Arnold / Schäfer / Kratzer | Verfluchte Städte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 396 Seiten

Arnold / Schäfer / Kratzer Verfluchte Städte


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-946381-13-6
Verlag: Shadodex - Verlag der Schatten
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 396 Seiten

ISBN: 978-3-946381-13-6
Verlag: Shadodex - Verlag der Schatten
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Verfluchte Städte. Verlassen liegen sie da. Niemand hat sie seit Jahren betreten. Viele Gebäude sind bereits verfallen. Dicke Staub- oder Schmutzschichten überziehen alles. In den Häusern findet man zum Teil aber noch alles so vor, wie es verlassen wurde.

Warum? Was ist dort geschehen?

Die Wahrheit, die Geschichten, die sich hinter diesen Geisterstädten verbergen, haben wir in dieser Anthologie für Sie zusammengetragen und so geordnet, dass sich der Gruselfaktor von Geschichte zu Geschichte steigert.

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Weitere Infos & Material


Inhalt:
Anett Arnold: Stadt der Bilder
Christin Schäfer: Spuren im Staub
Lea Baumgart: Ort ohne Geister
Tim Pollok: Das ertränkte Dorf
Daniel Spieker: Eine Regel
Maria Grzeschista: Mittwoch
Renée Engel: Die Augen der Geisha
Marius Kuhle: Gebaut auf Trug und Schein
Gabriel Maier: Bruckhafen
Juliane Schiesel: Grenzgebiet
Johannes Kratzer: Weilersreuth
Jasmin Jülicher: Aurum
Jenny Dotzauer: Shadow of Fear - im Schatten der Angst
Bonus:
Safak Sariçiçek: Krieg gegen die Entfremdeten (Ultra-Kurzgeschichte)


Anett Arnold: Stadt der Bilder
  Ich wohne allein in meiner Stadt. Keiner klopft an meine Tür – an eine meiner vielen Türen. Niemand begegnet mir auf den Straßen. Nur der schneidende Wind fegt um meine Beine. Ein Rabe krächzt mir zu. Er begrüßt mich und die Ratten, die mich aus den Ecken mit ihren glänzenden, kleinen Augen beobachten. Sie warten darauf, dass auch ich die Stadt verlasse, damit sie sie übernehmen können. Ein Königreich für Ratten! Ich streife durch die Straßen. Häuser zerfallen vor meinen Augen. Ich schrecke nicht mehr zurück. Ich bin daran gewöhnt. Schaufenster, an denen sich einst Kindergesichter platt drückten, sind längst undurchsichtig vom Dreck und Alter. Vielleicht war dies einmal ein Süßigkeitenladen gewesen, vielleicht ein Bordell. Wer weiß es schon. Es interessiert niemand mehr. In den Gassen, den kleinen verwinkelten, fliegt Asche durch die Luft. An den Wänden hängen unzählige Porträts von fremden Menschen – Frauen, Männer, Kinder. Das Papier flattert im Wind, die zerrissenen Ecken wehen, als würden sie auf mich zeigen, als würden sie mir etwas sagen wollen. Aber ich spreche ihre Sprache nicht. Mehrere hundert Augen starren mich ständig an. Sie starren auf mich kleine Person, und ich komme mir unbedeutend vor. Ich weiß nicht einmal, wer ich bin und woher ich komme. Ich bin einfach hier und lebe damit. Viele Bilder sind alt. Sie sind manchmal kaum noch zu deuten. Ich gehe näher ran, um die Seele in den Augen der Menschen zu finden. Wenn ich fast meine Nase auf die fahlen Blätter presse, kann ich sie erahnen. Aber das Erahnen, das Nichtwissen oder auch das Wissen, dass ich sie nie genau erkennen werde, macht mich traurig. Ich weine nicht mehr. Tränen werden in meiner Stadt zu Staubkörnern, die sich mit dem Nebel vermischen und den Himmel grau werden lassen. Hier müssen schon ziemlich viele Menschen geweint haben. Wahrscheinlich ist es deshalb immer grau. Irgendwann werden die Bilder verblassen, diese ungezählten, unbeweinten Bilder. Unter jedem einzelnen Gesicht darauf steht nur ein Wort. Und das viele hundertmal. VERMISST.   Tagsüber besuche ich die leeren Häuser. Staub und Spinnen haben es sich darin gemütlich gemacht. Hier und da fällt ein Ziegel herunter, bricht ein Balken ein. Lose Tapeten hängen von den Wänden. Ich besteige morsche Treppen und sehe fahle Kinderbettchen. Nur die Spieluhren darüber funktionieren noch. Die Melodien klingen aber langsam und verzerrt. Ich lasse sie nicht mehr spielen. Sie machen mir Angst, bin ich doch stets alleine mit mir und meinen leisen Schritten. Die Einsamkeit klebt mir wie Staub im Mund. Sie schmeckt bitter. Ich wünsche mir, ein Kind würde in einem dieser zernagten Betten liegen. Ein Baby, hilflos und schutzbedürftig, das ich hüten und halten kann, das mir das Gefühl gibt, nicht der Einzige zu sein. Was sage ich! Selbst ein zahmes Eichhörnchen würde mir als Gesellschaft genügen. Zu Beginn hatte ich noch Angst, eine Urangst vor dem Unbekannten, vor den dunklen Ecken. Nun fühle ich mich in ihnen fast am wohlsten. Die Zeit macht komische Dinge mit einem. Sie macht komische Dinge mit mir. Auf manchen Tischen stehen noch Teller und Gläser. Alle Messer und Gabeln überzieht eine dicke Schmutzschicht. Kein Windhauch wehte den Staub jemals davon, und nun ist er zu schwer geworden. So weit dringt die Außenwelt nicht in diese Mauern ein. Der Wind, der durch die größtenteils zerstörten Fenster dringt, zerrt lediglich an den von Motten zerfressenen Vorhängen. Ich habe diese Scheiben schon vor langer Zeit mit Steinen eingeworfen, nur um ein anderes Geräusch, außer dem Scharren der Nagerfüße auf den Dielen und meinen flachen Atem, zu hören. Ich kann mich an Sonnenschein erinnern, an Strahlen, die aus dem Himmel kamen. Früher. Sie wärmten mich und die Menschen, die ich liebte. Seit einer gefühlten Unendlichkeit hängt aber nun eine Wolke über meiner Stadt, die kein Licht hineinlässt. Ich lebe in ständiger Dämmerung. Zumindest fühlt es sich so an. Bin ich vielleicht die Dämmerung? Ich verschmelze reibungslos mit den dunklen Hauseingängen, den leeren Straßen. Bin ich aus Asche und Staub gemacht? Manchmal ist mein Gesicht in den alten Spiegeln der Häuser kaum zu erkennen, und ich habe furchtbare Angst zu vergessen, wie ich aussehe. Wer bin ich? Wer bin ich nur? Mit mir hausen die Ratten, die Spinnen und Motten in den Räumen. Jede Nacht schlafe ich in einem anderen Haus, in einem anderen, modrigen Bett. Überall riecht es nach Alter und vergangener Zeit. Jederzeit könnte das jeweilige Dach auf mich stürzen, mich begraben, und nie würde jemand versuchen können, mich zu befreien. Ich weiß nicht, ob ich sterben kann. Bisher ist es mir nicht gelungen. Vielleicht würde ich ewig unter dem faulenden Holz liegen und nur noch hören können, weil die Welt endgültig kein Licht mehr für mich hat. Ich bin schon mehr als einmal nachts aufgewacht durch das laute Krawumm eines einstürzenden Hauses. Am nächsten Tag suche ich es stets und lege eine getrocknete Blume darauf. Ich habe schon viele Blumen verteilt.   Unser Rathaus hatte mal eine wunderschöne Uhr. Heute zeigt sie keine Zeit mehr an. Der Stundenzeiger liegt auf dem Weg davor. Der Minutenzeiger ruckt ab und zu einsam einen Schritt nach vorn – manchmal auch zurück. Aber nie, wenn man hinsieht. Es ist, als ob er sein Geheimnis für sich bewahren möchte. Als gäbe es in dieser Stadt noch nicht genug Geheimnisse! Auf dem Platz vor dem Rathaus fanden einst Jahrmärkte statt, Feste, Hochzeiten und Trauerreden. Nur die Trauerreden sind geblieben. Die Raben schreien sie in die Nacht.   Ich suche mir ein neues Haus. Ein anderes Haus. Mein Haus. Jedermanns Haus. Niemandes Haus. Ich gehe an den Plakaten mit den vermissten Gesichtern darauf vorbei und merke, dass ich keins davon vermisse. Ich weiß nicht, ob das schlimm ist. Ein neues Haus! Da ist es. Ein großes, besonders schönes steht vor mir. Der Eingang ist aus edlem Marmor, eine Treppe erhebt sich vor mir – wie in einem Märchen. Vor meinem inneren Auge sehe ich schmale Frauenfüße in feinen Schuhen über die Stufen huschen, hinein zum Liebsten, hinein zum Feuer, um sich zu wärmen – an beidem. Ich kann ihr kokettes Kichern hören, ihren Augenaufschlag sehen, ihren Herzschlag spüren, der wie ein aufgeregter Welpe springt, und habe den Geschmack von erster Liebe im Mund. Neid zerfrisst mich, weil ich all das nicht fühle. Ich bin mir jedoch sicher, dass sie einmal hier lebte. Bevor ich einen Schritt auf das Haus zugehen kann, berührt ihr Bild meinen Fuß. Zwar kann ich nicht ihre feinen Schuhe sehen, aber ich bin mir fast sicher, die Seele in ihren Augen zu erkennen.   Über den teuren Boden im Eingangsbereich fegen Laub und alte Zeitungen. Ein leises Trippeln verfolgt mich. Es kommt aus den Ecken. Meine treuen Begleiter lassen mich nie allein. Ein Klavier von beachtlicher Größe steht in einem Nebenraum. Seit Jahren wurde es nicht berührt. Kein Ton erklingt. Ich glaube nicht, dass ich spielen kann. Und selbst wenn, ich wüsste nicht für wen. Die Ratten sind es nicht wert. Ich bin schrecklich müde, immer so schrecklich müde, und doch treibe ich nicht auf schönen Träumen in farbige, warme Welten davon. Selbst dort ist mir Licht nicht vergönnt. Aber ich bin so fürchterlich müde. Also suche ich mir ein Bett. Nicht ihres, ein anderes. Ich werde schnell fündig in den vielen Räumen, die ich wie ein Dieb durchstreife. Dieses Gefühl kommt nie abhanden, obwohl in dieser Stadt alles den Raben und den Ratten gehört. Die haben sich jedoch noch nie bei mir beschwert. Manchmal glaube ich, sie sehen mich als einen der Ihren an. Ein Bett! Es ist weich und riesengroß, doch so alt und staubig wie jedes davor.   Ich erwache aus einem Traum – grau in grau in grau. Töne erklingen. Sanft, sacht, zart. Sie schweben zu mir. Sie klingen so lebendig. »Für Elise« dringt in meinen Kopf ein, füllt ihn aus und lässt in meinem Inneren einen Orkan toben. Träume ich noch immer? Dichte Wolken durchziehen meinen schlaftrunkenen Kopf und doch pumpt mein Herz Adrenalin in jede Ader. Ich stehe binnen Sekunden unter Strom. Die Schwere fällt von meinen Gliedern ab, ich rapple mich auf und renne die anthrazitfarbenen Stufen hinunter. Keine Musik mehr. Kein einziger Ton. Nur ein Klavier ohne Spieler. Ich trete näher heran, und was ich sehe, lässt mich innerlich erzittern. Der Deckel wurde bewegt, der Staub beiseitegeschoben. Finger auf uralte Tasten gelegt. Die Töne waren tatsächlich erklungen. Suchend gehe ich durch den Raum. Meine Augen sind wie kleine Tiere, die ziellos jeden Winkel sondieren, aber nicht wissen, wonach sie suchen. Sie achten daher auf jede Bewegung, jede noch so kleine Regung. Und hinter einer Standuhr, dicht an die Wand gepresst, sitzt sie – ein Mädchen, vielleicht vierzehn Jahre alt. Sie trägt ein Nachtgewand, einstmals weiß und nun vergilbt. Sie drückt eine Stoffpuppe an sich. Ganz fest, als sei dies ihr Anker. Sie wirkt jünger, als es ihr Körper vermuten lässt. Sie zittert und sieht mich mit Augen, groß wie Teller, an. Ihr Bild hängt nirgends. Und ich kenne sie alle. Meine Hand streckt sich ihr entgegen und ich sage: »Spiel noch einmal. Bitte!« Sie blickt auf die fremde Hand, ist scheu und doch will sie Vertrauen fassen. Das kann ich in ihrem Blick sehen. Sie umfasst meine Finger, lässt sich zum Klavier führen, setzt die Puppe darauf ab und beginnt zu...



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