Arnold | Aberglaube Disziplin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

Reihe: Systemische Pädagogik

Arnold Aberglaube Disziplin

Antworten der Pädagogik auf das "Lob der Disziplin"
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8452-2
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Antworten der Pädagogik auf das "Lob der Disziplin"

E-Book, Deutsch, 168 Seiten

Reihe: Systemische Pädagogik

ISBN: 978-3-8497-8452-2
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie kann es sein, dass autoritäre Erziehungsparolen heute wieder auf offene Ohren stoßen und Teile der Öffentlichkeit Gefallen finden an Disziplin, Strafe und Gehorsam? Rolf Arnold nimmt die Erziehungsmentalität unter die Lupe, die hinter dem "Lob der Disziplin" steckt. Dabei treten zum Teil erschreckende, vordemokratische Einstellungen zu Tage, mit deren eindimensionalen, mechanistischen Erklärungen der beklagte "Erziehungsnotstand" sicher nicht zu beheben ist.

Der autoritätsgläubigen Verlegenheit in Erziehungsfragen stellt der Autor eine "professionelle Balance" gegenüber, die Kinder nicht als Gegner betrachtet, sondern ihnen mit Achtung, einfühlendem Verstehen und persönlicher Authentizität begegnet. Als Grundlage dienen ihm die Annahmen und die Haltung der systemischen Pädagogik. Neben praxistauglichen Diagnose-Instrumenten gibt das Buch ganz konkrete Tipps, Hinweise und Vorschläge, die dem Erziehungsalltag gerecht werden und Eltern wie Lehrern helfen, auch in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben.

Ein zukunftsweisendes Buch!

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Vorwort
Das vorliegende Buch wendet sich grundsätzlich und engagiert gegen das Bild von Erziehung, welches Bernhard Bueb in seinem Bestseller Lob der Disziplin gezeichnet hat. Dabei sind es nicht so sehr die buebschen Positionen allein, die eine kritische Beachtung rechtfertigen, sondern vielmehr die öffentliche Resonanz, die seine Reise in die Erziehungswelten der Vergangenheit ausgelöst hat. Wie kann es sein, dass autoritäre Erziehungsparolen des 19. Jahrhunderts in unserer modernen Gesellschaft noch immer auf offene Ohren stoßen und weite Teile der Öffentlichkeit ganz offensichtlich Gefallen an einer Auffassung finden, die einer »vorbehaltlosen« Anerkennung von Autorität sowie von Strafe und Gehorsam das Wort redet? Was sagt der Bucherfolg von Bernhard Bueb über die deutsche Erziehungsmentalität? Um diese ist es nicht zum Besten bestellt: Sie ist in vielem noch vordemokratischen Grundhaltungen verbunden und durch Einschätzungen geprägt, die mehr mit dem Rechthaben und dem Durchgreifen der Älteren gegenüber den Jüngeren zu tun haben als mit wirklich sachgemäßen und auch wirksamen Formen des erzieherischen Umgangs zwischen den Generationen. Dort, wo sich der gesamte Erziehungssachverstand in Forderungen nach einem »Mut zur Erziehung« bündelt, sind die Vorgaben zumeist Ausdruck einer zutiefst ängstlichen pädagogischen Autorität, welcher es in einem starken Maße um sich selbst, d. h. ihre Geltung bei denjenigen und ihre Anerkennung durch diejenigen, die man diesen Vorgaben unterwerfen will, zu gehen scheint. Die nüchterne Frage, welches Verhalten angesichts der »Probleme« und »Schwierigkeiten«, mit denen es Erziehung in der modernen Gesellschaft zu tun hat, angezeigt ist, tritt hinter einem solchen erzieherischen Dominanzstreben zurück. Die Frage nach der Wirksamkeit wird nicht wirklich gestellt, das erzieherische Auftreten allein ist es, auf welches geblickt wird. Und es sind Einzelfälle, die berichtet und allzu bruchlos verallgemeinert werden. Doch warum müssen wir recht behalten gegenüber den Kindern und Jugendlichen? Warum ertragen wir es so schwer, dass diese eigene Vorstellungen haben, uns bisweilen nicht folgen und wir sie in ihrem Verhalten oft als »schwierig« empfinden? Sind Kinder und Jugendliche »schwierig«, oder befinden sie sich nicht oft auch – wenn wir genau hinschauen – in schwierigen Lebenssituationen? Diese haben sie sich nicht aussuchen können. Berücksichtigen wir das, indem wir ihnen menschlich und liebevoll begegnen? Behandeln wir sie angesichts ihrer Kontextprägungen wirklich als »unschuldig« im Sinne unserer pädagogischen Anklage? »Schuld« ist eine untaugliche pädagogische Kategorie, und die pädagogische Anklage ist eine Haltung, die der Ungeduld und Verärgerung darüber entstammt, dass es Eigensinn und Widerstand im Miteinander zwischen den Generationen gibt. Wer diesem Sachverhalt nicht gelassen begegnet, neigt zu Pauschalrezepten. Das Buch von Bernhard Bueb ist voll davon. Bei ihm hat alles eine einzige Ursache: Es fehlt den Kindern und Jugendlichen heute an Disziplin, und hierfür weiß er alle möglichen Verweichlichungsfaktoren haftbar zu machen (von der 68er-Bewegung über die überforderten Lehrer bis hin zum Medienkonsum). Er weiß aber auch, wie diesem Missstand abzuhelfen ist, wofür er einige wenige Vorschläge bereithält, die funktionieren können, aber nicht müssen. Es ist dieses »Nichtmüssen«, das Bernhard Bueb nicht thematisiert, weshalb er weit hinter den erziehungswissenschaftlichen Forschungs- und Erkenntnisstand zurückfällt. »Der Mensch ist erziehbar, kann aber nicht erzogen werden!«, so ließe sich dieser Forschungs- und Erkenntnisstand zusammenfassen – oder, in den Worten von Jürgen Oelkers (2001): »Wenn alles erzieht, kann nichts ausgeschlossen werden.« Doch wie will ich dann mein Erziehungshandeln dosieren? Weiß ich, in welche inneren und äußeren Kontexte ich mich da hineinbewege, wenn ich »interveniere«? Und mit welcher Berechtigung kann ich die beobachtbaren Effekte auf meine Intervention zurückführen? Wie verhalte ich mich als Elternteil, als Lehrer und Erzieher, wenn »nichts ausgeschlossen werden« kann? Zu diesen Fragen moderner systemische Pädagogik dringt Bernhard Bueb nicht vor. Seine Überlegungen enden dort, wo das aktuelle pädagogische Denken überhaupt erst beginnt. Er untersucht nicht, wie Lehrerinnen und Lehrer zu den Bewertungen und Beurteilungen gelangen, zu denen sie gelangen. Es ist ihm auch kein Anliegen, zu untersuchen, ob der »schwierige Schüler« wirklich schwierig ist, seit wann er schwierig ist und wer ihn als Erster so bezeichnet hat. Er fragt auch nicht, woher die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Erzieherinnen und Erzieher ihre Muster nehmen, mit denen sie Kinder und Jugendliche typisieren. Es könnte doch alles auch ganz anders sein: Der schwierige Schüler könnte sich als über- oder unterfordert darstellen, als Jugendlicher, der im häuslichen Milieu viel auszuhalten hat, oder als jemand, der nicht gelernt hat, dass Leistungsanforderungen keine Bedrohung sind, sondern auch Möglichkeiten zur Erlangung von Anerkennung sein können etc. Es ist oft die unerwartete Reaktion, die gewachsene Ängstlichkeiten, Überheblichkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten zu stören vermag. Die »enttäuschte« Erwartung – insbesondere dort, wo das Erwartete ablehnend, korrigierend oder gar nötigend und zurechtweisend ist – kann Türen zu einem anderen Verhalten öffnen. Wo Bernhard Bueb allein die Disziplin hochhält – und mehr hat er nicht zu bieten! –, verfügt die moderne Erziehungswissenschaft über eine ganze Palette von möglichen Reaktionsweisen derer, die Erziehungsverantwortung tragen. Ihre Toolbox ist aus Reflexionsweisen geflochten, die sich auch auf den beobachtenden Erzieher (»Wie komme ich zu meinem Bild des erzieherischen Gegenübers?«) sowie auf die möglichen Eskalationsfallen, in die ein erklärender Pädagoge stolpern kann, beziehen. Erst durch Distanzierung schärfe ich den Blick auf das tatsächliche Geschehen und erwerbe die Voraussetzungen, die ich benötige, um nicht aus meinen eigenen Mustern heraus, sondern aus einem Verständnis der möglichen Wechselwirkungen im konkreten Fall heraus zu handeln. Erst, indem ich mich als Erziehungsperson selbst von der lebensgeschichtlichen Zufälligkeit meiner bevorzugten Wahrnehmungen löse und diese als das sehe, was sie sind, nämlich Produkte meiner eigenen biografischen Erfahrungen, kann ich mich auf das Gegenüber wirklich beziehen. Dies macht Bernhard Bueb nicht: Seine Erfahrungen sind ihm heilig, und sie liefern ihm immer wieder neue Bestätigungen dafür, dass seine Sicht der Dinge die weiterführende ist. Sein Buch kennt keine Selbstkritik, kein Scheitern, keine Behutsamkeit oder kein Wissen über die unbeabsichtigten Nebenwirkungen unserer wohlgemeinten Erziehungshandlungen. »Man kann in bester Absicht etwas Verheerendes auslösen« – so eine der Lehren der Systemik. Es gilt aber auch das Gegenteil: »Selbst die stümperhafteste erzieherische Reaktion kann wirksam sein, wenn die Beziehung im intergenerationalen Verhältnis stimmt.« Das vorliegende Buch setzt sich mit den Grundannahmen sowie den Vorschlägen der buebschen Erziehungslehre auseinander. Basis dieser Auseinandersetzung ist die systemische Pädagogik. Als solche bezeichnet man eine Richtung der Pädagogik, die die Vielfalt und Wechselbezüglichkeit des Erzieherischen kennt und deshalb mechanistischen Kurzschlüssen (nach dem Motto: »Man nehme …!«) skeptisch gegenübersteht. Stattdessen gilt es, die Professionalität der Erziehung in Deutschland zu stärken. Dabei spielen – wie in diesem Buch gezeigt werden soll – die Selbstreflexion von Eltern, Lehrern und Erziehern sowie die Erweiterung ihrer pädagogischen Vielfalt eine große Rolle. Erst wenn diese sich mehr vorzustellen vermögen, als sie ihre Erfahrungen lehren, können stabile Erwartungen enttäuscht und festgefahrene Eskalationsmuster auf beiden Seiten überwunden werden. Am Anfang jeder Erziehung steht die dem Gegenüber zugewandte Liebe– im pestalozzischen Sinne –, ihr folgen die Selbstreflexion, die nicht enden wollende Geduld und die Vielfalt der angebotenen Möglichkeiten. Das vorliegende Buch basiert auf zahlreichen Erfahrungen, die ich als Vater, systemischer Berater, Erziehungswissenschaftler sowie Lehrerbildner in den letzten Jahrzehnten habe sammeln können. Hierfür bin ich unzähligen Menschen zu Dank verpflichtet. Insbesondere danke ich meinen Studierenden, die sich mir in systemischen Seminaren mit den Grundlagen ihres eigenen Denkens geöffnet haben und in einer oft bewegenden Form zu neuen Fundamenten ihres pädagogischen Weltbildes vorgestoßen sind. Ihnen verdanke ich viele Einblicke....


Rolf Arnold, Prof. Dr. Dr. h. c., Professor für Pädagogik; Senior Professor an der TU Kaiserslautern; Systemischer Berater im nationalen und internationalen Rahmen. Schwerpunkte: Berufs- und Erwachsenenbildung, Systemische Pädagogik, Emotionale Bildung, Führungskräftebildung und Interkulturelle Bildung. Lehrtätigkeiten an den Universitäten Bern, Heidelberg und Klagenfurt sowie an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Veröffentlichungen u. a.: Ich lerne, also bin ich (3. Auflage 2018), Seit wann haben Sie das? (3. Auflage 2019), Wie man ein Kind erzieht, ohne es zu tyrannisieren – 29 Regeln für eine kluge Erziehung (2. Auflage 2014), Wie man führt, ohne zu dominieren (4. Aufl. 2019), Wie man liebt, ohne (sich) zu verlieren (2. Auflage 2016).



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