E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Aurnhammer Etwas von dir bleibt
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96121-452-5
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was ich als Sterbebegleiter über das Leben gelernt habe
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-96121-452-5
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was zählt eigentlich wirklich im Leben? Menschen, die im Sterben liegen, können diese Frage besonders gut beantworten. Klaus Aurnhammer ist Seelsorger auf einer Palliativstation und während seiner Gespräche mit den Sterbenden erlebt er, wie sie einen neuen Blick auf die eigene Geschichte entwickeln, sich ihren Angehörigen öffnen und eine unglaubliche Stärke zeigen. Als Klaus Aurnhammer bei einer Fahrradtour einen Herzinfarkt erleidet, wäre er selbst fast gestorben. Die Weisheiten der Sterbenden, die er bis dahin begleitete, gaben ihm in dieser schweren Zeit Kraft.
Wer mit dem Alltag hadert oder sich in Krisen fragt, worauf es im Leben ankommt, kann viel von den Lektionen der Sterbenden lernen. Dieses Buch spendet Kraft und kann zu einem treuen Begleiter für schwierige Zeiten werden.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Wo ich arbeite? Auf einer Palliativstation
Ich bin Diplom-Theologe und Krankenpfleger und arbeite seit über 28 Jahren auf einer Palliativstation im Saarland. Eine Palliativstation ist eine besondere Station in einem Krankenhaus. Dort werden Menschen aufgenommen und behandelt, die unheilbar erkrankt sind. Meist sind das Tumorpatienten. Nun sind Tumore, auch bösartige, ja grundsätzlich heilbar. Die onkologische Therapie hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und stellt gute, vor allen Dingen auch verträgliche Therapien zur Verfügung. Vor 50 Jahren war die Diagnose »Krebs« meist ein Todesurteil. Das ist heute nicht mehr so. Allerdings gibt es Tumoren, die vielleicht schon Metastasen an anderen Stellen des Körpers gebildet haben. Ein Lungentumor metastasiert gerne in die Knochen oder ins Hirn. Dann ist die Situation eine grundlegend andere. Die Ärzte sagen in solchen Fällen zu Recht: Dieser Mensch ist unheilbar erkrankt. Man kann den Betroffenen immer noch verschiedene Therapien anbieten, von einer Operation über eine Bestrahlung bis hin zur Chemotherapie oder einer modernen Antikörpertherapie. Manchmal empfehlen Ärzte auch eine sinnvolle Kombination dieser Möglichkeiten. Aber gesund wird dieser Mensch dann nicht mehr. Seine Lebenszeit ist definitiv begrenzt. Wie lange er noch leben wird, kann niemand sagen; es können Tage, Wochen, Monate, manchmal auch Jahre sein. Wenn nun solch ein Tumor, mit welcher Therapie auch immer der Betroffene behandelt wurde, weiterwächst, was er irgendwann tun wird, dann entwickeln sich Krankheitszeichen aller Art, von denen in diesem Buch auch die Rede sein wird. Und genau hier setzt die Palliativmedizin an. Der Name stammt aus dem Lateinischen. »Pallium« heißt wörtlich »Mantel«. Die Palliativmedizin versucht dann gemeinsam mit dem Erkrankten, lindernde Maßnahmen zu finden und einzusetzen, die die Situation des Kranken tatsächlich verbessern. Um im Bild des Wortursprungs zu bleiben: Ein Palliativmediziner sucht nach einem schützenden Mantel, den er dem Kranken anbietet. Auf solch einer Station arbeite ich in einem Team aus Ärzten, Pflegenden und anderen Therapeuten als Seelsorger. Ich bin also Teil einer schützenden und lindernden Therapie. Manche halten ein solches Arbeitsfeld vielleicht für schrecklich. »Da könnte ich nie arbeiten«, höre ich oft, wenn ich nach meiner Arbeit gefragt werde. Viele Menschen denken spontan, dass auf einer Palliativstation alle furchtbar traurig oder wütend oder depressiv wären. Das ist nicht so. Der Mensch ist ein hoffnungsbegabtes Wesen und richtet sich eigentlich immer nach vorne aus. Hoffnung ist immer, das werden wir später noch ausführlicher sehen, eine große Kraft für viele Menschen. Und daher gibt es auf einer Palliativstation das ganze Spektrum menschlicher Regungen und Handlungen. Natürlich sind Menschen immer wieder traurig, dass das Leben zu Ende geht. Manche sind auch wütend oder entsetzt, aber bei anderen blitzt ihr Humor auf oder ihre Dankbarkeit dem Leben und den Liebsten gegenüber. Wie kommt man als Theologe auf eine solche Station? Bei mir war das so: Ich bin in der Nähe von Münster aufgewachsen und habe dort Theologie studiert. Priester wollte ich nie werden. Aber ich hatte Freunde, die bereits Theologie studierten. Die motivierten mich, das auch zu tun. Ich war damals stark in die Jugendarbeit einer Pfarrei eingebunden. Und so wollte ich nach meinem Studium in die Jugendarbeit gehen, als Pastoralreferent des Bistums Münster. Damals musste man sich einem sogenannten Bewerberkreis anschließen. Tapfer tat ich das. Aber, was soll ich sagen, diese Runde war so grottenschlecht, dass ich mich dort verabschiedete. Münster ade. Und was jetzt? Nun, ich wusste mir zu helfen. Schon als junger Student hatte ich durch eine Jugendfreundin die Franziskanerinnen von Waldbreitbach in der Nähe von Neuwied kennengelernt. Dieser Orden unterhielt schon damals eine Reihe von Krankenhäusern und Altenheimen in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Dort hatte ich in Studienzeiten regelmäßig verschiedene Kurse belegt: Meditation, Heilfasten, Wanderexerzitien. In einem der Jahre nahm ich an einem Kurs teil, der Theologen für die Arbeit in der Krankenhausseelsorge vorbereiten sollte. Wir waren zu fünft und besuchten Menschen in einer Lungenfachklinik und in der Psychiatrie. Wir lernten Gottesdienste zu halten und zu predigen. Unsere Besuche wurden in der Gruppe ausgewertet. Das machte mir Spaß. Also telefonierte ich mit einer Schwester des Ordens, die mich gut kannte. Die vermittelte mir dann tatsächlich einen Termin mit der Generaloberin, Schwester Claudia. Da saß ich nun, Mitte 20, grün hinter den Ohren, noch nicht mal fertig mit dem Studium. »Herr Aurnhammer, meine Mitschwester hat mir erzählt, dass Sie sich in dem Seelsorgekurs wacker geschlagen hätten. Was ist denn Ihr Anliegen?« »Nun, ich denke, ich möchte in die Krankenhausseelsorge gehen. In Münster wird das nichts, aber ich weiß, dass Ihr Orden ungewöhnliche Wege geht, also wollte ich Sie fragen, ob Sie Interesse an mir hätten?« »Herr Aurnhammer, Sie sagen, Sie wollen ins Krankenhaus. Wenn Sie ›Krankenhaus‹ wollen, dann sollten Sie ›Krankenhaus‹ auch kennen.« Das klang einleuchtend. »Alles klar, aber wie mach ich das?« »Ganz einfach, Sie machen eine Krankenpflegeausbildung. Und ich weiß sogar schon ein Krankenhaus, in das ich Sie schicken kann.« Ich war wirklich erstaunt, die Schwester war gut vorbereitet, sie hatte tatsächlich schon einen Plan entwickelt. Also zogen meine Frau Anette und ich nach dem Studium nach Bitburg in die Eifel, damit ich eine Krankenpflegeausbildung machen konnte. Dort lernte ich das Krankenaus gründlich und von innen kennen. Mein Wunsch, Krankenhausseelsorger zu werden, verfestigte sich. Nach drei Jahren folgte 1990 das nächste Gespräch mit Schwester Claudia. »Herr Aurnhammer, Sie haben die Ausbildung bestens abgeschlossen. Eigentlich wollte ich Sie nach St. Wendel ins Saarland schicken, die machen ganz gute Projekte, aber nun habe ich jüngst eine Anfrage vom Bundesgesundheitsministerium bekommen. Die wollen in jedem Bundesland eine Palliativstation einrichten. Und für das Saarland habe ich mir das St.-Michael-Krankenhaus in Völklingen im Saarland ausgesucht. Stellen Sie sich da mal vor, ich habe Sie bereits angekündigt.« Das gefiel mir: Sie machte Nägel mit Köpfen. Ich sprang ins Auto und fuhr nach Völklingen. Wir schrieben das Jahr 1991. Als ich durch die Stadt fuhr, bekam ich zunächst einen Schrecken. Die alte Völk-linger Hütte hatte erst jüngst die Arbeit eingestellt. Die Häuser sahen schrecklich aus: Ruß, Ruß, Ruß. Hier sollten wir wohnen? Niemals. Anette hätte mich geköpft. Gott sei Dank gelang es dem Krankenhaus schnell, für uns eine Wohnung außerhalb zu finden. Acht Kilometer weit weg, in einem Wald gelegen, fanden Anette, unser mittlerweile geborener Sohn Simon und ich unsere erste Bleibe. Ich wurde freigestellt, um ein Konzept zu erstellen und ein Team zu bilden. Ich reiste nach Bonn, dem damaligen Mekka der Palliativmedizin. Die Palliativmedizin war in den 1990er-Jahren in Deutschland ein echtes Stiefkind. In England, dem Mutterland der Palliativmedizin, war schon in den 1960er-Jahren das erste moderne stationäre Hospiz entstanden. Entsprechend hatte sich dort dieser neue Zweig der modernen Medizin bereits gut etabliert. Aber in Deutschland gab es damals tatsächlich nur zwei Palliativstationen mit insgesamt zehn Betten. Und es gab genau ein stationäres Hospiz. Zum Vergleich: Heute gibt es mehrere Hunderte Palliativstationen und genauso viele stationäre Hospize. Das ist ein Segen für viele Erkrankte und deren Familien. In Bonn lebte ich vier Wochen und lernte Monika, die Leiterin der dortigen Palliativstation, kennen. Monika wird im Verlauf dieses Buches noch eine wichtige Rolle spielen. Wir freundeten uns an und entwickelten im Laufe der nächsten Jahre verschiedene Projekte. Als ich dann krank wurde (dazu später mehr), war sie vor allem für Anette in der ersten Zeit eine unendlich wichtige Unterstützerin und Begleiterin. Ihre Tipps am Telefon waren wohltuend, bestärkten Anette im Umgang mit dem Intensivpersonal und ermutigten sie. In Bonn habe ich unendlich viel von den Kolleginnen und Kollegen gelernt. Vieles konnten wir dann in Völklingen umsetzen. Was genau macht nun ein Seelsorger auf der Palliativstation? Zugegeben: Auf einer Palliativstation sind selten fromme Sprüche gefragt, ich bin also nicht einfach für das Beten und das Bibelvorlesen zuständig. Natürlich bete ich immer wieder mit Patienten oder mit Angehörigen, sofern dies gewünscht ist. Das tut allen Beteiligten gut. Gefragt sind aber andere Eigenschaften: zuhören können, sich einfühlen, verstehen, Zusammenhänge des Lebens miteinander erkunden, Perspektiven entwickeln. Mit diesem Buch will ich Sie mitnehmen auf eine Reise zu unterschiedlichen Themen, die mir bei der Arbeit immer wieder begegnen. Ich will Ihnen einige Menschen vorstellen, ihre Geschichte erzählen...