Tolstoi | Anna Karenina | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 14, 1248 Seiten

Reihe: Weltliteratur Dünndruckausgabe

Tolstoi Anna Karenina


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-27906-6
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 14, 1248 Seiten

Reihe: Weltliteratur Dünndruckausgabe

ISBN: 978-3-641-27906-6
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Anna Karenina ist neben Effi Briest und Madame Bovary die wohl berühmteste Ehebrecherin der Weltliteratur. Glücklos mit einem hohen Beamten verheiratet, verfällt die bezaubernde, kluge und sanftmütige Anna dem jungen Offizier Graf Wronski in unwiderstehlicher Liebe. Eine leidenschaftliche Affäre, die sie weder vor ihrem Mann noch vor der Gesellschaft verheimlicht, nimmt ihren Lauf. Anna Karenina ist bereit, dieser Liebe alles zu opfern ...

Leo Tolstoi (1828-1910) entstammte einem alten russischen Adelsgeschlecht. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa zog er sich auf sein Familiengut Jasnaja Poljana zurück und verfasste dort seine berühmten Romane und Erzählungen.

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Um sein Verhalten zu rechtfertigen, begann Ljewin zu erzählen, wie es bei diesen Versammlungen in seinem Kreis zugehe. »Ja, so ist das doch immer!«, unterbrach ihn Sergei Iwanowitsch. »Wir Russen sind immer so! Vielleicht ist das ja auch ein ganz guter Zug in unserem Charakter, dass wir einen Blick für das haben, was bei uns mangelhaft ist. Aber wir fassen diese Mängel zu schlimm auf und finden unser Vergnügen an einer ironischen Kritik, die uns immer auf der Zunge bereitliegt. Ich will dir nur sagen: Wenn man die Rechte, mit denen unsere ländliche Selbstverwaltung ausgestattet ist, einem anderen europäischen Volk verliehe –, die Deutschen und die Engländer würden auf dem Grundpfeiler dieser Rechte das Gebäude ihrer Freiheit errichten, aber wir lachen und spotten nur.« »Aber was ist zu machen?«, erwiderte Ljewin etwas schuldbewusst. »Das war mein letzter Versuch. Und ich hatte ihn aus ganzem Herzen unternommen. Ich kann nicht mehr. Ich bin dazu unfähig.« »Unfähig bist du dazu nicht«, sagte Sergei Iwanowitsch, »du betrachtest die Sache nur von einem falschen Standpunkt aus.« »Mag sein«, antwortete Ljewin bedrückt. »Weißt du auch schon: Unser Bruder Nikolai ist wieder hier.« Dieser Nikolai war Konstantin Ljewins älterer rechter Bruder, Sergei Iwanowitschs Stiefbruder, ein verkommener Mensch, der den größten Teil seines Vermögens durchgebracht hatte, in ganz sonderbarer, schlechter Gesellschaft verkehrte und mit seinen Brüdern zerfallen war. »Was sagst du da?«, rief Ljewin erschrocken. »Woher weißt du das?« »Prokofi hat ihn auf der Straße gesehen.« »Hier in Moskau? Wo ist er? Weißt du es?« Ljewin sprang vom Stuhl auf, als ob er sogleich zu Nikolai hineilen wolle. »Es tut mir schon leid, dass ich dir etwas davon gesagt habe«, erwiderte Sergei Iwanowitsch und schüttelte den Kopf über das aufgeregte Benehmen seines jüngeren Bruders. »Ich habe Erkundigungen einziehen lassen, wo er wohnt, und ihm den Wechsel, den er diesem Menschen, dem Trubin, ausgestellt hatte und den ich eingelöst habe, zugesandt. Hier ist die Antwort, die er mir geschickt hat.« Sergei Iwanowitsch nahm unter dem Briefbeschwerer einen Zettel hervor und reichte ihn seinem Bruder hin. Dieser las Folgendes, was in einer sonderbaren, ihm so wohlvertrauten Handschrift geschrieben war: »Ich bitte ergebenst, mich in Ruhe zu lassen. Das ist das Einzige, was ich von meinen lieben Brüdern verlange. Nikolai Ljewin.« Als Ljewin dies durchgelesen hatte, blieb er, ohne den Kopf aufzurichten, mit dem Zettel in der Hand vor Sergei Iwanowitsch stehen. In seiner Seele kämpften miteinander der Wunsch, den unglücklichen Bruder jetzt zu vergessen, und das Bewusstsein, dass dies eine Schlechtigkeit wäre. »Er will mich offenbar beleidigen«, fuhr Sergei Iwanowitsch fort, »aber mich zu beleidigen ist er nicht imstande. Ich wünschte von ganzem Herzen, ihm zu helfen, aber ich weiß, dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist.« »Jawohl, jawohl«, versetzte Ljewin. »Ich verstehe und achte dein Benehmen ihm gegenüber, aber ich meinerseits will doch zu ihm gehen.« »Wenn du dazu Lust hast, so gehe hin, aber raten kann ich dir nicht dazu«, erwiderte Sergei Iwanowitsch. »Das heißt, für mich selbst habe ich dabei keine Besorgnis. Er wird dich nicht mit mir entzweien, aber in deinem Interesse möchte ich dir raten, lieber nicht hinzugehen. Zu helfen ist ihm nicht. Handle jedoch, wie du willst.« »Vielleicht ist ihm wirklich nicht zu helfen, aber ich fühle, und ganz besonders in diesem Augenblick – aber das ist eine andere Sache –, ich fühle, dass ich sonst nicht ruhig sein kann.« »Nun, dafür habe ich kein rechtes Verständnis«, sagte Sergei Iwanowitsch. »Eines aber weiß ich«, fügte er hinzu, »es ist dies für uns eine Lehre in der Demut. Ich habe über das, was man Gemeinheit nennt, anders und nachsichtiger zu urteilen angefangen, seitdem unser Bruder Nikolai das geworden ist, was er jetzt ist. Du weißt, was er getan hat.« »Ach, es ist schrecklich, ganz schrecklich!«, seufzte Ljewin. Nachdem Ljewin sich von Sergei Iwanowitschs Diener die Wohnung des Bruders hatte angeben lassen, stand er schon im Begriff, sofort zu ihm zu fahren, aber nach kurzer Überlegung entschied er sich dafür, diesen Besuch bis zum Abend zu verschieben. Vor allen Dingen musste er, um sein seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen, die Angelegenheit zur Entscheidung bringen, um derentwillen er nach Moskau gekommen war. Daher fuhr er von seinem Bruder Sergei zu Oblonski nach dessen Dienstgebäude, und nachdem er von diesem Auskunft über Schtscherbazkis erhalten hatte, fuhr er dorthin, wo er nach Oblonskis Angabe Kitty zu treffen hoffte. 9
Um vier Uhr stieg Ljewin, der sein Herz heftig klopfen fühlte, am Zoologischen Garten aus der Droschke und ging auf einem Fußweg zur Rodelbahn und zur Eisbahn. Er wusste zuverlässig, dass er Kitty dort finden werde, da er den Schtscherbazkischen Wagen beim Eingangstor gesehen hatte. Es war ein heller Frosttag. Am Eingangstor standen in langen Reihen Wagen, vornehme Schlitten und einfache Schlittendroschken. Polizisten führten die Aufsicht. Von gut gekleideten Menschen, deren Hüte im hellen Sonnenschein glänzten, wimmelte es am Eingang und auf den gesäuberten Fußwegen zwischen den russischen Häuschen mit den geschnitzten Firstbalken. Die alten, krausen Birken des Gartens ließen, vom Schnee beschwert, alle Zweige herabhängen und sahen aus, als ob sie in neue Festgewänder gekleidet seien. Während er auf dem Fußweg zur Eisbahn ging, sagte er zu sich selbst: ›Ich darf mich nicht aufregen. Ich muss ruhig sein. Warum klopfst du so?‹, redete er sein Herz an. ›Was hast du? Sei still, du dummes Ding!‹ Aber je mehr er sich bemühte, ruhig zu werden, umso schwerer wurde ihm das Atmen. Ein Bekannter begegnete ihm und rief ihn an, aber Ljewin erkannte nicht einmal, wer es war. Er näherte sich der Rodelbahn, wo die Ketten der auf- und abfahrenden Schlitten klirrten, die hinabsausenden Schlitten laut auf dem Eis knirschten und fröhliche Stimmen erklangen. Nun ging er noch einige Schritte weiter, und vor ihm breitete sich die Eisbahn aus, und sofort erkannte er unter all den Schlittschuhläufern Kitty. Er erkannte, dass sie da war, an dem Gefühl der Freude und zugleich der Angst, von dem sein Herz ergriffen wurde. Sie stand, im Gespräch mit einer Dame begriffen, am entgegengesetzten Ende der Eisbahn. Anscheinend war weder an ihrer Kleidung noch an ihrer Haltung etwas Auffallendes, aber für Ljewin war es ebenso leicht, sie aus diesem Menschenschwarm herauszufinden wie einen Rosenstrauch aus Nesseln. Alles wurde von ihr erleuchtet. Sie war das Lächeln, das alles umher in heiterem Glanz erstrahlen ließ. ›Kann ich mich wirklich aufs Eis hinunterbegeben und zu ihr hingehen?‹, überlegte er. Die Stelle, wo sie stand, erschien ihm als ein unnahbares Heiligtum, und einen Augenblick war er nahe daran, wieder wegzugehen, so bange war ihm zumute. Er musste sich erst gewaltsam zusammennehmen und sich sagen, dass sich ja dort in ihrer Nähe allerlei Leute bewegten und auch er selbst ja hergekommen sein konnte, um Schlittschuh zu laufen. So stieg er auf das Eis hinunter, vermied es aber, wie man das bei der Sonne tut, Kitty lange anzusehen, aber er sah sie, wie die Sonne, auch ohne hinzublicken. Auf dem Eis pflegten an diesem Wochentag und zu dieser Tageszeit Angehörige eines bestimmten Gesellschaftskreises zusammenzukommen, die alle untereinander bekannt waren. Da waren Meister im Schlittschuhlaufen, die mit ihrer Kunst glänzten, Anfänger hinter Stuhlschlitten, mit ängstlichen, ungeschickten Bewegungen, neben ganz jungem Volk auch alte Leute, die ihrer Gesundheit wegen liefen. Sie alle betrachtete Ljewin als auserwählte Günstlinge des Glückes, weil ihnen vergönnt war, hier in Kittys Nähe zu sein. Aber alle diese Schlittschuhläufer, schien es, waren dabei von der größten Seelenruhe, holten sie ein, überholten sie, redeten sogar mit ihr und vergnügten sich ganz ohne Rücksicht auf sie, indem sie sich das vorzügliche Eis und das schöne Wetter mit Lust zunutze machten. Nikolai Schtscherbazki, ein Vetter Kittys, saß in kurzer Jacke und engen Hosen, die Schlittschuhe an den Füßen, auf einer Bank und rief, sobald er Ljewin erblickte, ihm zu: »Sieh da, der erste Schlittschuhläufer Russlands! Sind Sie schon lange hier? Prächtiges Eis! Schnallen Sie doch die Schlittschuhe an!« »Ich habe gar keine mit«, antwortete Ljewin und wunderte sich selbst, dass er sich in ihrer Gegenwart so dreist und ungezwungen zu benehmen vermochte. Er verlor sie keine Sekunde aus den Augen, obwohl er nicht zu ihr hinblickte. Er fühlte, dass seine Sonne sich ihm näherte. Kitty hatte in einer Ecke gestanden und kam nun, die schmalen Füßchen in den hohen Stiefelchen in stumpfem Winkel aufsetzend, mit augenscheinlicher Zaghaftigkeit auf ihn zugelaufen. Ein Knabe in russischer Tracht, der wie ein Verzweifelter die Arme umherwarf und sich tief vornüber bückte, überholte sie. Sie lief nicht sehr sicher, daher hatte sie die Hände aus dem kleinen, an einer Schnur hängenden Muff herausgezogen und hielt sie in Bereitschaft. Sie blickte Ljewin, den sie erkannt hatte, an und lächelte ihm freundlich zu, wobei sie zugleich ihre eigene Ängstlichkeit belächelte. Als sie die erforderliche Schwenkung glücklich ausgeführt hatte, gab sie sich mit dem federnden Füßchen einen kleinen Stoß und glitt gerade auf Schtscherbazki zu. Sie ergriff ihn am Arm und nickte Ljewin lächelnd zu. Sie war noch schöner als das Bild, das ihm vorgeschwebt hatte. Wenn er an sie gedacht hatte, hatte er sich ihr ganzes Persönchen lebhaft vorstellen...


Tolstoi, Leo
Leo Tolstoi (1828–1910) entstammte einem alten russischen Adelsgeschlecht. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa zog er sich auf sein Familiengut Jasnaja Poljana zurück und verfasste dort seine berühmten Romane und Erzählungen.



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