E-Book, Deutsch, Band 26, 382 Seiten
Sommer Ein Feierkult um Schiller?
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8288-6257-9
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Untersuchung der Schillerfeiern im Dritten Reich in seiner Geburtsstadt Marbach am Neckar
E-Book, Deutsch, Band 26, 382 Seiten
Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag
ISBN: 978-3-8288-6257-9
Verlag: Tectum
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Die Faszination für Friedrich Schiller und die Verehrung seiner Person und Werke beginnt schon bald nach seinem Tod 1805. Im Dritten Reich nimmt dies ungeahnte Ausmaße an. Die Person, das Leben und die Werke Schillers werden mit der nationalsozialistischen Ideologie gleichgesetzt. In den Augen der Nationalsozialisten ist Schiller einer der ihren und sie bemühen sich, ihre Weltanschauung auf Leben und Werk des Dichters zu projizieren. Das wirkt sich insbesondere auf die Feiern rund um den Dichter aus, so auch auf die Schillerfeiern in seiner Geburtsstadt Marbach am Neckar -jährlich dort abgehalten sowohl an seinem Geburtstag als auch beispielsweise durch den Staffellauf zur "Stunde der Nation" im Schillerjahr 1934. Fenja Sommer verdeutlicht, welches Ausmaß die Schiller-Verehrung im Nationalsozialismus erreicht und sie erläutert gleichzeitig die Fortführung des Kultes rund um den Dichter nach dem Zweiten Weltkrieg, um Unterschiede zwischen der früheren und der heutigen Schillerverehrung anschaulich zu machen.
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2DIE HINTERGRÜNDE DER MARBACHER SCHILLERVEREHRUNG „Unter solchen Umständen fühlen wir uns gedrungen, in dieser Sache uns offen und frei an alle, insbesondere unsere vaterländischen Schillers-Verehrer zu wenden, und dieselben dringend und vertrauensvoll zu kräftiger Unterstützung unsers Zwecks – der Errichtung eines einfachen Denkmals in seiner Geburtsstadt – aufzufordern.“ (Der Ausschuss des Vereins für Schillers Denkmal am 18. Juni 1835, Aufruf zur Theilname an der Errichtung eines unserem Schiller geweihten Denkmals in seiner Geburtstadt, Bestand des Marbacher Schillervereins, Akte Nr. 473) 2.1Das 19. Jahrhundert 2.1.1Der Wunsch nach einem Denkmal Die Schillerverehrung geht weit zurück. Schillers Werke erfreuten sich im 19. Jahrhundert einer ungeheuren Popularität. Diese beruhte jedoch „nicht auf Kenntnis und der produktiven Rezeption seiner Werke [...], sondern hauptsächlich in einer Funktionalisierung einzelner Zitate und Sentenzen aus seinen Werken“.93 Es war Mode geworden, Zitate auswendig zu lernen und diese in der Öffentlichkeit zu verwenden. Bereits 1799 hatte der Gymnasialdirektor Böttiger in Weimar nach der ersten Aufführung der Piccolomini gemeint: „Einige hundert Verse daraus müssen bald Denksprüche im Munde der Gebildeten unserer Nation werden.“94 Nur in vereinzelten Fällen habe sich eine spektakuläre Rezeption Schillers durch die Gesellschaft entwickelt. „Frühe Beispiele einer äußerst pragmatischen Rezeption sind die Räuberbanden, die Leipziger Studenten [...], inspiriert durch Schillers Räuber, gründeten.“95 Sehr viel öfter wurden Schillers Verse in den unterschiedlichsten Bereichen des Alltags angewandt. Es war üblich, Gedichte und Dramenstücke in den Schulen zu zitieren, genauso wie Schillerzitate in Zeitungen, Zeitschriften, Briefen und Tagebüchern verwendet wurden. Wiedergegeben wurden insbesondere Ausschnitte, „die sich aufgrund ihrer lautlich-rhythmischen Prägnanz und relativen Kontextunabhängigkeit dem Gedächtnis einprägen und dann in den unterschiedlichsten Texten und neuen Kontexten aktualisiert werden können“.96 Auch wurde in Schillers Werken frühes nationales Gedankengut gesehen, das auf der politischen Bühne des 19. Jahrhunderts seinen Platz fand. Einen Anlass zur Verehrung des Dichters war Schillers 100. Geburtstag im Jahre 1859, der in ganz Deutschland in Form von Festumzügen und öffentlichen Veranstaltungen97 gefeiert wurde. Obwohl die politische Einheit nach der Revolution von 1848 gescheitert war, bot sich zumindest in den Feiern an Schillers Geburtstag die Möglichkeit, eine bürgerliche nationale Einheit zu demonstrieren.98 Auch startete Schillers Tochter einen Aufruf, ihr die Programme der durchgeführten Feiern zuzusenden. Insgesamt 440 deutsche und 50 ausländische Städte folgten dieser Aufforderung. In Deutschland standen die „Forderungen nach nationaler Einheit und bürgerlicher Republik“99 im Mittelpunkt, und die Feiern in diesem Jahr konnten geradezu „als eine Massenbewegung im Dienste einer nationalen Einigung verstanden werden“.100 Schiller wurde politisch in Anspruch genommen. „Der Charakter dieser Veranstaltungen als Massendemonstrationen“101 zeigte sich insbesondere in den hohen Teilnehmerzahlen. Mit der Deklarierung der Dichterfeiern zu Kultveranstaltungen wurde Schiller „[vorbehaltlose] Verehrung“102 erteilt, wodurch die Funktion des Dichters als Kultperson, wie in der Einleitung definiert, eine erste Festigung erfuhr. Die Feiern fungierten nicht nur als Podest für nationale Bekundungen, sondern auch als „Religionsersatz“ und „als Kompensation für die politische Schwäche des deutschen Bürgertums“,103 das sich mittels der angesprochenen Förderung von Denkmälern in kultureller Hinsicht engagierte. Doch um die Rolle Schillers im 19. Jahrhundert genau zu untersuchen, muss zunächst die Denkmalsproblematik erläutert werden. Deutschlandweit waren die Jahre nach 1815 geprägt von einer Zunahme des Nationalbewusstseins in kulturell-historischer Hinsicht. Man sei auf der Suche gewesen nach „Geist und Wesen der Nation“104, wie Thomas Nipperdey vermittelte. Die Nation sei zum Schlüssel geworden „für das Verständnis von Kultur und die Geschichte der eigenen Lebenswelt, der Identität“.105 Daraus sei die Forderung entstanden, dass das Nationale zukünftig Bestand haben solle: „Die Tradition soll vergegenwärtigt werden in Büchern, Editionen, Reihenwerken und Sammlungen, und in Denkmälern für die Großen der Nation.“106 Kunst wurde bürgerlich, sollte nicht mehr nur den ‚Oberen‘ zugänglich sein. Sowohl in den eigenen privaten Räumen als auch in der Öffentlichkeit nahmen Skulpturen und Abbilder zu. „Neben den Monarchen und Generälen werden jetzt die Großen des Geistes – Luther, Dürer, Schiller, Gutenberg, Mozart zuerst, und dann viele mehr – und die Großen der Geschichte ‚denkmalswürdig‘; die Bürger feiern sich selbst in diesen bürgerlichen Denkmälern, und die Monarchen wetteifern mit ihnen. [...] Dazu kommen, wiederum neu, die zahllosen Denkmäler für Gefallene – die den Tod fürs Vaterland sakralisieren –, [...].“107 Nipperdey definierte außerdem das Denkmal der Bildungs- und Kulturnation: „Man könnte vom historisch kulturellen Nationaldenkmal sprechen. Die Nation soll sich ihres Wesens und ihrer Identität bewußt werden vor den durch Geist oder Tat großen Deutschen. Diese Großen repräsentieren die Nation.“108 Neben dem Bau des Denkmals der Walhalla – „eine Antwort auf die Herausforderung des Nationalbewußtseins durch die Ereignisse der napoleonischen Zeit“109 – ging Nipperdey auf die Denkmäler ein, die von den Bürgern des Landes errichtet wurden. Es seien „Individualdenkmäler für einzelne große Männer des deutschen Geisteslebens, die mit dem Durchdringen des Persönlichkeitskultes seit den 30er Jahren immer zahlreicher wurden“.110 Diesbezüglich übernahm das Schillerdenkmal eine Funktion. Die Vorgeschichte des ersten Schillerdenkmals in Deutschlands war auf zwei Städte verteilt – nämlich Stuttgart und Marbach. Erste Denkmalspläne waren durch Schillers Freund aus der Jugend, Johann Heinrich Dannecker, eingeleitet worden. Neben einem Porträt in Lebensgröße wollte dieser außerdem eine Büste schaffen.111 „Dieses Werk, mit dem der Bildhauer das Schillerbild der Nachwelt so eindeutig geprägt hat wie kaum ein anderer Künstler ein anderes Dichterbild, war von Anfang an als Mittelpunkt eines Denkmal-Ensembles gedacht, das jedoch nie anders als in Form provisorischer Festdekorationen verwirklicht wurde.“112 Die politische Situation war jedoch ein entscheidender Punkt, weshalb die Konzeption eines Denkmals lange auf sich warten ließ – kritische Punkte waren angefangen bei der Proklamation des Königreichs Württemberg im Jahre 1806 über den Erlass der Verfassung (1819) insbesondere die napoleonischen Kriege.113 Zudem habe der „in den Karlsbader Beschlüssen vom Herbst 1819 manifest gewordene Sieg der Restauration alle Initiativen des liberalen Bürgertums, das sich die Schillerverehrung in besonderer Weise zu eigen“114 gemacht habe, eine weitere Vorgehensweise verhindert, verdeutlichte Michael Davidis. Erst mit der Entwicklung einer Vereins- und Festkultur im 19. Jahrhundert durch die Bürger habe sich wieder etwas bewegt. Denn diese Vereine waren „organisatorisch-institutionelle Träger des Schiller-Kultus“115 und konnten „als Prototypen des modernen literarischen Bildungsvereins angesehen werden“.116 Von diesen Vereinen ging die Förderung der Denkmalsprojekte aus. „Am prägnantesten drückt sich das identifikatorische Selbstverständnis der Schiller-Komitees und -vereine in der zeremoniösen Aufstellung um die von ihnen initiierten Denkmäler aus.“117 Der Autor Klaus Fahrner beschrieb damit die Art und Weise, wie sich die Mitglieder der Vereine bei festlichen Anlässen um das Denkmal versammelten und dieses als bedeutsamstes Objekt in ihre Mitte nahmen. Für die Marbacher Bürger musste ein langer Weg beschritten werden, bis das Ziel greifbar nahe wurde. Bereits wenige Jahre nach Schillers Tod ermittelte man mit Hilfe einer Umfrage das Geburtshaus Schillers und sammelte alles, „was sich noch an persönlichen Erinnerungen an den jungen Schiller beibringen ließ“.118 Der Erste, der den Gedanken eines Schillerdenkmals aussprach, war der Gürtlermeister Gottlob Franke. „Ihm war es gelungen, 15 alte Marbacher aufzutreiben, die fast alle die Familie Schiller noch gekannt hatten und nun in einer offiziellen Befragung vor dem Oberamt am 11. Juni 1816 ihre Aussagen zu Protokoll gaben.“119 Erste Beiträge für ein Denkmal wurden zu dieser Zeit zwar gesammelt, kamen aber nicht zur weiteren Verwendung. Auch Pläne wurden nicht weiterverfolgt. Dennoch wurde dadurch ein erster Grundstein für die Wahrung...