E-Book, Deutsch, 450 Seiten
Reihe: Reclam Sachbuch premium
Alexander Geschichte Polens. Reclam Sachbuch premium
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-15-962328-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alexander, Manfred - Überblick; Hintergründe; Entwicklungen - 14585 - 3., aktual. und erw. Auflage 2024
E-Book, Deutsch, 450 Seiten
Reihe: Reclam Sachbuch premium
ISBN: 978-3-15-962328-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Polen hat im Laufe seiner bewegten Geschichte seine Gestalt immer wieder stark verändert. Von der mächtigen Adelsrepublik Polen-Litauen blieb im 18. Jahrhundert nicht viel übrig, als die europäischen Großmächte das Gebiet unter sich aufteilten. Nach dem Ersten Weltkrieg erschien Polen wieder auf der Landkarte, wurde aber erneut von seinen Nachbarn angegriffen. Seit dem Ende der Sowjetunion hat sich Polen in Europa etabliert, politisch aber bleibt vieles in Bewegung.
Manfred Alexander, geb. 1939, ist em. Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität zu Köln.
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Jahre des Niedergangs und die Krise des Piastenstaates (1025–1138)
Die Menschen des Mittelalters achteten sorgsam auf Rangfragen, und eine einseitige Erhöhung war heikel und nur mühsam durchzusetzen. Als Mieszko II. sich mit seiner Gemahlin Richeza ebenfalls krönen ließ, beschwor er eine Gegenaktion aller Nachbarn herauf. Der neue Kaiser Konrad II., der Böhmerherzog Udalrich und selbst Jaroslav von Kiev zogen in mehreren Feldzügen gegen Mieszko, der sich zunächst mühsam behauptete, dann aber 1031 eine vernichtende Niederlage erlitt. Kurzfristig musste er auch seinem älteren Bruder Bezprym die Macht abtreten, unterwarf sich aber dann dem Kaiser und verzichtete auf dem Hoftag in Merseburg auf die Krone und die Meißener Gebiete. Als er 1034 im Alter von nur 44 Jahren starb, stand das Land vor inneren Wirren; Richeza musste mit ihrer Tochter fliehen und fand bei ihrem Bruder Hermann, Erzbischof von Köln von 1036 bis 1056, Aufnahme. Wie immer in Zeiten schwacher Herrscher überlappten sich nun zwei Prozesse: der Machtgewinn des Adels, der aus der Gefolgschaft und aus Bodenbesitz heranzuwachsen begann, und das Eingreifen der Nachbarn und Konkurrenten von außen, das zum Verlust der Randgebiete führte. Die Dänen besetzten Pommern; Herzog Bretislav von Böhmen eroberte Gnesen (1039), zerstörte den Altar in der Kathedrale und entführte die Gebeine des heiligen Adalbert nach Prag; Krakau und andere Städte wurden zerstört. Der Thronerbe Kazimierz wurde von einheimischen Kräften vertrieben, deren Anführer, der Mundschenk Maslaw, sich in Masowien selbstständig machte. Die inneren Unruhen setzten sich in der Bevölkerung fort, in der sich die Ablehnung der Adelsherrschaft mit einer heidnischen Reaktion verband, die Kirchen und Klöster vernichtete, Geistliche und Bischöfe tötete oder vertrieb. Mit Hilfe des Kaisers Heinrich III. und des Großfürsten Jaroslav von Kiev, dessen Halbschwester Maria Dobronega er 1041 heiratete, konnte Kazimierz 1039 zurückkehren und an den Wiederaufbau gehen, der ihm den Ehrennamen »Erneuerer« (odnowiciel ) eintragen sollte. Kazimierz verlegte seine Residenz nach Krakau und konnte mit Hilfe seines Onkels, Erzbischof Hermann von Köln, die Kirchenorganisation erneuern und die Klöster wieder aufbauen. Jaroslav half ihm mit Heeresmacht, Masowien und Pomerellen zurückzugewinnen, und mit Hilfe des ungarischen Königs Andreas I. eroberte er auch Schlesien. Kaiser Heinrich III. hatte ihm ebenfalls geholfen, indem er Bretislav 1041 zu einer schweren Strafe verurteilt hatte. Auf dem Hoftag zu Quedlinburg 1054 sprach er als Schiedsrichter Schlesien dem Polen zu, verpflichtete ihn aber zu Tributzahlungen gegenüber dem Böhmen. Als Kazimierz 1058 starb, hatte er bis auf Westpommern die alten Gebiete zurückgewonnen; im Innern war aber seine Macht geschwächt, weil die Kriege die Wirtschaftskraft zerstört hatten und der Adel eine neue Machtposition gewonnen hatte. Der neue Herzog Boleslaw II. (1058–1079) mit den Beinamen »der Kühne« (mialy) oder »der Freigebige« (szczodry) musste seine Herrschaft mit drei Brüdern teilen, gegen die er sich allmählich durchsetzen konnte. Sein außenpolitisches Manövrierfeld war aber größer, da im römischen Reich der minderjährige Heinrich IV. zunächst unter der Obhut konkurrierender Gruppen stand und dann 1076 in den Streit mit dem Papst, in Kirchenbann und Bürgerkrieg geriet. Dies erlaubte Boleslaw die Kündigung der Tributabhängigkeit für Schlesien und eine erfolgreiche Kriegführung gegen Vratislav von Böhmen, dem er die Marken Lausitz und Meißen abnahm. Auch in die schwer überschaubaren Machtkämpfe in Kiev griff er ein und verhalf überdies in Ungarn seinem Vetter Ladislaus dem Heiligen zu einer Rückkehr auf den Thron. Die äußere Machtfülle wurde 1076, wenige Tage vor dem Canossagang Heinrichs IV., durch die Krönung zum König besiegelt. Dann aber geschah der jähe Absturz. Aus einer Adelsopposition, die wohl den jüngeren Bruder Wladyslaw Herman auf den Thron bringen wollte, und aus einem Streit, dessen Grund wir nicht kennen, folgte ein brutaler Mord an dem Krakauer Bischof Stanislaw am 11. April 1079. Boleslaw musste nach Ungarn fliehen und soll 1081/82 in Kärnten gestorben sein. Der schwache Nachfolger Wladyslaw Herman (1079–1102) war ein Spielball in den Händen seiner adeligen Ratgeber, allen voran der Palatin (wojewoda) Sieciech. Dem äußeren Erfolg, als er 1088 die verwitwete Schwester des Kaisers Heinrich IV., Judith Maria, heiratete, widersprach das Chaos in Polen, das sich in Adelsunruhen und im Streit mit seinen Söhnen Zbigniew und Boleslaw äußerte. Polen wurde unter den dreien aufgeteilt, wobei dem Vater zwar die Oberhoheit, aber nur die Macht über die Hauptstädte Gnesen und Krakau sowie über Masowien blieb. Schließlich musste er gar seine Absetzung befürchten. Unter diesen Umständen konnte er die außenpolitische Stellung Polens weder gegen Kiev im Südosten noch gegenüber Böhmen halten und musste die Tributzahlungen für Schlesien wieder aufnehmen. Nach seinem Tode 1102 entbrannte zwischen seinen beiden Söhnen der Kampf um die Alleinherrschaft. Der Adel, der sich allmählich zu einem eigenen Stand ausbildete und an der Macht beteiligt sein wollte, unterstützte Boleslaw III. »Schiefmund« (krzywousty), der unternehmungslustiger war und mehr Beute auf Kriegszügen versprach. 1107 erreichte man eine Einigung, die Zbigniew auf die Herrschaft in Masowien beschränkte, später aber ins Exil trieb. Der Bruderstreit um die Herrschaft ermöglichte dem Kaiser Heinrich V. wieder ein Machtwort zur Schlichtung, das von Boleslaw in seiner ganzen Strenge verworfen wurde. Der nun fällige Kriegszug zur Festigung seiner Autorität konnte Heinrich aber nicht zum Erfolg verhelfen; es kam zu einem Friedensschluss mit dem Kaiser (1111) und zu einer Ehe Boleslaws mit Salomea (1113), Tochter des Grafen Heinrich von Berg, deren Schwester mit dem böhmischen Herzog Vladislav verheiratet war. Zbigniew, der an die Zusicherung einer friedlichen Rückkehr geglaubt hatte, wurde in Polen gefangen gesetzt und geblendet. Die Verwandtschaft auf der Herzogebene verhinderte nicht die Fortsetzung des Streites zwischen Böhmen und Polen um die Herrschaft in Schlesien, das nach vielen wechselvollen Kämpfen auf dem Pfingsttreffen von Glatz 1137 an Polen fiel. Als Boleslaw III. am 20. Oktober 1138 starb, trat zur Vermeidung von Bruderkämpfen eine Nachfolgeordnung in Kraft, die vielleicht der altslavischen Tradition der Herrschaftsteilung, wahrscheinlich aber der Lösung folgte, die Jaroslav der Weise im Kiever Reich eingeführt hatte: das Seniorat. Die vier älteren Söhne Boleslaws – der jüngste, Kazimierz, ging zunächst leer aus – erhielten jeder ein Herzogtum, deren Grenzen etwa den alten Stammesgrenzen entsprachen: Wladyslaw Schlesien mit Breslau, Mieszko Großpolen mit Posen, Boleslaw Masowien und Kujawien, Heinrich Kleinpolen mit Sandomir/Sandomierz als Hauptsitz. Der jeweils Älteste einer Generationslinie als senior oder maximus dux sollte zu seinem Erbgut das westliche Kleinpolen mit dem inzwischen zum Hauptort aufgestiegenen Krakau, die Länder Lczyca/Lentschütz und Sieradz, die alte Krönungsstadt Gnesen sowie die Oberhoheit über Pommern erhalten. Der Senior sollte die Einheit des Landes nach außen verkörpern und die Herrscherrechte der Münze, des Gerichts- und Heereswesens ausüben. Die Teilgebiete waren nicht als selbstständige Fürstentümer gedacht, sondern galten als Eigentum der Sippe, die der Senior für das ganze Land vertrat. Wie in Kiev zeigte sich indes bald, dass eine solche Regelung nur kurze Zeit funktionieren konnte und bald innere Kämpfe und eine Teilung des Landes folgten, die fast 180 Jahre dauern sollte. Nur die Kirche behielt ihre einheitliche Organisation und bildete die Klammer um die Teilfürstentümer. Beim Tode Boleslaws III. bestanden in Polen sechs Bistümer, die Gnesen als Erzbistum unterstellt waren: Posen, Krakau, Plock für Masowien, Wloclawek/Leslau für Kujawien (an der Stelle des älteren Kruschwitz) und das kleine Bistum Lebus/Lubusz an der Oder. Das Bistum Kolberg war im 11. Jahrhundert während der heidnischen Reaktion verfallen und geriet später unter deutschen Einfluss. Gegenüber den Bischöfen hatte der Herzog seit 1000 ein Ernennungsrecht, auf das erst Boleslaw III. formell verzichtete. Er behielt aber zunächst ein Mitspracherecht bei der Bischofswahl; endgültig wurde die freie Wahl des Bischofs durch das Domkapitel erst unter Druck des Papstes Innozenz III. nach 1207 eingeführt. Da die polnischen Bischöfe nicht gleichzeitig weltliche Lehnsträger waren, gab es keine Investitur durch den Herrscher und damit keine Entwicklung der Bischöfe zu Landesherren wie im Römischen Reich. Bischof und Domkapitel waren nur zum Zweck ihrer Versorgung mit Landbesitz ausgestattet, der verstreut lag und sich nicht zu einer Territorialherrschaft ausbauen ließ. Der Herkunft nach waren die polnischen Bischöfe bis zu Boleslaw überwiegend Landfremde, darunter Deutsche, Franzosen (Lothringer), Tschechen und Italiener. Erst unter Boleslaw III. gab es öfter Polen, wobei sich in manchen Fällen an den Namen die Herkunft nicht erkennen lässt. Die polnische Kirche hatte lange mit inneren Problemen zu kämpfen, denn die Christianisierung des Hofes hatte den Prozess der Verchristlichung des Landes erst eingeleitet, der keineswegs störungsfrei verlaufen sollte. Bei den zahlreichen Unruhen scheinen auch heidnische Elemente im Spiel gewesen zu sein, weil man annehmen kann, dass der alte Volksglaube bei der geringen Dichte von Geistlichen auf Pfarrstellen noch lange fortlebte. Der Untergang des Christentums bei den Elbslaven ebenso wie die...