Albrecht | Drei Herzen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 239 Seiten

Albrecht Drei Herzen

Roman
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8353-0669-1
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 239 Seiten

ISBN: 978-3-8353-0669-1
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Geschwindigkeit, mit der Josh, Pitje, Nora und all die anderen durch die Welt stürmen, kann einen schwindlig machen. Ihre Neugier ist ebenso unbezähmbar wie mitreißend. Alle Oberflächen müssen abgetastet, alles muss im Bild festgehalten werden - freilich nicht 1:1 und schon gar nicht akribisch geordnet für die wohligen Erinnerungen der Enkel. Vor allem gilt es, die Geschwindigkeit der Neuronen im eigenen Kopf mit dem ekstatischen JETZT zu synchronisieren. Was fertig aussieht, ist nur Rohmaterial und muss immerzu neu zusammengesetzt und abgemischt werden. Selbstverständlich werden dabei die 10 goldenen Regeln der Lomographie hochgehalten, ebenso aber Super 8-Filme, Digitalkameras und Fotofixautomaten genutzt sowie alte Fotos durchgeblättert - und unweigerlich taucht die Frage auf, wie das unstillbare Nasenbluten zu erklären ist, das seit über drei Generationen die Familie plagt.

Überall lauern Geschichten: von Lis und ihren Edelweißpiraten in den dreißiger Jahren, von Burkhard und dessen Freunden in den Sechzigern, und schließlich sogar solche aus der eigenen Vergangenheit zwischen Schallplatten, Filmsequenzen und drei schlagenden Herzen. Jörg Albrecht erzählt sie auf eine Weise, wie wir sie noch nicht vernommen haben

Albrecht Drei Herzen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Umschlag;1
2;Titel;4
3;0: Von innen ist die Welt kleiner [Embryonalphasenmix];8
4;1: Neuronenschaltung // Magnetophonbänder No. 1 & 2;20
5;2: Super 8-Augen // Magnetophonbänder No. 3 bis 5;86
6;3: Drei Herzen [Elektroencephalogramm];162
7;Impressum;241


0 Von innen ist die Welt kleiner [Embryonalphasenmix] (S. 7)

Auf Power schalten. Den roten Knopf drücken. Den roten Knopf gedrückt lassen. Den LCD ausklappen. Das Bild auf dem LCD abwarten. Wie es sich aufhellt, wie es sich abdunkelt. Dazwischen verschwommene Konturen. Das Bild im Mutterleib. Vielleicht kennen wir da schon den verschwommenen Ausblick. Vielleicht haben wir unsere Worte da schon. Vielleicht ist die Welt da schon klein. Die RECORD-Anzeige blinkt.

Die RECORD-Anzeige ist rot. Der Ton ist verzerrt, das Bild verschwommen. Nur die Tonspur läuft. Nur die Bildspur läuft. Nur die Hautzellen sind noch nicht abgestumpft. Jede Berührung ein elektrischer Schlag, jede Berührung das Aufleuchten eines Bildes. Bis sich Berührungen aneinanderreihen. Jede Berührungsserie ein Aufblinken von Bildern, jede Berührungsserie ein Film. Jeder Film fängt irgendwann an. Jeder Film hört irgendwann auf. Dazwischen das kleine Beben der Bilder. Was sagt der Seismograph.

Die RECORD-Anzeige bleibt rot, die RECORD-Anzeige blinkt. Erst zwei hellblaue Punkte und eine Fläche aus Schwarz. Erst verschwommen, dann klar. Joshs Augen und Pitjes Haare. Erst in Bildbruchstücken, dann hochaufgelöst. Pitje sagt, Nur von innen. Josh fragt, Filmst du schon. Pitje hält etwas Hellgrünes aus Plastik vor sein Gesicht. Pitje hält etwas Hellgrünes aus Plastik vor seine schwarzen Augen. Davor ist das Bild unscharf.

Davor ist das Bild zu dunkel. Davor ist das Bild schwarz. Wir müßten klein sein, sage ich und knie mich hin. Neben einem orangen Telefon ohne Kabel mein hellgrüner Märchenfernseher. Neben dem hellgrünen Märchenfernseher meine Kniescheibe unter Kord. Neben meiner Kniescheibe unter Kord Josh und Pitje. Josh und Pitje sortieren aus einem Schuhkarton die schönsten Aufkleber der Siebziger und die schrecklichsten Aufkleber der Achtziger aus.

Neben den schrecklichsten Aufklebern der Achtziger und den schönsten Aufklebern der Siebziger ein vergilbter Karton. Unter dem vergilbten Karton die PVC-Platten des Dachbodens meiner Eltern. Wir müßten klein sein, sage ich und bleibe stehen und zoome an die PVC-Platten heran.

Auf den PVC-Platten des Dachbodens meiner Eltern liegen japanische Zeichen. Die japanischen Zeichen der Kameragebrauchsanweisung liegen hier, wenn ich nah genug an die PVC-Platten heranzoome. Der Zoom ist zu stark, der Zoom ist zu schnell. Das Bild verschwimmt. Joshs hellblaue Augen und Pitjes schwarze Augen gehen ineinander auf. Fünf Jahre früher passiert das zum ersten Mal. Fünf Jahre früher sehen wir von der alten Halde hinunter auf unsere kleine Stadt.

Nach dem Konzert von Samba singen wir, Es war schon so eine Sensation, wie du in meinen Kopf reinkamst. Dann hält Josh seine Lomo irgendwo neben uns. Es ist doch dunkel, sage ich, und Josh sagt, Goldene Regel der Lomographie Nummer 3. Drei Sekunden später blute ich aus der Nase. Drei Sekunden, nachdem Josh gedrückt hat. Auf dem Bild drei Köpfe, die übereinanderliegen. Drei Augenpaare, die übereinanderliegen. Hellbraun, schwarz, hellblau.

Da gehen unsere Blicke ineinander auf. Da verschränken sich unsere Blicke. Das erste Mal das Bild der Lomo sehen, das erste Mal die verschränkten Blicke. Durch die Haut die Nervenstränge der anderen sehen, durch die Haut meine Adern pulsieren sehen, mein Herz, durch die Haut Blut in die Nase schießen sehen.

Das Blut über den japanischen Zeichen der Kameragebrauchsanweisung oder dem Muster der PVC-Platten trocknen sehen. Die Angst, Blut könnte in die Kamera gelaufen sein. Josh sagt, Wenn der Blutpegel zu hoch ist, schwappt es über. Wenn der Blutpegel zu niedrig ist, hört das Herz auf zu schlagen.

Mit dem Blutpegel sinkt die Frequenz. Jedes Herz fängt irgendwann an. Jedes Herz hört irgendwann auf. Dazwischen das Anschwellen und das Zusammenziehen. Was sagt der Bewegungsmelder. Das Blut auf den PVC-Platten in eine Richtung zeigen sehen. Die Ausläufertropfen auf dem vergilbten Karton entdecken. Die Ausläufertropfen zählen. Den vergilbten Karton bewundern. Pitje fragt, Noch mehr Aufkleber. Josh fragt, Auch von innen.


Albrecht, Jörg
Jörg Albrecht, geb. 1981 in Bonn, lebt in Berlin. Er studierte Komparatistik, Geschichte, Literatur und Theaterwissenschaft in Wien und Bochum. Neben seinen Romanen veröffentlichte er zahlreiche Hörspiele und Theaterstücke, zuletzt: »Die blauen Augen von Terence Hill«, das beim Steirischen Herbst 2011 in Graz uraufgeführt wurde und danach in Berlin und Jena gespielt wurde.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.