E-Book, Deutsch, 424 Seiten, Format (B × H): 240 mm x 170 mm
Tschinke / Finklenburg / Gähler Lehrbuch ambulante psychiatrische Pflege
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-456-75691-2
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Psychisch kranke Menschen ambulant begleiten
E-Book, Deutsch, 424 Seiten, Format (B × H): 240 mm x 170 mm
ISBN: 978-3-456-75691-2
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ambulante Pflege psychisch kranker Menschen
Die Autor*innen des ersten umfassenden Lehrbuchs zur ambulanten psychiatrischen Pflege
• beschreiben die Entwicklung der ambulanten psychiatrischen Pflege (APP) in DE und CH
• erläutern professionelle Grundlagen und pflegerische Grundhaltungen
• führen Organisationselemente der APP an, von der Tourenplanung über Dokumentation, Marketing bis hin zu Qualitäts-, Aufnahme-, Change- und Selbstmanagement
• beschreiben prozessorientierte Instrumente ambulanter psychiatrischer Pflege, wie das REACH-Modell und den Pflegeprozess
• klären rechtliche Grundlagen zu Zulassungsbedingungen, Gewaltvermeidung, Zwangsbehandlung, Haftungsrecht und Datenschutz in DE und CH
• skizzieren therapeutische Angebote der Psychotherapie, Angehörigen- und Peer-Group-Arbeit, Teilhabeförderung und Strukturierungsangebote bei komplexen Erkrankungen
• stellen spezifische Behandlungssettings für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen vor, ergänzt um forensische und transkulturelle Angebote
• skizzieren 36 Konzepte und 'Handlungsräume', die von Aggressivität, über Adherence, Angst, Chronizität, Essen, Humor, Hoffnung, Identität, Integration, Kommunikation, Langeweile, Machtlosigkeit, Manipulation, Migration, Privatheit, Recovery, Scham, Schlaf, Selbstkonzept, -vernachlässigung, -verletzung, Sexualität, Trauma, Trauer, Vertrauen, Verwirrtheit, Wellbeing bis hin zu Zwang reichen
• betonen die Bedeutung von persönlichen Netzwerken, Fort- und Weiterbildung sowie berufspolitischem Engagement für die Weiterentwicklung der ambulanten psychiatrischen Pflege.
Zielgruppe
Pflegefachpersonen, psychiatrisch Pflegende
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|17|1 Warum ein Lehrbuch für die ambulante psychiatrische Pflege?
Ingo Tschinke In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die psychiatrische Pflege weiter professionalisiert (Sauter et al., 2011; Schädle-Deininger & Wegmüller, 2017). Es sind zum Teil umfangreiche Lehrbücher und Zeitschriften auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich, die sich mit der praktischen Arbeit in der Psychiatrie, mit der Kunst der Beziehungsarbeit und der Wissenschaftlichkeit der psychiatrischen Pflege befassen. Deswegen mag man sich fragen, warum es jetzt noch ein Lehrbuch für die ambulante psychiatrische Pflege braucht – wiederholt es nicht nur das, was wir schon aus der stationären Pflege wissen? Diese Frage lässt sich sowohl mit einem Ja als auch Nein beantworten. Auf der einen Seite kann in der ambulanten psychiatrischen Pflege vieles mit dem, was sich im stationären Bereich entwickelt hat, gleichgesetzt werden, auf der anderen Seite gibt es aber auch große Unterschiede zur stationären Versorgung (Hemkendreis & Haßlinger, 2014). Die psychiatrische Pflege hat im stationären Bereich eine wichtige Position bei der professionellen Behandlung von psychiatrischen Patienten übernommen (Schädle-Deininger & Wegmüller, 2017). Viele Betroffene in der psychiatrischen Versorgung berichten, dass sie von der Beziehungsgestaltung und dem stationären Bereich einer psychiatrischen Fachklinik profitiert haben (Tschinke, 2006). Aber was passiert nach der stationären Versorgung? Haben wir die Drehtürpsychiatrie überwunden oder ist es nicht doch in vielen Regionen noch so, dass das ambulante System nicht entsprechend ausgebaut ist, um erneute und vielleicht unnötige Aufenthalte in einer Klinik zu verhindern? Vor allem in den ländlichen Regionen Deutschlands, aber auch in Österreich und in der Schweiz ist die fachärztliche Versorgung kaum als flächendeckend zu bezeichnen, und fast überall besteht eine lange Warteliste für eine psychotherapeutische Nachsorge (Walle et al., 2010). Angesichts dieser Situation plädieren Walle et al. (2010) schon länger für eine Neuorganisation der psychiatrischen Versorgung nach dem Vorbild eines ambulant gesteuerten Netzwerks, bei dem die Kooperation zwischen Haus-, Facharzt und ambulant-aufsuchender Fachpflege den Kernbereich des Hilfesystems bildet. Gerade für Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung, mit einer komplexen Problemlage und einem länger andauernden Unterstützungsbedarf ist eine vernetzte und gemeindenahe psychiatrische Versorgung von elementarer Bedeutung, in welcher die ambulante psychiatrische Pflege eine wichtige Rolle für eine recovery- und personenorientierte Begleitung einnimmt, wie dies auch in der S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ hervorgehoben wird (DGPPN, 2019). Obwohl im deutschsprachigen Raum bereits viele Fachpublikationen zur psychiatrischen Pflege existieren, befassen sich nur wenige davon speziell mit dem ambulanten Setting. Die bislang erschienenen Veröffentlichungen beziehen sich zumeist auf die stationäre Arbeit und |18|die Rahmenbedingungen, wie sie auf psychiatrischen Stationen gängig sind. Im stationären Bereich befinden sich die Betroffenen in einer für sie fremden Lebenswelt, die als Arbeitswelt der psychiatrischen Fachkraft sehr viel vertrauter ist als den Betroffenen (Simpson, 2009). Daher geht es im stationären Bereich vielfach darum, wie die Betroffenen von dem Aufenthalt profitieren können. Dies umfasst schützende und pflegetherapeutische Aspekte, die den Patienten dazu befähigen sollen, sein Leben im häuslichen Umfeld besser gestalten zu können. Das bedeutet, dass wir als psychiatrisch Pflegende im übertragenen Sinne mit den Betroffenen erarbeiten, wie das Überleben draußen funktionieren könnte, worauf sie zu achten haben und was hilfreiche Instrumente zur Bewältigung des Lebens im Alltag des sozialen Umfeldes sein können. Die Entlassung aus der Klinik mag vielen Betroffenen dann als Stoß ins kalte Wasser erscheinen: Jetzt müssen sie allein umsetzen, was in der Klinik gemeinsam mit Therapeuten und der psychiatrischen Pflege erarbeitet worden ist. Die eigene Lebensumwelt hat sich allerdings nur wenig oder gar nicht verändert, sodass Betroffene oft kaum Unterstützung erhalten und auf sich gestellt durchaus überfordert sein können (Finkelman, 1997; Ryan, 2009). In der ambulanten psychiatrischen Pflege sehen dagegen die Rahmenbedingungen anders aus. Die professionellen psychiatrisch Pflegenden setzen sich nicht prospektiv mit den Betroffenen auseinander, sondern orientieren sich im ambulanten Feld gemeinsam mit den Betroffenen (und wichtigen Bezugspersonen) an deren Zielen (Slade, 2009). Dabei befindet sich die psychiatrische Fachkraft in der Lebenswelt der Betroffenen, was sehr viel Anpassung, Flexibilität und eine fundierte recoveryorientierte Haltung erfordert (Slade et al., 2017). Des Weiteren muss sich die Pflegeperson gut im sozialpsychiatrischen Netzwerk mit niedergelassenen Fachärzten, Hausärzten, den sozialpsychiatrischen Verbünden und verschiedenen Trägern der psychiatrischen (Kliniken etc.) und sozialpsychiatrischen Einrichtungen (Eingliederungshilfe, Jugendhilfe etc.) bewegen können und mit diesen interagieren (Walle et al., 2010). Dabei arbeiten ambulant-psychiatrisch Pflegende in einem erhöhten Maße mit den Betroffenen zusammen und weitaus weniger in einem multiprofessionellen Team, wie dies im stationären Bereich der Fall ist. Zum Verständnis von ambulanter psychiatrischer Pflege in diesem Buch Die ambulante psychiatrische Pflege (APP) versteht sich als extramurale Pflegedienstleistung, welche unabhängig von Institutionen, wie Kliniken, psychiatrische Institutsambulanzen oder psychiatrische Ambulatorien, im Auftrag des Klienten auf Verordnung eines Arztes hin erbracht wird und die sich mit anderen Leistungserbringern (Hausärzte, Psychiater, weitere Pflegedienste, geschützte Werkstätten etc.) vernetzt. Das Arbeitsfeld der ambulanten psychiatrischen Pflege ist das persönliche Umfeld des Klienten mit den entsprechenden Bedingungen (Wohn-, Arbeits- und finanzielle Situation, Vernetzung mit Familie, Freunden, Nachbarschaft) und den damit bezeichneten Problemstellungen unter Einbezug der Diagnose, der Symptome und der aktuellen Therapie. Daraus erhebt die Pflegefachperson den individuellen Pflegebedarf in Absprache mit dem verordnenden Arzt und dem Krankenversicherer. Entsprechend resultieren die Begriffe „aufsuchend“ (zum Klienten gehend) und „häuslich“ (im Umfeld des Klienten). In diesem Rahmen ist es die Aufgabe der Pflegefachperson, mit ihrer Fachkompetenz den Klienten bei der Bewältigung seiner Lebens- und Alltagsprobleme zu unterstützen, zu einem besseren Verständnis der eigenen Problematik und Symptomatik beizutragen und seine Selbstbefähigung zu fördern. Die Pflegefachperson versteht sich nicht als die „führende“, sondern als begleitend-reflektierende Person, welche den Klienten im Sinne des Recoveryansatzes darin unterstützt, seinen Genesungsweg zu finden. |19|Mit dem vorliegenden Werk möchte das Herausgeberteam insbesondere die Unterschiede zur stationären Pflege herausarbeiten, aber auch Gemeinsamkeiten aufzeigen. Aus diesem Grund orientieren wir uns an dem im Hogrefe Verlag erschienenen „Lehrbuch Psychiatrische Pflege“ von Sauter et al. (2011). Wir werden bei Gemeinsamkeiten in der psychiatrischen Arbeit auf dieses Lehrbuch verweisen und die Unterschiede insbesondere in Bezug auf die ambulante psychiatrisch-pflegerische Arbeit herausstellen. Der Herausgeberin und den Herausgebern geht es mit diesem Buch auch darum, psychiatrisches Handwerkszeug aufzuzeigen, welches ambulant für die tägliche Arbeit eingesetzt werden kann. So wie für einen guten Handwerker ein zweckmäßig ausgestatteter Werkzeugkasten unverzichtbar ist, so soll dieses Lehrbuch praxisbezogenes Grundlagen- und Handlungswissen bereitstellen, das für die Arbeit in der ambulanten psychiatrischen Pflege unentbehrlich ist. Natürlich brauchen Handwerker unterschiedliches Handwerkszeug, wie einen Hammer, mit dem etwas festgemacht werden kann, eine Zange, mit der sich etwas lösen lässt, oder eine Drahtschere, die Unnötiges...