – nein: hauchte mir Monika ins rechte Ohr. Ich nahm sie in meine Arme und zog sie fest an mich, um ihr das Gefühl von Sicherheit zu geben. Dabei war meine eigene Sicherheit nur noch gespielt, denn auch mir war die Situation längst nicht mehr geheuer. Wir waren seit ein paar Tagen mit unserem silbergrauen Simca 1500 Spécial in der Provence unterwegs. Monika hatte aus Jeans-Stoff einen Vorhang geschneidert, welcher unerwünschten Beobachtern den Blick ins Wageninnere verhindern sollte, wenn wir uns auf den Liegesitzen zum Schlafen eingerichtet hatten, oder wenn wir trotz hochsommerlicher Temperaturen unserer Liebeslust freien Lauf lassen wollten. Von Nîmes her kommend, hatten wir am Nachmittag unter dem gigantischen Pont-du-Gard Halt gemacht, wo wir am Ufer einen schattigen Sandplatz gefunden hatten. Am Abend waren wir in der Papststadt hängen geblieben, nachdem wir am Stadtrand auf ein paar junge Maghrebiens gestossen waren, welche in einer Nische der Stadtmauer eine Grilleinrichtung improvisiert hatten und illegalerweise für ein paar Francs Essen und Trinken anboten. Das kam unserem bescheidenen Ferienbudget entgegen und weil bekanntlich Liebe blind macht, übersahen wir geflissentlich, dass das Fleisch mehr verkohlt als gegrillt war. Das Essen schmeckte uns ebenso wie der billige Algerierwein. Bestens gelaunt und ein wenig angeheitert entschieden wir uns, möglichst in der Nähe einen geeigneten Übernachtungsplatz zu suchen. Als ich eine dunkle Sackgasse entdeckt hatte, stimmte auch Monika sofort zu und verzichtete für einmal darauf, die nähere Umgebung zu erkunden, was sie üblicherweise aus angeborener Vorsicht tat. Ich musste sofort eingeschlafen sein und bereits zwei, drei Stunden geschlafen haben, als mich Monika weckte. Mein «Was ist los?» unterdrückte sie mit ihrer Hand auf meinem Mund und einem zischenden «Pssst!». «Da ist jemand!», raunte Monika. Ich spürte instinktiv den Ernst der Lage, denn wegen einer Lappalie hätte sie mich kaum geweckt. Augenblicklich war ich hellwach. Keine zehn Meter von uns entfernt spielte sich eine dramatische Szene ab. Eine leicht bekleidete Frau – offensichtlich handelte es sich um eine Prostituierte – stand am geöffneten Fenster eines weissen Cadillacs und redete gestikulierend auf den am Steuer sitzenden Fahrer ein. Anscheinend war sie daran, mit ihrem Zuhälter die Tagesabrechnung auszuhandeln. Wir verstanden zwar die Worte des immer lauter werdenden Dialoges nicht, ahnten aber, dass sich die beiden über Geld stritten. Plötzlich sprang der grossgewachsene Gigolo-Typ aus seinem nicht mehr ganz neuen Ami-Schlitten, packte die Frau und versetzte ihr zwei, drei Schläge ins Gesicht. Mit einer beeindruckenden Wendigkeit löste sich die Dirne aus dem Griff des Zuhälters und ging zum Gegenangriff über. Obwohl sie die körperlich Unterlegene war, deckte sie ihrerseits den Hünen mit ein paar Schlägen ein. Dieser schlug noch brutaler zu und versetzte der Frau einen Faustschlag mitten ins Gesicht, sie torkelte, schlug mit dem Hinterkopf an die offene Autotüre und fiel zu Boden. Der Schläger lachte zynisch und zündete sich in aller Ruhe eine Gauloise an. Als der am Boden liegende Körper auch nach einer Zigarettenlänge reglos blieb, schien der Mann doch langsam nervös zu werden. Zuerst schrie er sein blutüberströmtes Opfer an, dann bückte er sich unsicher nieder. Jetzt wurde ihm bewusst, dass die Frau ernsthaft verletzt war. Er blickte sich um, überlegte kurz, öffnete den Kofferraum, schleifte den leblosen Körper hinter seinen Cadillac und hob ihn grobschlächtig hinein. Während der ganzen Szene, die in Wirklichkeit wohl nicht viel mehr als eine Viertelstunde gedauert hatte – uns aber wie eine Ewigkeit vorgekommen war –, hatten wir kaum zu atmen gewagt. Jetzt setzte sich der rüpelhafte Fahrer wieder in seinen Cadillac und drehte dessen Zündungsschlüssel. Der Motor heulte laut auf und der Lichtstrahl der eingeschalteten Scheinwerfer erleuchtete das Innere unseres Autos – wir blickten uns erleichtert an. Doch halt. Unverhofft verstummte das Motorengeräusch. Hatte der Typ uns entdeckt? Von Angst gelähmt hörte ich die nahenden Schritte. Mein Blut stockte. Unsere verschlossen geglaubte Autotüre wurde aufgerissen und ich wurde am Oberarm ergriffen. *** «Avignon. Hatten Sie nicht gesagt, Sie müssten in Avignon aussteigen?» Ich öffnete die Augen und schaute in das apart schöne Gesicht einer schätzungsweise vierzigjährigen Südfranzösin, welche mich am Oberarm ergriffen hatte, um mich zu wecken. Ich musste geträumt haben. Die Hübsche war in Valence in den TGV zugestiegen und wir hatten ein paar belanglose Worte gewechselt. Sie kam aus Paris, hiess Geneviève Faure und wollte in Marseille ihren kranken Vater besuchen. Ich hatte ihr erzählt, dass ich aus Bern stamme und einige Tage in der Provence verbringen wolle, und sie hatte mir sofort angeboten, mir ihre Heimatstadt Marseille zu zeigen. Ihre Visitenkarte hatte ich dankend in eine der vielen Taschen meines neu erstandenen Gilets gesteckt – wohl wissend, dass ich keinen Bedarf für eine Reiseführerin haben würde. Meine wirklichen Pläne hatte ich nicht preisgegeben. Kein Wort vom neuen Lebensabschnitt, der morgen für mich in Aix-en-Provence beginnen würde. Dass ich in Avignon aussteigen müsse, hatte sie zum Glück noch mitbekommen, bevor ich mich von der unhöflichen Seite gezeigt hatte und eingeschlafen war. Der Zug stand bereits still. In aller Hast ergriff ich meine Reistasche und rannte, ohne mich für das Wecken zu bedanken und ohne mich ordentlich zu verabschieden, zur Ausgangstüre. Höchste Zeit. Die Türen schlossen sich und der Zug fuhr ab. Benommen stand ich auf dem Bahnsteig. Wie ein Schock wirkte der Wechsel aus dem klimatisierten TGV in die frühsommerlich heisse Provence. Der Schweiss rann mir den Rücken hinunter. Ob hervorgerufen durch den Klimaschock oder als Folge des Angst einflössenden Traumes, aus dem mich meine vorübergehende Reisebegleiterin gerissen hatte, war mir im Moment einerlei. Ich atmete mehrmals tief durch, versuchte mich zu erholen und torkelte dem Bahnhofausgang zu. Erst jetzt nahm ich die schwungvolle Architektur des vor wenigen Jahren neu gebauten TGV-Bahnhofes wahr, der mich an einen Flughafen erinnerte. Über den mit typisch französischer Grosszügigkeit gestalteten Umgebungsanlagen flimmerte die Luft in der gleissenden Mittagssonne. Plötzlich fühlte ich mich sehr einsam und verlassen. Sozusagen im luftleeren Raum zwischen zwei Leben. Zwischen meinem bisherigen Leben, das ich in Bern abgeschlossen hatte, und dem zukünftigen Leben, das morgen mit Brigitte in der Provence beginnen sollte. «Jetzt nur keine Zweifel aufkommen lassen», ging es mir durch den Kopf. Ich hatte mich zu diesem Schritt entschlossen und meine Zelte in der Schweiz abgebrochen. Obwohl ich mir der Sache sicher war, spürte ich in den letzten Tagen eine innere Unruhe und psychische Anspannung. In der quälenden Ungewissheit begannen längst verheilt geglaubte Wunden zu bluten. Als die Leute vom Brockenhaus meine Zweizimmerwohnung in Bümpliz geräumt hatten, konnte ich nicht mehr zuschauen und musste an die frische Luft. Nicht etwa, weil ich an den Möbeln und Haushaltgegenständen gehangen hätte. Nein, aber die Situation glich zu stark jener vor dreissig Jahren, als ich nach Monikas Tod nicht weiter in der Wohnung in Ittigen bleiben wollte. Weil ich es damals nicht ertragen hätte, durch die gemeinsam zusammen gesparte und abgestotterte Wohnungseinrichtung dauernd an unsere glücklichen Jahre erinnert zu werden, hatte ich auch damals das gesamte Inventar der Heilsarmee überlassen. Ich gab mir einen Ruck und versuchte die grüblerischen Gedanken zu verscheuchen. Doch was hatte ich eigentlich vor? Die Idee, vor dem Start des neuen Lebensabschnittes einen «freien» Tag in Avignon einzuschieben, war spontan entstanden, nachdem die Wohnungsübergabe problemlos über die Bühne gegangen war und ich nicht recht wusste, wie und wo ich den vorsichtshalber eingeplanten Reservetag verbringen sollte. Ich hatte mir vorgestellt, mir einen letzten Tag, ganz für mich allein, zu gönnen, einen Tag zwischen Abschied und Ankunft, eine Atempause zwischen gestern und morgen. Nun stand ich hier vor dem TGV-Bahnhof in Avignon und war mir nicht im Klaren, wie ich den gewonnenen Freiraum nutzen könnte. Irgendwie kam ich mir auf einmal fast lächerlich vor. Warum sollte ich mir vierundzwanzig Stunden in Avignon um die Ohren schlagen, während wenige Kilometer von hier meine künftige Lebenspartnerin auf meine Ankunft wartete? Und wie wäre es, wenn ich sie überraschen würde? Kurz entschlossen ging ich in die Bahnhofhalle zurück, kaufte mir eine Telefonkarte und steuerte auf die nächste Telefonkabine zu. Weil ich dummerweise vergessen hatte, mir die Nummer ihres Hausanschlusses zu notieren, wählte ich die Nummer ihres portablen Telefons. Nach ein paar Summtönen meldete sich die mir zwar bekannte Stimme, aber im für Deutsche typischen Französisch. «Hallo! Hier spricht Brigitte. Ich bin im Moment nicht erreichbar. Hinterlassen Sie doch eine Mitteilung, damit ich zurückrufen kann.» Ich legte den Hörer auf. Damit war klar, dass ich ein paar Stunden in Avignon verbringen würde. Eine gute Stunde später lag ich auf dem Bett im sechs Quadratmeter grossen Zimmer Nummer 10 des «Hôtel Le Magnan». Der Pendelbus hatte mich vom ausserhalb der Stadt liegenden TGV-Bahnhof ins Stadtzentrum gebracht und ich hatte mich nach kurzem Studium der Hotelliste, welche ich mir im Office de Tourisme beschafft hatte, für dieses...