E-Book, Deutsch, 252 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
Surrey Neuroleadership
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7910-5646-3
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was Neurowissenschaften und soziale Systemtheorie zum modernen Leadership beitragen
E-Book, Deutsch, 252 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
ISBN: 978-3-7910-5646-3
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. rer. pol. Heike Surrey lehrt derzeit an der Universität Potsdam. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden Entrepreneurship, strategisches Management sowie Leadership. Sie war langjähriges Mitglied der Studienleitung bei der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie, gründete den Career Service an der Universität, initiierte das EU-geförderte Gender-Programm „Mentoring für Frauen in Führungspositionen“ an den Universitäten des Landes Brandenburg und ist systemische Organisationsberaterin.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Forschung und Information Kybernetik, Systemtheorie, Komplexe Systeme
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften Interdisziplinär Neurowissenschaften, Kognitionswissenschaft
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Management: Führung & Motivation
Weitere Infos & Material
2 Forschungsdimensionen: Leadership und Neurosciences
2.1 Leadership als Forschungsinteresse
2.1.1 Neuroleadership
Neuroscience has a promising future ahead – according to PubMed, the number of published papers with the word brain in the title increased from fewer than 3,000 per year in 1960 to more than 60,000 in 2010. [...] Due to significant findings and important implications from neuroscientific research, the field of neuroleadership has an important current role and hopeful future.
Nordlund et al. 2018
Die Langzeitstudie von Gallup (Tödtmann 2019, Engagement Index) bestätigt, »[n]ur 15 Prozent der Arbeitnehmer haben eine hohe emotionale Bindung an ihre Company«. Das betrifft deutschlandweit ca. sechs Millionen Beschäftigte, die sich keinesfalls an das Unternehmen binden möchten. Die immensen Folgekosten sind mit 122 Milliarden Euro zu beziffern; »schuld sind die Führungskräfte selbst« (ebd.). Für Hoffmann (2019, S. 3) ist das einerseits der Beweis, dass Führungskräfte »[…] oft nicht in der Lage [sind], aus der Situation heraus adäquat zu entscheiden, welches Führungsverhalten angemessen und wirkungsvoll wäre. Sie führen vor allem durch Zahlen und klare Ansagen [...] Sie agieren nach dem Top-Down-Prinzip, üben Druck aus oder nehmen mit ihrem hierarchisch geprägten Befehlsdenken bewusst Überforderungen in Kauf«. Andererseits, »haben die Führungskräfte eine leise Ahnung, […] dass durch echte Wertschätzung und Anerkennung gute Gefühle entstehen und damit eine Motivation, die andauert und sie nebst weniger Stress zufriedener und glücklicher macht« (ebd.). Vor diesem Hintergrund sieht Hoffman das Zeitalter für Neuroleadership gekommen, welches den »Mut [benötigt] [….] [a]ngewandtes Führungswissen auf die Basis neuropsychologischer Erkenntnisse zu stellen[, und] hilft […], sich ernsthaft mit bereits bekanntem Wissen aus der Führungspsychologie zu befassen. Und der Zugang dazu ist nachvollziehbar, wissenschaftlich, einsichtig und verständlich« (ebd.).
Die Neurosciences interessieren verschiedenste wissenschaftliche Felder (Surrey 2018a, S. 165). Neuroleadership vereinigt neurobiologische Erkenntnisse mit dem Change Management: »The study of neuroscience has provide us with a deeper understandig of why people find change unsettling« (Rock/Schwartz 2007, S. 1 f.). Die Erkenntnisse für die Leadership-Forschungen liegen in der Absicht, das Wissen um neuronale leistungssteigernde Effekte – im Verhalten von Leadern – zu aktivieren. Den derzeit populärsten Ansatz legt Rock mit dem SCARF Model5 als sog. irreversible Leadership-Kompetenzen vor (Rock/Schwartz 2007; Reinhardt 2014b; Surrey 2018a). Rock und Schwartz (2006) publizierten den Begriff »Soziale Neurowissenschaften« in dem Beitrag »The Neuroscience of Leadership« im Fachjournal »strategy+business«:
Managers who understand the recent breakthroughs in cognitive science can lead and influence mindful change: organizational transformation that takes into account the physiological nature of the brain, and the ways in which it predisposes people to resist some forms of leadership and accept others. This does not imply that management – of change or anything else – is a science.
Rock/Schwartz 2006
Das SCARF Model, in dem Status, Certainty, Autonomy, Relatedness und Fairness als die relevanten Leadership-Fähigkeiten erkannt werden, veröffentlichte Rock (Ringleb/ Rock 2008, Rock 2009) wenige Jahre darauf. Das Modell fokussiert soziale Beziehungen zwischen Mitarbeitenden, die neuroökonomisch untersucht wurden. Der Begriff »Social Neuroscience« verdeutlicht einen hohen Stellenwert neurobiologischer Prozesse in der Interaktion von Individuen mit der Umwelt, woraus sich fünf Dimensionen als Treiber sozialer Beziehungen herausbilden. Ringleb und Rock führen aus, dass Neuroleadership die Entscheidungsfindung und die Problemlösungen verbessert sowie die Teamstrukturen und die Veränderungsprozesse stärkt. Danach stellen sich die Fragen, welche neuronalen Strukturen sind beeinflussbar und welche Formen von Leadership werden benötigt (Ringleb/Rock 2008, S. 3 f.). Angelehnt an das Modell instruieren Rock und Page (2009) die Neuausrichtung eines Neurocoaching (Abschn. 5.1.1). Letztlich führt das Berücksichtigen aller SCARF-Dimensionen über den Coaching-Prozess hindurch dazu, dass die Annährungsschemen involviert und -blockaden gelöst werden.
Ein Vorläufer ist das Brain-Dominance-Konzept (White Paper Herrmann International 1979), das bevorzugte Denk- und Verhaltensweisen der Individuen visualisieren und messen kann. Das Whole-Brain-Modell versinnbildlicht das rationale, das organisatorische, das fühlende und das experimentelle Ich, welche die Hirnleistungen vollständig erfahrbar machen. Der direkte Zusammenhang zwischen Denkpräferenzen und biologischen Gehirnfunktionen kann nicht nachgewiesen werden (Hines 1991). Eine explosionsartige Verbreitung des Modells, obwohl eine Validität nicht nachgewiesen wird, ist in der Bildungsforschung zu erkennen, während für Leadership doch eher spekulative Realitätsbezüge zugeschrieben worden sind (Allinson et al. 1996).
Der Neurobiologe Hüther (2009a) initiiert die Denkweisen gehirngerechter Führung, die in »Supportive Leadership« mündet. Neuroleader sollen sich befähigen, sich treffen (einladen), ermutigen und begeistern, um Potenziale zu erkennen und zu kreieren. Die vier Regeln zeigen die idealen Leadership-Maxime wie
- Herausforderungen setzen,
- Wissen intern vernetzen,
- positive Fehlerkultur etablieren sowie
- positive Erfahrungen wirken lassen.
Handeln, das auf infamen Sanktionen, Druckausübung und Befehlen aufbaut, ist im Wissen um das Neuroleadership veraltet (vgl. Hüther 2009b). Zu den weiterführenden Forschungen zählen »Führen mit Hirn« (Purps-Pardigol 2015) sowie »Digitalisieren mit Hirn« (Purps-Pardigol/Kehren 2018). Nach Elger ist Neuroleadership
die Verbindung von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen mit zum Teil bekannten Managementtheorien mit dem Ziel, gehirngerechter zu führen und bessere Ergebnisse zu erzielen. Neuroleadership befindet sich noch in der Entwicklung und ist noch keine in sich geschlossene Theorie. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Neurowissenschaften in Zukunft eine veränderte Sichtweise auf das menschliche Denken und Handeln begründen werden, die alle Lebensbereiche beeinflussen wird.
Elger 2013, S. 15
Hier wird betont, dass es »keineswegs nur ein Begriff [ist], der alten Wein in neue Schläuche füllt […]. Es kommt darauf an, die neuen Erkenntnisse hirngerecht umzusetzen« (ebd., S. 20). Elger (2013, S. 88 ff., 168 ff.) verfasst sieben Regeln der Orientierung (z. B. Fairness und Feedback, Beeinflussen durch Vorinformationen, Fakten sind an Emotionen gebunden oder Erfahrungen bestimmen das Verhalten).
Von Rock (2009) und Elger (2009; 2013) liegen damit Konzepte vor, auf denen weitere Modelle basieren. So versteht es sich, dass die Elemente auch bei Peters und Ghadiri (2011; 2013) zu finden sind und dass durch Neuroleadership »der Erkenntnisgewinn neurowissenschaftlicher Forschung für die Führung von Mitarbeitern« (ebd. 2013, S. 7 f.) gelingt. Die beiden Begründer (ebd.) wollen das »systematische Konzept« erbringen. Sie entwickeln zum einen das AKTIV-Modell (ebd., S. 123 ff.), weil anzunehmen ist, dass ein Konsistenzstreben (Grawe 2004) vorliegt und es gilt, dieses sicherzustellen. Zum anderen können die Kompetenzen, über die ein Neuroleader verfügen sollte, im PERFEKT-Schema (ebd., S. 137 ff.) bestimmt werden (s. Kapitel 5.3). Reinhardt (2014a, b) vergleicht auf empirischer Basis, ob Neuroleadership die Leistungen und die Gesundheit fördert und bestätigt diese Erwartungen nicht: Damit beweist er, dass die SCARF-Dimensionen (Rock 2009) die Bedeutung für die Leistungen und die Gesundheit nicht aufweisen. Reinhardt (2015) formuliert daraufhin das Dodekaeder-Modell, das die Konsistenztheorie (Grawe 2004), das SCARF Model (Rock 2009) und Einflüsse der Unternehmensumwelt (Lewin 1963) involviert. Prieß und Spörer (2015) beziehen sich auf ein Neurozeit- bzw. ein Projektmanagement und forschen zu der Thematik, was aus neurobiologischer Sicht das Rätsel von Projekterfolg ist. Dabei arbeiten sie mit Neurotransmittertypen und bestimmen vier Themenfelder (Projektraum, Personalauswahl, Teamarbeit sowie Veränderungsbereitschaft), die erfolgsrelevant für zeitlich befristete Projektformen sein können (ebd., S. 113 ff.). Diese o. g. Modelle des Neuroleadership werden in Kapitel 5.3 vorgestellt und für den Ansatz Neuro-based View of Leadership...