E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Praxis Film
Werner / Mertens / Pilz So bekommen Sie Ihr Drehbuch in den Griff
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7398-0013-4
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie Sie die 7 häufigsten Fehler in der Dramaturgie erkennen und vermeiden
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Reihe: Praxis Film
ISBN: 978-3-7398-0013-4
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie haben bereits ein Exposé, Treatment oder Drehbuch in der Hand? Oder stehen kurz davor, Ihren Film umzuSetzen? Die erfahrenen Regisseure und Autoren Christian Mertens und Bartosz Werner schließen die letzte Lücke in der Drehbucharbeit: Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten oder Redakteure erhalten mit diesem Buch hilfreiche Tipps und Tools, um die 7 häufigsten Fehlerquellen in der Filmdramaturgie zu erkennen und zu überwinden. Die Wirkung auf den Zuschauer steht jederzeit dabei im Fokus.
Ob 'Kausalkette', 'Figurenbogen' oder 'Eskalationsstufen' – benennen Sie die neuralgischen Punkte und schärfen Sie Ihren Blick auf das Drehbuch. Denn in der Dramaturgie sind alle relevanten Elemente enthalten, um wichtige Entscheidungen treffen zu können bei Meetings, bei den Proben, am Set oder im Schneideraum. So entwickelt sich Ihre Geschichte weiter, nimmt Fahrt auf und überrascht Sie bei jedem weiteren Schritt selbst. Der fertige Film wird hiervon in jedem Fall profitieren.
Die Website zum Buch: www.drehbuchimgriff.de
Auf Facebook: www.facebook.com/drehbuchimgriff/
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1. KAUSALKETTE
Ein Rabbi liebt es, Golf zu spielen. Doch schon seit Tagen regnet es, und er hat keine Möglichkeit, auf den Golfplatz zu gehen. Erst Samstagmorgen, am heiligen Sabbat, klart es auf. Die Sonne scheint. Es ist das perfekte Wetter, um Golf zu spielen. Aber Gott verbietet es, am Sabbat zu arbeiten oder sich sportlich zu betätigen. Der Rabbi ringt mit sich: „Soll ich Gott gehorchen – oder lieber Golf spielen?" Er blickt noch einmal nach draußen, das Gras ist grün, die Sonne lacht. Er hält es nicht mehr aus und schleicht sich auf den Golfplatz. Gott und sein Assistent beobachten das von oben. Der Assistent ist erbost: „Gott, schau! Der Rabbi! Am heiligen Sabbat! Auf dem Golfplatz!“ Gott nickt und ist ebenfalls verärgert. Der Assistent fordert: „Du musst ihn dafür bestrafen!“ Gott nickt zustimmend. Einige Minuten später steht der Rabbi am Abschlag, holt aus und trifft den Ball perfekt. Der Ball fliegt 150 Meter weit, genau auf das Grün zu und landet direkt im Loch! Ein Hole-In-One! Der Assistent ist außer sich: „Oh Gott, was war das denn? Du wolltest ihn doch bestrafen!“ Gott wendet sich dem Assistenten zu und sagt: „Wem soll er das jetzt erzählen?“ Wir mögen diesen Witz, weil er ein gutes Beispiel für eine Erzählweise ist, die wir in diesem Kapitel beschreiben möchten. Der Witz hat eine hohe Kausalität – bezüglich der Ereignisse und der Bedürfnisse seiner Charaktere. Das, was den drei Figuren widerfährt, baut stark aufeinander auf und jede Entscheidung, jedes Ereignis zieht ein anderes Ereignis nach sich. Es gibt bei allem eine kausale Verknüpfung. Ein paar Beispiele: Weil Gott verkündet hat, dass am Sabbat Ruhe gehalten werden soll, gerät der Rabbi in eine Zwickmühle. Und weil das Wetter bislang so schlecht gewesen ist, wird die Sehnsucht zu spielen beim Rabbi immer größer. Und weil er Gott nicht gehorcht, entscheidet dieser, ihn dafür zu bestrafen. Stellen wir uns vor, einer dieser drei Punkte würde fehlen oder die Geschichte würde an einem Donnerstag statt an einem Samstag spielen: Der Witz würde keinen Sinn mehr ergeben. Zu erreichen, dass alle Ereignisse in einer Geschichte untrennbar aufeinander aufbauen, ist ein hartes Stück Arbeit. Aber ein sehr lohnendes. Diese drei Aussagen haben alle etwas gemeinsam. Jeder Satz begann mit den gleichen Worten: Und weil … 1 Und weil …
Es gibt einen einfachen Trick, um herauszufinden, ob eine Geschichte durchgehend kausal ist oder nicht. Wenn Ihnen jemand beim Bier eine Filmidee erzählt, und er benutzt als Überleitung zwischen den Szenen oft „und weil...“, weist die Geschichte mit großer Wahrscheinlichkeit eine hohe Kausalität auf. Wird hingegen „und dann...“ verwendet, ist aus unserer Sicht Vorsicht geboten: „Und dann...“ deutet oft darauf hin, dass die Ereignisse in der Geschichte nacheinander folgen, ohne aufeinander aufzubauen. Nicht nur bei einem Bier lässt sich die Kausalkette auf diese Art prüfen: Sie gilt auch für jeden weiteren Schritt – bis zur der Arbeit im Schneideraum, wo man Szenen aus dem Film entfernt, wenn sie nicht kausal miteinander verbunden sind. Und das passiert sehr häufig. Die Kausalkette ist in den Fachbüchern über Dramaturgie immer ein Thema. Wir haben beobachtet, dass sie jedoch in den täglichen Besprechungen zwischen Teammitgliedern, Redakteuren oder Autoren selten eine große Rolle spielt. Das hat Gründe. Einer der Hauptgründe ist, dass man vieles am Drehbuch überarbeiten müsste, wenn man Lücken in der kausalen Abfolge erkennt. Diesen Aufwand scheuen viele, weil man sich doch schon an so viele schöne Szenen gewöhnt hat und sie unbedingt drehen will. Viele Drehbücher beginnen spannend, denn die Idee, die die Autoren hatten, zeigt sich dort auf eine sehr frische Art und Weise. Oft geht den Geschichten nach der Einführung allerdings die Luft aus. Nach der Exposition, dem auslösenden Ereignis oder dem ersten Plot-Point flachen sie extrem ab. Manchmal liegt es daran, dass sich die Autoren an dieser Stelle von der Kausalität verabschiedet haben. Die Geschichte verliert ihre Zwangsläufigkeit. 2 Dominosteine
Die Schriftstellerin Elisabeth George beschreibt in ihrem Buch „Wort für Wort“, wie wichtig es ist, dass ein Ereignis in der Geschichte ein anderes auslöst. Sie schreibt, dass der Plot „im Wesentlichen das ist, was die fiktiven Figuren tun, um mit einer überraschenden Situation fertig zu werden. Es ist eine logische Folge von Ereignissen, die einem Vorfall entspringen, der den Status quo, die Ausgangssituation der Charaktere verändert.“ Sie geht noch weiter: „Wenn Ihr schlechte Literatur vermeiden wollt, stellt Euch die Ereignisse in Eurem Roman als Dominosteine vor. Nennen wir sie dramatische Dominosteine. […] Ihr müsst hier bedenken, dass Szene 1 der erste Dominostein ist. Sie stößt den nächsten um und so weiter. Wenn das nicht geschieht, ist es Euch nicht gelungen, die Szenen kausal zu verknüpfen.“ 1 Es gibt viele Filme, in jedem Genre, die eine hohe Kausalität aufweisen. Stellvertretend möchten wir einen Film in den Fokus nehmen: „Rambo – First Blood“, ein Wunderwerk der Kausalität. Besonders zu Beginn bauen alle Handlungsschritte stark aufeinander auf: John Rambo will in der ersten Szene des Films einen Freund besuchen, mit dem er im Krieg gedient hat. Doch der ist an Krebs verstorben. Ein Schock für Rambo. Er wirft sein Adressbuch weg und begibt sich auf Wanderschaft, er hat nun kein Ziel mehr. All seine Freunde sind tot (das erfahren wir später im Film noch ausführlicher). Weil er jetzt kein Ziel mehr hat, streunt er durch die Gegend und sucht in einer Kleinstadt nach einer Idee für seine Zukunft und etwas zu essen. Weil der Sheriff dieser Stadt etwas gegen Streuner hat und Rambo in seinen Augen „nach Ärger“ aussieht, hält er ihn an. Er fragt ihn, was er hier wolle. Weil Rambo das selber nicht weiß und sich vom Sheriff provoziert fühlt, antwortet er sehr wortkarg. Herumkommandieren lassen will er sich nicht. Weil Rambo sich so gibt, fühlt sich der Sheriff in seiner Ansicht bestätigt, dass „Leute wie er nur Ärger machen“. 6. Weil der Sheriff sichergehen will, dass Rambo wieder verschwindet, lädt er ihn freundlich aber bestimmt dazu ein, von ihm aus der Stadt gefahren zu werden. Weil Rambo keinen Ärger möchte, steigt er in den Streifenwagen. Während der Fahrt gibt der Sheriff ihm deutlich zu verstehen, dass er ihn nicht mag. Weil Rambo noch immer keinen Ärger machen will, schluckt er auch diese Provokationen. Nachdem er an der Stadtgrenze aussteigt, wandert Rambo jedoch wieder in die Gegenrichtung, zurück in die Stadt. Weil der Sheriff das im Rückspiegel beobachtet und er sich dadurch nun seinerseits provoziert fühlt, hält er Rambo erneut an und verhaftet ihn wegen Landstreicherei sowie Waffenbesitz und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Abb 1: Ein wichtiger Dominostein: Rambo wird verhaftet Die folgenden Repressalien auf dem Polizeirevier treiben Rambo so weit, dass er sich zur Wehr setzt und flüchtet. Daraufhin beginnt eine Verfolgung, die sich in ihrer Intensität immer weiter steigert und bis zum Ende des Films anhält. Ein Polizist stirbt und am Ende fliegt die Tankstelle des Ortes in die Luft. Rambos alter Kompanieführer aus dem Vietnamkrieg schafft es, ihn zum Aufgeben zu überreden. Dann ist der Film vorbei. Die Geschichte beginnt also mit einem kleinen Dominostein, der alle weiteren Steine nach und nach zum Kippen bringt und die Handlung generiert. Nehmen wir an, die Szene, in der Rambo provokativ über die Brücke zurückwandert (Punkt 9), hätte nicht im Drehbuch gestanden. Dann wäre eine Verhaftung wegen Landstreicherei eine sehr übertriebene Reaktion des Sheriffs gewesen und hätte der Glaubhaftigkeit seiner Motivation als Antagonist (Gegenspieler) sehr geschadet. Außerdem baut der ganze weitere Film auf dieser Verhaftung auf. Wenn man einen Dominostein herausnimmt, wird die Erzählung willkürlich, nicht schlüssig. Man wird als Zuschauer zwar überrascht, aber auf eine beliebige Art und Weise. Achtung: Der erste Dominostein sollte kein Zufall sein! Rambo wird sich immer zur Wehr setzten – er ist ein Kämpfer. Und der Sheriff wird immer versuchen, für Ordnung zu sorgen – er ist auch ein Kämpfer. Die erste Begegnung zwischen ihnen bringt die beiden explosiven Gemische „nur“ zusammen. Der Zufall dieser Begegnung ist eine getarnte Notwendigkeit für die Geschichte. 3 Aktion und Reaktion
Auch innerhalb der Szenen von „Rambo – First Blood“ wird fast durchgehend darauf geachtet, dass ein Ereignis das nächste nach sich zieht. Weil Rambo nicht selbst anhalten will (Aktion), muss der Sheriff handgreiflich werden (Reaktion). Und weil er ihn anpackt, wehrt sich Rambo. Und weil er sich wehrt, kann der Sheriff ihn wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt verhaften. Grundsätzlich gilt: Wenn in dieser Abfolge der Ereignisse ein Schritt fehlen würde, könnten wir Zuschauer nicht mehr verstehen, was die beiden Streithähne antreibt. Der Zuschauer steigt dann an dieser Stelle innerlich aus dem Film aus. Wenn man ausschließlich das Ende des Films betrachtet und nur den Moment sieht, in dem Rambo eine Tankstelle in die Luft sprengt, scheint der Protagonist vollkommen durchgeknallt zu sein. Wenn man jedoch den ganzen Weg bis dorthin mitgegangen ist, erscheint einem diese Entwicklung in sich stimmig. Der Film ist in vielerlei Hinsicht gut gemacht: Ein Aspekt ist die hohe Dichte an Kausalität. Besonders in den ersten 15 Minuten...