E-Book, Deutsch, 332 Seiten
Alfred Adler heute. Zur Aktualität der Individualpsychologie
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8309-7405-5
Verlag: Waxmann Verlag GmbH
Format: PDF
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
E-Book, Deutsch, 332 Seiten
ISBN: 978-3-8309-7405-5
Verlag: Waxmann Verlag GmbH
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Die moderne Individualpsychologie versteht sich als eine psychodynamische Richtung, die ihre Wurzeln in der Psychoanalyse nicht verleugnet, aber gleichzeitig auf Eigenständigkeit Wert legt. Die Beiträge sind das Ergebnis einer Tagung, die im Mai 2010 an der Sigmund-Freud-Privatuniversität stattgefunden hat und zum 100-jährigen Jubiläum der Individualpsychologie im Jahre 2011 in schriftlicher Form vorliegen. Folgende Themenschwerpunkte werden behandelt: Psychotherapiewissenschaft, Psychoanalyse, Psychosomatik, aktuelle Entwicklungen, Kultur – Gesellschaft – Gemeinschaft, kognitive Ansätze, spezielle Anwendungen.
Mit Beiträgen von Helmut Albrecht, Herta Brinskele, Petra Eibl-Mörzinger, Gisela Eife, Peter Gasser-Steiner, Vlad Grigorescu, Alfred Kirchmayr, Vivien Langer, Dorothea Oberegelsbacher, Gabriela Pap, Joachim Prandstetter, Susanne Rabenstein, Gisbert Redecker, Bernd Rieken, Brigitte Sindelar, Thomas Stephenson, Roland Wölfle, Stefanie Zauner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort des Herausgebers;8
3;SFU-IP – Erste Konturen einer sich neu bildenden Community;10
3.1;Einleitung;10
3.2;Diskurse und Forschungstraditionen in Scientific Communities;10
3.3;Die Ausgangslage vor dem Entstehen der neuen Community;12
3.4;Literatur;36
4;Psychotherapiewissenschaft, Hermeneutik und das Unbewusste;42
4.1;Zur Problematik der Vereinsausbildung;42
4.2;Psychotherapiewissenschaft als Studium und Ausbildung – Möglichkeiten und Probleme;45
4.3;Spezifik der Psychotherapie und ihrer Wissenschaft;47
4.4;Teleologie und Freiheit;52
4.5;Individualpsychologie, unbewusste Teleologie und Fiktionalismus;54
4.6;Literatur;57
5;Die Individualpsychologie und der psychoanalytische Theorienpluralismus;62
5.1;Individualpsychologie als Narzissmustheorie;65
5.2;Individualpsychologie als Selbstregulationstheorie;67
5.3;Individualpsychologie als intersubjektive Perspektive;69
5.4;Resümee;71
5.5;Literatur;73
6;Auf welchen Schultern stehen wir? „Freie psychoanalytische Forschung" in Ausbildung und Praxis?;76
6.1;Literatur;85
7;Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose;88
7.1;1. Die Durchtrennung der Verbindung;88
7.2;2. Die Illusion;89
7.3;3. Die Wissenschaft;89
7.4;4. Das wissenschaftstheoretische Instrument;90
7.5;5. Der Anstand / Das Peinliche;92
7.6;6. Die Gruppendynamik;94
7.7;7. Der ideengeschichtliche Kontext;96
7.8;8. Die Rezeption;97
7.9;9. Der Text;98
7.10;10. Der Mutterboden;100
7.11;11. Adlers Antwort;101
7.12;12. Die Verschränkung;102
7.13;13. Die Arbeitshypothese;103
7.14;14. Die Heredität;109
7.15;Literatur;113
8;Individualpsychologisch-analytische Behandlung einer Borderline- Patientin;116
8.1;Symptomatik der Patientin;116
8.2;Anamnese der Patientin;116
8.3;Versuch einer Lebensstilanalyse;117
8.4;Darstellung der Supervisionssituation;119
8.5;Einbindung der Theorie in dem Versuch, die aus der Therapie mit einer Borderline- Patientin gewonnenen Erfahrungen zu verdeutlichen;121
8.6;Zusammenfassung;125
8.7;Literatur;126
9;Panikattacken, ein Zusammenbruch des „Selbst" ?;128
9.1;Literatur;135
10;Burn-out – Ein klarer Fall für die Individualpsychologie?;138
10.1;Ecce homo – ecce disciplina;139
10.2;Burn-out-Epidemiologie – Diagnose – Symptomatik;140
10.3;Schleichender Beginn – phasischer Verlauf mit Eigendynamik;141
10.4;Paradigmatische Bedeutung und Grenzen individualpsychologischer Konstrukte;142
10.5;Halbierte Aufklärung durch affektisolierte Vernunft;143
10.6;Der geniale Arzt und Auswege aus der Verzweiflung;143
10.7;Exkurs: Adlers frühe Krankengeschichte und die Wege der Überwindung;147
10.8;Fiktionen – Willenskraft – Selbsttherapie – Genealogie der Moral;147
10.9;Erfolg als Arzt und Aufklärer in Wien – Zwiespalt des ehrgeizigen Wohltäters;149
10.10;Wie sehr war Adler verwurzelt? Wo konnte er Heimat finden?;149
10.11;Freie Psychoanalyse, Volksbildung – die Individualpsychologie als Bewegung;150
10.12;Regressive Gruppenmoral als Gefahr;151
10.13;Kampf um Sinn in einer Welt aus den Fugen;152
10.14;Rückkehr des Verdrängten und die Last der Umstände;154
10.15;Tragödie und Würde – Götzendämmerung;154
10.16;Die Individualpsychologie als Rohstoff: Spuren und Entwicklungen;155
10.17;Literatur;156
11;Die Aktualität von Adlers Konzept der „doppelten Dynamik";160
11.1;Die doppelte Dynamik;162
11.2;Die doppelte Dynamik in der therapeutischen Mitbewegung;163
11.3;Kennzeichen der doppelten Dynamik;164
11.4;Verbundenheit als vorausliegende Lebensaffektion, als „ Grundmelodie" ( Adler 1932a);166
11.5;Beispiel aus einer therapeutischen Sitzung;167
11.6;Schluss;168
11.7;Literatur;169
12;Das Gemeinschaftsgefühl im Spiegel der Neurowissenschaften;172
12.1;Eine angeborene Möglichkeit;172
12.2;Die Motivationssysteme;173
12.3;Das System der Spiegelneurone;177
12.4;Literatur;182
13;Bindungstheorie und Individualpsychologie;184
13.1;1 Bindungstheorie und Psychoanalyse;184
13.2;2 Individualpsychologie, Bindungstheorie und die intersubjektive Perspektive;184
13.3;3 Berührungspunkte zwischen Individualpsychologie, Bindungstheorie und intersubjektiver Psychoanalyse;188
13.4;4 Einfluss des Bindungsstils auf den Lebensstil;190
13.5;5 Fazit;193
13.6;Literatur;194
14;Die neuen Kinderkrankheiten – Heilen und Bilden?;196
14.1;Entwicklungsrisiko Familie;197
14.2;Entwicklungsrisiko Gemeinschaft;199
14.3;Entwicklungsrisiko Schule;199
14.4;Entwicklungsrisiko Beziehung;201
14.5;Entwicklungsrisiko Erziehung;202
14.6;Im Irrgarten der Erziehung;204
14.7;Literatur;206
15;Das „Böse im Menschen;208
15.1;Das alltägliche Böse;208
15.2;Strukturelle Gewalt;209
15.3;Zur Geschichte des Bösen;210
15.4;Mephisto;211
15.5;Gewaltenteilung und Marktwirtschaft;212
15.6;Der „faustische Mensch";214
15.7;Adler über den Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose;216
15.8;Konrad Lorenz oder Das so genannte Böse;217
15.9;Schluss: Plädoyer für ein skeptizistisches Menschenbild;218
15.10;Literatur;219
16;„Die feinen Unterschiede";222
16.1;1. Alfred Adlers Lebensstilkonzept;222
16.2;2 Der Begriff des Habitus bei Pierre Bourdieu;227
16.3;3 Weiterführende Fragen, Gedanken und Wünsche;231
16.4;Schluss;235
16.5;Literatur;235
17;Alfred Adlers Sinn für Humor und Freude, List und Witz – Oder: Prinzip Ermutigung und Prinzip Lebensfreude;238
17.1;Zur Einstimmung;238
17.2;1 Die vier komischen Gesellen: Witz, Spaß, Spott und Humor;240
17.3;2 Das Wesen des großen Humors;242
17.4;3 Die konfliktlösende Wirkung des großen Humors;244
17.5;4 Witz, Trick, Freude und Humor in Theorie und Praxis der Individualpsychologie;246
17.6;Literatur;254
18;Individualpsychologische und kognitiv-behaviorale Konzepte im Coaching;258
18.1;Literatur;266
19;Basic Beliefs during Adlerian Psychotherapy: Clients’ Beliefs about Self and the World;268
19.1;1 The psychotherapy question;268
19.2;2 Broad concepts involved in the study;268
19.3;3 Concepts applied;270
19.4;4 An example;278
19.5;5 Conclusion;279
19.6;References;280
20;„Die Blume gefällt mir";282
20.1;Einleitung;282
20.2;Vorstellung der Patientin;283
20.3;Zuweisungsmodus;284
20.4;Behandlungsauftrag;285
20.5;Setting;285
20.6;Kommunikation;286
20.7;Einblicke in die Therapie;287
20.8;Ausschnitte aus anderen Stunden;290
20.9;Weitere Stunde;290
20.10;Was hat die Supervision gebracht, wie hat sie die weitere Arbeit mit der Patientin beeinflusst?;291
20.11;Veränderungen;291
20.12;Lebensstilanalyse;292
20.13;Literatur;295
21;Überlegungen zur Theorie und Praxis der individualpsychologischen Behindertenpsychotherapie;296
21.1;Theoretische Verortung;296
21.2;Der psychotherapeutische Prozess;302
21.3;Exkurs: Behindertenpsychotherapie und Common Sense;302
21.4;Praxeologie – Therapieziele;305
21.5;Praxeologie – wie miteinander kommunizieren?;308
21.6;Literatur;310
22;Die stationäre Drogentherapie als eine praktische Anwendung der Individualpsychologie nach Adler und Dreikurs;314
22.1;Über das Selbstwertgefühl von Suchtkranken und ihren Therapeuten;314
22.2;Suchtthemen in der individualpsychologischen Literatur;315
22.3;Gemeinschaftsgefühl, Gruppentherapie und therapeutische Gemeinschaft;317
22.4;Die Therapiestation Lukasfeld, Vorarlberg;319
22.5;Das Konzept der Therapiestation Lukasfeld;320
22.6;Individualpsychologie leben;321
22.7;Partizipation und demokratische Mitverantwortung;322
22.8;Einstimmige Entscheidungen;323
22.9;Lernen aus Konsequenzen;323
22.10;Ordnung als oberstes methodisches Prinzip;324
22.11;„Alle sitzen im gleichen Boot";325
22.12;Objektstützung als eine Technik der Ermutigung;326
22.13;Schluss;326
22.14;Literatur;327
23;Die Autorinnen und Autoren;330
Alfred Adlers Sinn für Humor und Freude, List und Witz – Oder: Prinzip Ermutigung und Prinzip Lebensfreude (S. 237-238)
Alfred Kirchmayr
Zur Bedeutung von Humor in der Individualpsychologie
Zur Einstimmung
„Ermunterung ist wichtiger als Lehre.“ (Goethe) „Die Landkarten sind nicht die Landschaft .“
(De Shazer)
Sigmund Freuds geniale Studie „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ (1905) hat nicht nur für Tiefenpsychologie und Psychotherapie wichtige Anregungen gegeben. Doch diese Einsichten werden viel zu wenig beachtet. Es ist schade, dass im Mainstream der psychoanalytischen Bewegung eine eigenartige Berührungsangst gegenüber den Phänomenen Witz, List, Freude, Lachen und Humor besteht (Heisterkamp 2000).
Der Psychoanalytiker Ralph R. Greenson ist indes dem Esprit Freuds treu geblieben. Er sieht im Humor eine wesentliche Ressource für Psychotherapeuten: „Meine persönlichen Beobachtungen deuten darauf hin, dass die besten Th erapeuten unter den Psychoanalytikern eine Menge Sinn für Humor haben, schlagfertig sind und die Kunst des Geschichtenerzählens genießen“ (Frings 1996, S. 98). Zwar hat Alfred Adler nur wenige Seiten über den Witz geschrieben, aber er hatte einen ausgeprägten Sinn für die praktische Verwendung von Witzen, Humor und witzigen Anekdoten in Beratung und Th erapie (Rattner 1981; Rom 1966).
Es überrascht deshalb nicht, dass sich heute besonders Individualpsychologen wie Michael Titze und Günter Heisterkamp für die Pfl ege von Witz, Humor und Freude in der Psychotherapie engagieren (Titze und Eschenröder 1998; Heisterkamp 2000; Kirchmayr 2005; Salameh 2007). In der Zeit zwischen 1895 und 1905 hat Freud vier Wegen zum Unbewussten jeweils ein Buch gewidmet: dem neurotischen Symptom, dem Traum, den Fehlleistungen und dem Witz. Auch der Witz ist ein kleiner Königsweg zum Unbewussten. Sein Wesen besteht ja in der Überlistung der Zensur – und das geschieht oft durch die Verwendung von Anspielungen und Doppelsinn.
Im Witz kommen Bedürfnisse und Gefühle zur Sprache, die sonst mehr oder weniger verdrängt und verleugnet werden müssten (Kirchmayr 2005; 2009b). Und Freud fand 1924 in einem Brief an Oskar Pfi ster eine treff ende Metapher für eine ganzheitliche Psychotherapie: „In Wirklichkeit muss man ja doch in allen Stockwerken zugleich arbeiten“, nämlich auf der leiblichen, der emotionalen, der rationalen, der geistig-spirituellen und der sozialen Ebene (Freud und Pfi ster 1980, S. 99).
Ich bin davon überzeugt, dass die Tiefenpsychologie ihre Entstehung dem Esprit und Humor des Judentums verdankt. Denn es ist nicht zufällig, dass die Wiege der tiefenpsychologischen Psychotherapien im jüdischen Wien steht. Sigmund Freud, Alfred Adler, Wilhelm Reich, Viktor Frankl und Jakob Levi Moreno waren die wichtigsten Pioniere dieser geist- und witzreichen Bewegung der Aufk lärung und Befreiung aus neurotischem Elend und entmündigenden Herrschaft sformen aller Couleurs (Frischenschlager 1994). Das Ziel der Tiefenpsychologie besteht in einer Bewusstseinserweiterung, begleitet von Bewusstseinserheiterung. Die Tradition der Aufk lärung richtet sich gegen die vielfältige Herrschaft von ,Dunkelmännern‘. Sie fördert den Gebrauch des eigenen Lichtes der Vernunft . Dadurch können Autonomie und Lebensfreude gefördert und Formen von infantilisierender Fremdbestimmung überwunden werden.