E-Book, Deutsch, 172 Seiten
Adlersfeld-Ballestrem Der Maskenball in der Ca' Torcelli
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-845-3
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 172 Seiten
ISBN: 978-3-95676-845-3
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Der Maskenball in der Ca' Torcelli
Roman
»Angelo!« Keine Antwort. Draußen flimmerte und schimmerte der glorreiche Spätsommersonnenschein auf dem breiten Wasserstrom des Kanals Grande und überzog die ihn einsäumenden Paläste mit dem eigentümlichen, silbernen, schleierartigen Licht, das man nur in Venedig sieht und ganz besonders auffallend um die Mittagsstunden beobachten kann. Mit leisem, kaum hörbarem Ruderschlag zogen Gondeln und Barken den Kanal herauf und herab; dann und wann schnob und pustete ein Motorboot vorbei, ertönte ein Zuruf sich begegnender Ruderer, und das war das ganze Geräusch der Großstadt Venedig, das der Fremde, in dessen gemarterten Ohren der Höllenlärm seiner Städte widerhallt, als die Totenstille empfindet, die ihn glauben läßt, daß die ehemalige Königin der Meere eine tote Stadt wäre, die ihrem Untergang entgegensähe. Die leichte Seebrise, die wie eine leis streichelnde Hand über den Kanal wehte, flüsterte in den Weiden, Zypressen, Steineichen, Hex- und Lorbeerbäumen, deren wunderbar frisches Grün die hohe, lanzenförmig gezinnte Mauer des Gartens am Palazzo Torcelli dal Giglio überragte; sie raunte leiser noch in den Ranken der wilden, virginischen Weinrebe, die an der Gartenseite den Palast bis hinauf zu den Spitzbogenfenstern des zweiten Stockwerkes überzog. An einem dieser Fenster, hinter der halb zugestellten Markise war dies scharfe, ungeduldige »Angelo!« erklungen, das unbeantwortet geblieben war. Vielleicht absichtlich, denn der Angerufene saß in demselben Raum, doch schien er so in seine Lektüre versenkt und konnte ebensogut den Anruf überhört haben. Es war der derzeitige Besitzer des Palastes, Principe oder zu deutsch Fürst Angelo Torcelli dal Giglio, ein 30jähriger Mann mit einer wahren Antinoosgestalt und einem Rassekopf, in dem die venezianischen Eigentümlichkeiten durch ein paar römische Züge zu einem Ganzen zusammengeschmolzen waren, an dem des aufmerksameren Beobachters Blick sicher nicht ohne Verwunderung vorüberschweifte. Den römischen Einschlag hatte Angelo Torcelli von seiner Mutter, der verwitweten Principessa, die eine Römerin aus dem feudalsten Blut der Ewigen Stadt, den Corleone war. Donna Fabiola war einst eine berühmte Schönheit gewesen, stolz, wie nur eine römische Aristokratin sein kann, arm wie eine Kirchenmaus. Jugendlich schlank und schön, wenn auch vielleicht nur für den Liebhaber dieses Typs, war sie noch heute, trotz ihrer achtundvierzig Jahre. Ihr Stolz war durch ihre Verbindung mit einem der ältesten Geschlechter des venezianischen Uradels noch gewachsen, und ihre Verschwendungssucht hatte zuwege gebracht, die vorher sehr soliden, wenn nicht gar brillanten Finanzen des Hauses Torcelli zugrunde zu richten. »Angelo!« Der zweite Anruf Donna Fabiolas hatte zur Schärfe und Ungeduld noch eine Gereiztheit im Ton, die den anscheinend so sehr in sein Buch vertieften Leser wie ein Peitschenschlag traf, daß er in die Höbe fuhr und fragend aufsah. Mit einem kleinen Seufzer der Resignation, der nicht viel mehr als ein tieferer Atemzug war, legte er das Buch auf das kleine Tischchen, an dem er saß, und machte mit seinem Kopf eine verbindliche Bewegung nach der Sprecherin. »Du befiehlst, liebe Mama?« »Ja, ich befehle«, kam es noch um einen Grad gereizter zurück. »Ich will heute ein für allemal wissen, was du zu tun gedenkst!« »Was ich – oh, wegen des Verkaufs der Villa am Brentakanal? Ja, der Intendant meint, da doch niemand dort wohnt und die Erhaltungskosten sehr groß sind, wäre es wohl angezeigt, dem Wiener Bankier den Zuschlag auf sein Angebot zu erteilen – –« »Dieser Hebräer besitzt schon zwei Paläste des Uradels in Venedig; auf dieses Haus hat er längst sein Auge geworfen«, fiel Donna Fabiola heftig ein. »Aber wenn es dir so leichtfällt, diesen Besitz in solche Hände gelangen zu lassen, der noch dazu von deinem Vater als mein Witwensitz bestimmt wurde –« Ein ausdrucksvolles Achselzucken vollendete die Rede, die nicht nur nicht korrekt, sondern vor allem höchst ungerecht war, da nicht der Leichtsinn des Principe, sondern ihre eigene, glänzende Unkenntnis pekuniärer Mittel die historische Villa am Brentakanal dem Meistbietenden zur Verfügung stellte. Angelo Torcelli erwiderte nichts auf den Ausfall. Er schloß nur den Mund fester und senkte den Blick seiner dunklen, venezianisch samtigen Augen auf die Spitzen seiner eleganten braunen Schuhe herab; er wußte ganz genau, daß er sich noch gegen andere Geschosse zu wappnen hatte, und er tat das mit den allerbesten Vorsätzen, was ihm zur Ehre gesagt werden muß. »Aber tut, was ihr wollt! Wenn der Herr Intendant dekretiert, dann ist ja doch nichts mehr zu machen«, fuhr die Fürstin ungeduldig fort. »Davon wollte ich auch gar nicht reden, aber du mißbrauchst mich absichtlich, Angelo! Gut denn: Ich will wissen, was du wegen Daphne beschlossen hast!« Nun war aber »Daphne« niemand anders als Angelo Torcellis leibliche Cousine, die einzige Tochter des Bruders seiner Mutter, des Fürsten Corleone. Dieser hatte als junger Mann seinen mit Hypotheken überlasteten historischen Palast mit der Gemäldegalerie darin, auf die der Staat schon seine Hand gelegt hatte, durch seine Verheiratung mit einer englischen Erbin vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die vielbewunderte Engländerin, Herzogin »im eigenen Recht«, hatte allen warnenden Stimmen zum Trotz den ruinierten Römer geheiratet. Zur Ehre von Gaetano Corleone muß aber gesagt werden, daß er die junge Herzogin so leidenschaftlich liebte, wie sie ihn, und daß ihr fabelhafter Reichtum nicht die mindeste Rolle dabei spielte. Daß er ihn ohne Bedenken mitnahm, um damit den lang verblichenen Glanz seines alten Hauses wieder zu erneuern, verdachte ihn in seinen Kreisen niemand; die übergroße Feinfühligkeit, die in dem Reichtum der Erwählten ein Hindernis sieht, ist zudem kein Erbteil der lateinischen Rassen, und da auch die angelsächsischen Magnaten begonnen hatten, ins Land der Dollars zu ziehen, um mit dieser angenehmen Münze ihre Schlösser wieder aufzubauen, so fand auch eigentlich jenseits des Kanals »die Gesellschaft« nichts Tadelnswertes in der Annahme der Einkünfte der vielbegehrten Erbin, die gelassen den Tag ihrer Volljährigkeit abgewartet hatte, um ohne gesetzlichen Einspruch dem Zug ihres Herzens folgen zu können. In den fünf kurzen Jahren ungetrübten Eheglücks hatte sie nicht einen Tag Ursache, ihren Schritt zu bereuen, und mit der tiefen Trauer im Herzen, die äußere Schaustellungen meidet, zog die junge Witwe sich mit ihrem einzigen Kind in ihre schottischen Hochlande zurück, und folgte dann nach zehn Jahren dem Unvergessenen ins Grab. Dies einzige Kind aber war »nur« ein Mädchen, auf dessen Kinderschultern schon nach dem Tod seines Vaters die Last des Titels einer Principessa Corleone, Herzogin von Roccosanto, geladen wurde mit der Bedingung, daß der künftige Gatte ihn mit dem alten Namen anzunehmen und fortzuführen hatte in seiner eigenen Deszendenz. Mit dem Tod ihrer Mutter wurde die junge Principessa dazu noch Herzogin von Heatherstone im eigenen Recht. Zwei Vormünder, ein italienischer und ein englischer, wachten über die Wahrung ihrer Rechte und über ihre Erziehung, die eine ganz englische war, weil ihre Mutter bei aller Liebe für ihren Gatten nicht so blind war zu erkennen, daß in ihrer Heimat die jungen Mädchen besser erzogen wurden als in den Kreisen der italienischen Aristokratie; jedenfalls freier, selbständiger und gesünder. Und so wurde aus der mit Titeln beladenen italienischen Fürstin keine Treibhauspflanze, sondern eine Heideblume, gestärkt in der belebenden Luft der freien Berge, ein nur flüchtiger und seltener Gast in den Mauern Roms. Als sie achtzehn Jahre alt geworden war, fand der römische Vormund aber, daß es nun Zeit wäre, sein Mündel mit ihrem Vaterland vertraut zu machen, die Italienerin in ihr zu wecken, welche die Engländerin nachgerade zu ersticken drohte. So wurde die junge Erbin zunächst für ein Jahr der Obhut ihrer Tante Fabiola Torcelli dal Giglio anvertraut. Sie war eine Dame von tadellosem Ruf und die nächste italienische Anverwandte, die in Betracht kam; der Umstand, daß sie einen unverheirateten Sohn hatte und der natürliche Wunsch in ihr rege werden konnte, ihm die Erbin zu sichern, wurde selbstredend nicht außer acht gelassen, aber schließlich von keiner Seite beanstandet, und so hielt Daphne Corleone zunächst ihren Einzug in Venedig, wo sie zum ersten Mal die Bekanntschaft ihres Vetters machte. Donna Fabiola war es bislang noch nie in den Sinn gekommen, mit Daphne Corleone zu rechnen. Sie hatte angenommen, daß man ihr schon längst einen englischen Gatten bestimmt hatte. So war es Sitte in Italien, und wohlerzogene junge Aristokratinnen finden sich darein. Als ihr aber plötzlich die Anfrage der Vormundschaft ins Haus schneite, sah sie darin geradezu einen Wink des Himmels, eine Rettung aus Schwierigkeiten, die gar nicht abzusehen waren. Wäre Donna Fabiola eine Diplomatin gewesen, so hätte sie den Ereignissen erlaubt, sich mit geschickter Nachhilfe zu entwickeln. Aber sie war gewöhnt, ihren Willen als den allein möglichen und maßgebenden zu betrachten. Kaum hatte sie den Brief der Vormundschaft in den Händen, in welchem Daphne Corleone ihrer Obhut zunächst auf ein Jahr anvertraut wurde, und zwar ohne jede Reserve und Bedingung, da flog sie auch schon zu ihrem Sohne und sagte ihm: Du wirst sie heiraten –! Angelo Torcelli, der ganz genau wußte, daß seine Mutter keinen Widerspruch vertrug, hatte sie reden, planen, bestimmen lassen, ohne auch nur ein Sterbenswort dazu zu sagen, –eine längst von ihm befolgte Diplomatie, die ihm ohne stürmische Szenen erlaubte, zu tun, was er für recht...