E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Wolff Auf die Straße !
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7565-8354-6
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
über die ausufernde Streik- und Protestkultur in unserem Land
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-3-7565-8354-6
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausgehend von einer Betrachtung einzelner Proteste der zwischen 2023 und Frühjahr 2024 versucht der Autor folgende Fragen zu beantworten: warum nehmen die Proteste auf unseren Straßen zu? Droht ein Generalstreik oder gar ein Sturm des Reichtags ? Welche Rolle spielt digitaler Protest? Ist eine Reform des Streikrechts oder eine Novellierung des Grundrecht auf Versammlungsfreiheit angeraten? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben Streiks und Demonstrationen. Wie erfolgreich sind die Protestvarianten? Welche Potenziale bieten sie? Und welche Gefahren bergen sie? Eine Schlussbetrachtung, in der die wesentlichen Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln formuliert werden und zudem ein Ausblick in die Zukunft der Proteste angedeutet wird, rundet das Werk ab.
Eine Liste der Veröffentlichungen findet sich auf der Homepage www.wolffslaute.de
Autoren/Hrsg.
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Januar
Ein Jahresbeginn ist meist geprägt von `guten Vorsätzen`. Einer davon könnte lauten, sich mehr in der Natur aufzuhalten. Den nehmen die Menschen wörtlich, die sich am 14. Januar 2023 mit Shuttle-Bussen, unter anderem aus Hamburg und Köln, in das Dorf Lützerath, gehörig zur 43.000-Einwohner-Stadt Erkelenz im Westen von Nordrhein-Westfalen, kutschieren lassen (18). Hintergrund: Im Januar will der Energiekonzern RWE Lützerath zerstören, um die Kohle darunter zu verfeuern. Dem stellen sich die Demonstranten mit der Demonstration am 14. Januar entgegen. Und fordern von den Verantwortlichen: Die Räumung von Lützerath zu stoppen. Die Kohle unter Lützerath im Boden zu belassen Einen bundesweiten Kohleausstieg, der kompatibel ist mit der 1,5°-Grenze – sowohl im Rheinland als auch in Ostdeutschland. Es gibt Musik von Sorah & Mal Élevé, Osy & Boktan Showcase, KLAN, Haller, Charly Klauser, Shelly, CONNY, Poetry Slam von Sebastian23 sowie Redebeiträge von Peter Donatus, Greta Thunberg, BUND, Campact, Greenpeace, der Klima-Allianz und NAJU. Aber bei der Demonstration gibt es auch Krawalle: Die Polizei setzt Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, als eine Gruppe von Demonstrierenden versucht, nach Lützerath zu kommen. Die Ordnungshüter behaupten, die Demonstranten hätten Steine geworfen und Feuerwerk gezündet. Bereits wenige Tage später ist das Dorf vollständig geräumt. Als letzte Demonstranten verstecken sich zwei Männer tagelang in einem Tunnel unter dem Dorf. Am Ende klettern sie freiwillig heraus (19). Noch hat RWE nicht mit dem Abbau der Braunkohle unter Lützerath begonnen – doch das ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich ist das `Rheinische Revier` das größte Braunkohleabbaurevier Europas. Allein im Tagebau Garzweiler plant RWE noch weitere 280 Millionen Tonnen des Klimakillers Braunkohle zu fördern: Damit rückt die Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze aus dem Pariser Klimaabkommen in weite Ferne… (20). Auch Anfang 2024 halten Aktivisten noch regelmäßig Mahnwachen in dem verlassenen Eifel-Dorf ab. Wer dabei sein will: https://mahnwache-luetzerath.org/termine Ein weiterer jener `guten Vorsätze`, die man stets zum Jahreswechsel propagiert und dann oft nach wenigen Tagen oder Wochen wieder auf den nächsten Jahreswechsel verschiebt ist jener, sich gesünder zu ernähren. Das denken sich wohl auch die 10.000 Menschen, die sich auf der `Wir haben es satt! `-Demonstration am 21. Januar 2023 vor dem Willy-Brandt-Haus in Berlin versammeln und für eine `gute Ernährung für alle` ins Feld ziehen. Auch Landwirt*innen mit ihren Traktoren und einige andere Organisationen wie `Vier Pfoten`, `Pro Vieh` oder die `Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft`, kurz ABL, sind vor Ort. Gefordert wird nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Agrar- und Verbraucherpolitik. Eine Ökologisierung der Landwirtschaft, das Forcieren einer umweltverträglicheren und nachhaltigeren Agrarproduktion – dafür gehen die Menschen zum Jahresanfang auf die Straße. Man insistiert darauf, durch eine Mehrwertsteuersenkung mehr Pflanzliches auf die deutschen Teller zu bringen und dadurch eine bäuerliche Tierhaltung mit weniger Tieren, die dafür deutlich besser gehalten werden, zu ermöglichen. Auch im Großen werden Ziele formuliert: Klima-, Tier- und Umweltschutz, Pestizideinsatz reduzieren, Biodiversität erhalten und das Artensterben bekämpfen – durch gesundes Essen für alle! (21). Mit vielen Traktoren, einem bunten Meer aus selbstgemachten Schildern, kreativen Kostümen und begleitet von Trommelwirbel sorgen die Protestler für einen Hauch von Karneval bereits vor den `Tollen Tagen`. Sie unterstützen ihre Forderungen mit Choreografien, wie zum Beispiel einem Tauziehen zwischen Großkonzernen und Discountern. Kurz vor 12 Uhr beginnt eine Gruppe von Greenpeace-Aktivist*innen mit einer Trommeleinlage und ruft dabei Motto und Namen der Demo: „Wir haben es satt!“. Nach einigen Reden, in denen die jahrzehntelang verfehlte Agrarpolitik thematisiert und sich mit den Bäuerinnen und Bauern solidarisiert wird, geht der Demozug los. Gemeinsam zieht die Menschenmasse vorbei am Finanz- und Landwirtschaftsministerium bis zur Abschlusskundgebung beim Kanzleramt. Mit einem abschließenden Linseneintopf, der noch bei der der Abschlusskundgebung serviert wird, und am Abend stattfindenden Workshops lässt man den Demotag ausklingen (22). Hätten die Demonstranten geahnt, wie mit ihren Forderungen in der Folge umgegangen wird, wäre ihnen wahrscheinlich der Appetit vergangen. Statt einer Mehrwertsteuersenkung beschließt die Bundesregierung, dem zum 31.12.2023 auslaufenden reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Speisen von 7% wieder auf 19% zu erhöhen (23). Die Umweltauflagen, an die EU-Zahlungen an die Landwirte aus dem Topf der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) geknüpft waren, und die enorm wichtig für den Erhalt der Biodiversität sind, sollen künftig vollends entfallen. Als Begründung führt man an, die Landwirte sähen sich bereits mit `außergewöhnlichen Schwierigkeiten` wie Preis-Dumping oder steigenden Betriebskosten konfrontiert. Umweltschützer werfen der EU-Kommission nun vor, kurzfristigem Profitdenken anstatt langfristiger Vorsorge für die Lebensgrundlagen den Vorzug zu geben (24). Auch Ihren Vorschlag für eine Pestizidverordnung zieht die EU-Kommission zurück. In dem Entwurf war vorgesehen, dass Landwirte den Einsatz von Pestiziden in den kommenden Jahren deutlich einschränken müssen: Es sollten insgesamt 50 Prozent weniger Pestizide bis 2030 eingesetzt werden, wie es unter anderem auch in der EU-Biodiversitätsstrategie der EU festgelegt ist. „Mit dem Rückzug des Vorschlags zur Pestizidreduktion schadet die EU-Kommission nicht nur unserer Gesundheit und Artenvielfalt, sondern lässt auch Landwirt*innen im Stich“, kommentiert die Umweltrechtsorganisation ClientEarth die Entscheidung. Denn viele von diesen zeigten bereits, dass eine ehrgeizige Reduzierung von Pestiziden möglich ist. „Dazu benötigen sie jedoch angemessene Unterstützung und Rahmenbedingungen – welche nun weiter hinausgezögert werden.“ Der Umweltschutz-Verband BUND spricht von einem „fatalen Signal“ für die Zukunft der europäischen Landwirtschaftspolitik. Denn die bisherige nationale und EU-Agrarpolitik drängt die Landwirtschaft geradezu zur Pestizidnutzung (25). In einer Welt, die zunehmend mit Klimakrisen, Nahrungsmittelunsicherheit und ökologischen Herausforderungen konfrontiert ist, ist die Förderung von agrarökologischen Praktiken von entscheidender Bedeutung. Schließlich ist die Agrarwende kein politisches Projekt, sondern eine wissenschaftlich belegbare Notwendigkeit. So hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Amtszeit auch zunächst ins Zeichen eines Green Deal gestellt – jetzt reicht sie stattdessen der Agrarlobby beide Hände und wischt damit Umwelt- und Artenschutz vom Tisch. Und eine Agrarwende ist nach wie vor nicht in Sicht. Um Nahrung, zumindest im weitesten, nun gut, im allerweitesten Sinne geht es auch in einen Streik, der gleichfalls im Januar 2023 vonstattengeht. Im Jahr 1886 erfindet der Apotheker John Stith Pemberton in Atlanta ein Getränk gegen Müdigkeit und Kopfschmerzen und schenkt es zunächst glasweise in seiner Apotheke aus. Er erfindet so die Formel für Coca-Cola und legt damit den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Nach zwei Jahren verkauft der Apotheker seine Patentrechte an den Unternehmer Asa G. Chandler, die Coca-Cola Company entsteht. Bald ist Coca-Cola in jedem Bundesstaat der USA erhältlich. In den 1910er Jahren wird Coca-Cola wird von einer Investorengruppe übernommen, erste Abfüllanlagen in Europa werden errichtet. In Deutschland wird 1929 von der `Essener Vertriebsgesellschaft für Naturgetränke` erstmals Coca-Cola abgefüllt (26). Heute ist Coca-Cola die mit Abstand wertvollste Softdrink-Marke der Welt mit einem geschätzten Markenwert von, Stand 2023, über 98 Milliarden US-Dollar (27). Ende 2022 verfügt die Gruppe über 133 Produktionsstandorte weltweit. 64,2% des Nettoumsatzes werden im Ausland erzielt (28). Das Getränk, bestehend aus Wasser, Zucker, Kohlensäure, dem Farbstoff E 150d, dem Säuerungsmittel Phosphorsäure, Aroma und Koffein erfrischt die Menschen in mehr als 200 Ländern – und wird überall auf der Welt nach gleicher Rezeptur hergestellt (29). Von der anhaltenden Erfolgsstory wollen natürlich auch die Mitarbeiter profitieren – und zwar mit einer satten Gehaltserhöhung. "Die Forderung der Gewerkschaft nach 400 Euro mehr pro Monat ist absolut gerechtfertigt", befindet der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Freddy Adjan. "Coca-Cola geht es glänzend, Umsatz und Gewinn sind gestiegen. Es ist davon auszugehen, dass die Aktionäre eine Rekorddividende bekommen. Von diesem dicken Kuchen wollen die Beschäftigten ein Stück ab. Und es sind besondere Zeiten: Die Leute spüren die extreme Inflation an den Supermarktkasse, bei den Energiekosten und an der Tankstelle. Das macht steigende Löhne noch wichtiger." So gehen die Beschäftigten am 23.Januar 2023 auf die Straße. Bereits in der zweiten Tarifrunde einigt man sich: Die rund 6500 Beschäftigten von Coca-Cola Deutschland bekommen mehr Geld. Zum 1. März 2024 steigt das Bruttomonatsgehalt um 180 Euro, vom 1. Januar 2025 an gibt es weiter 170 Euro zusätzlich. „Zusammen mit der Gewerkschaft haben wir ein faires, umfassendes Tarifpaket abgeschlossen“, freut sich Coca-Cola-Verhandlungsführer und...