E-Book, Deutsch, Band 12, 363 Seiten
Reihe: Fandorin ermittelt
Akunin Das Geheimnis der Jadekette
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8412-0165-2
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fandorin ermittelt. Kriminalerzählungen
E-Book, Deutsch, Band 12, 363 Seiten
Reihe: Fandorin ermittelt
ISBN: 978-3-8412-0165-2
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Charme und Bravour löst der beliebte russische Ermittler spannende Fälle in Moskau, St. Petersburg und anderswo. Ob ein erschlagener Antiquitätenhändler, ein verschwundenes adliges Fräulein oder eine grausige Selbstmordserie bei den Altgläubigen im winterlichen Norden - Fandorin ermittelt mit erstaunlicher Kombinationsgabe und großem kriminalistischen Talent.'Boris Akunin ist ein kriminell guter Schriftsteller neuen Typs. Die Liebhaber gebildeter Unterhaltung haben ihren Autor gefunden.' FAZ.
Boris Akunin ist das Pseudonym des Moskauer Philologen, Kritikers, Essayisten und Übersetzers Grigori Tschchartischwili (geboren 1956). 1998 veröffentlichte er seine ersten Kriminalromane, die ihn in kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Autoren in Russland machten. Heute genießt er in seiner Heimat geradezu legendäre Popularität. 2001 wurde er dort zum Schriftsteller des Jahres gekürt, seine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt.'Ich spiele leidenschaftlich gern. Früher habe ich Karten gespielt, dann strategische Computerspiele. Schließlich stellte sich heraus, dass Krimis schreiben noch viel spannender ist als Computerspiele. Meine ersten drei Krimis habe ich zur Entspannung geschrieben ... ' Akunin in einem Interview mit der Zeitschrift OgonjokMehr Informationen zum Autor unter www.akunin.ru.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Das Geheimnis der Jadekette;8
3;Table Talk 1882;45
4;Aus dem Leben der Späne;63
5;Die Skarpea der Baskakows;123
6;Ein zehntel Prozent;179
7;Vor dem Ende der Welt;201
Das Geheimnis der Jadekette
1 Erast Petrowitsch Fandorin unterdrückte höflich ein Gähnen – die Flügel seiner feingeschnittenen Nase bebten kaum merklich, das marmorglatte Kinn senkte sich leicht, doch die Lippen öffneten sich auch nicht für einen Moment, und der Blick der ruhigen blauen Augen blieb wohlwollend und zerstreut. Die Kunst, unauffällig zu gähnen, war ein absolutes Muss für einen weltläufigen Mann, der zudem Beamter für Sonderaufträge beim Generalgouverneur war. Die obligatorische Anwesenheit auf Bällen und Empfängen war eine der schwersten Pflichten in seinem Dienst, der im übrigen nicht sehr beschwerlich und zuweilen sogar spannend war. Der Hofrat fing einen vielsagenden Blick von Peggy Nemtschinowa auf und widmete sich sogleich mit konzentrierter Miene dem Kristalllüster, der im flackernden Gaslicht funkelte. Der Blick der Schönen, die in der gegenwärtigen Saison Furore machte und schon drei Anträge erhalten und wegen mangelnder Solidität abgewiesen hatte, bedeutete: Warum bitten Sie mich nicht um die Quadrille? Fandorin war nämlich so unvorsichtig gewesen, die hübsche Debütantin zum Walzer aufzufordern, was er sogleich bereut hatte: Sie tanzte wie eine Aufziehpuppe, und ihr Verstand erwies sich als äußerst bescheiden. Als Fandorin Mademoiselle Nemtschinowa jetzt wie zufällig näher kommen sah, eindeutig in der Absicht, in die Offensive zu gehen, neutralisierte er dieses gefährliche Manöver, indem er in die Ecke des Saals wechselte, wo sich die Blüte der nichttanzenden Gesellschaft versammelt hatte. Hier waren Fürst Dolgorukoi höchstpersönlich, gewichtige Greise mit geflammten Ordensbändern und korpulente Generäle mit goldflirrenden Epauletten. Zu Letzteren gehörte auch Oberpolizeimeister1 Baranow, der mit herablassendem Lächeln einem lebhaft gestikulierenden Herrn in schlecht sitzendem Frack und verrutschter weißer Krawatte zuhörte. Der Herr war der in ganz Moskau bekannte Sonderling und Exzentriker Graf Chruzki, der als menschenscheu galt und sonst nie Bälle besuchte. Über ihn erzählte man sich, dass er viele Jahre den Orient bereist und einige Zeit in einem Bergkloster gelebt habe, um die Geheimnisse des Lebens zu ergründen. Angeblich hatte er sie ergründet und beabsichtigte nun, ein Buch darüber zu schreiben, das die gesamte westliche Zivilisation von den Füßen auf den Kopf stellen würde, doch er fand einfach keine Zeit dazu: Mal sammelte er Unterschriften für die Errichtung eines buddhistischen Tempels in Moskau, mal hielt er an der Universität Vorlesungen über den östlichen Mystizismus, dann wieder erheiterte er ganz Moskau mit dem närrischen Projekt, eine Eisenbahnlinie zum Stillen Ozean zu bauen. Im Winter nahm er bei beliebigem Frost Schneebäder auf dem Hof seines halbverfallenen Anwesens am Arbat, wozu der Hausmeister eine besonders hohe, lockere Wehe aufzutürmen hatte, denn die Passanten begafften den halbverrückten Herrn durch das altertümliche Eisengitter. Erast Fandorin war dem Grafen schon vor längerem vorgestellt worden und hatte sogar mit ihm ein sehr interessantes Gespräch über die praktische Möglichkeit der Unsterblichkeit geführt, aber nähergekommen war man sich nicht, obwohl sich der Hofrat auch für den Orient interessierte und Schneebäder nahm, wenngleich nicht ganz so öffentlich. »Herr Fandorin!« rief Chruzki energisch. »Sie kommen wie gerufen! Ich erzähle dem General schon eine geschlagene Stunde von einer geheimnisvollen Geschichte, aber er hört mir nicht zu.« Der Graf wandte sich sofort wieder an den Oberpolizeimeister, hielt ihn an einem Wappenknopf seiner Uniformjacke fest und rief hitzig: »Ich sage Ihnen, mein Herr, das ist kein gewöhnlicher Raubmord! Erast Petrowitsch ist ein scharfsinniger Mensch. Soll er seine Meinung dazu äußern.« Der General warf Fandorin einen gequälten Blick zu, befreite vorsichtig seinen Knopf und sagte in gutmütigem Bass: »Was soll daran geheimnisvoll sein, Lew Aristarchowitsch? Jemand hat dem Trödler eins mit dem Beil über den Schädel gehauen. In Sucharewka passieren solche Dinge fast täglich. Ein normaler Fall für die Polizei, der Reviervorsteher wird sich darum kümmern.« »Trödler?«, fragte Fandorin. »Meinen Sie den Antiquitätenhändler Prjachin? Ich habe in den ›Polizeinachrichten‹ davon gelesen. Sieht nach einem Raubüberfall im S-Suff aus.« »Ohne jeden Zweifel.« Baranow nickte. »In dem Lädchen gibt’s nur Plunder, darauf sind die Profis nicht erpicht. Die Einbrecher haben den Besitzer umgebracht und irgendwelchen Trödel mitgenommen.« »Ich habe Prjachin sehr gut gekannt!«, unterbrach Chruzki den General erregt. »Ich war oft bei ihm. Er hat von opiumsüchtigen Chinesen alle möglichen Sächelchen aufgekauft und für mich aufgehoben. Größtenteils wirklich Plunder, aber manchmal war auch was Interessantes dabei. Hören Sie, Erast Petrowitsch, vor drei Tagen wurde der Laden schon mal überfallen. Am späten Abend, als nur noch der Gehilfe da war. Er bekam einen Schlag auf den Hinterkopf und verlor das Bewusstsein. Dann haben die Gauner alles durchwühlt und sind gegangen, ohne etwas mitzunehmen. Wie finden Sie das?« »Recht merkwürdig«, gab Fandorin zu, während er mit einem Auge sah, dass Mademoiselle Nemtschinowa sich den Plaudernden bis auf ein paar Meter genähert hatte und unschlüssig stehenblieb. Eine äußerst besorgte Miene aufsetzend, wandte sich der Hofrat dem Grafen zu und fragte: »Die haben wirklich nichts mitgenommen?« »Prjachin hat mir erzählt, dass sie das Unterste zu oberst gekehrt, aber nur eine große bunte Fayencevase mitgenommen haben, die höchstens fünf Rubel wert ist. Das japanische Netsuke aus Achat, die größte Kostbarkeit, haben sie nicht angerührt. Darüber hat sich der Ärmste noch so gefreut!« »Wurde diesmal etwas gestohlen?« »Ich habe mit Nikifor gesprochen, das ist der Gehilfe«, teilte Chruzki mit. »Die Strolche haben wieder den ganzen Laden durchwühlt, sogar die Bodenbretter herausgerissen, aber nur ein paar billige Hongkong-Tücher und eine arabische Messingpfeife mitgenommen. Nein, meine Herren, da steckt etwas anderes dahinter. Ich versichere Ihnen, die Mörder haben etwas Bestimmtes gesucht!« Fandorin hob verwundert die Brauen. »Wie kommen Sie darauf, dass es mehrere waren?« »Die Polizei nimmt es an«, antwortete Baranow für den Grafen. »Eine solche Verwüstung kann einer allein kaum anrichten. Höchstens in einer extremen Raserei. Der arme Händler wurde mit dem Beil fast in Stücke gehackt.« »Die Geschichte ist in der Tat m-merkwürdig.« Von hinten waren leichte Schritte und das Rascheln eines Spitzenkleides zu hören, weshalb Fandorin noch einen Schritt auf den General zutrat, als wolle er ihm eine höchst wichtige Mitteilung machen. »Zwei Überfälle auf einen bescheidenen Laden, noch dazu mit allen Anzeichen einer Durchsuchung. Das sieht nicht nach einem gewöhnlichen Raubüberfall im Suff aus.« »Finden Sie?«, Baranow war es gewohnt, die Schlußfolgerungen des Beamten für Sonderaufträge sehr ernstzunehmen, und schlug darum vor: »Vielleicht sollte man den Fall der Kriminalpolizei übergeben?« »Das ist vorerst nicht nötig. Ich schaue mir morgen früh den T-Tatort an. Dann sehen wir weiter. Wer ist dort Reviervorsteher? Nebaba?« »Ja, Makar Nebaba2.« Der General schmunzelte. »Komischer Name. Wie ein Weib sieht er wirklich nicht aus. Vor seinen pudschweren Fäusten zittern alle Clochards von Sucharewka. Natürlich ein Halunke, aber er hält Ordnung.« Da fiel der Blick Seiner Exzellenz auf etwas hinter Fandorins Rücken, sein Gesicht nahm einen zuckersüßen gerührten Ausdruck an, der gezwirbelte Schnurrbart bauschte sich galant, woraus zu schließen war, daß Peggy zum Sturm ansetzte. Fandorin hörte ein leises Klacken, begleitet von einem melodischen »Ach!« Mit einem schicksalsergebenen Seufzer drehte er sich um und hob den heruntergefallenen Fächer auf. Die Quadrille war nicht zu umgehen. 2 »Um wie viel Uhr ist das passiert?«, fragte Fandorin, hockte sich hin und untersuchte aufmerksam das Türschloss. »So zwischen neun und zehn Uhr abends«, rapportierte der in ganz Sucharewka bekannte Reviervorsteher Makar Nilowitsch Nebaba, ein muskulöser Mann mit langen Armen und derbem, finsterem Gesicht. »Der Laden hatte schon zu, aber der Besitzer war noch zugange. Wahrscheinlich hat er seine Einnahmen gezählt. Der da war nicht im Laden.« Der Polizist deutete mit dem Kopf auf den Gehilfen Nikifor Nilowitsch Kljujew, ein krummes und nervöses Männlein um die vierzig. Dessen Kopf war mit einem nicht sehr sauberen Lappen umwickelt – bei dem vorigen Überfall hatte er einen mächtigen Schlag auf den Schädel bekommen. »Danach hab ich lange flach gelegen«, klagte der Gehilfe. »Und auch jetzt noch taumle ich hin und her. Der Feldscher hat gesagt, ein himmlisches Wunder, dass meine Schädeldecke nicht in zwei Hälften zersprungen ist. Gott der Herr hat mich bewahrt. Aber wenn ich vorgestern hier gewesen wär, dann hätten die mich, genau wie meinen Chef …« Er bekreuzigte sich, fing einen strengen Blick des Reviervorstehers auf und wickelte sogleich den Lappen ab. »Da, Makar Nilowitsch, bitte sehr, wenn Sie sehen wollen. Eine Beule, groß wie eine Butterbirne.« Kljujew neigte den höckerigen Kahlkopf und wies den Beweis seines Martyriums vor. Die Beule war überzeugend: blaurot, Birne hin, Birne her, aber allemal so groß wie eine reife Pflaume. »Zwischen neun und zehn?«, wiederholte Fandorin und trommelte mit den Fingern gegen die Tür. Der Reviervorsteher beugte sich zu dem Beamten herab, hielt...