E-Book, Deutsch, 104 Seiten
Thomsen Die Frau ohne Gesicht
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-6530-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 104 Seiten
ISBN: 978-3-7597-6530-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jemand musste Michal K. verleumdet oder denunziert haben. So beginnt die Novelle des Bissendorfer Autors Michael Thomsen, aber anders als in Kafkas Prozess wird in aller Klarheit das Schicksal der Polenhure Liesel Gnädig nachgezeichnet. Die treulose Ehefrau des Kriegsinvaliden Heinrich Gnädig soll mit dem polnischen Kriegsgefangenen Michal K. Rassenschande betrieben haben. Der Autor versucht einfühlsam, die Leiden dieser Frau ohne Gesicht im Zuge der Verhöre durch die Gestapo, der Hinrichtung des polnischen Kriegsgefangenen, den Aufenthalten in Gefängnis und Konzentrationslager und dem Behördenkrieg nach Kriegsende nachzuzeichnen. Vielleicht wäre das Leben dieses Springinsfelds im Rahmen eines anderen Zeitgeistes anders verlaufen?
Michael Thomsen, Jg 57, schreibt neben Fachbüchern seit seiner Berentung Gedichte, Essays, Erzählungen und Romane. "Die Frau ohne Gesicht" ist seine erste Novelle.
Autoren/Hrsg.
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Festnahme
Jemand musste Michal K. verleumdet oder denunziert haben, denn ohne, dass er sich zunächst irgendeines Vergehens bewusst werden konnte, wurde er eines Morgens im Februar 1941 festgenommen. Die Bäuerin hatte ihn noch nicht zum Frühstück gerufen und überhaupt war es still im alten Heuerhaus. Gerade wollte er nachsehen, was Ursache dieser merkwürdigen Stille auf dem Hof sei, da hörte er am Geräusch von Stiefeln auf den knarzenden Treppenstufen, wie jemand zu seiner Knechtskammer heraufkam und schließlich an die Kammertür klopfte. Michal hatte sich rasch seine dicke Winterjacke übergeworfen und wollte die Tür öffnen, als diese plötzlich und ruckartig aufsprang und so heftig mit der Klinke an die Zimmerwand stieß, dass etwas Putz von dort auf die Bodendielen rieselte. Michal erschrak über die Heftigkeit dieser Aktion, dass er abrupt stehen blieb und zunächst auf die Krümel auf den Dielen herunterblickte und dann den Kopf hob, um zu schauen, wer da so rabiat und ohne Aufforderung seine Kammer zu betreten gedachte. Zwei schwarzdunkelgrau uniformierte Herren in dicken Wintermänteln, einer breit und klobig, dahinter der andere, dürr in einer viel zu weiten Jacke, standen auf dem obersten Absatz der nach unten zur Tenne führenden Stiege und entboten den Führergruß. „Mitkommen!“ brüllte ihn der Klobige an. Ohne zurückzugrüßen, blieb Michal K. wie versteinert stehen und sah erst dem Dürren auf seinen quadratischen Oberlippenbart und dann dem Klotz mit fragendem Blick unter die Augenbrauen. „Wird´s bald! Der Boss wartet nicht ewig. Abmarsch!“ schrie der Dürre nun mit heiserer Stimme in den Raum hinein, als sei noch jemand hinter Michal im Zimmer, was Michal bewog, sich nach hinten umzusehen. Das wiederum schien dem Klobigen Anlass genug, seine schwarzen Stiefel in die Kammer zu setzen und Michals rechten Arm zu packen und zu sich zu ziehen, derweil der Dürre sogleich hinterhereilte, um sich des linken Armes zu bemächtigen. Dabei stieß er an einen schräg verlaufenden Dachbalken, verlor zudem seine Mütze und schrie einen kurzen Schmerzenslaut aus. Die Kammer war klein, es gab nur das Bett, einen Schrank, einen Stuhl und einen kleinen Tisch mit einer Waschschale darauf. Über dem Stuhl hing ein Handtuch. Das Kämmerlein wurde durch eine kleine Luke recht spärlich mit dem Licht der aufgehenden Ost-Sonne bedacht. Noch immer lag Schnee draußen auf Hof und Feldern, der den Lichtschein der morgendlichen Sonne noch verstärkte. Der Dürre hatte kurz den Griff gelockert und sich nach seiner Mütze gebückt, während der Klobige nun mit einer Handschelle hantierte und bereits eine Fessel arretiert hatte. Michal wurde nun mit dem Oberkörper etwas nach unten gedrückt, so dass der Dürre dem Klobigen den linken Arm zuschob, um die zweite Fessel anbringen zu können. „Warum?“ fragte Michal. „Das weißt du wohl selbst am besten,“ bellte der Stämmige und stieß ihn zur Tür. Da die Stiege sehr steil war und nur schmale Trittflächen hatte, die ein Hinuntersteigen in Blickrichtung, also nach vorne gerichtet, kaum zuließ, umkurvte nun der Dürre die beiden und stieg rückwärts hinunter, während der andere Michal herumdrehte und an den Schultern hielt, damit er nicht auf den Dürren fiel, der seine rechte Hand nach oben an Michals Gesäß geführt hatte, da Michal wegen der gefesselten Hände sich nicht an den Tritten festhalten konnte. Unten angekommen und mittlerweile leichenblass, schaute Michal sich mit rätselndem Blick auf der Tenne um. Niemand war zu sehen, der Frühstückstisch war verwaist. Im offenen Kamin glimmte noch das Herdfeuer unter dem Kessel und warf abwechselnd ein flackerndes Licht und Schatten an die Wände. Als er über die Schwelle des Heuerhauses nach draußen trat, sah er im blendenden Sonnenlicht mehrere Personen, die das Geschehen neugierig verfolgten. Er konnte nicht erkennen, wie viele Personen sich da trotz der Kälte eingefunden hatten. Aber er erkannte, wie der Bauer und der Knecht schweigend dastanden, während die Bäuerin mit einer Nachbarin tuschelte. Michal schaute der Bäuerin ins Gesicht und wollte gerade etwas sagen, da drehte sie sich weg und wandte sich wieder der Nachbarin zu, die mit aufgerissenen Augen in Michals Richtung glotzte. Auch Liesel und ihr Sohn Johann standen bei den Leuten. Johann mit düsterer Mine und tief ins Gesicht gezogener Mütze wirkte steif, fast wie apathisch und verfolgte das Geschehen mit leicht offenem, staunendem Mund. Liesel machte er etwas hinter der Bäuerin, versteckt unter den Leuten, aus. Sie war aschfahl im Gesicht und schnäuzte sich mit einem Taschentuch die Nase. Ob sie weinte? Michal konnte es nicht erkennen. Liesel war die Einzige unter dem Gesinde, die ihn bisher behandelt hatte, wie einen der ihren. Zwar behandelte der Bauer ihn im Großen und Ganzen und im Vergleich zu anderen Zwangsarbeitern gut, weil er zuverlässlich war und gut arbeitete, aber vor allem die älteren Männer und die meisten Frauen zeigten ihm immer wieder ihre harte Seite durch einen meist brüllenden Befehlston oder durch demonstratives Meiden. Die meisten Dorfbewohner blieben distanziert und nahmen nur selten Kontakt zu ihm auf. Meistens erhielt er Aufträge und Befehle vom Bauern oder vom Bürgermeister. Die Knechte und Mägde blieben stets ein paar Schritte von ihm weg. Waren Kinder in der Nähe, eilten sogleich größere Geschwister herbei, um sie fortzuführen. Das alles machte ihm nicht viel aus. Er war gut beschäftigt und arbeitete gern. Er genoss es, wenn ihm Dinge besser von der Hand gingen als anderen Burschen. Zu den Mahlzeiten kam er an einen Nebentisch und musste warten, bis die Familie fertig gegessen hatte. Vom Fleisch blieb meist nicht viel übrig, er aß sich dann vor allem am Brot satt und trank viel Milch. Seine Aufgaben waren klar geregelt und meist arbeitete er für sich. Gelegentlich dachte er auch an Flucht, aber der Weg nach Polen war weit und sie hätten ihn schnell wieder eingefangen und hart bestraft oder sofort erschossen. Er betete vor dem Essen auf Polnisch. So konnten die anderen nicht verstehen, dass er ein rasches Kriegsende wünschte. Zur Erntezeit konnte er sich in den Trupp der Erntehelfer einreihen. Da erlebte er die Menschen des Ortes und die Leute vom Hof in ihrer authentischen Ehrlichkeit und gelegentlich wurde er auch in gemeinsame Handlungen wie selbstverständlich mit einbezogen. Das tat gut. Und er stellte fest, dass das Leben hier im Dorf sich eigentlich kaum von dem unterschied, was er auch von seiner Heimat Polen her kannte und dort erlebt hatte. Die anderen Zwangsarbeiter lebten wie er in den bäuerlichen Familien und pflegten meist ein enges Verhältnis, sie arbeiteten schließlich zusammen und aßen gemeinsam an einem Tisch. Aber es gab auch einzelne, die ihre Kriegsgefangenen behandelten wie Arbeitssklaven, ganz nach den allseits bekannten Vorschriften. Sie hatten sich zu verhalten, als hätten sie keinerlei Bedürfnisse und wurden ständig mit viel zu schweren Arbeiten angetrieben. Es gab bereits erste Todesfälle unter den Zwangsarbeitern, die völlig entkräftigt und hinsichtlich zu geringer Kalorienzufuhr rasch Opfer von der Auszehrung und Infekten mit Todesfolge wurden. Es tat Michal gut, wenn Liesel bei den Erntearbeiten mit dabei war und mit anpacken musste. Sie wagte es auch, Fragen an ihn zu richten, interessierte sich für seine Heimat, ob es dort auch so zuging beim Heueinfahren und Ernten, ob die Milch auch so weiß war wie von den deutschen Kühen, wo er so gut reiten gelernt hätte, und so weiter. In seinem mit deutlichem Akzent gesprochenen Deutsch gab er auch Auskunft, blieb aber meist kurz angebunden. Er mochte sie und sie mochte ihn, das war offensichtlich; offensichtlich aber wohl nicht nur für die beiden, sondern nach und nach für das gesamte Dorf. Liesel erinnerte ihn an seine Stiefmutter in Polen. So wie seine Stiefmutter Olga, bekam Liesel, ob ihrer lebensfrohen und heiteren Art, stets einen spontanen Kontakt zu allen, auf die sie traf. Dadurch kam immer schnell gute Stimmung auf. Das gefiel Michal. Er selbst war eher schüchtern und zurückhaltend, schaute aber gerne dem geselligen Treiben unter dem Landvolk zu, gab auch gelegentlich einen kurzen Kommentar oder Scherz zum Besten, blieb aber in der Regel im Hintergrund und tat sich nicht hervor. Er überzeugte lieber mit Leistung und Können. Und das gefiel wiederum Liesel. In gewisser Weise ergänzten sie sich. Da Liesel gerne scherzte und lachte, zog die so jung wirkende, hellhäutige und blonde Frau immer wieder die Aufmerksamkeit gerade der älteren Männer auf sich, die aber es gar nicht gern sahen, wenn Liesel sich auch dem jungen Polacken freundlich zuwandte. Besonders die älteren Männer, die nicht in den Krieg ziehen mussten, buhlten um Liesels Aufmerksamkeit, schoben ihr auch gern mal etwas Konfekt oder Schokolade zu, was die neununddreißigjährige Frau noch weiter darin bestätigte, mit ihren Späßen und Scherzen fortzufahren. Mit Liesel hatte Michal gern...