E-Book, Deutsch, 268 Seiten
Autsch / Baumgartner / Fleckner Lexikon der Lebensmittel als Kunstmaterial. Von Apfel bis Zucker: Symbolik, Restaurierung und Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7757-5998-4
Verlag: Hatje Cantz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von Apfel bis Zucker
E-Book, Deutsch, 268 Seiten
ISBN: 978-3-7757-5998-4
Verlag: Hatje Cantz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lebensmittel als Kunst: Ein einzigartiges Lexikon zur zeitgenössischen Kunstpraxis
Entdecken Sie eine neue Perspektive auf zeitgenössische Kunst mit Das Lexikon der Lebensmittel als Kunstmaterial. Dieses außergewöhnliche Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Verwendung von Lebensmitteln in der Kunst vom 20. Jahrhundert bis heute. Mit rund vierzig spannenden Einträgen werden Schlüsselwerke beleuchtet und die Entwicklung von Lebensmitteln als künstlerisches Medium analysiert.
Lebensmittel, als organisches Material, stellen die Kunst vor neue Herausforderungen: Sie verändern im Laufe der Zeit ihre Form und ihren „Aggregatzustand“. Diese Transformationen eröffnen Künstler*innen innovative Möglichkeiten und werfen zugleich spannende Fragen für Kunsttheorie, Praxis und Restaurierung auf.
- Einzigartiger kunsthistorischer Überblick: Die kreative Verwendung von Lebensmitteln in der Kunst über Jahrzehnte hinweg und ihre symbolische Bedeutung.
- Einblicke in die Restaurierungswissenschaft: Spannende Details zur Konservierung von Kunstwerken aus organischen Materialien.
- Symbolik entschlüsselt: Die tiefere Bedeutung der verwendeten Materialien wird aufgedeckt.
Ein unverzichtbares Buch für Kunstliebhaberinnen, Wissenschaftlerinnen und Fachleute der Kunstwelt, das die faszinierende Verbindung von Lebensmitteln, Symbolik und moderner Kunstpraxis offenbart.
Fachgebiete
- Technische Wissenschaften Verfahrenstechnik | Chemieingenieurwesen | Biotechnologie Lebensmitteltechnologie und Getränketechnologie
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Kunst Künstlerische Stoffe, Motive, Themen Künstlerische Stoffe, Motive, Themen: Natur & Tiere (Stillleben, Landschaften etc.)
- Geisteswissenschaften Kunst Kunstgeschichte
- Geisteswissenschaften Kunst Kunst, allgemein Restaurierung, Konservierung
Weitere Infos & Material
Abdeckung
Titelseite anhalten
Titelblatt
Inhalt
Das (unvollständige) Lexikon der Lebensmittel als Kunstmaterial zur Einführung
Apfel
Bonbons
Brot
Butter und butterähnliche Speisefette
Chips
Coca-Cola
Donut
Dosengemüse/Gemüsekonserven
Erdnussbutter
Fett
Fischgräte (Hering)
Fleisch
Flux Mystery Food
Frucht- und Weingummi
Fruchtsaft
Honig
Jaffa-Orange
Kartoffel
Käse
Kirsche
Kopfsalat
Laborfleisch
Marzipan
Milch
Nutella
Obst und Gemüse
Palmöl
Pasta
Pilze
Radieschen
Reis
Schokolade
Suppe
Teig
Wurst
Zitrone
Zucker
Kurzbiografien der Autor*innen
Die Herausgeberinnen
Verzeichnis der Künstler*innen
Bildnachweis
Impressum
Barbara Lange A Apfel
Apfel, rundliche, fest-fleischige, aromatisch schmeckende Frucht mit Kerngehäuse; Frucht des Apfelbaums Der Apfel, eine auf der Nordhalbkugel der Erde weitverbreitete Kernfrucht, wird von Menschen schon lange als Lebensmittel genutzt. Nach der Baumblüte im Frühjahr werden die unterschiedlichen Sorten vom späten Sommer bis in den Herbst geerntet. Das frische Obst lässt sich in kühlen Räumen mehrere Wochen lagern, kann roh, gekocht oder gedörrt verspeist werden und ist so in den sonnenarmen Monaten ein geschätztes Nahrungsmittel, das sich als Garant für Gesundheit etabliert hat. Durch Einkochen und Sterilisieren lassen sich Äpfel über Monate konservieren und als Mus, Kompott oder Füllung weiterverarbeiten; in zahlreichen Regionalküchen haben sich dafür entsprechende Rezepte erhalten. Gepresst oder zentrifugiert gewinnt man zudem aus Äpfeln einen süßlichen Saft, der in manchen Regionen vergoren als alkoholhaltiges Getränk genossen wird. Auch nicht-menschliche Säugetiere oder auch Würmer und Maden ernähren sich von der Frucht, während der Nektar der Blüten für Bienen eine wichtige Nahrungsgrundlage darstellt. Intensiv betriebene Landwirtschaft, globale Klimaerwärmung und Starkregen haben in den letzten Jahrzehnten den Apfelbäumen allerdings stark zugesetzt. Die ursprüngliche Vielfalt der Sorten hat sich erheblich minimiert, befördert durch die inzwischen ganzjährige Verfügbarkeit der Frucht, die über weite Strecken transportfähige Produkte erforderlich macht. Auch führen warme Winter zu früherer Baumblüte, die dann fatalerweise von den an das Sonnenlicht angepassten Insekten verpasst wird. Fehlt jenen der Nektar, so fehlt später allen anderen mangels Bestäubung die Frucht. Daher gilt der Apfel heute als ein Indikator für eine aus der Balance geratene Ökologie. Seine große Verbreitung und Präsenz im Speiseplan haben ihn daher auch im aktuellen Kunstbetrieb zu einem Repräsentanten für dieses Problem gemacht, wie etwa im Langzeitprojekt Api étoilé/Ein wachsendes Archiv (seit 2020) von Gabriela Oberkofler. Es führt zwar den Namen einer alten Apfelsorte im Titel, vorherrschendes Thema ist jedoch das menschliche Zusammenleben mit Nutzpflanzen.1 Andere Arbeiten wie etwa Daniel Brägs Installation Äpfel oder Birnen (2013) oder Antje Majewskis und Pawel Freislers komplexes Werk Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) (seit 2014) exemplifizieren die Auswirkungen des durch Menschen verursachten Artensterbens und den Verlust kultureller Güter konkret am Beispiel des Apfels. Bräg zeigt seine Gläser mit eingekochten Früchten in der Fensternische einer Kindertagesstätte, die bereits beim Bau für seine Arbeit konzipiert wurde und Kindern, Eltern und Erzieher*innen tagtäglich das vom Speiseplan bekannte Obst in einer ästhetischen Inszenierung vor Augen führt.2 Majewski und Freisler versuchen, mit ihren aus der Konzeptkunst entwickelten Schnittstellen zum täglichen Leben gezielt Brücken zu Urbanistik, Landschafts- und Gartenbau sowie zu Initiativen von Bürger*innen zu schlagen.3 Die Erfahrungen aus dem Lebensalltag sind auch die Grundlage jener Bildtradition, die dem Apfel seit Jahrtausenden einen festen Platz in der europäischen Kunstgeschichte zuweist. Die Ikonografie, die sich dabei ausbildete, basiert auf der verbreiteten Kenntnis seines mild-süßlichen Geschmacks, dem für Menschen feinen Duft und der ihm zuerkannten gesundheitsfördernden Qualität.4 Wenn heute in Kunstwerken echte Äpfel integriert werden, so greifen diese die verschiedenen Aspekte mehr oder weniger deutlich auf. Mit dem partizipativ arbeitenden Apple Shrine (30.11.–24.12.1960) war der ausgebildete Kunsthistoriker Allan Kaprow einer der ersten, der mit dieser Dimension arbeitete. Im Keller der auch als Kunstgalerie genutzten Judson Memorial Church in New York installierte er Maschendraht, alte Zeitungen, Stroh, Lumpen, Abfall sowie echte Äpfel und solche aus Plastik zu einem in farbiges Licht getauchten, begehbaren Environment. Die Besucherinnen und Besucher waren aufgefordert, die Äpfel sowie deren Imitate aus Plastik in die Hand zu nehmen und beide auch olfaktorisch zu erleben.5 Stand bei Kaprow der spielerische Aspekt im Vordergrund, bei dem die unmittelbar körperliche Erfahrung der Rezipierenden Wissen und Verständnis generiert, so wird die Verwendung von realen Äpfeln in Kunstwerken heute durch das ökologische Desaster bestimmt, auf das die Menschheit zusteuert. Daniel Bräg mahnt mit seiner Installation Äpfel und Birnen den drohenden Verlust alter Kulturtechniken an. In seiner Arbeit Kühlschränke (2005) stellt er in kleinen Kühlräumen hinter Glastüren faulende Äpfel aus, deren Sorten vom Aussterben bedroht sind. Während Bräg diegetisch die Grenze zwischen Kunst und Alltag wahrt, ist sie bei Antje Majewski und Pawel Freisler, deren Arbeit auf einem anderen ästhetischen Konzept fußt, aufgehoben.6 Mimetisch gemalte Apfelbilder der Künstlerin sind ein Teil des Projektes Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) (Abb. 1), welches parallel zur Laufzeit einer Ausstellung auch aus zusätzlichen Programmpunkten wie Vorträgen zur Apfelkunde oder Pflanz- und Kochaktionen mit Schüler*innen besteht (Abb. 2). Abb. 1: Antje Majewski, Elise Rathke, 2014, Öl auf Holz, 40 × 80 × 3 cm, Galerie Neugerriemschneider, Berlin Abb. 2: Workshop Kochen mit Äpfeln in Kooperation mit der Lebensmittel-Kooperative Lodz während der Ausstellung Apple. An Introduction (Over and over again), Muzeum Sztuki, Lodz, 17.10.2014 – 11.1.2015 In der Ausstellung werden neben apfelbasierten Nahrungsmitteln wie etwa Apfelsaft auch Fotografien von Piotr Zycienski gezeigt, die Objekte aus Freislers Sammlung von durch Schnitzereien manipulierten und durch Verfallsprozesse veränderten Äpfeln stark vergrößert abbilden. Die eingeschrumpften Originale lassen sich nur begrenzt konservieren – eine Problematik, die die Verwendung von realen Äpfeln in Kunstwerken grundsätzlich prägt. In Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder) wird dies anhand der E-Mail-Korrespondenz der beiden Künstler*innen, die in Auszügen in der Ausstellung präsentiert wird, auf sprachlicher Ebene reflektiert. So schreibt Antje Majewski: „In den letzten drei Jahren habe ich die Zersetzung eines Apfels sehr genau beobachtet (nicht auf passive Art, ganz im Gegenteil). […] Ich lobe mich nicht selbst, tatsächlich ist es fast ein Desaster, ein paar Tausend Äpfel vor Maden und Würmern verteidigen zu müssen. Einige befinden sich nun in einem riesigen Gefrierschrank.“7 Doch nicht nur die frisch gepflückten, faulenden Äpfel locken Tiere. Pawel Freisler weiß vom Brotkäfer (Stegobium paniceum) zu berichten, der das getrocknete Obst befällt: „Sie essen sehr gern vertrocknete Äpfel, und wenn sie erst mal angefangen haben, bleibt nur eins zu tun: für eine lange Zeit tiefkühlen, mindestens eine Woche lang.“8 Bei Daniel Bräg verlieren die eingekochten Früchte durch das gedämpfte Sonnenlicht mit der Zeit die Farbe, und die Flüssigkeit trübt sich bräunlich. Wie Majewski und Freisler kalkuliert der Künstler dies mit ein, indem auch er sich nur als einen Akteur unter mehreren begreift, die nicht-menschlichen Akteur*innen inklusive. Für den kuratorischen und musealen Umgang mit diesen Apfel-Arbeiten bedeutet das, die Kunstwerke als einem komplexen ökologischen Prozess denken zu müssen, der wie das Leben mit einer ständigen Veränderung einhergeht und beinhaltet, Vergangenes manchmal nur noch als Abbild oder Bericht aus der Erinnerung dokumentieren zu können. 1 Gabriela Oberkofler – Api étoilé/Ein wachsendes Archiv, hg. von Andreas Baur (Ausst.-Kat. Villa Merkel, Galerie der Stadt Esslingen), Köln 2021; Webseite Api étoilé: https://api-etoile.villa-merkel.de/ (30.04.2022). 2 Website Daniel Bräg: „Cornelia Gockel: Äpfel oder Birnen“, https://daniel-braeg.de/aepfel-oder-birnen-2013 (30.04.2022). 3 Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder), hg. von Aleksandra Jach et. al., (Ausst.-Kat. Museum Abteiberg, Mönchengladbach), Berlin 2016, hier auch umfangreiche Informationen zum Thema Apfel; Webseite Museum Abteiberg Mönchengladbach: https://museum-abteiberg.de/ausstellungen/rueckschau-ausstellungen/2015-11/2015-antje-majewski-der-apfel/ (30.04.2022). 4 Stauch, Lieselotte: „Apfel“, in: Schmitt, Otto (Hg.): Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1937, Sp. 747–751; Schmidt, Margarethe (unter Mitarbeit von Monika Heffels): Warum ein Apfel, Eva? Die Bildsprache von Baum, Frucht und Blume, Regensburg 2000, S. 48–53. 5 Allan Kaprow: Art As Life, hg. von Eva Meyer-Hermann, Andrew Perchuk und Stephanie Rosenthal (Ausst.-Kat. Haus der Kunst, München, et al.), London 2008, S. 134–139. Die Ausstellungsstation im Museum of Contemporary Art, Los Angeles, inszenierte ein Reenactment von Apple Shrine, das in der Kunstkritik als zu steril kritisiert wurde, Debroise, Oliver: Review „Allan Kaprow”, in: Museum of Contemporary Art, Los Angeles, USA, in: Frieze 117, 09.09.2008, online: https://www.frieze.com/article/allan-kaprow (30.4.2022). Den Sensualismus, der in Apple Shrine von den Früchten ausgeht, betont auch Katharina Hoins: Zeitungen. Medien als Material der Kunst, Berlin 2015, S....