E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Wiesinger / Greule Baiern und Romanen
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7720-0212-0
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zum Verhältnis der frühmittelalterlichen Ethnien aus der Sicht der Sprachwissenschaft und Namenforschung
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-7720-0212-0
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Immer wieder wird versucht, die im 6. Jahrhundert auftretenden Baiern auf romanische Herkunft zurückzuführen, obwohl ihre Sprache und Dialekte germanischen Ursprungs sind. Als angebliche Zeugnisse dienen meistens die eingedeutschten Gewässer- und Ortsnamen antik-romanischer Herkunft. In dem bis 488 n. Chr. römischen Voralpenraum südlich der Donau vom Lech bis zur Enns in Bayern, Salzburg und Oberösterreich wurden gegenüber der Vielzahl rein deutscher Namen nur relativ wenige Namen antik-romanischen Ursprungs ins Bairisch-Althochdeutsche tradiert. Diese geringen Zeugnisse werden nach Etymologie und Eindeutschungszeit mit linguistischen Methoden analysiert und danach beurteilt, wann sie von den ersten germanisch-römischen Kontakten im 1./2. Jahrhundert an bis in die althochdeutsche Zeit längstens um die Mitte des 11. Jahrhunderts ins Althochdeutsche eingegliedert wurden. Daraus kann man schließen, dass das Romanische im Voralpenraum durchschnittlich und nur inselhaft bis ins beginnende 9. Jahrhundert und nur vereinzelt wie um die Stadt Salzburg auch noch bis gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts fortlebte. Die Annahme angeblicher romanischer Herkunft der Baiern lässt sich weder mit Hilfe der Sprache noch der Namen erweisen und ist aufzugeben.
Prof. Dr. Albrecht Greule war von 1992 bis 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Regensburg und lehrt dort weiterhin Deutsche Sprachwissenschaft und Onomastik.
Em. Univ. Prof. Dr. Peter Wiesinger war von 1972 bis 2006 Ordentlicher Universitäts-Professor für deutsche Sprache und ältere deutsche Lliteratur an der Universität Wien.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Die Baiern der Frühzeit und ihre Erforschung
1.1. Der Name der Baiern
Im Gegensatz zu den Namen germanischer Stämme, die später zu Deutschen wurden, wie der Alemannen, Franken, Hessen, Thüringer und Sachsen, die bereits den Römern bekannt waren und in ihrem Schrifttum seit dem 1. Jh. n.Chr. überliefert sind, tritt der Name der Baiern1 erst zwei Generationen nach dem Untergang des römischen Weltreiches erstmals 551 in der Gotengeschichte „De origine actibusque Getarum“ des Jordanes auf. Da das Werk des Jordanes auf der verlorenen Gotengeschichte des Cassiodor basiert, der Kanzler des Gotenkönigs Theoderich (475-526) war, wird bereits dort um 525 die Nennung erfolgt sein. Obwohl Jordanes eine Kriegssituation von Theoderichs Vater Theudimir in Pannonien von 469/70 beschreibt, schildert er jedoch das Lageverhältnis der Stämme, wie es zu seiner Zeit im heutigen deutschen Süden und in der Mitte bestand. So heißt es (280, 9ff.)2: Nam regio illa Suavorum ab oriente Baiovaros habet, ab occidente Francos, a meridie Burgundiones, a septemtrione Thoringos. Jenes Land der Suawen hat nämlich im Osten die Baiowaren, im Westen die Franken, im Süden die Burgundionen, im Norden die Thüringer zu Nachbarn. Da das Werk des Jordanes erst in Handschriften des 8.–12. Jhs. überliefert ist, schwanken die lateinischen Nennungen des Baiernnamens als Baibari, Baiobari, Baiovari, Baioarii, von denen Baiovari der zugrundeliegenden germanischen Namenform am nächsten kommt. Erst eineinhalb Jahrzehnte nach Jordanes erfolgt 565 die nächste Nennung der Baiern. Sie bringt der Dichter und spätere Bischof von Poitiers Venantius Fortunatus in dem um 576 verfassten Vorwort zur Edition seiner Gedichte. Er brach im Spätsommer 565 von Ravenna aus über die Alpen zu einer Wallfahrt zum Grab des hl. Martin nach Tours in Gallien (Frankreich) auf und schreibt dazu (Pr. 4)3: praesertim quod ego impos de Ravenna progrediens Padum, Atesim, Brintam, Plavem, Liquentiam Teliamentumque tranans, per Alpem Iuliam pendulus montanis anfractibus, Drauum Norico, Oenum Breonis, Liccam Baiuaria, Danuuium Alamania, Rhenum Germania transiens zumal ich Dilettant, von Ravenna aufbrechend, den Po, die Etsch, die Brenta, den Piave, die Livenza und den Tagliamento durchschwamm, durch die Julischen Alpen auf schwankendem Steg, die Drau in Noricum, den Inn bei den Breonen, den Lech in Baiern, die Donau in Alemannien, den Rhein in Germanien durchschritt. Als Variante zum Ländernamen Baiuaria (lies Baiwaria) ist auch Bauuaria (lies Bawaria) überliefert. Im 4. Buch seines 575/76 gedichteten Versepos „De virtutibus Martini Turonensis“, der Vita des hl. Martin von Tours, nennt Venantius Fortunatus dann die umgekehrte Abfolge der Reiseroute (IV, 640ff.) mit dem Volksnamen: Si tibi barbaricos conceditur ire per amnes, Ut placide Rhenum transcendere passis et Histrum, Pergis ad Augustam, quam Virdo et Licca fluentant. Illic ossa sacrae venerabere martyris Afrae. Si vacat ire viam, necque te Boioarius obstat, Qua vicina sedent Breonium loca, perge per Alpem, Ingrediens rapido qua gurgite volvitur Oenus. Wenn du die Möglichkeit hast, die barbarischen Ströme zu queren, also den Rhein und die Donau in Ruhe durchschreiten zu können, machst du nach Augsburg dich auf, wo Wertach und Lech sich ergießen. Dort verehr die Gebein der heiligen Blutzeugin Afra. Steht es dir frei, von da weiterzuziehen, und stört dich kein Baier, geh durch die Alpen, wo nah die Orte des Breonenstammes liegen. und betritt sie, wo der Inn sich mit reißendem Gischt wälzt. Der in lateinischen Varianten überlieferte Name der Baiern, im Nominativ Singular in antiker Tradition Boioarius bei Venantius Fortunatus und im Nominativ Plural variabel überliefert als Baibari, Baiobari, Baiovari, Baioarii bei Jordanes, basiert in der Zeit um 500 westgermanisch auf dem Singular *Baiawari aus (ur)germ. *Baiowarjaz und dem Plural *Baiawarja aus (ur)germ. *Baiowarjoz. Die gotischen Entsprechungen dieser Zeit wären *Baiawarjis und *Baiawarjos.4 Es ist ein Determinativkompositum, dessen Grundwort sich zum Verbum (ur)germ. *warjan in got. warjan, altnord. verja; altsächs. und altengl. werian und ahd. wer(r)en in der Bedeutung ‚wehren, schützen, abhalten, verteidigen‘ stellt und als entsprechendes Substantiv (ur)germ. *warjaz in got. wair, altnord. ver; altsächs., altengl. und ahd. wer ‚Mann‘ lautet. Sein eigentlicher Sinn ist ‚Wehrmann, Schützer, Verteidiger‘, der Land und Leute vor Feinden schützt und Angreifer abwehrt. Das Bestimmungswort geht auf den Namen der keltischen Boier zurück, deren Siedlungsgebiet um Chr. Geb. Boiohaemum war, das 29/30 n.Chr. Velleius Paterculus in seiner „Römischen Geschichte“ (2, 109) festhält. 98 n.Chr. nennt Tacitus in seiner „Germania“ das Land dann Boihaemum (XXVIII Genitiv Boihaemi nomen). Der Name ist germanischer Herkunft und basiert auf germ. *Bai(o)haima, wobei sich der germanische Lautwandel von älterem o zu gemeingermanischem a um Chr. Geb. vollzog. Dabei ging betontes o einem unbetontem o voraus, das bald synkopiert wurde, was die beiden ältesten Überlieferungen spiegeln. Dieser Gebietsname lebt in Böhmen weiter, das bair.-mhd. Peheim heißt und die ahd. Monophthongierung von germ. ai zu frühahd. e vor h des 7./8. Jhs. aufweist. Dagegen ist im Stammesnamen der Diphthong bewahrt, so dass ihm kein ebenfalls Monophthongierung auslösendes w unmittelbar gefolgt sein kann. Es war vielmehr, wie die bei Jordanes überlieferten Varianten zeigen, mit dem Bindevokal -o- verschmolzen, so dass *Baioar entstand, dass dann im 8. Jh. der Lautverschiebung von B- zu P- unterlag und bair.-ahd. Peiar, Plural Peiara und abgeschwächt Peier, Peigir ergab. Insgesamt bedeutet der Baiernname also unmittelbar ‚Wehrmänner von/aus Baia‘, was immer unter Baia zu verstehen ist. Doch wird ihm in Verbindung mit Boiohaemum als angenommene Klammerform *Bai(o)[haim]warjoz kurzerhand die Bedeutung „Männer aus Böhmen“ beigelegt. Wenn auch jüngere lateinische Nennungen am o von Boi- festhalten, so handelt es sich um Schreibtradition des festverwurzelten Namens des keltischen Stammes, der den Römern als Eindringlingen in ihr Land seit dem 3. Jh. v.Chr. bekannt war. So heißt es z.B. nach Aussage des gegen 645 entstandenen 2. Teiles der „Vita Columbani“ des Jonas von Bobbio, als Eustasius († 618) sein Missionswerk bei den Baiern beginnen wollte, er zog ad Boias, qui nunc Baioarii vocantur (II, 8). So nennt die Baiern auch die frühestens Ende des 6. Jhs. entstandene Fränkische Völkertafel. 1.2. Theorien zur Herkunft der Baiern vom 19. bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts
Als der Sprachwissenschaftler und insbesondere Keltologe Kaspar Zeuß 1837 in seinem Buch „Die Deutschen und die Nachbarstämme“ erstmals den Namen der Baiern nach den Lautgesetzen der germanischen Sprachen richtig etymologisiert hatte,1 was bis heute linguistisch gegen so manche anderen Versuche allein zutreffend ist, stand für ihn fest, dass der Name der keltischen Boier auf die ihnen nachfolgenden Germanen übertragen worden ist und dass die Baiern aus Böhmen in ihre neuen Wohnsitze zu beiden Seiten der Donau eingewandert sind. In seinem folgenden Buch von 1839 „Die Herkunft der Baiern von den Markomannen gegen bisherige Mutmaßungen bewiesen“ wollte Zeuß gegenüber herrschenden anderen Meinungen seiner Zeit nachweisen, dass es die im böhmischen Becken siedelnden Markomannen waren, die um 500 nach Südwesten abzogen und in ihrem neuen Gebiet zu Baiern wurden. Damit war die sogenannte „Markomannentheorie“ geboren. Sie erwies sich allerdings, wie jüngere Forschungen zeigten, historisch als unhaltbar, denn die Markomannen waren um 80 n.Chr. den Quaden nach Südosten gefolgt und siedelten im 2. Jh. im heutigen Südmähren und nördlichen Niederösterreich, ehe sie 396 als römische Föderaten in Pannonien Wohnsitze erhielten und dann im 5. Jh. aus der Geschichte verschwanden. Aus der „Markomannentheorie“ aber entwickelte sich die sogenannte „Einwanderungs-“ oder „Landnahmetheorie“, die mit einem germanischen Einwanderungsstrom in ein so gut wie siedlungsleeres Land nach dem Abzug der romanischen Bevölkerung rechnete. Sie lebte bis über die Mitte des 20. Jhs. fort, wobei ein Herkunftsgebiet Baia in unterschiedlichen Gegenden außerhalb Böhmens über Pannonien bis ans Schwarze Meer festzumachen versucht wurde.2 Diese Ansichten können hier aber übergangen werden, weil sie für den Forschungsstand der 1980er Jahre bedeutungslos geworden waren. Daneben aber bestand die nun modifizierte Ansicht einer Einwanderung von Elbgermanen aus Böhmen fort. 1.3. Die Herkunft der Baiern nach dem Forschungsstand der 1980er Jahre
Über die Frage der Ethnogenese der Baiern – der neue Terminus statt Stammesbildung – wurde in den 1980er Jahren von den beteiligten Disziplinen der germanistischen sprachwissenschaftlichen...