E-Book, Deutsch, 181 Seiten
Spindler Von der „Unzucht“ zur „Liebe“: Die Behandlung der Homosexualität in der österreichischen Presse von der Legalisierung 1971 bis zur gleichgeschlechtlichen Ehe 2017
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96146-216-2
Verlag: Diplomica Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 181 Seiten
ISBN: 978-3-96146-216-2
Verlag: Diplomica Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Autorin geht der Frage nach, wie die österreichischen Parteien und die Presse auf die Legalisierung der Homosexualität im Jahre 1971 reagierten und inwiefern die Aufhebung der rechtlichen Diskriminierung auch ein Ende der gesellschaftlichen Diskriminierung bedeutete. In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie sich die Berichtserstattung über die Legalisierung der Homosexualität im Jahre 1971 von jener über den Beschluss der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2017 unterscheidet und ob ein verändertes Bild von Homosexualität in der Öffentlichkeit zu erkennen ist. Neben diesen zwei Schwerpunktjahren sollen einige weitere „Meilensteine“ in der Geschichte der Homosexualität, nämlich das Aufkommen von Aids, die Aufhebung der im Jahre 1971 eingeführten Sonderparagraphen, das Aktivwerden erster Schwulen- und Lesbenbewegungen sowie die Eingetragene Partnerschaft und das Adoptionsrecht Anfang des 21. Jahrhunderts aufgearbeitet werden, damit ein umfangreiches Bild zur Geschichte der Homosexualität entsteht.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Medien & Gesellschaft, Medienwirkungsforschung
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Gender Studies: Homosexualität, LGBTQ+
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Mediengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Journalismus & Presse
Weitere Infos & Material
1;Von der „Unzucht“ zur „Liebe“: Die Behandlung der Homosexualität in der österreichischen Presse von der Legalisierung 1971 bis zur gleichgeschlechtlichen Ehe 2017;1
1.1;Inhaltsverzeichnis;3
1.2;1. Einleitung;5
1.3;2. Homosexualität in der Geschichte – ein Längsschnitt;9
1.3.1;2.1. Von Knabenliebe und homoerotischer Kunst: Homosexualität in der Antike;9
1.3.2;2.2. Die „Sünde wider die Natur“: Homosexualität im Mittelalter;11
1.3.3;2.3. Vom „Verbrecher“ zum „Kranken“: Homosexualität in der Neuzeit;12
1.4;3. Der lange Weg zur Kleinen Strafrechtsreform (1852–1971);16
1.4.1;3.1. Neues Jahrhundert – altbekannte Einstellungen;17
1.4.2;3.2. Die „Bedrohung für den Volkskörper“: Homosexualität im Nationalsozialismus;18
1.4.3;3.3. Homosexualität nach 1945;19
1.4.4;3.4. Am Ende eines langen Weges: Die Kleine Strafrechtsreform;21
1.5;4. Methodisches Vorgehen;22
1.5.1;4.1. Qualitative Inhaltsanalyse;24
1.5.2;4.2. Charakterisierung der Zeitungen;31
1.6;5. Reaktionen auf die Legalisierung der Homosexualität 1971;34
1.6.1;5.1. Sexualität, Ehe und Familie in den Printmedien;34
1.6.2;5.2. „Längst überfällig“ oder „gefährlich“? Die Darstellung der Strafrechtsreform;39
1.6.3;5.3. „Abnormal“ und „unsittlich“: Wahrnehmung von Homosexualität in der Öffentlichkeit;45
1.6.4;5.4. Argumente für die Legalisierung von Homosexualität;54
1.6.5;5.5. Die Kirche und Homosexualität;62
1.7;6. Das Bild von Homosexualität im Wandel;67
1.7.1;6.1. Die Aids-Krise;67
1.7.2;6.2. Der lange Kampf gegen § 209;72
1.7.2.1;6.2.1. 1996: Abschaffung der §§ 220 und 221;73
1.7.2.2;6.2.2. 2002: Abschaffung des § 209;78
1.7.3;6.3. Die Rolle der Schwulen- und Lesbenbewegungen;83
1.7.4;6.4. EP und Adoptionsrecht: Homosexualität zu Beginn des 21. Jahrhunderts;87
1.7.4.1;6.4.1. „Willst du mich partnern?“;87
1.7.4.2;6.4.2. Die Regenbogenfamilie;97
1.8;7. Homosexualität in der heutigen Presse;103
1.8.1;7.1. „Ja, ich will!“ – Die Ehe für alle in Österreich;103
1.8.2;7.2. Homosexualität abseits der Ehe für alle in Österreich;117
1.8.2.1;7.2.1. Die Ehe für alle außerhalb von Österreich;117
1.8.2.2;7.2.2. Verfolgung Homosexueller heute;118
1.8.2.3;7.2.3. Homosexualität: Status quo in Österreich;121
1.8.3;7.3. „46 Jahre später…“ – Vergleich mit der Berichterstattung 1971;126
1.9;8. Fazit;133
1.10;9. Fachdidaktische Umsetzung im Unterricht;137
1.10.1;9.1. Rahmenbedingungen;137
1.10.2;9.2. Inhalte und Ziele;138
1.10.3;9.3. Vorstellung der Unterrichtseinheit;140
1.10.3.1;Strafrechtsreform und Homosexualität in der Presse 1971;142
1.10.3.2;Die Erklärung der österreichischen Bischöfe 1971;147
1.10.3.3;Homosexualität im Nationalrat 1971;151
1.11;10. Literaturverzeichnis;156
1.11.1;10.1.1. Sekundärliteratur (alphabetisch geordnet);156
1.11.2;10.1.2. Protokolle Nationalratssitzungen (chronologisch geordnet);161
1.11.3;10.1.3. Zeitungen (chronologisch und nach Zeitungen geordnet);163
1.11.4;10.1.4. Weitere Quellen (alphabetisch geordnet);178
Textprobe:
Kapitel 2.3. Vom „Verbrecher“ zum „Kranken“: Homosexualität in der Neuzeit:
Das Mittelalter stellt allerdings nicht den Höhepunkt der Verfolgung Homosexueller in Österreich dar. Während die Kirche eine recht nachlässige Verfolgung Homosexueller betreibt, erweist sich das 1532 eingeführte Strafgesetzbuch des Heiligen Römischen Reiches, die Constitutio Criminalis Carolina, als wesentlich effektiver. Homosexualität wird nun nicht mehr nach religiösen, sondern nach weltlichen Gesetzen verfolgt und unter Todesstrafe gestellt.
Auch in der Constitutio Criminalis Theresiana aus dem Jahre 1768, die als die erste einheitliche Strafordnung für Österreich und Böhmen gilt, sollen Personen, die „Unkeuschheit wider die Natur“ – sprich Geschlechtsverkehr mit Personen desselben Geschlechtes, mit Tieren, mit Leichen oder Selbstbefriedigung – betreiben, enthauptet und verbrannt werden. Der Todesstrafe entgehen und eine mildere Strafe ausfassen kann man, wenn „grosse Jugend, Unverstand, und Dummheit sich äusseret“ oder wenn die Tat noch vor der Vollendung bereut wird.
Ab dem 18. Jahrhundert wird in den meisten Teilen Europas die Todesstrafe für zu hart empfunden, was sich auch in der neuen Regelung im Strafgesetzbuch des Sohnes Maria Theresias, Josephs II, aus dem Jahre 1787 abzeichnet. Die Bestrafung für „fleischliche Viehvergehungen oder [Vergehen] mit seinem eigenen Geschlecht“ durch die Todesstrafe wird abgeschafft und durch Gefängnisstrafe, Arbeit und Züchtigung ersetzt. Der Grad der Bestrafung wird dadurch entschieden, ob durch die sexuelle Handlung öffentliches Ärgernis erregt wurde. Prinzipiell wird das „Vergehen mit seinem eigenen Geschlecht“ – ebenso wie das Vergehen an Tieren – als politisches Verbrechen angesehen, da die „Täter“ dadurch die Menschheit entwürdigen. Hauer merkt dazu an, dass nun zwar keine Todesstrafen mehr gelten, die verhängten Zwangsarbeiten, wie beispielsweise das Schiffeziehen an der Donau, der Wirkung der Todesstrafe jedoch gleichkommen.
Mit dem Aufkommen der Aufklärung ab dem 18. Jahrhundert steht nicht mehr die Religion, sondern die Natur im Mittelpunkt der Gesellschaft. Die Fortpflanzung wird als die „Natur der Sexualität“ erachtet, wodurch Homosexualität abermals als „unnatürlich“ definiert wird. Menschen, die sich nicht der Fortpflanzung widmen, wird Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft vorgeworfen. Was sich in der späten Neuzeit vom Mittelalter unterscheidet, ist die Ansicht, dass Krankheit als Auslöser für homosexuelle Handlungen gilt. Es handelt sich nun nicht mehr um ein „Verbrechen vor Gott“, das mit dem Tod bestraft wird, sondern um eine Perversion, die durch medizinische Behandlung geheilt werden muss.
Als ein Verfechter dieser Vorstellung gilt der deutsch-österreichische Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1840–1902), dessen Ziel die Heilung „abnormaler“ Sexualität ist. Er unterscheidet zwischen Perversität und Perversion, wobei erstere als Verbrechen und letztere als Krankheit eingestuft wird. Da Perversion auf einer „abnormalen“ Empfindung beruhe und daher nicht beabsichtigt erfolge, könne sie nicht wie ein Verbrechen gehandhabt werden. Krafft-Ebings tritt daher für die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Handlungen durch homosexuell veranlagte Menschen ein, was laut Judith Wiener jedoch nicht unbedingt zu einer Verbesserung für Homosexuelle geführt habe:
„Es ist […] stark zu bezweifeln, dass Homosexuelle tatsächlich davon profitierten, nicht mehr als Verbrecher/innen, sondern als Kranke behandelt zu werden, da ihnen durch die damit einhergehende Aberkennung der Zurechnungsfähigkeit die Freiheit bereits auf einer fundamentaleren Ebene abgesprochen wurde. Es scheint, dass im Zuge dieser vermeintlich revolutionären Befreiungsaktion bloß ein Problem der Sittlichkeit hinter einem der Gesundheit versteckt wurde.“ (Wiener, Ist Homosexualität eine Krankheit?, S.45)
Im Jahre 1803 wird die Josephina schließlich durch das Österreichische Gesetzbuch gegen Verbrechen ersetzt, das „unnatürliche Wollust“ – sprich homosexuelle Handlungen – mit Kerker zwischen sechs und zwölf Monaten bestraft, wobei es in der Praxis allerdings kaum zu Verurteilungen kommt. Dieses Gesetz wird 1852 schließlich vom Österreichischen Strafgesetzbuch abgelöst, das die „Unzucht wider die Natur“ laut § 129 I b auf ein bis fünf Jahre schweren Kerker anhebt und unverändert bis ins Jahr 1971 fortbesteht. Um verurteilt zu werden, muss kein tatsächlicher Geschlechtsakt erfolgen, sondern reicht sexuelle Erregung aus. Beeinflusst wird diese sehr extensive Auslegung des Terminus durch einen zunehmenden Fokus auf die sexuelle Lust anstatt auf konkrete sexuelle Handlungen. Die Zahl der Verurteilungen steigt in dieser Zeit an, wobei männliche und weibliche Homosexualität gleich gehandhabt werden, was Österreich von den meisten anderen europäischen Staaten, die nur männliche Homosexualität unter Strafe stellen, unterscheidet. Neben strafrechtlicher Verfolgung leben Betroffene im 19. Jahrhundert in der ständigen Angst, ihren Ruf und ihre Freunde sowie ihre Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft zu verlieren, weshalb nur sehr wenige ihre sexuelle Orientierung öffentlich bekanntgeben.