Wahl / Kruse | Lebensläufe im Wandel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 408 Seiten

Wahl / Kruse Lebensläufe im Wandel

Entwicklung über die Lebensspanne aus Sicht verschiedener Disziplinen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-17-023909-8
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Entwicklung über die Lebensspanne aus Sicht verschiedener Disziplinen

E-Book, Deutsch, 408 Seiten

ISBN: 978-3-17-023909-8
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Lebensläufe sind in Veränderung begriffen, und diese Veränderungen besitzen erhebliche Auswirkungen auf Planung, Verlauf und Interpretation von lebenslangem Entwicklungsgeschehen. So wird beispielsweise die heute sehr lange Altersphase als "späte" Entwicklungsgelegenheit begriffen. Aber auch neue Gestaltungspotenziale in der frühen Kindheit verändern die lebenslange Entwicklung insgesamt. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Fragen lebenslanger Entwicklung ist jedoch weiterhin zersplittert. In diesem Studienbuch nehmen prominente Vertreter eines breiten Spektrums an Disziplinen, z. B. der Psychologie, Bildungswissenschaft, Gerontologie, Pflegewissenschaft, Philosophie, Soziologie, Ethnologie sowie Theologie, Stellung zu den heutigen Herausforderungen einer lebensumspannenden Entwicklungsperspektive.
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2          Grundlagen der soziologischen Lebenslaufforschung
Gertrud M. Backes
Zusammenfassung Die soziologische Lebenslaufforschung geht von der Grundannahme aus, dass sich Gesellschaft und Gesellschaftsentwicklung über die Rekonstruktion individueller und/oder kollektiver Lebens(ver)läufe angemessen empirisch erfassen und analysieren lasse. Ein kurzer historischer Abriss macht den sozialen Wandel anhand der Veränderungen von Lebensläufen deutlich und verweist auf gesellschaftlich-institutionelle Entwicklungen und Strukturveränderungen. Im Zuge der soziologischen Analyse von Lebens(ver)läufen wurden – entlang unterschiedlicher methodischer Paradigmen – in den letzten Jahrzehnten zwei Verfahrensformen entwickelt: ein qualitativ-interpretativer Zugang mittels biografischer Interviews und ein quantitativer Zugang mittels Ereignis- bzw. Sequenzdatenanalyse. Im Beitrag wird dargestellt, wodurch und wie der gesellschaftliche Wandel Lebensläufe sukzessiver Kohorten verändert hat und welche soziologischen Konzepte erklärungsrelevant werden, beispielhaft expliziert am Ansatz von Martin Kohli zur »Institutionalisierung des Lebenslaufs« und am Ansatz von Karl Ulrich Mayer zur »Sozialstruktur des Lebensverlaufs«. Die korrespondierenden methodischen Verfahren werden kurz vorgestellt. 2.1       Einführung
Die Gesellschaft befindet sich in einem stetigen sozialen Wandel. Existenz und Lebensrealität der einzelnen Gesellschaftsmitglieder können ebenfalls in ihrer Dynamik, also in Verlaufsperspektive als Lebens(ver)läufe betrachtet und analysiert werden. Der Verlauf ihres Lebens war von jeher an die jeweilige Epoche, den gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen Entwicklungsstand gebunden, von politischen Ereignissen wie Kriegen und von Naturereignissen geprägt. Erst in der modernen Gesellschaft haben sich – durch die Entwicklung von Staaten, Institutionen und freiheitlichen Bürgerrechten – Lebensläufe entwickelt, die für einzelne Gruppen bzw. Kohorten der Gesellschaft auf vergleichbaren Voraussetzungen basieren. Lebensläufe sind gesellschaftlich geformt und prägen sich individuell biografisch aus. Durch einen Perspektivwechsel von einer statischen zu einer dynamischen Betrachtung ergeben sich weitere Chancen einer soziologischen Analyse wie auch der Gestaltung von Gesellschaft. »Ziel einer Soziologie des Lebenslaufs ist es, das Zusammenspiel von Arbeit, Familie und Wohlfahrtsstaat in seinen zeitlichen und auf das Individuum bezogenen Dimensionen zu untersuchen« (Sackmann, 2007, S. 12). Dieser Beitrag stellt zunächst die Veränderung von Lebensläufen im gesellschaftlichen Wandel vor, um im Weiteren die Entwicklung und heutige Ausformung einer soziologischen Lebenslaufforschung darzustellen. 2.2       Gesellschaft und Lebensläufe im Wandel – ein historischer Überblick
Das Leben in der vorindustriellen Zeit wurde geprägt durch Krankheiten, Tod, Missernten und ökonomische Abhängigkeit. Somit war der Lebenslauf nicht kalkulierbares Schicksal und weniger ein planbarer Lebensweg (Mayer, 2001, S. 440). Lebensverläufe waren in dieser Epoche für den größten Teil der Bevölkerung eng an die Lebenswelt der Familie gebunden. Kinder wurden sehr früh zur familiären Mitarbeit herangezogen; deren Schulbesuch fand nur wenige Jahre und überwiegend in den Jahreszeiten statt, in denen auf ihre (Mit-)Hilfe verzichtet werden konnte. Berufliche Erfahrungen wurden in der eigenen Familie oder in außerfamiliären Dienstverhältnissen gesammelt. Eheschließungen waren erst dann möglich, wenn eine ausreichende eigene materielle Lebensgrundlage vorhanden war. Einzelne Lebensphasen, Lebensereignisse und biografische Übergänge fanden entsprechend in sehr unterschiedlichen Lebensaltern statt, ein Teil der Bevölkerung blieb ohne Besitz und Familie. Mit der Phase einer aufkommenden industriellen Gesellschaft – etwa Mitte des 19. Jahrhunderts bis Ende der 1920er Jahre – entwickelte sich der Typus des Lebensverlaufs als »Cycle of poverty« (Mayer, 2001, S. 441), der durch die Abhängigkeit der Handwerker und Industriearbeiter von ihrer Körperkraft und der Gesundheitsentwicklung gekennzeichnet wurde. Nur in Phasen funktionierender Körperlichkeit konnte Armut vermieden werden. Schulpflicht und Lehrberufe wurden ausgebaut. Die Lebensarbeitszeit begann für viele im Alter von 14 Jahren. Sie erstreckte sich – nach Einführung der Rentenversicherung – bis Ende des 70. (bis 1916) bzw. 65. Lebensjahres oder auch nur bis zur vorzeitigen Invalidität. Ein erlernter Beruf wurde lebenslang – in der Regel in einem Betrieb – ausgeübt. Phasen der Arbeitslosigkeit waren sehr verbreitet. Die Eheschließung war weiterhin abhängig von ökonomischen Voraussetzungen. Frauen gaben mit der Heirat – aber spätestens bei Geburt des ersten Kindes – ihre Erwerbstätigkeit auf. Seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich gewandelte Lebensverlaufsmuster beobachten: bis Ende der 1960er Jahre eine Phase der Institutionalisierung mit weitgehend ähnlichen Verläufen hinsichtlich Berufs- und Familienbiografie, seither eine Phase der partiellen Auflösung (De-Institutionalisierung) und anschließenden Restabilisierung biografischer Muster des Lebensverlaufs auf verändertem Niveau (Clemens, 1997). Ein Merkmal dieser Entwicklung war die Verlängerung der Bildungs- und Ausbildungsphase durch den Ausbau des Bildungssystems und ein damit verspäteter Eintritt ins Erwerbsleben. Gleichzeitig trat seit den 1970er Jahren eine weitere »Institution«, der Übergang in Rente und Ruhestand, durch den Ausbau vorzeitiger Rentenregelungen immer häufiger vor der offiziellen Rentengrenze ein (Clemens, 1997). Erst durch die Rentenreform 1992 wurde eine Trendwende zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit angestoßen. Versuche einer Verkürzung der Studienzeiten mittels Bachelor- und Masterstudiengängen und der ab 2012 einsetzende Prozess zur »Rente mit 67 Jahren« setzen diesen Trend zur längeren Lebensarbeitszeit fort – im Kontext einer steigenden Lebenserwartung. Im familiären Bereich zeigt sich seit den 1950er Jahren eine Entwicklung zur späteren Familiengründung und späteren Mutter- bzw. Vaterschaft. Seit den 1950er Jahren entwickelte sich – durch institutionelle Reformen und eine Expansion des Bildungswesens – ein differenziertes Muster von Bildungsverläufen für beide Geschlechter. Frauen arbeiten zunächst nach der Heirat weiter und geben ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt des ersten Kindes auf. Später kehren sie nach einer Familienphase immer öfter auf den Arbeitsmarkt zurück und verkürzen – in Abhängigkeit von der Qualifikation – zudem die Phase der Unterbrechung. Mit dem Wandel bzw. der Erosion des »Normalarbeitsverhältnisses« haben sich Lebensverläufe seit den 1970er Jahren deutlich verändert; so hat der Anteil »atypischer Beschäftigung« wie Teilzeit, geringfügige bzw. befristete Beschäftigung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Phasen der Erwerbslosigkeit wirken in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auf die Prägung zahlreicher Lebensverläufe – besonders bei Personen mit geringer oder mittlerer Qualifikation. Des Weiteren bewirkte die sozialpolitische Rahmung die Formung des Lebensverlaufs: beispielhaft nachzuvollziehen an der Statuspassage des Übergangs in den Ruhestand beim Paradigmenwechsel vom System beruflicher Frühausgliederung hin zur Rente mit 67 Jahren. 2.3       Entwicklung der soziologischen Lebenslaufforschung
Die Soziologie als Gesellschaftswissenschaft hat den Lebenslauf bzw. Lebensverlauf erst relativ spät zum Fokus wissenschaftlicher Betrachtung gemacht. Obwohl gesellschaftliche Strukturen bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts vereinzelt mittels eines biografischen Zugangs untersucht wurden, hat in Deutschland erst in den 1970er Jahren eine Perspektive des Lebenslaufs die Betrachtung einzelner Lebensabschnitte ergänzt bzw. abgelöst. Erst seit dieser Zeit hat die Rekonstruktion individueller Biografien und vor allem kollektiver Lebensverläufe auch in Form sozialstruktureller Gesellschaftsanalyse zunehmend Konjunktur. Bei diesen Analysen wurden die sozialstaatlichen und sozialpolitischen Einflüsse auf die Prägung des Lebensverlaufs bisher zu wenig berücksichtigt. Im Gegensatz zur Verlaufs- und prozessualen Betrachtung der Lebensspanne wurde die Bedeutung des (individuellen) Lebensalters in der Soziologie schon sehr viel früher hervorgehoben: Die Differenzierung der Gesellschaftsmitglieder nach dem Lebensalter diente stets dazu, im Prozess der Vergesellschaftung Abschnitte zu schaffen, altersspezifische...


Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ist Professor für Psychologische Alternsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Prof. Dr. Dr. Andreas Kruse ist Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg.

Mit Beiträgen von:
Gertrud M. Backes, Michael Bolk, Catherine E. Bowen, Micha Brumlik, Michael Doh, Jan Eckhard, Insa Fooken, Johanna Gebrande, Francois Höpflinger, MIchael Hüther, Eva-Marie Kessler, Thomas Klein, Franz Kolland, Anna E. Kornadt, Sabina Misoch, Sabina Pauen, Pasqualina Perrig-Chiello, Anita von Poser, Alexis Themo von Poser, Hartmut Remmers, Simone Scherger, Oliver Schilling, Eric Schmitt, Uwe Sperling, Birgit Spinath, Rudolf Tippelt und Anna Wanka.



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