E-Book, Deutsch, 125 Seiten
Will Psychoanalytische Kompetenzen
3. aktualisierte Auflage 2019
ISBN: 978-3-17-036553-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Standards und Ziele für die psychotherapeutische Ausbildung und Praxis
E-Book, Deutsch, 125 Seiten
ISBN: 978-3-17-036553-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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2 Kompetente Praxis
Drei Schritte des psychoanalytischen Arbeitens
Wir kommen zunächst zu dem Muster, nach dem ich die Kompetenzen geordnet habe. Tuckett (2005) hat vorgeschlagen, psychoanalytische Kompetenz aus der Perspektive dreier Bezugsrahmen zu betrachten. Er hat diese absichtlich ohne spezifisch psychoanalytische Terminologie formuliert, um damit eine schulenübergreifende Diskussion zu ermöglichen. Sie sollen den Blick auf drei unterschiedliche, aber miteinander verknüpfte Rahmenbedingungen des psychoanalytischen Arbeitens lenken. Der teilnehmend-beobachtende Rahmen (participant-observational frame) bezieht sich darauf, wie Unbewusstes wahrgenommen werden kann, während Analytiker und Patient zusammen sind. Der konzeptuelle Rahmen (conceptual frame) lenkt den Blick darauf, wie Unbewusstes mithilfe von impliziten oder expliziten Theorieelementen konzeptualisiert wird. Der Interventionsrahmen (interventional frame) schließlich führt zur Frage, wie Unbewusstes angesprochen oder in Worte gefasst werden kann.1 Wir übernehmen diesen Vorschlag und gehen mit Tuckett davon aus, dass die analytische Aufgabe mehrere Fähigkeiten erfordert: 1. Entstehen lassen und Wahrnehmen: Eine äußere und innere Situation herstellen, in der relevantes Material (Affekte, unbewusste Bedeutungen und Beziehungserleben) auftauchen und im Zusammensein mit den Patienten erspürt werden kann. 2. Nachdenken: Das Wahrgenommene konzeptuell erfassen (sei es implizit oder explizit). 3. Sprechen: Auf der Basis dessen Deutungen formulieren sowie deren Wirkung wahrnehmen und damit arbeiten. Die Übertragungsbeziehung ist dabei das Medium, innerhalb dessen sich die unbewusste Kommunikation ebenso abspielt wie die bewusstseinsfähigen Schritte unseres Arbeitens. Aus diesen Rahmenbedingungen ergibt sich eine Grundbewegung des analytischen Arbeitens, die immer neu diese drei Schritte durchschreitet. Im ersten Schritt kommt es darauf an, eine Situation herzustellen, in der unbewusstes Erleben aktiviert wird und sich konstellieren kann (Freuds »Auftrieb des Unbewussten«). Der Analytiker ist dabei einerseits mit dem Patienten zusammen und in die aktuelle Beziehung involviert (»teilnehmend«). Andererseits ist er damit beschäftigt, das, was er hört, erlebt, phantasiert, handelt und erspürt, »beobachtend« wahrzunehmen. So oszilliert er psychisch zwischen einer teilnehmenden und einer beobachtenden Haltung. Er nimmt sich selbst wahr und all das, was vom Patienten ausgeht und was zwischen ihnen geschieht. Dabei nutzt er die drei geläufigen Wahrnehmungskanäle des Zuhörens (gleichschwebende Aufmerksamkeit), der Emotionalität (Gegenübertragung) und der Handlungssprache (Interaktion, Szene). Orientieren kann er sich, indem er nach dem »heißen« Gefühl oder dem unbewussten Thema dieser Stunde sucht, nach dem, was Strachey (1934) den emotionalen Dringlichkeitspunkt (point of urgency) genannt hat. Im zweiten Schritt kommt es zum Nachdenken. Die Aufgabe ist nun, das Erspürte und Wahrgenommene zu fassen zu bekommen. Oft geschieht dies zunächst intuitiv und implizit, manchmal explizit durch Theorien geleitet. Wie kann ich das verstehen? Was ist der unbewusste Prozess? Was der rote Faden? Der »heiße« Konflikt? Die emotionale Begegnung? Welche Konzepte und Theorien können mir hilfreich sein? Ein wesentliches Moment dabei ist die Selbstreflexion, also die Möglichkeit, über die eigenen emotionalen Reaktionen, Phantasien und Theorien nachzudenken, die in den Vordergrund treten. Der dritte Schritt schließlich beantwortet die Frage: Was sage ich dem Patienten? Nun geht es darum, ihm von dem Verstandenen etwas mitzuteilen – sei es als neu formulierte Deutung oder nachdem es gemeinsam mit ihm erarbeitet worden ist. Greenson (1967) hat die Aufeinanderfolge der Interventionen beim Analysieren auf klassische Weise zusammengefasst: Konfrontieren, Klären, Deuten, Durcharbeiten. Diese Ordnung des Analysierens ist noch heute hilfreich. Also sage ich zuerst: »Mir fällt auf, dass …«, dann versuche ich, mir Unklares zu klären, dann deute ich, und schließlich wird dieses oder jenes vertieft und durchgearbeitet. Aber oft genug gehen die Interventionen ganz anders, zumal in den meisten Stunden auch viel Nicht-Deutendes gesagt wird, und das aus gutem Grund. Wir konzentrieren uns hier auf die Deutung, weil sie die spezifisch psychoanalytische Interventionsform ist (vgl. die folgenden Erläuterungen zur Deutungskompetenz). Ich sage absichtlich nicht, der Analytiker solle richtige oder gute Deutungen geben, denn die methodische Reflexion von kasuistischen Diskussionen macht immer klarer (Gutmann 2003; Tuckett 2005), dass es kaum möglich ist, die Qualität von Stundenmaterial und Interventionen einfach so einzuschätzen. Der klinische Zusammenhang ist viel zu komplex und die Erfahrung zeigt: Je länger man über eine Intervention diskutiert, desto mehr Perspektiven werden auftauchen, die sie in immer neuem Licht erscheinen lassen. Eine anfangs sehr überzeugende Deutung kann zunehmend fragwürdig werden, eine unscheinbare Intervention immer eindrucksvoller. Unterschiedlichste Autoren sind deshalb zu dem Schluss gekommen, dass man die Interventionen eines Analytikers nur würdigen kann im Kontext dessen, was dieser Analytiker mit seinem Patienten insgesamt erlebt, denkt und tut. Dann lässt sich zumindest die Plausibilität der Interventionen im Rahmen seines Horizontes einschätzen. Diese erhöht sich, wenn er selbst versucht, in der Diskussion den Kontext seiner Intervention zu erläutern. Wir können daraus schließen, dass es gute oder richtige Deutungen in einer abstrakten Einschätzung überhaupt nicht geben kann. Indem wir eine Intervention aussprechen, haben wir einerseits Worte und Inhalte formuliert, die der Patient, so hoffen wir, hört und mit denen er sich auseinandersetzt. Andererseits haben wir auch etwas getan und sind damit unvermeidlich wieder zum ersten Schritt zurückgekehrt: In der analytischen Situation teilnehmend haben wir eine Intervention = Interaktion begonnen. Nun geht es wieder darum, deren Auswirkungen zu erspüren und wahrzunehmen. So setzt jeder der drei Schritte immer neu den nächsten aus sich heraus. Psychoanalytische Kompetenzen – ein Überblick
Den hier aufgeführten Überblick über die Kompetenzen habe ich nach Tucketts Dreischritt geordnet. In den nächsten Kapiteln folgen die jeweiligen Erläuterungen und klinischen Beispiele für ein kompetenteres oder weniger kompetentes Arbeiten. Der teilnehmend-beobachtende Rahmen 1. Die Fähigkeit zur gleichschwebenden Aufmerksamkeit und Zurückhaltung 2. Die Fähigkeit, mit der Gegenübertragung zu arbeiten 3. Die Fähigkeit zur psychoanalytischen Interaktion und Intersubjektivität 4. Die Fähigkeit, eine als hilfreich erlebte Beziehung entstehen zu lassen 5. Die Fähigkeit, mit Angst, Spannungen und Konflikten umzugehen 6. Die Fähigkeit, den Patienten psychischen Raum und Entwicklungsfreiheit zu geben und sie nicht durch eigene Bedürf-nisse oder Unzulänglichkeiten einzuschränken Der konzeptuelle Rahmen 7. Die Fähigkeit, einen analytischen Prozess einzuleiten, zu gestalten und zu beenden 8. Die Fähigkeit, theoretische Konzepte heranzuziehen 9. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und fachlichen Kommunikation Der Interventionsrahmen 10. Die Fähigkeit, in förderlicher Weise zu deuten Erläuterungen und Ankerbeispiele
Die von mir formulierten Kompetenzen sind in sich ziemlich komplex. Ich habe zunächst versucht, ihre Hauptaussage herauszuarbeiten und dadurch genügend Trennschärfe zu erreichen. In den folgenden Erläuterungen lege ich durch eine feinere Charakterisierung gleichsam eine Bedeutungswolke um sie und bette sie dadurch in die Praxis ein. Wie die Kompetenzen selbst sind auch die Erläuterungen theorieinformiert, aber nicht aus einer Theorie abgeleitet, sondern aus dem Umgang mit der Praxis gewonnen. Sie versuchen wiederum, die Fachterminologie einzelner Theorie- und Therapieansätze zu vermeiden, um eine möglichst breite Diskussionsgrundlage herzustellen. Durch die Reihenfolge möchte ich keine Priorisierung oder Gewichtung vorgeben. Beispielsweise werden manche das Arbeiten mit der Gegenübertragung für viel wichtiger ansehen als die gleichschwebende Aufmerksamkeit, andere jedoch genau das Umgekehrte meinen, Dritte werden sagen,...