Buch, Deutsch, Band 962, 458 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 565 g
Reihe: Campus Forschung
Private Altersvorsorge in Deutschland und Großbritannien
Buch, Deutsch, Band 962, 458 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 565 g
Reihe: Campus Forschung
ISBN: 978-3-593-39877-8
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Vergleichende Politikwissenschaft
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Regierungspolitik Innen-, Bildungs- und Bevölkerungspolitik
- Wirtschaftswissenschaften Finanzsektor & Finanzdienstleistungen Versicherungswirtschaft
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Wohlfahrtsökonomie
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Regierungspolitik Sozialpolitik
Weitere Infos & Material
Inhalt
1 Einleitung
2 Forschungsgegenstand und Fallauswahl
2.1 Die Einführung individueller Zusatzvorsorge in Großbritannien und in Deutschland
2.2 Neue Formen staatlichen Handelns: Etablierung von Wohlfahrtsmärkten
2.3 Alterssicherung als Forschungsgegenstand
2.4 Deutschland und Großbritannien im Vergleich - Most Different Systems
3 Die Verschiebung von Zielen in der Sozialpolitik
3.1 Wettbewerb und Fiskalpolitik - Neue Ziele als Reaktion auf eine veränderte Umwelt
3.2 Eigenverantwortung mit staatlicher Partnerschaft - Die Neudefinition der staatlichen Rolle durch politische Akteure
3.3 New Social Risks und Old Politics als Bewahrer sozialer Ziele?
3.4 Zusammenfassung und Hypothesen
4 Soziale Regulierung von Vorsorgemärkten
4.1 Die Governance der Alterssicherung: Märkte jenseits normativer Vorgaben?
4.2 Steuerung des Handelns von Marktakteuren
4.3 Die Nachfrager: Individuelle Akteure als Adressaten von Rentenreformen
4.4 Die Anbieter: Korporative Akteure als Adressaten sozialer Regulierung
4.5 Policy-Instrumente und der Wandel von Staatlichkeit
4.6 Zusammenfassung und Hypothesen
5 Ein Rahmen für die Analyse von Wohlfahrtsmärkten in der Alterssicherung
5.1 Ziele der Gestaltung der Alterssicherung
5.2 Soziale Outcomes der Alterssicherungssysteme
5.3 Die Instrumente der staatlichen Steuerung
5.4 Aufbau der Analyse
5.5 Methoden
6 Die Ziele der Rentenreformen in Großbritannien und Deutschland
6.1 Die Reformen in Großbritannien 1985/1986
6.2 Die Reform in Deutschland 2001
6.3 Zwischenfazit I: Etablierung von Wohlfahrtsmärkten und wohlfahrtsstaatlicher Wandel
7 Vom Boom zum Bust des britischen Wohlfahrtsmarktes
7.1 Die Jahre 1986 bis 1992: Etablierung und Konsolidierung des Wohlfahrtsmarktes
7.2 Die Jahre 1993 bis 1996: Nach den Skandalen
7.3 Die Jahre 1997 bis 2005: Durch simplicity zu einem nachfragegesteuerten Vorsorgemarkt
7.4 Die Jahre 2006 bis 2010: Das Ende des freiwilligen Vorsorgemodells
7.5 Zwischenfazit II: Die Entwicklung des Wohlfahrtsmarktes in Großbritannien
8 Der langsame Aufstieg des deutschen Wohlfahrtsmarktes
8.1 Die Jahre 2001 bis 2003: Einführung der Riester-Rente
8.2 Konsolidierung und Ausbau des Vorsorgemarktes: 2004 bis 2010
8.3 Zwischenfazit III: Die Entwicklung des Wohlfahrtsmarktes in Deutschland
9 Soziale Outcomes im Vergleich
9.1 Teilhabe an den Wohlfahrtsmärkten
9.2 Die Verringerung von gesellschaftlich erzeugter Ungewissheit auf Wohlfahrtsmärkten
9.3 Sozialer Ausgleich in der Alterssicherung
9.4 Differentielle Wirkungen - differentieller Regulierungsbedarf
10 Steuerbarkeit und Politisierbarkeit von Wohlfahrtsmärkten
10.1 Zentrale Ergebnisse
10.2 Das Steuerungstrilemma der Wohlfahrtsmärkte
10.3 Staatliches Handeln in der Altersvorsorge
Anhang
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literatur
Dank
1 Einleitung
"Lebt in vollen Zügen. Feiert. Lasst es krachen. Ignoriert - das ist das Wichtigste! - alle Vorsorge und Anlage-Angebote!" Das rät der Zeit-Kolumnist Harald Martenstein der Jugend im Oktober 2010. Und auch der Kabarettist Horst Evers, Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 2008, berichtete in seiner lakonischen Art über den Versuch eines Vertreters, ihm eine Rentenversicherung zu verkaufen. Satire, so definiert Killys Literaturlexikon, setzt sich mit zeittypischen Fehlern und Lastern auseinander, versucht mit Hilfe des Lachens und des Spotts den Gegensatz von Schein und Sein zu demaskieren. Private Altersvorsorge als zeittypisches Laster? Zeittypisch ist sie auf jeden Fall, seit in den 1980er Jahren immer mehr Regierungen und internationale Organisationen private Altersvorsorge als Lösung für das Problem präsentierten, dass durch den demographischen Wandel künftig der Versorgungsbedarf der Alten in der Bevölkerung steigen wird. Im Gegensatz zur Satire versucht Wissenschaft, das Sein zu erklären, auch und gerade wenn es dem Schein bzw. einem normativen Ideal widerspricht. Besonders beim Forschen über Sozialpolitik ist das evident. In diesem Sinne untersucht die vorliegende Arbeit, wie sich das ›Sein‹ der privaten Vorsorge in zwei Ländern entwickelte und welche Rolle sie für die Erfüllung sozialer Normen in der Alterssicherung spielt.
Das System der Alterssicherung umfasst in dieser Arbeit alle Einrichtungen, die vor starken individuellen Einkommensverlusten im Ruhestand im Vergleich zur aktiven Lebensphase schützen sollen. Die größte Bedeutung haben dafür staatliche Rentensysteme, deren Gestaltung historisch und nach Ländern variiert. Rentensysteme sind die Flaggschiffe der meisten modernen westlichen Wohlfahrtsstaaten (Leibfried/Mau 2008: xii). Realwirtschaftlich machen die Aufwendungen für Rentenzahlungen einen großen Teil nationaler Budgets aus. Deutschland gab 2005 ein Viertel der Staatsausgaben für Renten aus (OECD 2009: 139). Die Entwicklung staatlich organisierter Rentenzahlungen wurde in der Forschung, auch im Ländervergleich, ausführlich beleuchtet, während nicht-staatliche Leistungen zumeist eine ›private‹ Angelegenheit blieben. Nach der Phase des Ausbaus staatlicher Alterssicherung nach dem zweiten Weltkrieg (Ritter 1989) setzte in den 1980er Jahren eine Reformwelle ein, die häufig dazu führte, dass sich Renten zunehmend am Versicherungsgedanken orientieren und die Bedeutung von Zahlungen aus nicht-staatlichen Systemen wächst (Fenge u. a. 2003; OECD 2007). Derartige Reformen begannen in den 1980er Jahren in Großbritannien. Neue Formen der Absicherung von ArbeitnehmerInnen sollten den streng regulierten, recht weit verbreiteten und mit der staatlichen Säule verknüpften Betriebsrenten Konkurrenz machen. Im Jahr 2001 wurde in Deutschland das Niveau der gesetzlichen Rente auf lange Sicht gesenkt. Hier sollen ebenfalls betriebliche und von Finanzdienstleistern angebotene Vorsorgelösungen zum Alterseinkommen künftiger Generationen beitragen.
Die neuen, nicht-staatlichen Vorsorgesysteme stehen unter dem Verdacht, sozialen Zielen nicht genügend Rechnung zu tragen und künftig die Ungleichheit in einer Gesellschaft zu verstärken. Altern Gesellschaften, dann bestimmt die Leistungsfähigkeit von Alterssicherungssystemen die soziale Lage einer immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe und insofern auch das Ausmaß sozialer Unterschiede innerhalb der Gesamtgesellschaft. Die Privatisierung von Rentensystemen enthob die nicht-staatlichen Leistungen ihres wissenschaftlichen Schattendaseins. Die Aufmerksamkeit wandte sich zunächst der an einen Arbeitsplatz gebundenen nicht-staatlichen Vorsorge zu, den Betriebsrenten (Hannah 1986; Ebbinghaus 2000; Hyde u. a. 2003; Meyer u. a. 2007). Individuelle, persönliche Vorsorge jenseits des Arbeitsplatzes blieb weiterhin wenig untersucht, vielleicht weil sie weniger relevant erschien als Betriebsrenten. Allerdings lösten die britischen Rentenreformen zum Ende der 1980er Jahre eine "Personal Pensions Stampede" aus (Disney/Whitehouse 1992) und auch in Deutschland bezogen 1999 bereits 37 Prozent der über 65-Jährigen Einkünfte aus den Zinsen ihres Vermögens, während nur 19 Prozent eine Betriebsrente erhielten (Bundesregierung 2001: Tabellen B4.2, C3.1).
Als sozialpolitische Akteure individuelle Vorsorgeprodukte in das Gesamtsystem der Alterssicherung integrierten, wurde dies von der Forschung als eine Etablierung von Wohlfahrtsmärkten beschrieben. Besonders die deutsche Sozialpolitik-Forschung machte sich um dieses Konzept verdient, indem es die im britischen Kontext geprägte Diskussion der market means and welfare ends (Taylor-Gooby u. a. 2004) um die Frage der sozialen Regulierung und politischen Einbettung dieser Märkte erweiterte (Nullmeier 2001). Diese Arbeit schließt an die Debatte an, die im größeren Kontext der Theoretisierung wohlfahrtsstaatlichen Wandels geführt wird.