Waltz / Schlagenwerth Nahaufnahme Sasha Waltz
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-89581-418-1
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gespräche mit Michaela Schlagenwerth
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Reihe: Nahaufnahme
ISBN: 978-3-89581-418-1
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sasha Waltz gehört zu den bedeutendsten internationalen Tanztheater-Choreographinnen. In ausführlichen Gesprächen erkundet die Tanzkritikerin Michaela Schlagenwerth die künstlerische Arbeit der Choreographin und Regisseurin. Die Interviews geben dabei einen persönlichen Einblick in das Familienunternehmen Sasha Waltz, in Arbeitsprozesse, Herangehensweisen und Phantasien. Gleichzeitig entspannt sich dabei die Geschichte eines beeindruckenden schöpferischen Reifungsprozesses.
Aktuelle Gespräche aus 2011 ergänzen das Porträt um ihre Opernarbeiten, Museumsprojekte und das Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal.
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AM ANFANG IST DER RAUM
Räume, so sagt Sasha Waltz, seien für sie die Basis ihrer Arbeit, der Ausgangspunkt, der Anfang. Das gilt für die Bühnenbilder und die jeweiligen Orte, die die Choreographin bespielt – und es gilt schon für den Anfang ihrer choreographischen Laufbahn. Die ersten drei, gleich enorm erfolgreichen Produktionen – zusammengefaßt in der Travelogue-Trilogie – sind Erforschungen von Alltagsräumen. In Twenty to eight, dem 1993 im niederländischen Groningen uraufgeführten ersten Stück der Travelogue-Trilogie, geht es um das sich vorwiegend in der Küche abspielende WG-Leben. Getanzt wird zum Surren von Nähmaschinen, zum Geklapper von Geschirr, zu Tango- und Streicherklängen. Betten klappen auf und zu, und Geschirr und Türen machen sich selbständig. Twenty to eight ist absurd, grotesk, surreal und von einer bezaubernden jugendlichen Unbeschwertheit. Mit ihrem ersten abendfüllenden Stück findet die Choreographin gleich ihren eigenen Ton, den sie auch 1994 in Tears break fast anschlägt. Orte der Handlung sind dieses Mal ein Badezimmer und eine Bar; in All ways six steps (1995) wird auf der Bühne originalgetreu das Pariser Hotelzimmer nachgebaut, in das die Choreographin wegen der uninspirierenden Nüchternheit des angemieteten Trainingsraums die Proben verlegt hatte. 1996 erfolgt mit Allee der Kosmonauten eine erste Zäsur. Sasha Waltz wendet sich vom Innenraum zum Außenraum, der Fokus geht weg vom eigenen Szene-Leben, hin zu sozialen Themen, zur Gesellschaft. Für Allee der Kosmonauten interviewt die Choreographin mehrere Familien aus den (Berlin-)Marzahner Plattenbauten. Vor allem an der Beengtheit der Plattenbau-Wohnungen und den sich daraus ergebenden Konflikten entzündet sich ihre Phantasie. Drei Generationen verwickeln sich in die unheimlichen, absurden Schrecknisse des Familienalltags; aus zu großer physischer Nähe erwächst – bei einem gleichzeitig blinden, kollektiven Wissen um einander – eine immer weiter um sich greifende Fremdheit. Wie schon in der Travelogue-Trilogie spielen Allee der Kosmonauten sowie die Folgestücke Zweiland (1997) und Na Zemlje (1998) nicht nur in Räumen: Sie handeln auch von ihnen. Von ihren Geschichten, von den Spuren, die die Menschen im Umgang mit den Gegenständen hinterlassen und die zu etwas Eigenem mutieren – zu etwas, das sich auf eine rätselhaft- verträumte Weise nicht nur der Objekte, sondern auch der mit ihnen umgehenden Menschen bemächtigt. Allee der Kosmonauten bedeutet nicht nur eine thematische Zäsur, mit dem Stück eröffnet Sasha Waltz 1996 auch ein neues Theater: die Sophiensæle in Berlin-Mitte, ein charmant heruntergekommenes Jahrhundertwende-Hinterhofgebäude, in dem einst die Arbeiterbewegung residierte und in dessen Festsaal Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Reden gehalten haben. Die Sophiensæle, von Sasha Waltz gemeinsam mit ihrem Manager und Ehemann Jochen Sandig und anderen Berliner Künstlern gegründet, avancieren binnen kurzer Zeit zum bekanntesten Ort der freien Tanz- und Theaterszene Berlins. Für ihr Eröffnungsstück erhält Sasha Waltz ihre erste Einladung zum Berliner Theatertreffen. Die zweite folgt im Jahr 2000, als die Choreographin wieder ein Theater neu eröffnet. Dieses Mal ist es die legendäre, von der Ära Peter Stein geprägte Berliner Schaubühne am Lehniner Platz. Sasha Waltz übernimmt gemeinsam mit dem Regisseur Thomas Ostermeier, dem Dramaturgen Jens Hillje und Jochen Sandig die Leitung. Mit Körper gelingt am Haus der überfällige, zunächst ganz von Sasha Waltz getragene Neubeginn. Spätestens hier wird deutlich, welche Kräfte neue Herausforderungen in der Choreographin freisetzen, aber vor allem: wie Räume Einfluß auf ihre Kunst nehmen, und wie sie mit den Räumen wächst. Auch Körper bringt eine Zäsur, die Arbeiten werden ab jetzt nicht nur größer, sie werden vor allem abstrakter. Das Leichte, Verspielte, das schon nach der Travelogue-Trilogie in den Hintergrund getreten war, entschwindet zumindest für eine Weile ganz. Auch die bis dahin dominierende Erzählweise wird verabschiedet. Sechs Arbeiten entstehen im Laufe von fünf Jahren an der Schaubühne. Auf Körper folgt S, dann 2002 das den Tod der Mutter verarbeitende Stück noBody, 2003 das gewaltige, eine begehbare Rauminstallation in den Theatersaal setzende insideout, und 2004 das Schubert-Stück Impromptus, Sasha Waltz’ erste intensive Auseinandersetzung mit klassischer Musik. Als 2005 Gezeiten Premiere hat, ist Sasha Waltz bereits aus der Schaubühne ausgezogen, der Traum von einer kollektiven, Tanz und Theater gleichberechtigt miteinander verbindenden Leitung ist geplatzt. In einem alten Pfarrhaus in der Sophienstraße, gleich gegenüber von den Sophiensælen (denen Waltz und Sandig gemeinsam mit der langjährigen Leiterin Amelie Deuflhard nach wie vor als Gesellschafter vorstehen), bezieht die Compagnie – die sich wieder, wie vor der Schaubühnen-Ära, Sasha Waltz & Guests nennt – eigene Büroräume. Über eine eigene Spielstätte verfügt Sasha Waltz jetzt nicht mehr. Aber sie hat längst neues Terrain erobert. 2005, im Abschiedsjahr von der Schaubühne, entsteht Dido & Aeneas, ihre erste, im Grand Théâtre de Luxembourg uraufgeführte, ungemein erfolgreiche Operninszenierung. Und einige Kilometer Luftlinie vom neuen Compagnie-Büro entfernt wird zu diesem Zeitpunkt bereits an einer neuen Heimstatt gebaut: dem Radialsystem. Das Radialsystem V, von Jochen Sandig und dem Manager der Akademie für Alte Musik Folkert Uhde gegründet, versteht sich als Produktions- und Aufführungsort für Tanz und Musik sowie für Experimente, die an der Schnittstelle unterschiedlicher Künste arbeiten. Das Gebäude, ein altes Pumpwerk, hat der Architekt Gerhard Spangenberg mit einer filigranen Glashülle umschlossen. Direkt an der Spree gelegen, verbindet der 2500 Quadratmeter große Bau auf geniale Weise alte und neue Architektur. Zwei Säle gibt es, in der ehemaligen Maschinenhalle und im Kesselhaus, zahlreiche Proben- und Büroräume sowie eine 400 Quadratmeter große, überdachte Terrasse, von der man auf die dahinfließende Spree hinunterschaut und die Sasha Waltz gleich zu ihrer neuen Sommer-Probenresidenz kürt. Das Radialsystem V ist fester Probenort für Sasha Waltz & Guests und für die Akademie für Alte Musik. Im September 2006 wird der neue Ort von Sasha Waltz mit einem Dialoge 06 – Radiale Systeme benannten Projekt eröffnet. Über hundert Künstler sind beteiligt. Im gesamten Gebäude wird getanzt, musiziert und gesungen, nicht nur in den Theatersälen, auch im Keller, in den Fluren und auf den Dächern. Musik von Purcell, Telemann und Vivaldi weht durch Hallen und Treppenhäuser, dazu Percussions von Xenakis und alte Choräle, und Tänzer lehnen stumm und regungslos an Glasscheiben, liegen auf Dächern, gleiten über den Boden. Dialoge 06 – Radiale Systeme ist eine gewaltige Raumerforschung, und es ist die Vorarbeit zu einer neuen Oper: Medea, die im April 2007, wie zuvor schon Dido & Aeneas, in Luxemburg uraufgeführt wird. Im Oktober 2007 folgt mit Hector Berlioz’ Roméo et Juliette das dritte Opernprojekt, das Sasha Waltz dieses Mal nicht für ihr eigenes Ensemble, sondern für das der Pariser Oper inszeniert. Als Sasha Waltz 2005 die Schaubühne verließ und ihre Compagnie den Status einer unabhängigen GmbH annahm, gab es zunächst die Sorge, dies könnte mit einem Verlust an Arbeitsspielräumen einhergehen. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten, die Choreographin hat sich weiter ausgedehnt – räumlich und künstlerisch. Neben dem Radialsystem werden ihre Stücke im Haus der Berliner Festspiele, an der Schaubühne und an anderen Orten der Stadt, beispielsweise in Museen, gezeigt. Auch für ihre Opernarbeiten gibt es in Berlin einen kontinuierlichen Partner – die Staatsoper (im Schiller Theater). Und sowohl ihre Tanzstücke als auch die selbst produzierten großen Operninszenierungen gehen weltweit auf Tournee. Michaela Schlagenwerth: Sasha Waltz, welche Rolle spielt der Raum in Ihrer Arbeit? Sasha Waltz: Ich denke an den Raum, noch bevor ich an Bewegung...