Stöcker Agrarideologie und Sozialreform im Deutschen Kaiserreich
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86234-673-8
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Heinrich Sohnrey und der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege 1896–1914
E-Book, Deutsch, 276 Seiten
ISBN: 978-3-86234-673-8
Verlag: V&R unipress
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Georg Stöcker arbeitete nach seinem Studium der Physik und Geschichte als Lehrer und Fachseminarleiter. Seit 2007 ist er Verantwortlicher des Fachbereichs Geschichte am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Berlin.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Soziale Gruppen & Klassen
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Soziale Fragen & Probleme
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Klubs, Vereine, Geheimgesellschaften
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;5
2;Vorwort;9
3;A Vorbemerkung;11
4;B Umbruch der ländlichen Gesellschaft Ostdeutschlands als Hintergrund der ›ländlichen Wohlfahrtspflege‹;21
4.1;I. Bevölkerung und Wanderbewegung;21
4.2;II. Der Wandel der landwirtschaftlichen Produktion;26
4.3;III. Die Genese des Landarbeiterproblems;30
5;C Die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege;41
5.1;I. Agrarromantik und Großstadtfeindschaft: Heinrich Sohnrey und der ›Zug vom Lande‹;42
5.1.1;1. Heinrich Sohnrey: Vom ›Hütejungen‹ zum Schriftsteller;42
5.1.2;2. Agrarideologie: Die Bedeutung der Landbevölkerung für den Staat;49
5.1.3;3. Das Programm: Sozialreform als Mittel gegen die Landflucht;57
5.1.4;a) Innere Kolonisation: Das Rentengut als Mittel des sozialen Aufstiegs;59
5.1.5;b) Die kleinen Mittel: Förderung der ökonomischen und sozialen Zustände;64
5.1.6;c) Heimatpflege und Volkstum: Emotionale Bindung als Mittel gegen die Landflucht;65
5.2;II. Sohnreys Suche nach einer organisatorischen Plattform;68
5.2.1;1. Lange, Stoecker und Naumann als Vertreter der bürgerlichen Sozialreform;68
5.2.2;2. Hugo Thiel und der Verein für Sozialpolitik;72
5.2.3;3. Der Preußische Staat und die ›Notlage‹ der Landwirtschaft;79
5.2.4;4. Sohnreys Vortrag im Klub der Landwirte;85
6;D Der Ausschuss für Wohlfahrtspflege auf dem Lande und der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege;97
6.1;I. Organisation, Mitglieder, Finanzierung;97
6.1.1;1. Organisation;97
6.1.2;2. Mitglieder;112
6.1.3;a) Vertreter des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes;116
6.1.4;b) Behörden;128
6.1.5;c) Pfarrer und Lehrer;131
6.1.6;3. Die Finanzen;138
6.1.7;a) Die offiziellen Bilanzen;138
6.1.8;b) Die versteckten Zuwendungen;142
6.2;II. Handlungsfelder des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege;144
6.2.1;1. Innere Kolonisation;145
6.2.2;a) Sohnreys Tätigkeit für die Ansiedlungskommission;145
6.2.3;b) ›Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft‹ und ›Landbank‹;155
6.2.4;2. Die ›Landarbeiterfrage‹: Ersatzbeschaffung, Integration oder Konfrontation?;166
6.2.5;3. Jugend: Bindung an die Heimat;198
6.2.6;a) Die ländliche Fortbildungsschule;200
6.2.7;b) Landwirtschaftlicher Unterricht beim Militär;231
6.2.8;4. Die Gesundheit der Landbevölkerung: Milch statt Alkohol;235
7;E Schlussbetrachtung;245
8;F Anhang;253
8.1;I. Verzeichnis der Tabellen;253
8.2;II. Verzeichnis der Abbildungen;254
8.3;III. Verzeichnis der Abkürzungen;254
8.4;IV. Verzeichnis der ungedruckten und gedruckten Quellen;255
8.4.1;1. Archivalien;255
8.4.2;2. Gedruckte Quellen (amtliche Veröffentlichungen, Kongress- und Geschäftsberichte);257
8.5;V. Verzeichnis der Zeitschriften und Zeitungen;258
8.6;VI. Verzeichnis der Lexika und Nachschlagewerke;260
8.7;VII. Verzeichnis der Autobiographien und Biographien;260
8.8;VIII. Verzeichnis der Literatur von Heinrich Sohnrey und dem Deutschen Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege;261
8.9;IX. Aufsätze und Berichte aus der Vereinszeitschrift Das Land;262
8.10;X. Berichte von den Hauptversammlungen und Geschäftsberichte des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege;264
8.11;XI. Verzeichnis der Literatur aus der Zeit bis 1945;265
8.12;XII. Verzeichnis der Literatur seit 1945;268
(S. 245-246)
Die Studie bestätigt die eingangs formulierte These, dass der ›Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege‹ seine Entstehung drei Entwicklungslinien verdankt: erstens agrarromantischen Vorstellungen, zweitens den Ergebnissen der bürgerlichen Sozialreform, insbesondere denjenigen des ›Vereins für Sozialpolitik‹, und drittens der preußischen Bürokratie.
Treibende Kraft war zunächst der niedersächsische Schriftsteller Heinrich Sohnrey, der, angesichts des Übergangs der deutschen Gesellschaft vom Agrarstaat zum Industriestaat, ausgehend von agrarromantischen, großstadtfeindlichen Vorstellungen, ein Konzept entwickelte, welches soziale Harmonie predigte und mit sogenannten Wohlfahrtsmaßnahmen der Auflösung der Agrarverfassung entgegenwirken wollte.
Die Landflucht sollte durch Maßnahmen wie innere Kolonisation, Förderung von Genossenschaften, Rückkehr zum Naturallohn und emotionale Bindung an die Heimat eingedämmt werden, um zugleich das Leben der unteren sozialen Schicht der Landbewohner relativ zur Lebensqualität in den Industriegroßstädten wieder attraktiv zu gestalten. Wichtige Antriebskräfte für Sohnreys Handeln sind tatsächlich, wie vermutet, in seiner frühen Kindheit zu finden: Einerseits wuchs er selbst in überschaubaren dörflichen Verhältnissen auf und andererseits war er der der Sohn eines Barons und einer Magd. So wird verständlich, dass eine die sozialen Disparitäten überwindende Gesellschaft für Sohnrey nur in der dörflichen Heimat zu verwirklichen war.
Übergeordnete, nationale Bedeutung bekamen Sohnreys Ziele aber erst, indem er unter Berufung auf den Sozialanthropologen Otto Ammon und den Statistiker Georg Hansen die Großstädte als Menschenvernichtungsmaschinen zu erkennen glaubte, die zu allem Übel auch noch als Rekrutierungsbasis für die ›Partei des Umsturzes‹, die SPD, fungierten. Für Sohnrey musste so schließlich – bei ungebremstem Zug der Landbewohner in die Städte – der Untergang des deutschen Staates die Folge sein. Insbesondere der ›Verein für Sozialpolitik‹ hatte, beunruhigt durch die Landflucht, vor 1890 Untersuchungen über die Lage der Landwirtschaft und speziell die der Landarbeiter in Auftrag gegeben.
In den Fokus derÖffentlichkeit geriet vor allem die vom Soziologen Max Weber betreute LandarbeiterenquÞte. Weber sah den Grund für die Landflucht aus den vor allem ostelbischen Reichsgebieten in der Auflösung der gemeinsamen Interessenlage von Arbeitgebern und Landarbeitern und in der Vergeldlichung des beiderseitigen Verhältnisses vor dem Hintergrund der immer mehr kapitalistisch denkenden, gezwungenermaßen an Marktverhältnissen sich orientierenden meist adligen Großgrundbesitzer. Weber forderte als nationalpolitische Konsequenze die Ansiedlung deutscher Bauern im Osten des Reiches, um drohender ›Polonisierung‹ zu entgehen. Mit dem Abschluss der großen LandenquÞten war die Aufgabe des ›Vereins für Sozialpolitik‹, seinem Charakter als akademischem Publikationsverein entsprechend, erschöpft. Er forderte damit zum praktischen Handeln auf.