E-Book, Deutsch, 304 Seiten, E-Book
Waldherr Die Sinupret-Story
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-648-13572-3
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Popp: Von einem, der auszog, die Heilpflanzenmedizin zu revolutionieren
E-Book, Deutsch, 304 Seiten, E-Book
Reihe: Professional Publishing for Future and Innovation
ISBN: 978-3-648-13572-3
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gerhard Waldherr, geboren 1960 in Bad Tölz, ist Buchautor, Reporter und Publizist. Er war professioneller Eishockeyspieler und ist Diplom-Betriebswirt (FH). Seine journalistische Laufbahn umfasst Stationen als Sportredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, Reporter beim Stern sowie freier Korrespondent und Buchautor in New York. Er schrieb u.a. für GEO, Die Zeit, Spiegel Special, Merian, Brigitte und Greenpeace Magazin und war von 2006 bis 2015 Chefreporter des Wirtschaftsmagazins brand eins. Seine Texte wurden mit diversen Preisen ausgezeichnet und wurden für den Egon-Erwin-Kisch-Preis und den Deutschen Reporterpreis nominiert. Zu Waldherrs Buchveröffentlichungen zählen u.a. Elvis ist tot (KiWi), Bruttoglobaltournee (Salis) und Deutschkunde (Kursbuch Edition).
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Unternehmensgeschichte, Einzelne Branchen und Unternehmer
- Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftssektoren & Branchen Gesundheitswirtschaft
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management Forschung & Entwicklung (F&E), Innovation
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Management Unternehmensführung
Weitere Infos & Material
INHALT
Kapitel eins
Die Wunderrezeptur - Über Josef Popp und die Entstehung von Sinupret®
Kapitel zwei
Ein Mann, eine Firma, eine Erfolgsgeschichte - Wie aus Bionorica einer der weltweit führenden Phytohersteller wurde
Kapitel drei
Aller Anfang ist turbulent - Die Neunzigerjahre stellen Bionorica vor zahlreiche Herausforderungen
Kapitel vier
Erfolgsformel Phytoneering - Bionoricas Konzept revolutioniert die Pharmabranche
Kapitel fünf
Der richtige Ansprechpartner - Bionoricas wissenschaftliches Netzwerk ist weltweit einzigartig
Kapitel sechs
Im Tal der Forschung - Das Phytovalley ® in Innsbruck ist Bionoricas zweites Zuhause
Kapitel sieben
Weitere Aussichten: heiter bis sonnig - Eine aktuelle Bestandsaufnahme der Bionorica SE
Kapitel acht
Zurück zur Natur - Michael Popp ist ein Mann auf einer Mission
Der Heilpflanzenkompass
Ein Streifzug durch Bionoricas Naturapotheke, vertiefendes Heilpflanzenwissen und Studienergebnisse
Josef Popp wusste nichts von Bioflavonoiden und Saponinen. Nichts von Wirkprofilen und additiven Effekten bei Vielstoffgemischen. Er wusste erst recht nichts über Iridoidglykoside1, die Hemmung des entzündungsrelevanten Enzyms Cyclooxygenase-22 oder den Entzündungsbotenstoff TNF-a3. Auch den Begriff mukoziliäre Clearance4 hatte er nie gehört.
Er hätte sich niemals im Leben vorstellen können, dass renommierte Ärzte und Wissenschaftler wie André Gessner, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg, über sein Arzneimittel einmal sagen würden: »Insgesamt ist das Phytotherapeutikum in der Lage, durch eine erfolgreiche Eindämmung der viral bedingten Entzündungsreaktion auch das Risiko für eine bakterielle Superinfektion zu minimieren.«
Wie auch? Popp war weder Arzt noch Chemiker. Eine ambitionierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit pflanzlichen Arzneimitteln gab es zu seiner Zeit nicht. Erst recht keine Hochleistungsflüssigkeitschromatografie, noch nicht einmal Computer. Josef Popp hatte mit alldem nichts zu tun.
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So beginnt Josef Popps Lebenslauf, den er vermutlich 1911 während eines Militärdienstes verfasst. Bis dahin hat er Volksschule, Schlosserlehre und eine Baugewerbeschule für Maschinenbau durchlaufen. Auch ein Praktikum bei den Siemens-Schuckertwerken in Nürnberg und eine Zusatzausbildung als Elektriker sowie Montageerfahrungen werden angeführt.
Was ansonsten überliefert ist, basiert hauptsächlich auf den Erzählungen seiner Kinder. Sohn Hans-Oskar berichtet, dass der Vater mit einer Kriegsverletzung aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause gekommen war. Da ihm Ärzte bei der Linderung seiner Schmerzen nicht helfen können, sucht Popp Heilpraktiker auf, die ihm Kräutertees verschreiben. So entsteht das Interesse für Heilpflanzen. Außerdem lässt er sich mit homöopathischen Globuli der Regensburger Firma ISO5 behandeln. Von ISO erhält er das von Theodor Krauß6 und Tafeln zur Beschreibung der Iris – der Regenbogenhaut des Auges – mit daraus abzuleitenden Krankheiten.
Popp arbeitet inzwischen als Maschinenbauingenieur bei MAN in Nürnberg. Fasziniert von der Homöopathie, beginnt er in seiner Freizeit, Freunde und Bekannte mittels Augendiagnose zu behandeln und ISO-Globuli zu verordnen. Popp hat damit großen Erfolg. Der Kundenkreis wächst rapide. Irgendwann arbeitet er unablässig. Tagsüber bei MAN, nach Feierabend und an Wochenenden widmet er sich seinen Patienten und dem Studium der Botanik und der Heilpflanzen. Bis ihn sein Arbeitgeber vor die Entscheidung stellt, die Nebenbeschäftigung aufzugeben oder zu kündigen.
1924 eröffnet Josef Popp in der Nürnberger Endterstraße eine Praxis als Homöopath und Naturheilkundiger. Neben Augendiagnose und Homöopathika bietet er auch Teemischungen an, die er für seine Patienten individuell zusammenstellt. Der nächste Schritt ist die Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln. Die Praxis in der Endterstraße wird um eine Etage erweitert, in der Popp ein Labor für die Entwicklung von Rezepturen einrichtet. Ein Gewerbebetrieb wird angemeldet. Hergestellt werden die Arzneimittel der Bionorica GmbH zunächst von der Apotheke Zum goldenen Stern.
1933 entsteht bei Bionorica die Rezeptur für ein Arzneimittel gegen Infekte der oberen Atemwege. Schnupfen mit Entzündung der Nasen- und Nasennebenhöhle ist ein Klassiker der Neuzeit. Auch zu Popps Zeiten sind davon Millionen betroffen. Das Arzneimittel, das Besserung verschaffen soll, ist eine Mischung aus den Extrakten von fünf Heilpflanzen: Eisenkraut, Enzianwurzel, Holunderblüten, Ampferkraut und Schlüsselblumenblüten. Er nennt das Produkt Sanor.
Sanor übersteht den Zweiten Weltkrieg. Es übersteht auch den darauffolgenden Siegeszug der chemisch-synthetischen Arzneimittel. Unter dem neuen Namen Sinupret® erobert es nach und nach die Apotheken in Deutschland und rund um die Welt. Das von Fintelmann, Weiss und Kuchta7 widmet Sinupret® aufgrund seiner »Sonderstellung unter den Phytopharmaka« sogar einen eigenen Eintrag und bezeichnet es darin als »ein Mittel erster Wahl bei akuten und chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen«.
Das ist umso erstaunlicher, als die Autoren zwar anerkennen, dass Sinupret® Millionen und Abermillionen Menschen geholfen hat, aber gleichzeitig auch gestehen, dass ihnen Josef Popps Kreation immer noch Rätsel aufgibt: »Es herrscht nach wie vor die Meinung vor, dass die Wirkung eines Kombinationsarzneimittels mit mehr als drei Bestandteilen, deren jeweiliger Nutzen zur Gesamtwirksamkeit geklärt ist, nicht rational begründbar sei.« Mit anderen Worten: Wie konnte jemand nur auf die Idee kommen, dass ausgerechnet dieser Heilpflanzenmix funktioniert?
Michael Popp sagt: »Es gibt zwar das handschriftliche Original der Rezeptur, aber keine Dokumentation zur Entstehung von Sinupret®. Nach allem, was wir wissen, hat mein Großvater sich sehr intensiv mit Lehrbüchern beschäftigt, unter anderem mit den Werken von Leonhart Fuchs8. Er hat sich von überall Meinungen eingeholt, hat mit vielen Heilpraktikern und Homöopathen gesprochen. Und er war leidenschaftlich in dem, was er tat. Sonst hätte er in der damaligen Zeit nicht trotz Frau und drei kleinen Kindern eine sichere Anstellung als Ingenieur aufgegeben.«
Für die These der Lehrbücher spricht einiges. Und auch Leonhart Fuchs’ Bücher dürften tatsächlich Einfluss auf Josef Popp gehabt haben. Insbesondere sein von 1543 galt über Jahrhunderte als Maßstab der Pflanzenheilkunde. Es umfasst die Beschreibung von 473 Pflanzen, begleitet von kunstvollen Holzschnitten. Allerdings dürften nicht alle Ausführungen des Autors nützlich gewesen sein. Das wimmelt von stereotypen Wiederholungen, Mutmaßungen und wilden Theorien. Werner Dressenhöfer spricht in seinem Kommentar zu einer 2001 erschienenen Neuauflage9 von »barocker Indikationslyrik«. Hinzu kommt, dass Fuchs sich an der Viersäftelehre10 orientierte, die am Anfang des 20. Jahrhunderts längst überholt war.
Die Pharmazeutin Margit Schlenk vertritt daher eine zusätzliche These: »Ich denke, Josef Popp hat sich nicht nur auf Lehrbücher und Heilpraktiker verlassen, er hat auch die Natur um sich herum beobachtet. Was wächst in der Region? Was setzen die Menschen bei Krankheiten oder Alltagsleiden schon immer ein? Holundertee ist in Franken ein traditionelles Mittel bei Erkältungen. Ampferkraut gilt von jeher als schleimlösend und blutreinigend. Man weiß, dass die Bitterstoffe der Enzianwurzel die Geschmacksknospen der Zunge stimulieren. Das wirkt der Appetitlosigkeit bei Schnupfen entgegen und so weiter …«
Schlenk, die Apotheken in Neumarkt und Nürnberg betreibt, als Referentin für Bionorica auftritt und Bücher über Heilpflanzen schreibt, 2016 etwa über die Schlüsselblume, sagt: »Hausmittel aus Heilpflanzen waren damals in Süddeutschland gang und gäbe. Und man darf nicht vergessen: Die meisten Leute hatten kein Geld für Medikamente aus der Apotheke, gerade zwischen den Weltkriegen. Das alles hat sicher auch bei der Entstehung der Rezeptur von Sinupret® eine Rolle gespielt.«
Historisches Wissen also kombiniert mit Erfahrungsmedizin. Doch das ist immer noch nicht die ganze Wahrheit. Durch Hans-Oskar Popp ist überliefert, dass der Vater neue Rezepturen überwiegend an MAN-Kollegen testete und je nach Wirkungsgrad und -weise die Zusammensetzung und Dosierung modifizierte. Wenn man so will, hat Josef Popp damit seine eigenen klinischen Studien durchgeführt – wenn auch in sehr kleinem Rahmen.
Hätte Josef Popp seine Geschichte aufgeschrieben, wüsste man, was er warum und wie gemacht hat. Doch dazu kommt es nicht. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs zieht er sich durch eine Brandbombe eine Phosphorvergiftung zu. Davon geschwächt, kämpft er nach Kriegsende um den Wiederaufbau seiner Firma. Praxis und Labor sind komplett zerstört, untergegangen im Schutt der Fliegerbomben. Beim Freischaufeln des Zugangs in der Endterstraße verletzt er sich an der Hand. Von der Sepsis, die dadurch ausgelöst wird, erholt er sich nicht mehr.
Der Maschinenbauingenieur Josef Popp, der mit der Wunderrezeptur für Sinupret® Arzneimittelgeschichte geschrieben hat, stirbt im Dezember 1945 im Alter von 56 Jahren.
1 Iridoide sind sekundäre Pflanzenstoffe, die in mehr als 50 Pflanzenfamilien gefunden wurden und der Abwehr von Fressfeinden dienen. Sie entfalten aber auch...