E-Book, Deutsch, Band 1, 282 Seiten
Reihe: Paris Underground
Stephan Paris Underground
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-8546-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das kalte Herz 1
E-Book, Deutsch, Band 1, 282 Seiten
Reihe: Paris Underground
ISBN: 978-3-7487-8546-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein kaltes Herz Eine alte Familienfehde Ein Abenteuer beginnt Als der Halbelf Scott seiner Schulkameradin aus Jugendtagen über den Weg läuft, weiß er sofort, dass es das Schicksal nicht gut mit ihm meint. Es gibt keine Zufälle. Aus ist es mit seinem ruhigen Leben im Quartier Latin in Paris! Denn nun begibt er sich zusammen mit Gwendolyn auf die Suche nach dem verlorenen Herzen. Ein Abenteuer, das sein Leben für immer verändern wird. Gleichzeitig müssen sich beide mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, die sich über fast 150 Jahre erstreckt. Band 1 der Trilogie
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Es gibt keine Zufälle
Auch der Zufall ist nicht unergründlich – er hat seine Regelmäßigkeit.[1] Gwendolyn stand vor der leeren Leinwand. Ihr Atelier befand sich im Dachgeschoss ihres Hauses am Montmartre. Sie hatte große Fenster in das Dach einbauen lassen, damit genug Licht in den Raum eindringen konnte. Aber jetzt war es dunkel und die Deckenlampen waren angeschaltet. Sie begab sich in Angriffsposition. Ihr Atem ging schwer. Dieses beklemmende Gefühl, das ihre Brust zuschnürte, musste weg. Sie fixierte die Leinwand und schlich langsam auf sie zu, während sie den Pinsel bedächtig in der Farbschale drehte. Noch einen Schritt. Und noch einen. Dann stürzte sie sich auf die Leinwand. Der Pinsel flog über den Stoff und hinterließ blutige Streifen auf dem weißen Grund. Sie knurrte leise, schnaufte. Ein wildes Muster zeichnete sich ab. Noch war das Gefühl da. Aber sie spürte bereits, dass es schwächer wurde. Sie musste weitermachen, bis es sich auflöste. Sie tauchte den Pinsel in die Farbschale und setzte ihn erneut auf die Leinwand. In Kreisen fuhr sie darauf herum. Einatmen. Ausatmen. Und ihre Wut entlud sich. In Kreisen. »Rot«, sagte ihr Bruder. »Ernsthaft?« Aus seinem Ton troff die Verachtung nur so heraus. Er hatte sie noch nie verstanden. Ihre Farben, ihr Gefühl, ihre Seele. Rot war Krieg. Rot war Blut und Kampf. Das war das, was sie empfand. An anderen Tagen hätte sie sein Unverständnis weggelächelt, sich vielleicht darüber lustig gemacht, aber nicht heute. Sie sah über ihre Schulter. Gelassen saß Gilbert auf dem Stuhl neben ihrem Schreibtisch. Kurzerhand drehte sie sich um und schleuderte ihm den Pinsel entgegen. Er konnte nicht ausweichen und sie traf ihn mitten auf die Brust. »Ey!«, schrie er und sprang auf. »Bist du verrückt geworden?« Er griff nach dem Pinsel und warf ihn zurück. Sie wich aus, doch er war schon damit beschäftigt, den Fleck auf seinem Hemd mit einem nicht mehr ganz astreinen Tuch zu verreiben. »Den krieg ich nie wieder raus.« Mit einem kurzen Blick auf sie setzte er hinzu: »Wieso bist du so scheiße drauf heute?« »Ja, warum bin ich denn so scheiße drauf heute?« Gwendolyn funkelte ihren Bruder wütend an. »Vielleicht liegt es ja daran, dass mich unsere Mutter gefragt hat, ob ich nicht einen wildfremden Mann heiraten will, um eine beschissene Familienfehde beizulegen? Die 1850er haben geschrieben, sie wollen ihr Frauenbild zurück!« Demonstrativ verschränkte sie die Arme vor der Brust. Gilbert pirschte sich vorsichtig an sie heran. Auf seinem T-Shirt prangte ein verschmierter Fleck, umrahmt von einigen Spritzern. Das Tuch hatte er auf den Schreibtisch geworfen. »Es war doch bloß ein Vorschlag von ihr.« Behutsam legte er seine Hände auf ihre Schultern. »Es ist nur eine Möglichkeit von vielen. Du musst gar nichts.« Sie sah ihn trotzig an. »Richtig. Einen Scheiß muss ich!« Der blaue Brief war heute Morgen mit der Post gekommen. Noch ehe sie den Umschlag aufgerissen hatte, hatte sie schon den Anruf von ihrer Mutter erhalten. Ein absurder Vorschlag! Sie schüttelte Gilberts Hände ab und entfernte sich einen Schritt von ihm. »Den Scheiß mach ich nicht mit!« »Ja, das ist auch in Ordnung.« Gilbert streckte seine Hände erneut nach ihr aus. Sie schlug danach. »Lass das.« Ihr Blick war trotzig. »Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dich zu fragen.« Schuldbewusst klimperte er mit den Wimpern und ließ die Hände endlich in den Hosentaschen verschwinden. »Ich bin glücklich verheiratet und habe sieben Kinder.« Gwendolyn drehte sich weg und stampfte geräuschvoll zu ihrem Arbeitstisch. »Oder jemand anderen.« Schließlich war sie nicht die einzige Person im heiratsfähigen Alter in ihrer Familie. Gilbert lachte. »Na, wen denn?« Sie griff nach den benutzten Pinseln und warf sie in das Wasserglas. »Fragt Tante Inge!« Sie wusste, dass ihre Tante nicht in Frage kam, aber sie war die Erste, die ihr einfiel. »Tante …« Ihr Bruder krümmte sich vor Lachen. »Die ist mindestens 300 Jahre zu alt.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Und außerdem würde ich die nicht einmal meinem ärgsten Feind ans Bein binden.« »Aber deine Schwester gibst du freiwillig her, oder was?« Offenbar hatte auch ihre Mutter kein Problem damit. Sie hörte die eilenden Schritte ihres Bruders hinter sich. »Nein, nein, nein.« Jetzt umarmte er sie von hinten. »Das war ´ne ganz blöde Idee von ihr, ich geb es ja zu.« Oh, welch ein Wunder. Normalerweise hielt er immer zu ihrer Mutter. Aber offenbar wollte auch er nicht seine Schwester an irgendeinen McKenzie verheiraten. Die Zeiten waren vorbei. Gwendolyn hielt sich an ihrem Bruder fest. »Ich bin ihr so gleichgültig«, nuschelte sie und er seufzte. Sie hatte nie ein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt, mit ihrem Vater war das anders. Aber das heute war … Nein, es war nicht die Krönung. Die Krönung war gewesen, als sie enterbt worden war, weil sie sich von ihrem ersten Mann hatte scheiden lassen und auf den Montmartre gezogen war. 1871 hatte sie damit für den ersten Skandal von vielen gesorgt. Aber sie und ihre Mutter waren aus demselben Holz geschnitzt. Beide waren Sturköpfe. Es war ein Machtkampf gewesen. Die Niederlage hatte ihre Mutter nie akzeptieren können. Und nachdem Gwendolyn festgestellt hatte, dass sie es auch selbst durch harte Zeiten schaffen konnte, hatte sie sich gar nicht mehr reinreden lassen. Warum auch? Sie biss sich durch alles durch. Trotzdem schmerzte es. »Ich war vorhin in der Hexenküche und hab mir was mixen lassen.« Sie hatte sich so dermaßen über ihre Mutter aufgeregt, dass sie Nour um eine stärkere Mischung gebeten hatte. Gilbert strich ihr über den Rücken. »Hat nichts gebracht, was?« Sie löste sich von ihm und stellte sich vor das rote Bild. »Ich habe es erst vorhin genommen. Nour hat gesagt, ich solle vorsichtig damit sein.« Sehr zum Leidwesen des armen Jungen, den sie mit dem Bösen Blick bedacht hatte. »Ich habe Scott McKenzie in der Metro gesehen«, setzte sie hinzu. Von dem Bösen Blick sagte sie lieber nichts. Herrgott, was hatte sie nur geritten? Ausgerechnet der Böse Blick. Das hätte sie niemals tun dürfen. Hoffentlich hatte sie dem Jungen nicht zu sehr zugesetzt. Gilbert ließ sie sofort los und trat ein paar Schritte rückwärts. »DER Scott McKenzie?« Sie runzelte die Stirn. »Kennst du noch einen?« Er räusperte sich und legte zwei Finger an die Lippen. »Oha.« Der blaue Brief hatte die Verhandlungen angekündigt, bei der die wichtigsten Familienmitglieder anwesend sein mussten. Und dann wurde sich gestritten. Sie wusste nicht mal, wann die letzten stattgefunden hatten, so lange war es schon her. Irgendwann nach dem Krieg, aber nach welchem? Eine Norne hatte das Jahr der Einigung vorausgesagt und das Hohe Gericht hatte es verständlicherweise sehr eilig damit, die Prophezeiung zu erfüllen. Eine mögliche Lösung des uralten Konfliktes sei es, wenn sich ein Paar aus zwei Mitgliedern der beiden Familien finden würde. Keine Familie hätte Probleme damit, Besitztümer, Ländereien und auch Aktien einem Paar zu überschreiben, das zur Hälfte aus einem eigenen Familienmitglied bestand. Die Familien hatten diese Strategie schon einmal versucht. Aber dann hatte Alasdair McKenzie ihre Mutter sitzen lassen und die Lage hatte sich verschlimmert. Und so wurde sich weiterhin um diese Besitztümer, Ländereien und Aktien gestritten. Gwendolyn war bei der letzten Verhandlung dabei gewesen. Eine Schlammschlacht. Sie hatte sich für ihre Familie in Grund und Boden geschämt. Am Ende hatten sich die gegnerischen Parteien mit Elementarzaubern beschossen und der Gerichtssaal musste von einem Sondereinsatzkommando geräumt werden. Die Kosten für die Renovierung waren den Verursachern aufgebrummt worden. Der Termin für die nächste Verhandlung war auf den dritten Januar gelegt worden. In vier Wochen. Man wollte doch keine Norne enttäuschen. Hoffentlich liefen die Verhandlungen diesmal besser. Die Welt hatte die Schnauze voll von dem Kleinkrieg, den ihre Familie mit den McKenzies führte. Und sie auch. »Ich raffe das nicht!« Gwendolyn drehte sich zu ihrem Bruder um und fasste sich an die Stirn. »Wir leben seit über hundert Jahren in Paris. Seit wir die Schule verlassen haben, sind wir uns nie wieder begegnet. Wieso ausgerechnet heute, nachdem der Brief kam?« Sie hatte Scott sofort erkannt. Sicher, sein Gesicht war kantiger geworden, er sah nicht mehr so jungenhaft aus wie früher. Dennoch hatte ein Blick genügt und sie hatte gewusst, wen sie vor sich gehabt hatte. Er sah gut aus, wenn auch ein bisschen blass. Das könnte sie auch dem grellen Licht in der Metro zuschreiben, oder seiner schwarzen Kleidung. Scotts dunkle Haare waren nicht mehr so lang wie früher, jedoch schien es, als hätte er seine Locken immer noch nicht vollends in den Griff bekommen. Und seine Augen. Er hatte immer noch dieselben Augen. Dunkel und voller Schmerz....