Alloa / Fischer / Fischer-Geboers | Leib und Sprache | Buch | 978-3-942393-60-7 | sack.de

Buch, Deutsch, 234 Seiten, GB, Format (B × H): 149 mm x 228 mm, Gewicht: 445 g

Alloa / Fischer / Fischer-Geboers

Leib und Sprache

Zur Reflexivität verkörperter Ausdrucksformen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-942393-60-7
Verlag: Velbrueck GmbH

Zur Reflexivität verkörperter Ausdrucksformen

Buch, Deutsch, 234 Seiten, GB, Format (B × H): 149 mm x 228 mm, Gewicht: 445 g

ISBN: 978-3-942393-60-7
Verlag: Velbrueck GmbH


Die elf Beiträge dieses Bandes gehen aus verschiedenen Blickwinkeln dem Problem der Verkörperung von Sinn nach: phänomenologische, psychoanalytische und sprachwissenschaftliche Ansätze bilden dabei den Schwerpunkt; sie werden aber durch Studien aus der Literaturtheorie, der politischen Theorie und der Filmwissenschaft ergänzt.

Was heißt es – das ist die zentrale Frage –, den Körper als leibliches Medium aufzufassen, welches Sinn nicht nur verkörpert, sondern überhaupt erst entstehen lässt? Gibt es bereits eine Sprache des Leibes diesseits der Ebene ausdrücklicher Rede?

Das 20. Jahrhundert ist durch eine Neubewertung der Körperlichkeit von Sprache gekennzeichnet. Die stoffliche Einkleidung ist danach nicht mehr, wie Platon noch mutmaßte, das Grab, in dem die Ideen gefangen sind – im Sinne der pythagoräischen Austauschbarkeit von sôma (Körper) und sêma (Zeichen und Grabmal). Sinn ist, so ein Konsens der modernen Philosophie, ohne sinnliche Fundierung nicht denkbar. Insofern die sinnliche Bekundung von Sinn stets eine exteriorisierende 'Äußerung' bedeutet, ist Sprache nicht länger dem 'einsamen Seelenleben' vorbehalten, sondern wird als intersubjektives Medium zur Grundlage nicht nur von individueller Erkenntnis, sondern auch von praktischer Existenz und kultureller Fortexistenz im Medium der Schrift.

Dass Sprache einer körperlichen Fundierung bedarf, ist heute kaum mehr anstößig. Doch die gern bemühte Redeweise vom embodied mind, von der Materialität der Zeichen oder gar der Materialität der Kultur lässt dabei oft im Dunkeln, was es mit diesem Fundierungsverhältnis auf sich hat. Denn dass Sinn auf einer leiblich-materiellen Unterlage aufruht und von ihr getragen wird, führt noch nicht notwendig zu einer Überwindung dualistischer oder hierarchischer Auffassungen von Leib und Sprache bzw. von Leib und Geist. Selbst wenn man der leiblichen Fundierung mehr zuspricht als eine bloß reglose Trägerschaft und den Leib als Ausdrucksmedium begreift, ist er dann wirklich mehr als nur das Mittel, dessen sich die Sprache des Geistes bedient, um ihren eigenen Gehalt zu verwirklichen?

Der Band Leib und Sprache lotet das komplexe Verhältnis von Leiblichkeit und Sprache in verschiedenen Hinsichten aus.

Zum einen stehen die Sprachen des Leibes zur Diskussion. Der Leib fungiert nicht nur in Gestik, Mimik und Gebärde als Ausdruck, sondern hat auch ein bedeutungsgenerierendes Vermögen in symbolischen Ausdrucksformen wie der künstlerischen Praxis oder religiösen Ritualen. Zuweilen ist er auch Ausdruck von Bedeutungen, die er gar nicht intendiert hat bzw. 'sagen' will. Dies ist etwa bei bestimmten körperlichen Gefühlsausdrücken (wie Rotwerden bei Scham) oder auch bei psychosomatischen Leiden der Fall.

Zweitens geht es um die Leiblichkeit der Sprache, die sich einerseits an der Materialität des Zeichens (Sprache als Ausdruck, klingendes Wort, Text) sowie andererseits an der Sinnlichkeit des Sprechens (Stimmlage, Prosodie, Tempo, Mimik) festmachen lässt. Dass Sprache verkörpert ist, bedeutet, dass sie sich immer als 'Laut' aktualisieren oder als 'Schrift' fixieren muss. Dabei verleiht das materielle Zeichen nicht bloss einem geistigen Inhalt Ausdruck; es prägt diesen Inhalt entscheidend mit. Auch die bedeutungskonstituierende Dimension der leiblichen Modulierung des Sprechens darf nicht unterschätzt werden. Im Fall des ironisierenden Tons kann der Sinn einer Aussage in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dass sich Sprache in leiblich-lebensweltlichen Sprechsituationen realisiert, bedeutet, dass sie immer auch in soziale Kontexte und (Macht-)Beziehungen eingebettet ist, welche ebenfalls an der Generierung des Aussagesinns beteiligt sind.

Drittens ist auf die enge Verflechtung von Leib und Sprache hinzuweisen. Der Leib ist immer auch Ausdruck; die Sprache hat immer auch eine materielle Unterlage, einen 'Leib'. Husserl bezeichnet deshalb sowohl den Leib als auch das Kunstwerk und den philosophischen Vortrag als 'Einheiten von Leib und Sinn'. Zu dieser Verflechtung kommt die enge Wechselwirkung zwischen Leib und Sprache hinzu: Die Sprache wirkt energetisch auf den Körper: Worte schreiben sich in den Körper ein, prägen sich engrammatisch ins Tiefengedächtnis ein. Umgekehrt hat auch der Leib eine Macht über die Sprache, insofern er deren begrifflicher Erfassung Widerstand leisten kann. Hier ist beispielsweise auf die Traumaforschung und die Untersuchungen zum Körpergedächtnis zu verweisen, aber auch auf die jüngere hate speech- Debatte, die sich mit dem Thema der Verletzung durch Worte befasst.

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Weitere Infos & Material


Emmanuel Alloa und Miriam Fischer, Leib und Sprache. Zur Einführung in ein verstricktes Thema
BEREDTE KÖRPER
Emil Angehrn, Körper, Leib, Fleisch – Von den Inkarnationen der Sprache
Joachim Küchenhoff, Zwischenleiblichkeit und Körpersprache. Sinn und Nicht-Sinn körperbezogener psychischer Leiden
Ludwig Jäger, Die Leiblichkeit der Sprache. Phylogenetische Reminiszenzen in systematischer Absicht
KLANGKÖRPER UND ZEICHENTRÄGER
Christian Grüny, Artikulation und Resonanz. Sprachverstehen als zwischenleiblicher Vorgang
Andris Breitling, Zeigende Rede. Weltbezug und Gestaltungsspielraum der Sprache
Matthias Flatscher, Derrida – oder Die Wiederkehr der Stimme
VERLETZENDE WORTE
Steffen K. Hermann, Was heißt sprechen? Sozialität, Gewalt und Leiblichkeit der Sprache bei Pierre Bourdieu
Gerald Posselt, Die Gewalt der Tropen. Sprache, Schrift und Einschreibung bei Kafka und Nietzsche
Stefan Kristensen, Leiblichkeit und Zeugenschaft. Zur Phänomenologie der Trauerarbeit
SPRACHEN DER KUNST
Jacob Rogozinski, ChorEgoGraphie. Leib und Rhythmus bei Antonin Artaud
Jörg Sternagel, Vom Körperausdruck zum Ausdruckskörper. Über Leiblichkeit im Film
Die Autorinnen und Autoren


Fischer-Geboers, Miriam
Miriam Fischer-Geboers (geb. 1978) studierte Philosophie, Spanisch und Französisch in Freiburg im Breisgau, Straßburg und Barcelona (Staatsexamen 2004 und 2007; Magister 2005). Sie war Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg „Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (2004 – 2005) und Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg (2006 – 2008). Sie promovierte 2009 mit der Arbeit DENKEN in KÖRPERn. Grundlegung einer Philosophie des Tanzes an der Albert Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, die mit dem Max-Müller-Preis der Universität Freiburg ausgezeichnet wurde. Von 2009 bis 2014 war sie Oberassistentin am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie (Emil Angehrn). Von 2014 bis 2016 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Basel. Sie arbeitet derzeit an ihrer Habilitation "Ethik der Sprache. Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt im moralischen und aussermoralischen Sinne" (Arbeitstitel).

Emmanuel Alloa, Dr. phil., seit 2016 Research Leader, Universität St. Gallen, von 2012-16 Assistenzprofessor für Kulturtheorie und Kulturphilosophie am Fachbereich Philosophie der Universität St. Gallen sowie Senior Research Fellow am NFS Bildkritik (eikones) in Basel. Er ist Gründungsmitglied des DFG-Netzwerks 'Kulturen der Leiblichkeit' (2011-2014). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Phänomenologie, der neueren französischen Philosophie, der Ästhetik und Bildtheorie. Publikationen (Auswahl): La résistance du sensible, Paris: Kimé 2008; (Mithg.) Nicht(s) sagen. Strategien der Sprachabwendung im 20. Jahrhundert, Bielefeld: transcript 2008; Das durchscheinende Bild. Berlin/Zürich: diaphanes, 2011; (Hg.) Bildtheorien aus Frankreich: Eine Anthologie, München: Fink 2011; (Hg.) Du sensible à l’oeuvre. Esthétiques de Merleau-Ponty, Brüssel: La Lettre Volée 2012; (Mithg.) Leiblichkeit. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, Tübingen: Mohr Siebeck/UTB 2012.

Miriam Fischer-Geboers (geb. 1978) studierte Philosophie, Spanisch und Französisch in Freiburg im Breisgau, Straßburg und Barcelona (Staatsexamen 2004 und 2007; Magister 2005). Sie war Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg „Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (2004 – 2005) und Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg (2006 – 2008). Sie promovierte 2009 mit der Arbeit DENKEN in KÖRPERn. Grundlegung einer Philosophie des Tanzes an der Albert Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, die mit dem Max-Müller-Preis der Universität Freiburg ausgezeichnet wurde. Von 2009 bis 2014 war sie Oberassistentin am Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie (Emil Angehrn). Von 2014 bis 2016 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität Basel. Sie arbeitet derzeit an ihrer Habilitation "Ethik der Sprache. Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt im moralischen und aussermoralischen Sinne" (Arbeitstitel).



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