Thürnau | Kinder psychisch kranker Eltern in der Kita | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Thürnau Kinder psychisch kranker Eltern in der Kita

erkennen - verstehen - stärken
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82190-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

erkennen - verstehen - stärken

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-451-82190-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Anschaulich und praxisnah führt das Buch in ein unbequemes und bislang noch viel zu wenig beachtetes (Tabu-)Thema ein. Pädagogische Fachkräfte erhalten Hintergrundwissen genauso wie Handlungsempfehlungen und Handwerkszeug.
Kinder psychisch kranker Eltern gibt es in jeder Kita - häufig werden sie jedoch nicht erkannt. Dabei kommt gerade pädagogische Fachkräften die wichtige Rolle zu, Kinder zu stärken und so entscheidend zu ihrer gesunden Entwicklung beizutragen.
In jeder Kita sollte das Thema spielerisch, kind- und altersgerecht angegangen werden. Denn am Ende profitieren alle Kinder, ob betroffen oder nicht, von dieser Form der Psychoedukation.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1.
Einführung: Kleine
Drahtseilakrobaten,
vergessene Kinder oder
die unauffällige Auffälligkeit
In diesem Kapitel erfahren Sie warum das Thema „psychische Erkrankung“ weitgehend übersehen und tabuisiert wird was dieser Umstand für die betroffenen Kinder und ihre Familien bedeutet warum Kitas hier eine große Ressource und Unterstützung darstellen Als ich gemeinsam mit meiner Kooperationspartnerin Julia Krankenhagen von nifbe2 einen Fachtag zum Thema „Kinder psychisch erkrankter Eltern“ plante, haben wir uns für den Titel Kleine Drahtseilakrobaten entschieden, dem folgendes Bild zugrunde liegt: © narvikk – Getty Images Kinder psychisch kranker Eltern bewegen sich in ihrem jungen Leben bildlich gesprochen wie kleine Akrobaten auf dem Drahtseil. Sie brauchen ein Sicherheitsnetz. Doch gibt es genügend verlässliche Personen, die einen möglichen Sturz sichern können? Ist es nur der erkrankte Elternteil oder steht bereits eine Kita-Fachkraft oder eine Kindertagespflegeperson zur Seite? Sind weitere Bindungspersonen für das Kind zur Stelle, wie zum Beispiel ein gesunder Elternteil oder andere Familienangehörige? Gibt es weitere Helferinnen, die das Netz spannen, wie etwa eine Patenfamilie? Je weniger Personen um das Sicherheitsnetz stehen, desto gefährlicher ist die Situation für das betroffene Kind. Was können pädagogische Fachkräfte also tun, um die Situation für Kinder psychisch kranker Eltern zu verbessern, was kann die Kita aus sich heraus leisten? Ich möchte Sie nun in die Welt dieser kleinen Drahtseilakrobaten einladen: 1.1 Psychische Erkrankungen – das letzte große Tabu
Eine psychische Erkrankung bei den Eltern oder bei einem Elternteil stellt einen oft noch tabuisierten Hochrisikofaktor für die Entwicklung der Kinder dar, denn sie kann die Ausübung der Elternrolle grundlegend beeinträchtigen. Und Kinder psychisch kranker Eltern (KPKE) wachsen mit einem erhöhten Risiko auf, ebenfalls im Verlauf ihres Lebens eine psychische Erkrankung zu entwickeln (vgl. Plass & Wiegand-Grefe 2012). Deshalb ist ein differenzierter pädagogischer Blick der Fachkräfte in der Kita im Sinne einer frühen Förderung der Entwicklung sinnvoll und hilfreich. Kinder profitieren davon, über die Krankheit ihrer Eltern informiert zu werden und darüber mit weiteren Bezugspersonen in der Kita reden zu dürfen. Insbesondere, weil diese Kinder oft den subjektiven Eindruck haben, dass es verboten ist, über die Situation in ihrer Familie zu sprechen. Eltern geben oft an, dass sie besonders ihre jüngeren Kinder schützen möchten, indem sie ihre Erkrankung nicht thematisieren (vgl. ebd.). Kinder nehmen jedoch spätestens im Vorschulalter wahr, dass die Situation in der eigenen Familie anders ist als zum Beispiel bei ihren Freunden. Die „psychische Erkrankung darf als das letzte große Tabu in unserer ‚Spaßgesellschaft’ angesehen werden“ (Pretis & Dimova 2016, S. 27). Kinder psychisch kranker Eltern haben kaum eine Lobby in der Gesellschaft und sind häufig sozialer Stigmatisierung und Ausschluss ausgesetzt sind. Denn psychische Symptome werden noch immer stark mit Schuld in Verbindung gebracht. Vonseiten der Eltern können die Kinder mit einem Kommunikationsverbot belegt werden, da diese befürchten, dass ihnen bei Bekanntwerden des „Geheimnisses“ die Kinder weggenommen werden (ebd., S. 13ff.). Häufig besteht für die Kinder auch ein aktives oder unausgesprochenes Kommunikationsverbot in der Familie. Die Kinder befürchten dann, ihre Eltern zu verraten, wenn sie über ihre Schwierigkeiten zu Hause erzählen (Mattejat & Lisofsky 2014). 1.2 Psychische Erkrankungen – ein Feld mit hoher Dunkelziffer
Aktuelle Erhebungen gehen von 3,8 Millionen Kindern aus, die in Deutschland im Laufe eines Jahres mit einem psychisch erkrankten Elternteil leben (vgl. Pillhofer u.a. 2016; Müller & Schmergal 2017) – mit steigender Tendenz. Wenn ich in diesem Buch über Kinder psychisch kranker Eltern3 (KPKE) schreibe, beziehe ich mich einerseits auf diese statistischen Zahlen von Kindern, bei deren Eltern eine diagnostizierte psychische Erkrankung vorliegt. Ich meine damit aber auch explizit die große Dunkelziffer von Kindern, deren Eltern über keine Diagnose verfügen. Und aus meiner Praxiserfahrung heraus kann ich sagen, dass die Gruppe von Eltern ohne Diagnose größer ist, als man allgemein denkt. Gründe, weshalb Eltern eine Diagnose vermeiden, können vielfältig sein, zum Beispiel die Unkenntnis der eigenen Krankheit oder der des Partners, die Scham über die persönliche Situation oder die Angst davor, die Kinder durch das Jugendamt weggenommen zu bekommen, die Arbeitsstelle zu verlieren oder auf andere Art und Weise stigmatisiert zu werden. Diese Dynamik kann die Kommunikation innerhalb der Familien einschränken und dafür sorgen, dass die Familienmitglieder seltener mit ihrem sozialen Umfeld in Kontakt treten – die Familie wird dann zu einem geschlossenen System. Bei den Kindern wie auch bei ihren Eltern entsteht ein zunehmendes Gefühl der Isolierung bis hin zu einer realen Isolierung der Familie. So erklärt sich auch, dass für die Kinder direkt oder indirekt ein Redeverbot verhängt wird: „Darüber spricht man nicht!“ Dies führt dazu, dass für die Kinder tragende außerfamiliäre Beziehungen als Bewältigungsressource nicht zur Verfügung stehen. Bereits erwachsene Kinder psychisch kranker Eltern berichten oft in der Rückschau von den Folgen dieser sozialen Isolation: von einem überdauernden Gefühl der Einsamkeit und des Alleingelassenseins und der Überzeugung, dass es „keinen interessiert, wie’s mir geht“ (Müller 2008, S. 145). 1.3 Unauffällige Auffälligkeit der Kinder – ein großes Risiko
Ein großes Risiko von Kindern psychisch kranker Eltern liegt in ihrer unauffälligen Auffälligkeit (Pretis & Dimova 2016, S. 13ff.). Deswegen werden sie oft auch als „vergessene Kinder“ bezeichnet, denn: ihre Botschaften werden vonseiten der Erwachsenen – auch der Fachkräfte – oft nicht gesehen, missdeutet oder erst sehr spät wahr- und ernstgenommen; „Fachkräfte (auch berufserfahrene) unterschätzen noch häufig die Anzahl psychisch erkrankter Eltern, sodass die von den Kindern kaum zu artikulierende Belastung auch nicht erkannt wird (Bauer u.a. 1998). 40 Prozent der Kinder psychisch verletzlicher Eltern hatten z.B. keinerlei institutionelle Unterstützung (Gundelfinger 2002)“ (ebd., S. 31); Fachkräfte, vor allem Psychiater im Erwachsenenbereich, schenken der Entwicklung der Kinder ihrer Patienten kaum Beachtung – sei es, dass die Behandlung selbst sehr viel Energie bindet oder das professionelle Wahrnehmungssystem Angehörige erst im Zuge der Öffnung der Psychiatrie langsam zu integrieren beginnt, jedoch noch nicht die Kinder psychisch Erkrankter erreicht hat (ebd., S. 26); Mit Ausnahme des Bereichs der Alkoholerkrankungen sind bis auf einige Modellprojekte kaum institutionalisierte Strukturen für Kleinkinder vorhanden, deren Eltern psychisch erkrankt sind. Im Schulkind- und Jugendalter gibt es dagegen niedrigschwellige Angebote, auch mittels neuer Medien, wie Internetnotrufe, Telefonhotlines, Kummernummern (ebd., S. 26). 1.4 Kindertageseinrichtungen – eine riesengroße Ressource
Erfreulicherweise ist jedoch zu beobachten, dass in den letzten Jahren die Kinder psychisch erkrankter Eltern in den Fokus der psycho-sozialen Fachkräfte gerückt sind und so nicht länger nur vergessen, übersehen oder unsichtbar scheinen (vgl. Müller 2008). Es geht verstärkt darum, das Verhalten dieser Kinder zu erkennen und zu verstehen. Hier mag als Grundhaltung der aus der Traumapädagogik stammende gute Grund (Weiß in: Thürnau 2020; Weiß & Picard in: Thürnau 2020) nützlich sein. Nämlich, dass Kinder psychisch kranker Eltern durch ihr (Symptom-)Verhalten in der Kita den verzweifelten Versuch unternehmen, eine unerträgliche häusliche Situation zu kontrollieren und sich dabei durchaus entwicklungslogisch verhalten (vgl. Hipp 2018). Sie bieten uns durch ihr Verhalten eine Art Barometer, wie es ihnen geht. Man kann dies auch als ihre eigene Sprache bezeichnen, die den Fachkräften wichtige Informationen gibt. Wir helfen ihnen, indem wir ihre Sprache entschlüsseln und mit ihnen kommunizieren, selbst wenn die Kinder in ihrer unauffälligen Auffälligkeit schwierig zu verstehen sind. Berücksichtigt man dazu noch den aktuellen Hintergrund der Corona-Pandemie, unter der die Kinder aus belasteten Familien besonders leiden, hat das Thema eine neue Brisanz: „Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass wir die Interessen der Kinder stets besonders im Blick behalten müssen, dies aber leider noch nicht überall selbstverständlich ist. Umso wichtiger ist es deshalb, gerade jetzt die Kinderrechte großzuschreiben – in unser Grundgesetz“ (Giffey 2021). Demzufolge stellen aus meiner Sicht die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung eine riesengroße Ressource dar, im Besonderen die Kitas. Denn Sie als pädagogische Fachkräfte können die psychische Gesundheit und Resilienz dieser Kinder nachhaltig fördern und im Sinne der Prävention die Kita zu einem gesundheitsförderlichen Ort für Kinder (vgl. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2020) gestalten. Der Untertitel dieses Buches verrät bereits, welche Kernkompetenzen für die pädagogischen Fachkräfte dazu notwendig sind: eine gute Beobachtung, Selbstreflexion und Selbstfürsorge (erkennen), die Fähigkeit, die kindlichen Verhaltensweisen und Signale zu deuten (verstehen), die bindungsfokussierte...


Anja Thürnau ist Dipl. Sozialpädagogin und staatlich anerkannte Erzieherin, Kita-Fachberatung und Koordinatorin des Netzwerks HiKip – Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern im Landkreis Hildesheim, systemische Therapeutin (SG) sowie systemische Supervisorin (SG) in freier Praxis. Sie hat langjährige Erfahrung in Arbeitskontexten der Kinder- und Jugendhilfe und im Kontext Jugendamt.



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