Stosch / Tatari | Prophetin - Jungfrau - Mutter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Stosch / Tatari Prophetin - Jungfrau - Mutter

Maria im Koran
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82326-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Maria im Koran

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-451-82326-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine ganze Sure trägt ihren Namen. Sie ist die einzige Frau, die der Koran beim Namen nennt – häufiger als Muhammad oder Jesus. Bis heute ist die Wertschätzung, die Maria bei Christen und Muslimen genießt, ungebrochen. Doch Maria war auch immer Anlass zur Entfremdung beider Religionen. In einer außergewöhnlichen Recherche rekonstruieren Muna Tatari und Klaus von Stosch das Marienbild des Korans und bringen den Marienglauben der katholischen Kirche mit dem koranischen Zeugnis ins Gespräch. Ein Beispiel für einen gelingenden und konstruktiven christlich-islamischen Dialog.
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1. Maria in der Bibel
Es ist bei der historisch-kritischen Auseinandersetzung mit den Heiligen Schriften üblich, die Bestände der jeweiligen Heiligen Schrift in der Reihenfolge ihrer Entstehung darzustellen. Deshalb werden wir im muslimischen Teil mit der Sure Maryam beginnen, und deswegen beginnen wir jetzt im biblischen Teil mit den ältesten Teilen des Neuen Testaments: den Paulusbriefen und dem ältesten Evangelium. a) Maria im Corpus Paulinum und im Markusevangelium
Im gesamten Corpus Paulinum, also in sämtlichen Briefen des Apostels und seiner Schüler, kommt Maria nur ein einziges Mal vor, und zwar im Galaterbrief. An einer theologisch bedeutsamen Stelle dieses wichtigen Briefes betont Paulus, dass Jesus „von einer Frau geboren“ wird (Gal 4,4). Auffällig ist, dass die entsprechende griechische Formulierung mit demselben Wort beginnt wie die anschließende Charakterisierung Jesu als unter dem Gesetz stehend (jeweils beginnend mit genomenon). Man kann also annehmen, dass beide Formulierungen zusammengehören und klarmachen sollen, dass Jesus von einer jüdischen Frau geboren wurde. Der darauffolgende Vers macht deutlich, dass diese Geburt von der jüdischen Frau geschieht, damit wir vom Gesetz freigekauft werden und die Sohnschaft erlangen. Offenbar ist für Paulus die reale Geburt von einer Frau und ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Volk also die Voraussetzung dafür, um die christliche Erlösungsbotschaft denken zu können. Zur im Galaterbrief erstmals entfalteten Rechtfertigungslehre gehört integral dazu, dass Gottes Sohn wirklich in die conditio humana eintritt – ganz „normal“ durch die Geburt von einer Frau aus dem Gottesvolk.1 Die Mariologie steht hier also vollständig im Dienst der Christologie. Paulus will deutlich machen, dass Jesus wirklicher Mensch war, und als augenfälliger Beweis für diese Tatsache dient ihm die Geburt durch eine Frau. Maria ist hier also die Garantin des wahren Menschseins Jesu, und zugleich verbindet sie das Geschehen in Christus mit Israel. Auch das Markusevangelium (in Zukunft abgekürzt als Mk) äußert sich nur sehr sparsam zu Maria. Wie bei Paulus herrscht bei Mk ein weitgehendes Desinteresse gegenüber Maria.2 Doch anders als bei Paulus erhält Maria bei Mk eine eher negative Rolle. Gleich ihr erster Auftritt hat es in sich. Die Mutter Jesu ist es, die, unterstützt von den Brüdern Jesu, diesen aus dem Kreis seiner Anhänger herausruft (Mk 3,31f.). Jesus weist sie brüsk zurück: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ (Mk 3,33–35) Will man auf der Ebene der Narration des Mk diese grobe Reaktion verstehen, liegt es nahe, eine kurz zuvor von Mk erzählte Begebenheit ebenfalls auf die Familie Jesu zu beziehen. Denn in Mk 3,21 ist davon die Rede, dass die Seinen (griechisch: hoi par’autou), in der Einheitsübersetzung heißt es seine Angehörigen, zum Schluss gekommen sind, dass er von Sinnen ist. Der Vers macht nicht eigens klar, ob hier auch seine Mutter gemeint ist. Vielleicht geht es auch nur um Bewohner des eigenen Dorfes, vielleicht seine Nachbarn, die nicht Teil seiner Familie waren. Aber die Diagnose, dass hier Jesu Mutter und Brüder gemeint sind, liegt vom erzählerischen Zusammenhang her nahe und würde erklären, warum Jesus sie wenig später so heftig zurückweist. Unabhängig davon, wie man Mk 3,21 deutet3 , ist aber auch allein schon die Perikope Mk 3,31–35 Zeugnis eines regelrechten Zerwürfnisses zwischen Jesus und seiner Familie. Offenkundig gab es wenigstens zwischenzeitlich eine Entfremdung zwischen Jesus und seiner Mutter. Jesus sagt ummittelbar vor unserer Perikope, dass diejenigen, die den Heiligen Geist lästern, in Ewigkeit keine Vergebung erlangen werden (Mk 3,29). Der Heilige Geist ist es ja, der bei Mk auf Jesus ruht (Mk 1,10), ihn antreibt (Mk 1,12) und ihm ermöglicht, die Dämonen auszutreiben. Dagegen werfen die Schriftgelehrten Jesus vor, dass er von einem unreinen Geist besessen ist (Mk 3,30). Ihre Opposition ist für Jesus und seine Botschaft existenziell bedrohlich und fordert ihn zu diesem kompromisslosen Widerspruch heraus. In Mk 3,31 ergreift die Familie Jesu faktisch Partei für seine Gegner, indem sie ihn herausruft. An dieser Stelle relativiert Jesus die Bindekraft seiner Familie und betont, dass seine wahren Brüder und Schwestern und seine wahre Mutter diejenigen sind, die mit ihm am Reich Gottes arbeiten. Überlegt man, wie heftig sich Jesus an dieser Stelle mit den jüdischen Eliten seiner Zeit anlegt, kann man verstehen, dass seine Mutter und seine Familie hier vermittelnd eingreifen wollen. Sollte sie auch mit den Seinen in Mk 3,21 gemeint sein, wäre der allererste Anlass ihres Eingreifens, dass ihr Sohn so viele Anhänger um sich gesammelt hat, dass sie nicht einmal mehr essen konnten (Mk 3,20). Hier ist das Problem also nicht mehr der politische Disput mit den jüdischen Eliten, sondern vielmehr ein Mangel an lebenspraktischer Klugheit. Auch hier kann es nicht verkehrt sein, einen jungen Mann zur Besinnung bringen zu wollen. Über Maria lernen wir aus diesen Stellen also, dass sie ihren Sohn wach begleitet und eingreift, wenn er sich und die Seinen in Gefahr bringt oder wenn seine Predigt politisch bedrohliche Konsequenzen hervorruft. Insgesamt kann man vielleicht sagen, dass es Maria schwergefallen zu sein scheint, Jesu Sendung zu akzeptieren und in ihm mehr zu sehen als ihren Sohn. Sie konnte seinen ungeheuren Sendungsanspruch nicht mitvollziehen und wollte ihn zur Besinnung bringen. Bedenkt man, mit welchem Vollmachtsanspruch Jesus ab Beginn seiner öffentlichen Verkündigung auftritt, kann man diese Reaktion seiner Mutter sicher gut nachvollziehen. Wir erleben Maria also zunächst einmal als jemand, der Zweifel an Jesu Vollmacht und Sendung hat und mit ihm in Konflikt steht. Vergleicht man Mk 3,31–35 mit den synoptischen Parallelstellen, so zeigt sich, dass auch das Lukasevangelium (in Zukunft: Lk) und das Matthäusevangelium (in Zukunft: Mt) den Konflikt aufgreifen, aber zugleich entdramatisieren. Lk 8,19–21 stellt den Konflikt mit Maria zwar nicht in Abrede, was seine Historizität sehr wahrscheinlich macht. Aber er nimmt ihn ebenso wie Mt 12,46–50 aus der Beelzebubkontroverse mit den Schriftgelehrten heraus.4 Erscheinen Mutter und Brüder Jesu bei Mk also noch auf der Seite der Schriftgelehrten, die annehmen, dass Jesus von einem bösen Geist besessen ist (Mk 3,22), wird der Unglaube der Familie Jesu im Lukasevangelium durch die Verknüpfung mit der Perikope vom Sturm auf dem See mit dem Unglauben der Jünger Jesu verknüpft und dadurch relativiert.5 Die Familie Jesu zeigt damit ein Verhalten, das dem der Jüngerinnen und Jünger Jesu entspricht und keine besonderen Konflikte mehr beinhaltet. Mk dagegen bezeugt in Mk 3,31–35 eindeutig eine zeitweise Distanz zwischen Jesus und seiner Mutter, die in Mk selbst auch nicht mehr aufgelöst wird.6 Im Zentrum steht hier die Aussage, dass Jesu wahre Familie in der Gemeinde gegeben ist. Die Kritik derjenigen, die sich Jesus nahefühlten, wiederholt sich in Mk 6,1– 6a, aber ohne Nennung seiner Mutter. Immerhin beklagt Jesus auch hier sein fehlendes Ansehen in der Familie (Mk 6,4). Der Vergleich mit den synoptischen Paralleltexten aus Mt 13,53–58 und Lk 4,16–30 zeigt, dass nur Lk versucht, Maria aus der Kritik herauszunehmen. So ist bei Lk 4,23f. nur noch von der Ablehnung des Propheten in seiner Heimat die Rede, nicht von der Ablehnung in der Familie, die Mk 6,4 und Mt 13,56 bezeugen. Wir sehen in den synoptischen Evangelien also eine abgestufte Kritik an Jesu Familie. Besonders bei Mk muss man eine regelrechte Polemik gegen die Familie Jesu diagnostizieren. Man sollte allerdings damit vorsichtig sein, aus dieser Tatsache zu viel für das historische Verhältnis zwischen Jesus und Maria abzuleiten. Denn die markinische Polemik gegen die Verwandten Jesu könnte auch gegen die Idee von einer Art Kalifat gerichtet gewesen sein, die es in der Jerusalemer Urgemeinde gegeben haben könnte.7 Gerade vor dem Hintergrund der innerislamischen Debatte um die Frage, ob man die wahren Jünger Muhammads eher bei seinen Gefährten oder bei seinen Verwandten zu suchen hat, ist es hochinteressant, dass es auch im Umfeld der Jerusalemer Urgemeinde entsprechende Konflikte gegeben zu haben scheint und die Brüder Jesu, insbesondere der Herrenbruder Jakobus, offenkundig einen Führungsanspruch erhoben. Genauso wie der sunnitische Islam allerdings den entsprechenden Konflikt zu Gunsten der Gefährten und Freunde des Propheten entschied, setzte sich auch im Christentum die Position durch, die die Authentizität der Jüngerschaft nicht am Verwandtschaftsgrad zu Jesus festmachte. Die harschen Äußerungen Jesu in Mk könnten mit diesem Ergebnis zu tun haben. Allerdings bedeutet die Kontextualisierung der Kritik der Familie Jesu in die Auseinandersetzung um das Kalifat in der Jerusalemer Urgemeinde nicht, dass die hier beschriebenen Konflikte keinen historischen Hintergrund haben. Denn wenn es keine Erinnerungen an derartige Konflikte Jesu mit seiner Familie in den frühchristlichen Gemeinden gegeben hätte, wäre es sicherlich schwierig für Mk gewesen, aus diesen Konflikten ein Argument gegen den Führungsanspruch der Verwandten Jesu abzuleiten. Und der deutliche Versuch des Lk, Maria bei den entsprechenden Passagen aus der Schusslinie zu nehmen, zeigt, dass die markinische...


Klaus von Stosch, Dr. theol., geb. 1971, Professor für Katholische Theologie (Systematische Theologie) und ihre Didaktik sowie Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn.
Muna Tatari, geb. 1971, studierte Islamwissenschaften und islamischen Theologie in Hamburg und Amman. Sie ist Professorin für Islamische Systematische Theologie und Leiterin des Seminars für Islamische Theologie (SIT) an der Universität Paderborn. Seit 2020 ist sie Mitglied des deutschen Ethikrates.



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