E-Book, Deutsch, 228 Seiten
Bachmann Das Spiel der Ornamente
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96858-199-6
Verlag: KOVD Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-96858-199-6
Verlag: KOVD Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
DAS SPIEL BEGINNT!Im Kloster von Westvorstadt wird der Leichnam eines Mönchs gefunden. Die Kommissare Marrak und Schäfer stoßen bei der Untersuchung des Mordfalls auf einen geheimnisvollen Raum aus Quarzkristall, der mit unheilverkündenden Ornamenten versehen ist.Als mutierte Katzen Jagd auf Menschen machen, versinkt der Ort im Chaos und nur die Klosterbrüder scheinen zu wissen, welche überirdische Macht Westvorstadt in eine Hölle aus Quarz verwandelt.
Tobias Bachmann wurde 1977 in Erlangen geboren und lebt seit 2009 mit seiner Familie in einer kleinen Ortschaft im Fränkischen Seenland. Seit 1998 veröffentlichte er weit über fünfzig Erzählungen und über zehn Romane, darunter Dagons Erben, der als bester deutschsprachiger Horrorroman 2009 mit dem Vincent Preis ausgezeichnet wurde. Seine Erzählung Die letzte Telefonzelle wurde 2011 für den deutschen Science-Fiction-Preis nominiert, sein Buch Liebesgrüße aus Arkham erhielt 2017 den Vincent Preis als beste Storysammlung.2018 schuf er mit EISkalt (Amrûn Verlag) einen packenden Coming-of-Age-Krimi mit Thriller-Elementen, dem 2019 der Steampunk-Roman Gynoid (Fabylon Verlag) folgte. Zwischendurch schreibt er Gruselnovellen für die Reihe Gespenster-Krimi des Bastei Verlags.Bachmann ist Mitglied in den Autorenvereinigungen PAN (Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.) und DAS SYNDIKAT (Verein zur Förderung Deutschsprachiger Kriminalliteratur).Darüber hinaus ist er als Musiker in verschiedensten Projekten involviert.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
PROLOG Das Spiel war ein Raum. Dieser befand sich unterhalb des Stadtkerns, durch einen Gang mit dem Kellergewölbe der Sakristei verbunden. Tom war darin so vertieft, dass er alles um sich herum vergaß. Der junge Novize hatte den unterirdischen Saal scheinbar nur durch einen betörenden Zufall entdeckt und war so fasziniert von den verschiedenen Anordnungen jener kryptischen Ornamente, dass er kein Gefühl mehr für Raum und Zeit verspürte. Wenn er es sich recht überlegte, konnte er den Fund als blankes Schicksal bezeichnen. Tom war ein Spieler, da war er sich sicher. Kein solcher, der die Spielhöllen verrufener Stadtviertel frequentierte, nein. Er war einer, der es liebte, Rätsel zu lösen. Geduldsspiele aller Art hatten es ihm angetan. Hatte er einmal eines geknackt, so suchte er sich sogleich ein neues. Tom war regelrecht süchtig nach dieser Form der Beschäftigung. Für ihn war es mehr denn purer Zeitvertreib. Eher Berufung. Die Platten mit den Ornamenten waren aus Quarz gefertigt. Äonenalte Öffnungen in der Wand dahinter ließen genügend Licht aus einer unbekannten Quelle scheinen, so dass das Quarzgestein zu funkeln und zu leuchten schien. Eine jede Quarzplatte mochte etwa fünfzehn mal fünfundzwanzig Zentimeter messen, und für sich genommen waren sie wunderschön. Die vielfältigen Ausschmückungen und Verzierungen der lichtdurchlässigen Quarzplatten wollten auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben. Linien, Formen und kleinere Bilder erweckten den Anschein, nicht zusammenzupassen. Doch an ein paar Stellen fehlten die Quarzplatten, und obwohl es keine Spielanleitung gab, hatte Tom es herausgefunden. Die Aufgabe war, die Platten so zu verschieben, dass die Ornamente richtig zusammengefügt waren. Tom war schon seit Stunden vertieft in die uralten Quarzsteintafeln, doch des Rätsels Lösung wollte sich ihm nicht zeigen. Er wusste, dass er ursprünglich andere Aufgaben zu erledigen hatte, doch die Faszination, die von diesem Raum ausging, war schier zu groß. Beim Aufräumen der alten Lagerbestände war er auf den Gang gestoßen, von dessen Existenz er vorher nicht das Geringste gewusst hatte. Wäre das Regal nicht unter dem Gewicht des großen Kartons, den er daraufgestellt hatte, zusammengebrochen und somit nicht die Tür zu diesem Raum freigelegt worden, so wäre er nicht hier. Doch hatte sich ihm die Frage gestellt, ob es nicht sein Schicksal war, das ihn hierhergeleitet hatte. Sein ganzes Wesen war erfüllt von solchen Spielen, und dieses hier war zweifellos das bislang größte von allen. Vielleicht lag hier der wahre Grund verborgen, der ihn zu dem Entschluss getrieben hatte, Mönch werden zu wollen. Nicht nur der Glaube an sich, der ihm ohnehin eher einerlei war, obgleich er stets versuchte, diese Mischung aus Frust und Resignation zu verbergen. Vielmehr war es ihm, dass der schillernde Raum, in dem er sich befand, dieses Zimmer aus reinem Rosenquarz, das besagtes Quarzgestein ihn gerufen hätte. Ein Ruf, den er seit seiner Kindheit vernommen hatte. Dessen Herausforderungen er unnachgiebig in Form von albernen Geduldsspielen erprobt hatte, so lange, bis er reif genug gewesen war, ins Westvorstädter Kloster einzutreten, um dort das mächtigste Spiel von allen hinter einem alten Regal zu finden … Ohne einen weiteren Gedanken an etwaige Konsequenzen zu verschwenden, war er dem Gang gefolgt, bis er nach wenigen Minuten auf diesen Raum gestoßen war. Wieder schob er ein paar Platten zusammen, in der Hoffnung, der vorherbestimmten Anordnung ein Stück weit näher zu kommen, so dass die darauf abgebildeten Ornamente ein neues Muster ergaben. Eine Form, bei der jede Linie, jeder Punkt und jedes Zeichen mit dem einer bestimmten weiteren Platte verbunden war. Im Zimmer seines Elternhauses hatte sich der Novize eine wahre Bibliothek zusammengestellt, bestehend aus Rätselbüchern und diversen Knobelspielen durchdachtester Art. Da war etwa der berühmte Rubik’s Cube, den man auch Zauberwürfel nannte, den er mittlerweile in kürzester Zeit in die korrekten Stellungen bringen konnte, so dass alle Farben passten. Eine Disziplin, die er sogar blind beherrschte und für die er sich einmal bei der Sendung ›Wetten Dass?‹ beworben hatte. Der Schalk Gottes allein mochte wissen, warum die Produzenten ihn nicht in die Sendung eingeladen hatten. Von den hölzernen Geduldsspielen, von denen es eine Menge gab, hatte er alle mit Leichtigkeit lösen können: Die indische Knobelpyramide, Das Schachbrettpuzzle, Der Traum des Konstrukteurs oder das leicht verwirrende rhombische Dodecahedron. Auch den Teufelsknoten beherrschte er mit links. Doch dieses hier war einfach nicht zu knacken. Mühsam schob er die Platten wie ein Wahnsinniger vor sich hin und her. Tauschte hier ein paar aus, veränderte dort die Anordnungen, und erst nach einigen Stunden errichtete er eine zufällige Stellung, bei der er einfach wusste, dass es die richtige war. Und wie nun weiter?, überlegte er. Und schon, als ob der Raum ihn verstanden hätte, begann der Quarz sich auf geheimnisvolle Art vor seinen Augen zu verformen. Aus jeder Platte löste sich ein Segment, trat hervor, drehte oder veränderte sich sonst wie. Es entstand völlig willkürlich, ganz ohne Toms Zutun, ein eigenwilliges, neues Muster. Tom überlegte, wie diese Eigenart wohl konstruiert sein mochte. Es schien, als habe er einen geheimen Mechanismus in Gang gesetzt, ohne zu wissen, wie. Der Erfinder musste ein wahrer Genius gewesen sein. Während Tom das schabende Treiben der Quarzplatten beobachtete, versuchte er, das Alter dieses Raumes zu schätzen. Bei Gott, er hatte nicht die geringste Ahnung. Der Raum erschien ihm alt, Hunderte oder gar Tausende von Jahren, doch die Funktionsweise musste eindeutig jüngeren Ursprungs sein. Die Konstruktion wirkte zu magisch auf ihn, zu wenig wissenschaftlich erklärbar, als dass sie etwas anderes sein konnte als Architektur und Mathematik. Doch auch vor Jahrhunderten mochte es Erfinder, Wissenschaftler oder Magier gegeben haben, die gar Seltsames hervorbrachten. Eventuell war er ja auch selbst ein Magier, überlegte Tom. Immerhin war es für den Großteil der Menschen oftmals unmöglich, solche Spiele zu lösen. Man musste anders denken, den herkömmlichen Gedanken als solchen um sich selbst biegen. Nur so konnte man Rätsel knacken. Daher war sich Tom sicher, dass der Ruf ihm gegolten hatte. Die Stimme, die er manchmal im Traum zu vernehmen geglaubt hatte, oder die zu ihm gesprochen hatte, während er sich wie in Trance seinen Spielereien gewidmet hatte. Es war dieselbe Stimme, die ihn hierher ins Kloster beordert hatte; da war er sich sicher. Die unsichtbare Stimme in seinem Inneren, die zu ihm sprach, während seine Hände dreidimensionale Rätsel lösten, und die er schon als kleiner Junge vernommen hatte. Die obskuren Veränderungen hielten inne. Die unsichtbare Teufelshand stoppte in der Ausführung ihrer Tätigkeit. Manche der herausgetretenen Ornamente hatten sich gedreht und ihre nun dargebotenen Oberflächen schienen flüssig zu sein. Als wenn Tom sich im Wasser eines klaren Baches spiegelte, flimmerte sein Spiegelbild auf den Wellen aus Quarz hin und her. Kurz überlegte er, ob er nicht lieber zurückkehren sollte. Die anderen würden gewiss schon nach ihm suchen. Andererseits war ihm klar, dass er soeben einen wichtigen Schritt zur Vervollkommnung des Rätsels gemeistert hatte. Und das Rätsel zu lösen, hieß, seinem eigenen Sinn im Sein zu entsprechen. Nein, er konnte nicht zurück. Er musste einfach weitermachen, als wenn es ein ihm natürlich auferlegter Zwang wäre, Rätsel zu lösen, anstatt sie unvollendet zu unterbrechen. Er verging sich weiter an den Tafeln. Wie besessen fügte er sie in anderen Stellungen neu zusammen, und auch diese veränderten ihre Konstellation zueinander ganz ohne Mitwirkung seinerseits. Der Novize staunte nicht schlecht, als er bemerkte, wie sich nach und nach die Platten verbanden und somit rapide dezimierten. Dies gab ihm lediglich neuen Antrieb und er kam immer schneller voran, bis er mit einem Mal innehielt, da er ein Geräusch hörte. Er lauschte aufmerksam und vernahm es bald darauf abermals. Wie ein riesiger koreanischer Ching, ein Tempelgong, der mit einem in dreckige Lumpen gewickelten, mächtigen Schlegel geschlagen wurde, ertönte es von nirgendwo her. Das dumpfe, hohle Schlagen ließ ihn schaudern. Es kam nicht aus dem Raum, in dem sich Tom aufhielt, und ebenso wenig kam es aus der Sakristei. Auf die eine oder andere Weise mochte es aber dennoch – er konnte es allerdings nicht mit Gewissheit sagen – von unten kommen. Gab es darunter noch einen Keller? Das Pochen wiederholte sich, schien in einen monotonen Rhythmus zu verfallen. Tom assoziierte das Geräusch immer mehr mit dem asiatischen Gong, doch der seltsame Schlegel erschien ihm mittlerweile von menschlichen Hautfetzen umwickelt. Tönte dieses Donnern gar aus den Tiefen der Hölle zu ihm hinauf? Lachhaft! Dann spürte er es. Seine Nerven waren angespannt. Ein unbehagliches Gefühl erklomm all seine Glieder. Zunehmend, gemeinsam mit dem Schlagen des nicht vorhandenen Gongs, durchfuhr ein angstbegründetes Zittern seinen Körper. Mit lautem Krachen fiel die Tür zum unterirdischen Gang hinter ihm zu. Jener Gang, der – so fuhr es ihm durch den Kopf – nicht ohne Grund von einem großen Regal verborgen gewesen war. Der Knall, den die zugeschlagene Tür erzeugt hatte, hallte von den geisterhaften Quarztafeln wider, die man eigentlich nicht mehr als solche bezeichnen konnte. Es war ein quarzfarbener See, der Tom umgab....