E-Book, Deutsch, 196 Seiten
Starke Verborgen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-0353-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Phantastische Geschichten
E-Book, Deutsch, 196 Seiten
ISBN: 978-3-7494-0353-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tropfen klatschen gegen das Fenster, dunkelrot. Es muss am Sonnenlicht liegen. Wieder tritt er näher, doch die Sonne verbirgt sich hinter den Wolken, es ist beinahe wieder dunkel draußen. Falsches Zwielicht lässt die Fassaden der Häuser leuchten und noch immer platschen dunkelrote Tropfen an das Fenster, zäh laufen sie das Glas hinunter, hinterlassen dicke Schlieren. Wie Blut ... Es gibt sie, die Welten jenseits unserer Wahrnehmung: Zwischenwelten.
Schreiben ist meine Sucht. Ich bändige Ideen, spiele mit Worten und habe nicht verlernt zu träumen. Meine Geschichten sind phantasievoll und bunt oder abgründig und dunkel. Meine Leser schubse ich in Welten, in denen sie sich hoffentlich verlieren, um irgendwann atemlos wiederaufzutauchen.
Autoren/Hrsg.
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Papa
Der Weg zur Haustür war ihr noch nie so weit vorgekommen. Mit jedem Schritt über die mit Unkraut überwucherten Steinplatten fiel es ihr schwerer, die Füße voreinander zu setzen. Schließlich blieb sie stehen, ein Schluchzen stieg ihre Kehle hinauf, doch sie schluckte es hinunter. Sie wollte das Haus nicht betreten. Nie wieder. Es war kalt, leer, abweisend, ohne Papa fehlte die Seele des Hauses. Ohne Papa fehlte ein Teil ihrer eigenen Seele. Sie holte tief Luft, atmete den süßen, berauschenden Duft der üppigen Buschrosen, die längst die Vorherrschaft im Garten übernommen hatten. Das war Papa. Seine Rosen, die er eigenhändig gepflanzt, gehegt und gepflegt hatte. Sie lächelte wehmütig, als sie sich daran erinnerte, wie es begonnen hatte … »Was machst du denn da, Papa?« Sie hatte mit Schwung die Gartentür aufgestoßen und wäre beinahe über einen Spaten gestolpert. Papa richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei er einen Streifen brauner Erde zurückließ. »Eine Überraschung für Mama, wenn sie aus dem Krankenhaus wieder nach Hause kommt.« Rechts und links des Gartenweges waren in regelmäßigem Abstand Rosenbüsche gepflanzt – das hieß, nicht ganz regelmäßig, denn auf der rechten Seite schien einer zu fehlen. »Das ist aber asymmetrisch«, teilte sie Papa ihre Beobachtung mit. »Entweder hast du die Abstände nicht eingehalten oder da rechts fehlt ein Busch.« »Klugscheißerin!« Er grinste. »Wir sind nun mal seit fünfzehn Jahren verheiratet. Fünfzehn lässt sich nicht durch Zwei teilen, wenn ich keine halben Büsche pflanzen will. Und den nächsten gibt’s erst im nächsten Jahr.« Er hob den Spaten auf. »Ich bin fertig, hab’ jetzt allerdings noch kein Essen gemacht. War doch mehr Arbeit als ich dachte. Was hältst du von Pizza?« »Gute Idee.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Du, Papa?« Er blieb stehen und sah sie an. »Was denn?« »Mama liebt Rosen – sie wird sich ’nen Keks in den Bauch freuen.« »Das ist Sinn der Sache«, entgegnete er lachend. »Und sie sind von diesem tiefen Dunkelrot, das sie so liebt.« »Ich werd’ auch mal so ’nen Mann wie dich heiraten, Papa. Mindestens.« Das war vor sieben Jahren gewesen. Noch heute war sie beeindruckt von der Arbeit, die Papa sich gemacht, und von der Liebe, die aus dieser Geste gesprochen hatte. Und von dem Leuchten, das Mamas Gesicht überzogen hatte, als sie ihre Überraschung gesehen hatte. Als im Sommer die ersten Blüten sich öffneten, war dieses Leuchten noch einmal zurückgekehrt. Und am Abend dann … »Ich geh’ noch mal in den Garten, ein paar von diesen wunderbaren Rosen für die Vase holen.« Mama kam ins Wohnzimmer, die Gartenschere in der Hand und lächelte müde. »Tu das.« Papa stand aus dem Sessel auf und ging zu seiner Frau. Sie sahen sich tief in die Augen, bevor sie sich küssten. Lange küssten. »Man könnte meinen, du gehst auf eine lange Reise … Papa, Mama will doch nur ein paar Rosen schneiden, in unserem Garten.« Sie lachte kopfschüttelnd. Manchmal waren Eltern wirklich komisch. Mama kam zu ihr, legte ihr eine Hand unters Kinn und brachte sie so dazu, den Kopf zu heben. »Sei nicht so frech«, tadelte sie lachend. »Manchmal muss man einfach zeigen, wie sehr man seine Familie liebt.« Sie beugte sich zu ihr herunter und nahm sie in die Arme, drückte sie fest und lange und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Als ihre Mutter aus dem Zimmer ging, hatte sie einen Kloß im Hals. Und fragte sich, ob ihre Eltern ihr wirklich immer die Wahrheit über die Krankheit gesagt hatten … Später war sie gemeinsam mit Papa nachsehen gegangen, wo Mama so lange blieb. Da hatte ihre Mutter tot neben dem Weg gelegen, mitten zwischen ihren geliebten Rosenbüschen. Wehmütig strich sie über eine der Blüten. So war es immer nur bei fünfzehn Büschen geblieben. Mit einem Mal stutzte sie, drehte sich noch einmal um. Jetzt erst realisierte sie die Veränderung. Es war nicht mehr asymmetrisch. Ein Busch war dazugekommen, so dass es jetzt sechzehn waren. Sie ging zurück und blieb vor dem neuen Rosenbusch stehen. Er war kleiner, noch nicht so üppig gewachsen, und seine Blüten waren nicht dunkelrot wie die übrigen, sondern von einem leuchtenden Rosarot. Das war ihre Lieblingsfarbe bei Rosen. Sie schluckte, Tränen liefen über ihre Wangen, die sie nicht weiter beachtete, denn es waren sowohl Tränen der Trauer als auch Tränen des Glücks. Papa musste diese Rosen für sie gepflanzt haben. Als letztes Geschenk bevor er starb. Die alte Holztür knarrte leise in den Angeln und ließ sie eintreten in die schmale, dunkle Diele. Sie war immer gerne nach Hause gekommen, doch jetzt schien die Diele dunkler zu sein, die Stille lastete auf ihr, denn sonst hatte in der Küche immer das Radio gespielt, auch wenn keiner zugehört hatte. Also ging sie als Erstes in die Küche und schaltete das Radio ein. Sie brauchte die Geräuschkulisse, damit sie die Leere nicht so spürte, aber kein Radioprogramm der Welt konnte ihr Papa wiederbringen. Sie seufzte. Zeit hochzugehen. Im Arbeitszimmer hing der Geruch von Papas Pfeifentabak in der Luft und legte sich schwer auf ihre Seele. Durch einen Tränenschleier sah sie das Schachspiel, das wie immer auf dem Tisch zwischen den beiden Sesseln stand, die Figuren in einem Spiel erstarrt, das nun niemand mehr beenden würde. Sie setzte sich auf den Sessel, der immer ihr Platz gewesen war, mit dem Rücken zum Fenster, damit sie nicht abgelenkt werden, sondern sich voll und ganz auf das Spiel konzentrieren konnte. Im ersten Winter nach Mamas Tod hatte Papa begonnen, ihr Schach beizubringen, und anfangs hatten sie Abend für Abend hier im Arbeitszimmer gesessen, im Schein des flackernden Kaminfeuers und einer Stehlampe hatte sie ehrgeizig versucht, Papa wenigstens einmal zu besiegen. Doch im Laufe der Wochen war das Spiel immer mehr in den Hintergrund getreten, denn sie hatten begonnen, sich währenddessen zu unterhalten. Zuerst hatten sie sich gegenseitig von ihrem Tag berichtet, dann hatte Papa von früher erzählt, von Mama als junger Frau, von ihr selber als Baby, und im Laufe der Jahre wurden Diskussionen daraus, über Philosophie, Kunst, Religion, Literatur, Filme … »Ach, Papa!« Sie nahm den schwarzen König – Papa hatte immer mit den schwarzen Figuren gespielt – und legte ihn aufs Spielbrett. »Schachmatt«, sagte sie leise, stand auf und ging hinüber zum Schreibtisch. Nach dem Abitur hatte sie angefangen, in Münster zu studieren. Die ersten Monate war sie noch jeden Tag heimgekommen, doch die Bahnfahrten kosteten viel Zeit und Geld, und so sehr sie die Abende mit Papa auch liebte, so ehrgeizig war sie, was ihr Studium betraf, und so hatte sie schweren Herzens entschieden, nur noch am Wochenende heimzukehren. Papa hatte ihr kurzerhand einen Laptop gekauft, damit sie chatten konnten, und das hatten sie fortan auch jeden Abend getan. Sie hätten auch telefonieren können, doch das Chatten machte viel mehr Spaß, denn Papa schickte ihr immer interessante Links mit, die entweder hilfreich für ihr Studium oder Grundlage für eine Diskussion waren. Oder einfach nur ihrer Unterhaltung dienten. Seit drei Tagen jedoch lag der Laptop zusammengeklappt auf ihrem Regal, so wie Papas hier auf seinem Schreibtisch. Nie wieder würden sie miteinander chatten können. Was brauchte sie da noch einen Laptop? Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie wischte sie mit dem Ärmel fort und machte sich schniefend daran, den Schreibtisch auszuräumen. Papa war stets wohlorganisiert gewesen, so dass es nicht lange dauerte, die Papiere zu ordnen. Eigentlich brauchte sie gar nichts zu ordnen, denn Papa hatte längst Vorsorge getroffen und alles geregelt. Schließlich war der Tod schon länger sein engster Begleiter. Die oberste Schreibtischschublade war verschlossen, ein Umstand, der sie irritierte, denn im Gegensatz zu sonst steckte der Schlüssel nicht. Noch einmal durchstöberte sie die übrigen Schubladen, doch der Schlüssel war nicht aufzufinden. Sie erhob sich und sah sich nachdenklich im Zimmer um. Das große Wandregal barst vor Büchern, Quell stundenlangen Lesevergnügens, aber wohl kaum der Platz für den Schlüssel. Wieder blieb ihr Blick an dem Schachspiel hängen. Warum war es eigentlich aufgebaut? Sonst ließ Papa die Figuren doch nie stehen, gleichgültig, ob das Spiel beendet war oder nicht. Sie ging zu dem Tisch und öffnete das kleine Schubfach im Spielbrett, das normalerweise der Aufbewahrung der Figuren diente. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Schlüssel erblickte. Ein letztes Ratespiel von Papa für sie, und jetzt war sie wirklich gespannt, was sie Wichtiges in der Schublade erwartete. Es war eine Zeitschrift. Eine ziemlich alte,...