E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Reihe: Start ins Rechtsgebiet
Gersdorf Verwaltungsprozessrecht
7., völlig neu bearbeitete Auflage 2024
ISBN: 978-3-8114-8948-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Reihe: Start ins Rechtsgebiet
ISBN: 978-3-8114-8948-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Studierende, Rechtsreferendare
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
§ 1 Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
1 Ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, d.h. eine Klage, ein Antrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes oder ein Antrag im Normenkontrollverfahren, setzt voraus, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Sofern der Rechtsweg zu dem Verwaltungsgericht nicht eröffnet ist, wird die Klage indes nicht als unzulässig verworfen (Prozessurteil), sondern von Amts wegen an das zuständige Gericht verwiesen (§ 17a II GVG i.V.m. § 173 VwGO). Dementsprechend ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges auch keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage als solche. Sie ist jedoch Voraussetzung für die Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens; deshalb empfiehlt es sich, die Anforderungen des § 40 VwGO im Rahmen der Zulässigkeit des (verwaltungsgerichtlichen) Verfahrens zu prüfen[1]. 2 Der Verwaltungsrechtsweg kann eröffnet sein - aus Spezialzuweisungen[2] (vgl. etwa § 54 I BeamtStG für Landesbeamte bzw. § 126 I BBG für Bundesbeamte; § 82 SG; § 54 BAföG; weiterhin § 9 IV IFG und § 6 I UIG); ? Andere Terminologie: Aufdrängende Sonder-/Spezialzuweisung. - aus der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO. 3 Die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO nennt drei Voraussetzungen für die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges: - Öffentlich-rechtliche Streitigkeit; - nichtverfassungsrechtlicher Art; - keine „abdrängende Sonderzuweisung“, also keine gesetzliche Zuweisung der Streitigkeit an ein anderes Gericht. I. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
1. Vorliegen einer rechtlichen Streitigkeit
4 Im Einzelfall kann problematisch sein, ob überhaupt eine rechtliche Streitigkeit als Voraussetzung für die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges gemäß § 40 I 1 VwGO vorliegt. Diese Frage wird in erster Linie in den folgenden drei Fallkonstellationen diskutiert: - Organ-, insbesondere Kommunalverfassungsstreitverfahren[3]. - Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis (Sonderstatusverhältnis) – Schüler, Beamte, Lehrer, Soldaten, Zivildienstleistende: Seit der Strafvollzugsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts[4] steht fest, dass Grundrechte auch in besonderen Gewaltverhältnissen gelten; Maßnahmen in diesem Bereich sind demnach uneingeschränkt justiziabel. - Demgegenüber sollen Gnadenakte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerichtlich nicht überprüfbar sein, weil es rechtlicher Maßstäbe für die Überprüfung entsprechender Hoheitsakte ermangele („Gnade vor Recht“)[5]. Für den Fall des Widerrufs hat das Gericht hingegen für eine gerichtliche Überprüfbarkeit plädiert[6]. Unter Berufung darauf, dass es im Lichte der Art. 19 IV, 20 III GG keine verfassungsrechtlich ungebundene Staatsgewalt geben kann, spricht sich der wohl überwiegende Teil der Literatur[7], aber auch ein Minderheitenvotum des BVerfG[8] für die generelle Justiziabilität von Gnadenakten aus. Hinweis: Zu bedenken ist indes, dass für die Überprüfung ablehnender Gnadenentscheidungen die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 EGGVG[9] Platz greift und damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit unzuständig ist[10]. - Regierungsakte (Auflösung des Deutschen Bundestages, Ausübung der Richtlinienkompetenz durch den Bundeskanzler etc.) sollen nach überwiegender Auffassung nicht justiziabel sein[11]. 2. Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit
5 Ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, bemisst sich nach den für die Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Recht entwickelten Kriterien. Hierbei ist zu differenzieren[12]: a) Sonderrechtstheorie: Abgrenzungsmaßstab für den gesetzlich geregelten Bereich (der Eingriffsverwaltung)
6 Prinzipiell ist bei der Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht mit der Sonderrechtstheorie oder so genannten modifizierten Subjektstheorie zu arbeiten. Die Sonderrechtstheorie ist immer dann anzuwenden, wenn das streitige Rechtsverhältnis gesetzlich geregelt ist, eine streitentscheidende Norm also vorhanden ist. Eine solche gesetzliche Regelung liegt wegen des Vorbehalts des Gesetzes regelmäßig im Bereich der Eingriffsverwaltung vor. Daher ist in allen Fällen der Eingriffsverwaltung für die Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben ist, nach Maßgabe der Sonderrechtstheorie vorzugehen. 7 Nach der Sonderrechtstheorie ist die streitentscheidende Norm immer dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet[13]; nur in diesem Fall liegt Sonderrecht eines Hoheitsträgers vor. Kommen als Normadressaten hingegen auch Private in Betracht, hat die Streitigkeit privatrechtlichen Charakter. Beispiel: Sofern ein Hoheitsträger mit einem Privaten einen Kaufvertrag abschließt, ist die öffentlich-rechtliche Hand Zuordnungssubjekt von § 433 BGB. Da diese Norm aber auch Private berechtigen und verpflichten kann, also als Zuordnungssubjekt nicht ausschließlich ein Hoheitsträger in Betracht kommt, ist diese Norm und damit auch die entsprechende Streitigkeit privatrechtlicher Natur. Demgegenüber berechtigen entsprechende Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von Ordnungsverfügungen nach allgemeinem oder besonderem Ordnungsrecht ausschließlich den jeweils zuständigen Hoheitsträger; sie stellen demnach Sonderrecht des Hoheitsträgers, also öffentliches Recht dar. 8 Im Rahmen der konkreten Fallbearbeitung ist also zunächst auf die streitentscheidende Norm abzustellen und sodann zu fragen, ob nach Maßgabe der Sonderrechtstheorie die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privater Natur ist. 9 Hinweis: Auf die anderen Theorien (Subordinationstheorie, Interessentheorie) ist im Rahmen der praktischen Fallbearbeitung nur dann einzugehen, wenn die Sonderrechtstheorie und die Zwei-Stufen-Theorie zu keinen Ergebnissen führen. Nach der Subordinationstheorie liegt bei einem Über- und Unterordnungsverhältnis öffentliches Recht, bei einem auf Gleichordnung beruhenden Verhältnis hingegen privates Recht vor. Gegenargumente: Auch im Privatrecht kann es Über- und Unterordnungsverhältnisse geben (Beispiele: Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie zwischen Eltern und Kind); und umgekehrt zeigt das Beispiel des koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrages (vgl. § 54 VwVfG), dass auch im öffentlichen Recht entsprechende Gleichordnungsverhältnisse bestehen können. Nach der Interessentheorie sind Vorschriften dann dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sie zumindest überwiegend im öffentlichen Interesse liegen. Gegenargument: Das Kriterium des „öffentlichen Interesses“ ist zu vage, um eine verlässliche Abgrenzung zwischen beiden Rechtskreisen vornehmen zu können. Letztlich findet nur ein Austausch der Begrifflichkeiten statt, ohne dabei selbst die notwendigen Kriterien für die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht bzw. zwischen öffentlichem und privatem Interesse zu benennen. In dem Standardfall einer hoheitlichen Maßnahme belastenden Charakters auf dem Gebiet des allgemeinen oder besonderen Ordnungsrechts kann das Gutachten wie folgt ausformuliert sein: Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 I 1 VwGO setzt voraus, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidende Norm ausschließlich einen Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet (Sonderrechtstheorie). Streitentscheidende Norm ist hier die entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nach dem … (Gesetz des allgemeinen oder besonderen Ordnungsrechts). Die Vorschrift berechtigt allein die … (Polizei- oder Ordnungsbehörde) zum Einschreiten und insbesondere zum Erlass entsprechender Ordnungsverfügungen. Sie stellt damit nach Maßgabe der Sonderrechtstheorie öffentliches (Sonder-)Recht dar. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt somit vor. 10 Hinweis: Die streitentscheidenden Normen müssen im Rahmen der Prüfung des § 40 I 1 VwGO noch nicht im Einzelnen erwähnt werden. Teilweise bildet die Frage,...