E-Book, Deutsch, 342 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
Shusterman Körper-Bewusstsein
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2012
ISBN: 978-3-7873-2190-2
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Für eine Philosophie der Somästhetik
E-Book, Deutsch, 342 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
ISBN: 978-3-7873-2190-2
Verlag: Felix Meiner
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In diesem elegant geschriebenen Buch entfaltet der Autor in Auseinandersetzung mit Foucault, Wittgenstein, Dewey und anderen eine Philosophie der Somästhetik als Lebenskunst. Er plädiert für eine Refokussierung philosophischen Denkens auf den Körper als Ausgangspunkt aller menschlichen Erkenntnis und allen ästhetischen Handelns. Körper-Bewusstsein erschien 2008 bei der Cambridge University Press unter dem Titel 'Body Consciousness' und wurde seither in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Die Lebens- und Erfahrungsbedingungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind zunehmend gekennzeichnet von Aufmerksamkeitsproblemen, Überreizung und Stress. Gleichzeitig sind wir überall mit Körperbildern konfrontiert, die von uns die Zurichtung und Anpassung unseres Leibes an die Bedingungen der Hochleitungsgesellschaft verlangen. Der Philosophie werden diese Selbstverhältnisse selten zum Thema, auch wenn der Schnittpunkt aller menschlichen Erfahrung wie auch der Ausgangspunkt allen Handelns der eigene Körper ist.
In der philosophischen Tradition wird der lebendige Körper, wenn überhaupt, so in der Regel nur ex negativo thematisiert: als Gefängnis der Seele, Fessel des Geistes, Ursache von Ablenkung und Zerstreuung oder, wie bei Kant, als Quelle der Melancholie.
Der amerikanische Philosoph und Kulturtheoretiker Richard Shusterman arbeitet demgegenüber seit den neunziger Jahren an einem philosophischen Projekt, das er Somästhetik nennt und das den lebendigen Körper (soma) ins Zentrum der Theoriebildung stellt. In der Tradition des Pragmatismus stehend, besteht Shusterman auf der grundlegenden Bedeutung des Somatischen, der Wahrnehmung durch bzw. mit Hilfe des Körpers sowie seiner sensorischen Erfahrungen für ein im philosophischen Sinne ethisches und gutes Leben.
Jenseits ontologischer Leib-Seele-Debatten plädiert Shusterman für eine Kultivierung des somatischen Bewußtseins und der Achtsamkeit gegenüber dem lebendigen und empfindenden Körper. Dabei ist die Aufmerksamkeit für Körperliches nicht solipsistisch gedacht: Ästhetische Wahrnehmung und Gestaltung entfalten sich stets im Bezug auf den Anderen und die Gesellschaft.
In diesem Buch entwickelt Shusterman seine Theorie in Auseinandersetzung mit sechs PhilosophInnen des 20. Jahrhunderts, in deren Denken der Körper eine Rolle spielt, nämlich M. Foucault, M. Merleau-Ponty, S. de Beauvoir, L. Wittgenstein, W. James und J. Dewey.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Philosophie Moderne Philosophische Disziplinen Philosophische Anthropologie
- Geisteswissenschaften Philosophie Angewandte Ethik & Soziale Verantwortung
- Geisteswissenschaften Philosophie Ästhetik
- Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Westlichen Philosophie Westliche Philosophie: 20./21. Jahrhundert
Weitere Infos & Material
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Die Verkörperung stellt eine universale Eigenschaft des menschlichen Lebens dar. Das gilt auch für das Körperbewusstsein. Körperbewusstsein, so wie ich es verstehe, ist nicht bloß das Bewusstsein, das der Geist vom Körper als Objekt haben kann, sondern umfasst auch das verkörperte Bewusstsein, das ein lebendiger und empfindungsfähiger Körper sowohl auf die Welt richtet als auch in sich selbst erfährt. Durch solches Bewusstsein kann der Körper sich tatsächlich sowohl als Subjekt als auch als Objekt erfahren. Da der Begriff des Körpers zu häufig dem des Geistes gegenübergestellt und verwendet wird, um empfindungslose, leblose Dinge zu bezeichnen, und da der Begriff des Fleisches in der christlichen Kultur derart negative Konnotationen hat und sich darüber hinaus lediglich auf den fleischlichen Teil des Körpers bezieht, habe ich den Begriff Soma gewählt, um den lebendigen, fühlenden, dynamischen und wahrnehmenden Körper zu bezeichnen, der im Herzen des Somästhetik-Projektes liegt, einem interdisziplinären – sowohl theoretischen als auch praktischen – Forschungsfeld. Ein Teil dieses Projektes betrifft die Gründe und Methoden zur Schärfung oder Erhöhung unseres gegenwärtigen Niveaus somatischen Bewusstseins, um unseren Selbstgebrauch zu verbessern und damit schließlich auch den traditionellen Anliegen der Philosophie näher zu kommen: der Erkenntnis, der Selbsterkenntnis, der Tugend, dem Glück und der Gerechtigkeit. Solche Fragestellungen des Körperbewusstseins stehen im Mittelpunkt dieses Buches, obwohl seine Überlegungen sich auch auf andere Dimensionen der Somästhetik erstrecken, einschließlich einer kritischen, verbessernden Perspektive auf Fragen der äußeren Körpererscheinung. Einige Kritiker nahmen an, Somästhetik sei lediglich eine Reflexion über die Körperverherrlichung in unserer Konsumgesellschaft, die sich im Wesentlichen den schönen Körpern in jenem stereotypen Sinn widmet, in dem Werbung und massenmediale Unterhaltung sie beharrlich einsetzen, um unser somatisches Denken zu beherrschen und verkümmern zu lassen. Aber ich vertraue darauf, dass Körper-Bewusstsein verdeutlichen wird, dass Somästhetik nicht nur kritisch mit Fragen umgeht, die die äußere Körperschönheit und andere darstellende somatische Normen betrifft, sondern gleichermaßen der kritischen, verbessernden Kultivierung der somatischen inneren Fähigkeiten wie der Wahrnehmung, den Gefühlen und dem Bewusstsein gewidmet ist. Das Soma ist unser grundlegendes, unveräußerliches Medium der Wahrnehmung, Handlung und des Denkens. Und doch ist die gesteigerte und fokussierte Aufmerksamkeit auf die eigenen Gefühle und Bewegungen lange – sogar von körperfreundlichen Philosophen – als eine destruktive Ablenkung kritisiert worden, die uns überdies durch ihre Selbstbezogenheit ethisch verderbe. Ich versuche solche Vorwürfe zu widerlegen, indem ich mich auf die einflussreichsten somatischen Philosophien des zwanzigsten Jahrhunderts beziehe und darüber hinaus Einsichten sowohl westlicher als auch asiatischer Disziplinen der Schulung einer Körper-Geist-Vergegenwärtigung integriere. Anstatt unlösbare ontologische Debatten über das Körper-Geist-Verhältnis wieder aufzuwärmen, besteht mein Ziel darin, die philosophische Erforschung dieses entscheidenden Zusammenhangs in eine fruchtbarere, pragmatistische Richtung zu lenken, die wichtige, aber vernachlässigte Verbindungen zwischen der Philosophie des Geistes, der Ethik, der politischen Theorie und den durchdringenden ästhetischen Dimensionen des alltäglichen Lebens verstärkt. * * * Seit mehr als zehn Jahren arbeite ich im Forschungsfeld der Somästhetik, und dieses Buch legt am umfassendsten Rechenschaft ab von meiner Forschung auf diesem Gebiet, das sich aus meinen früheren Studien zu pragmatistischer Philosophie, Ästhetik und der Philosophie als Lebenspraxis entwickelt hat. Der von mir vertretene Pragmatismus stellt Erfahrung ins Zentrum der Philosophie und betrachtet Soma als den organisierenden Kern dieser Erfahrung. In meinem ersten auf Deutsch erschienenen Buch Kunst Leben1 unterstreiche ich nicht nur die prägende Rolle des Körpers bei der Schaffung und dem Verständnis von Kunst und argumentiere für eine Aufwertung des Körpers im Rahmen des ethischen Projekts der Stilisierung des Selbst. Das Buch enthält auch eine ausführliche Würdigung von HipHop aufgrund seiner Verknüpfung philosophischen, politischen und körperlichen Bewusstseins durch leidenschaftlich rhythmische Poesie und Tanz. Mein zweites deutsches Buch (Vor der Interpretation2) macht darüber hinaus eine wertvolle Form von Verstehen stark, die unterhalb von Interpretation und sogar unterhalb von Sprache existiert. Paradigma eines solchen grundlegenden, unreflektierten und nichtsprachlichen Verstehens ist die somatische Erkenntnis. Aber ich bin auch – sowohl durch meine Tätigkeit als professioneller Feldenkrais-Praktiker als auch durch meine Arbeit mit Tänzern (die lange Zeit mein Denken inspirierten) – zu der Schlussfolgerung gelangt, dass wir oftmals eine erhöhte, disziplinierte und reflektierte Vergegenwärtigung des Körpers benötigen, um dieses Verstehen zu verfeinern und die Handlungen und Vollzüge zu verbessern, die darauf zurückzuführen sind. In Philosophie als Lebenspraxis3 und in Leibliche Erfahrung in Kunst und Lebensstil4 behaupte ich, dass das Soma nicht nur den wesentlichen Ort darstellt, an dem sich der eigene Ethos und die eigenen Werte (und daher gewissermaßen die eigene Lebensphilosophie) körperlich manifestieren und auf attraktive Weise weiterentwickelt werden können. Das Soma dient auch als Medium, durch das die Wahrnehmungsfähigkeiten und die Fähigkeiten zum Vollzug durch kritische Reflexion verfeinert werden können, um den eigenen Gesichtskreis und die eigenen Handlungsspielräume für Tugendhaftigkeit und Glück zu verbessern. Im vorliegenden Buch werden diese Überlegungen in prüfender Auseinandersetzung mit Theorien und Argumentationen von sechs großen Körperphilosophen des zwanzigsten Jahrhunderts ausführlich entwickelt. Zugleich ziehe ich neue Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften und der Psychologie heran und verknüpfe sie mit dem, was ich durch asiatische Meditations-Disziplinen und meine eigene professionelle Tätigkeit als somatischer Erzieher und Therapeut gelernt habe. Das vorliegende Buch, Körper-Bewusstsein, entwickelt das Projekt der Somästhetik weiter, indem es klarer aufzeigt, auf welche Weise die richtige Behandlung des Körper-Geistes auch die umfassenderen sozialen und kulturellen Zusammenhänge berücksichtigen muss, die das Soma gestalten, während die richtige Aufmerksamkeit auf das Soma umgekehrt dazu beitragen kann, jene Zusammenhänge zu verschieben. Deutsche Leserinnen und Leser, die mich als einen Philosophen kennengelernt haben, der in der Tradition des nordamerikanischen Pragmatismus steht, werden vielleicht überrascht sein, dass in diesem Buch der europäischen Philosophie mehr Kapitel gewidmet sind als der nordamerikanischen. Dies sollte nicht nur als Beleg für die charakteristische pluralistische Haltung pragmatistischer Offenheit gelesen werden, sondern auch als persönliches Zeugnis meiner tiefen Wertschätzung europäischer Kultur. Weil insbesondere französische Theorien (und Kulturen) der Verkörperung für mich eine wichtige Rolle spielen, hoffe ich, dass meine Kapitel zu Foucault, de Beauvoir und Merleau-Ponty zugleich meine Ehrerbietung und mein kritisches Verständnis ihrer Positionen zum Ausdruck bringen. Formuliert mein Buch einerseits Kritik an einer Tendenz in der französischen Philosophie, den Wert eines gesteigerten und reflektierenden Körperbewusstseins zu vernachlässigen, so kritisiert es andererseits am amerikanischen Pragmatismus die inadäquate Auseinandersetzung mit Sexualität, welche in der französischen Philosophie zu Recht als zentrale Dimension unseres verkörperten Lebens berücksichtigt wird. Wenn französische Philosophinnen und Philosophen zu wenig die Rolle des ausdrücklich aufmerksamen und reflektierenden somatischen Bewusstseins im Blick haben: liegt es vielleicht daran, dass die französische Sprache nicht so viele verschiedene Begriffe wie das Englische zur Verfügung stellt, um die verschiedenen Formen oder Ebenen des Bewusst-Seins zu bezeichnen? Im Englischen können wir das Wort awareness (Vergegenwärtigung) als Alternative zum Begriff des Bewusstseins (consciousness) verwenden und auf diese Weise eine andere Nuance bzw. eine reflektierte Intensivierung des Bewusstseins bezeichnen. Wir können daher davon sprechen, dass wir uns nicht nur eines körperlichen Gefühls bewusst sind, sondern auch, dass wir uns dieses bewusste Gefühl vergegenwärtigen. Im Französischen gibt es keinen alternativen Begriff für awareness, um die Wahrnehmung oder die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins zu bezeichnen. Es gibt einfach conscience. Folglich regt die französische Sprache selbst das philosophische Denken nicht dazu an, über die Vorstellungen elementaren Bewusstseins und elementarer Aufmerksamkeit hinauszugehen zu höheren Ebenen gesteigerten Selbstbewusstseins oder reflexiver Achtsamkeit. Vielleicht ist die deutsche Sprache besser ausgerüstet, um diese verschiedenen Ebenen hervorzuheben, aber auch das Deutsche bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich, um meine somatische Philosophie zu übersetzen – wie etwa seine zwei verschiedenen Begriffe Körper und Leib, für die es im Englischen nur einen Begriff, nämlich body, gibt. Weil meine...