E-Book, Deutsch, 99 Seiten
Reihe: TEXT + KRITIK
Arnold / Banoun / Jäger Ulrich Peltzer
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96707-061-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 99 Seiten
Reihe: TEXT + KRITIK
ISBN: 978-3-96707-061-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
- Kathrin Röggla: Ein kleines Fragengebäude für Ulrich Peltzer
- Ulrich Peltzer: Aus einem im Entstehen begriffenen Roman
- Ulrich Peltzer / Joseph Vogl: Die Verteidigung einer Geschichte. Ein Gespräch
- Maren Jäger: "Das unaufhörliche Anfangen als das Prinzip des Schreibens und des Lesens und Sehens". Ulrich Peltzers Poetik des Anfang(en)s
- Bernard Banoun: Globabelisiertes Erzählen. Zu "Stefan Martinez" und "Bryant Park"
- Christian Jäger: Zu Grunde gehen – der Abgesang der Utopie oder Einbruch ins Reale. Zum Metaphysischen in Ulrich Peltzers "Das bessere Leben"
- Carola Hähnel-Mesnard: Ekphrasis und literarischer Metadiskurs. Zur Bedeutung von zwei Bildbeschreibungen in Ulrich Peltzers "Stefan Martinez"
- Christoph Jürgensen: Lector et fabula – Ulrich Peltzer und die Literaturkritik
- Wiebke Porombka: Der Moment zwischen dem Nicht-Mehr und dem Noch-Nicht. Laudatio auf Ulrich Peltzer
- Auswahlbibliografie
- Notizen
Kathrin Röggla Ein kleines Fragengebäude für Ulrich Peltzer
Stimmt es, dass Du keinen Roman liest, in dem Du nicht weißt, wie der Protagonist sein Geld verdient? Und gönnst Du einem Buch, das mit dem Satz »XY ging um die Ecke« anfängt, einen zweiten Blick? Trifft es zu, dass Du Männern mit weißen Socken nicht über den Weg traust, und solchen mit gefärbten Haaren ebenso wenig, aber diese Frage jetzt an dieser Stelle für unpassend hältst? (Bitte erst mal zur Tür hinein, bevor es mit diesen nachrangigen Stilfragen weitergeht.) Also, nochmal von vorn: Wieso ist das Erste, was Du Deinen Studierenden beibringst, die Frage nach Hypotaxen und Parataxen, oder hat sich das geändert? Wieso hast Du ein Seminar dem Liebesbegriff gewidmet? Würdest Du Dich als romantisch bezeichnen? Warum hast Du in Deinem Deleuze-Anti-Ödipus-Buch derart herumgekritzelt, damals in den 70er Jahren, oder waren es schon frühe 80er? Warst Du wirklich auf dem Tunix-Kongress, und was hast Du dort erlebt? Die Fähigkeit, Dich in Gremien durchzusetzen, hast Du angeblich in Kontakt mit diversen K-Gruppen der 70er erwerben können – siehst Du die Entwicklung dieser Fähigkeit als ein Kontinuum oder gab es in ihr Brüche –, kann man sowas eigentlich wieder verlernen? Wie viele krumme Deals hast Du wirklich in den 80ern gemacht (getreu dem Spruch, den man Martin Kippenberger nachsagt: »wer sich an die 80er erinnern kann, ist nicht wirklich dabei gewesen«), und wie lange hast Du durchgehalten als Surflehrer auf Stromboli? Gewährst Du Dir Verjährung für manche Sachen und für andere gar nicht? Ab wann hast Du gespürt, dass Du vergänglich bist? Und wieso musste ausgerechnet der zweite Roman alles beweisen? (Mit Claude Simon im Gepäck, wo immer Du hingingst … Georgica, Georgica.) Warum kannst Du Dich so plötzlich aufregen über Stilfragen (Socken, Satzkonstruktionen, Redefloskeln)? Warum war die forensische Psychiatrie für Dich ein Gastspiel, die »Tötung des Intimpartners« allerdings nicht nur eine Pflichtlektüre gegenüber dem ehemaligen Chef und die Sitzungsrunden im Institut das, was in Erinnerung blieb? Das Praktikum bei den schwer erziehbaren Kindern, inwiefern ist es keine Anekdote am Rande? Was durftest Du damals entscheiden? Hast Du Dich mit Egon Ammann zum ersten Mal in der Rheinfelder Bierhalle verabredet? Was ist für Dich Verlegertreue? Von welcher Seite muss sie unter welchen Bedingungen eingehalten werden, hat sich das verschoben und wenn ja, wie? Seit wann fasziniert es Dich nicht mehr so sehr, dass Autorensätze über mehrere Seiten gehen können, und wann hat William Gaddis Dich überhaupt ausgelassen? (Den Zeitpunkt habe ich irgendwie übersehen.) Hast Du bei ihm Dialogführung verlernt und dann wieder neu gelernt, und warum halte ich Deine Dialoge für undialogisch (aber gerade deswegen für nicht uninteressant)? Was behauptest Du eigentlich, wenn Du Dialoge schreibst? Was hat Dich letztes Jahr so an Lucia Berlin fasziniert, und wofür taugte David Foster Wallace zur gleichen Zeit für Dich dann doch nicht? Wieso hast Du Dich nie wirklich für Roberto Bolaño interessieren können, und siehst die kurze Form im Kommen? Welche Fragen würdest Du hier am liebsten rausstreichen, oder ist Dir das Mumpe? Wieso wolltest Du nochmal die Partei der bibeltreuen Christen wählen, aber Schlingensiefs Chance 2000 eher nicht? Wieso faszinieren Dich Süchtige, oder hat diese Faszination schon lange nachgelassen? Wann hast Du angefangen darüber nachzudenken, eine straighte Geschichte in kurzen Sätzen zu erzählen, und wieso kommen diese Gedanken immer wieder, um von einer ganz anderen Ästhetik vertrieben zu werden? Wo ist eigentlich der Plot geblieben, von dem Du eine Weile fasziniert warst, und den Du in »Das bessere Leben« eingesetzt hast? Ist er ganz in dem Buch versenkt? Der Plot, von dem wir alle wussten, Du würdest ihn so nie schreiben, wie Du ihn angekündigt hast, und am Ende hast Du uns dann doch überrascht. Wo sind die Städte geblieben? Deine Städte? War São Paolo ein urbaner Endpunkt, ein Ort, von dem aus man nur in die Vergangenheit anderer Städte zurückgehen kann – z. B. zurück zu Erinnerungen an das Berlin der 80er? Kann man noch nach Neapel, New York oder Paris reisen? Fällt Dein Blick, eben dort angekommen, eigentlich gleich automatisch in die Auslagen von Immobilienvermittlern, den Bernhardischen Realitätenhändlern, oder lenkst Du ihn noch etwas? (Verleihst Du ihm Nachdruck?) Mit was vergleichst Du im Augenblick die Immobilienpreise? Hast Du da noch einen Maßstab? Was machen wir mit all den geldverschweinten Städten, oder gibt es gar keine anderen mehr? Wieso spielte Wien nie eine wirkliche Rolle bei Dir, geschweige denn Mumbai, Peking, Kuala Lumpur? Welche Fortbewegungsmittel wählt ein Schriftsteller, dem das Fahrrad geklaut wurde und der sein Auto teilt? (Es ist gerade unterwegs, woanders in dieser Stadt, vielleicht Richtung Akademie …) Ist Dir das Gespräch als ästhetische Form zu undeutlich geworden? Nicht verwendbar für eine politische Auseinandersetzung? Bestehen die Körper nach wie vor nicht aus Sprache, und würdest Du mit der gleichen Vehemenz darüber mit mir in einem Frühstücksraum in Klagenfurt streiten? (You remember the nineties: Ich, Judith Butler, Du, Gilles Deleuze.) Mit wem streitest Du derzeit besonders gerne? Wen würdest Du gerne zu einem Gespräch treffen (Interviews führst Du grundsätzlich nicht)? Gibt es diesbezüglich jemanden, nach dem Du Ausschau hältst, und bist Du da vorsichtiger als bei anderen Recherchen? Mit wem würdest Du nun wirklich nicht reden, änderst dann aber im Verlauf eines Romanprojekts Deine Meinung? Mit welchen Sätzen bewaffnest Du Dich, oder lehnst Du verbale Bewaffnung ab? Welchen strategischen Übermut hortest Du? Oder würdest Du Dich als Taktiker bezeichnen (mehr auf der bricolage-Seite)? Auf welchem Boden stehen insofern Deine Texte? Okay, ich höre auf mit meinem Stakkato-Tempo, ich werde langsamer – apropos Zeit: Wieso brauchst Du für das erste Drittel eines Buches die vierfache (nein, die vielfache) Zeit wie für den Rest? Schreibst Du wirklich von A bis Z? Oder gibt es auch einen Gegenstrom in diesem Prozess, den Du nur nicht gerne herzeigst? Auch Dir selbst gegenüber nicht? Erkennst Du den Dämon wieder, der einen Schreibprozess begleitet, oder wechselt er bei Dir geschickt die Rollen? Grüßt Du ihn mittlerweile? (Wir kennen ihn, den stets auftrumpfen wollenden Trickser, den Schreibteufel, den Verhinderer, ohne den angeblich alles einfach so laufen würde, aus unseren Köpfen hinauslaufen, die Texte, die Romane und Stücke …) Was gehört für Dich dazu, Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste zu sein, und in welchen Situationen meldest Du Dich zu Wort in der Akademie für Sprache und Dichtung? Bist Du gerne Professor? Wie war es in Cannes als Drehbuchschreiber? (Du warst doch mal dort, oder?) Wann gehen wir wieder mal öfter ins Kino und nicht nur so arg sporadisch? Ist die Berlinale für Dich nach wie vor ein Anziehungspunkt, den Du nur nicht mehr so wahrnimmst wie noch vor einigen Jahren (all diese Festivals und schnöden Eventkulturen des Kunstbetriebs)? Findest Du es schade, dass Du vermutlich nie wieder einen Film vorführen wirst? Was bedeuten die Arbeitssitzungen mit Christoph Hochhäusler, in denen ihr an Filmdrehbüchern arbeitet, für Dein restliches (übriges?) Schreiben? Hat sich die Bedeutung von Musik für Deine Arbeit jemals verändert? Mir scheint, Dein Musikgeschmack ist etwas poppiger, romantischer, allenfalls jazziger geworden – also Punk hat Dich ganz verlassen, oder? Warum habe ich immer noch das Gefühl, ich müsste, wenn ich über Dich schreibe, mit den Städten beginnen, mit den Stadtwahrnehmungen, den Stadtspaziergängen, den Gängen rund um den Block, unterschiedlichen Organisationen des öffentlichen Raumes, wo Du doch längst ganz woanders stehst … – und wie hängen diese Stadtraumkonstruktionen mit Deinen undialogischen Dialogen zusammen? Hat die Montage der meist knapp gehaltenen Dialogstellen auch eine text-räumliche Funktion? Was für ein Raumproblem treibt Dich also an? Fließt bei Dir wirklich alles Mögliche in Deine Texte ein, wie behauptet, oder musst Du dafür noch einmal um den Block gehen, d. h. musst Du einfach noch einmal unterwegs sein, also mit den Füßen arbeiten? Wie entsteht diese Dynamik, die dieses merkwürdig angeordnete Ineinanderfließen der Orte, Situationen, Stadtwahrnehmungen erzeugt, das mich dennoch bis heute wissen lassen würde, wann es ein Text von Ulrich Peltzer ist und wann eine Fälschung …? (Hast Du schon einmal eine Kopie Deines Stils gelesen, oder verweigerst Du die Perspektive ›Stil‹ immer noch? – Aus guten Gründen, ich weiß …) Warum kokettierst Du manchmal mit Theorieentzug, den Dir niemand abnimmt? Foucault vs. Deleuze, das war lange her … der Glücksbegriff bei Spinoza? Und wo bitte schön bleiben die new (bereits wieder) old left? Warum würdest Du jemanden wie Paul Mason nicht wirklich lesen? Welcher Soziologie traust Du über den Weg? Und hast Du immer noch mehrere Weisen der Ablehnung vermufft sozialdemokratischer Aussagen parat, unter denen Du jeweils diese gezielt heraussuchst, die politisch angemessen ist, oder verengt sich das? Reicht es Dir mit transatlantischen Besuchen? Fährst Du wirklich niemals wieder nach Oslo, um Dich dort vor eine Imbissbude zu stellen und beinahe ankotzen zu lassen? Wirst Du Dir in São Paolo keine Hubschrauber mehr ansehen, um das Grauen der gated communities im vertikalen Format ein zweites Mal zu beschreiben? Welche Fotos hängen jetzt gerade, ja, in diesem Moment, an der Wand bei Deinem Schreibtisch? Brauchst Du Fotografien als Antrieb zum Schreiben, zur Begleitung...