Bambey / Gumbinger | Neue Väter? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 24, 351 Seiten

Reihe: Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie

Bambey / Gumbinger Neue Väter?

Rollenmodelle zwischen Anspruch und Wirklichkeit
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-593-43610-4
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Rollenmodelle zwischen Anspruch und Wirklichkeit

E-Book, Deutsch, Band 24, 351 Seiten

Reihe: Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie

ISBN: 978-3-593-43610-4
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Gegenwärtig entstehen neue Modelle elterlicher Rollengestaltung, die durch ein gestiegenes Engagement der Väter und eine emphatischere Vater-Kind-Beziehung gekennzeichnet sind. Dieses Buch zeigt das Nebeneinander unterschiedlicher Gestaltungsformen von Vaterschaft im Modernisierungsprozess anhand eines breiten Typenspektrums auf: Fallanalysen lassen verschiedene Lösungen für die komplexer werdenden Anforderungen an heutige Väter erkennen.
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Weitere Infos & Material


Inhalt
Vorwort von Axel Honneth 9
1. Einleitung15
2. Diskussionsstand der Vater- und Männerforschung 21
3. Die empirische Untersuchung37
3.1 Die Skalen des Fragebogens39
3.2 Die Clusteranalyse44
3.3 Das Engagement des Vaters - Emotionale
und alltagspraktische Aspekte45
3.4 Väterliches Zeitmanagement 48
3.5 Elterliche Paarbeziehung54
3.6 Männliche Geschlechtsrolle56
3.7 Beziehung zur Herkunftsfamilie59
3.8 Qualitative Interviews 60
4. Die Vatertypen65
4.1 Der fassadenhafte Vater65
4.1.1 Ergebnisse der Clusteranalyse65
4.1.2 Ergebnisse der qualitativen Analyse 66
4.1.3 Portrait des fassadenhaften Vaters: Herr Bauer 70
4.1.4 Theoretische Überlegungen zum fassadenhaften Vater98

4.2 Der partnerschaftliche Vater 102
4.2.1 Ergebnisse der Clusteranalyse 102
4.2.2 Ergebnisse der qualitativen Analyse 104
4.2.3 Portrait Familie Rudolph 105
4.2.4 Portrait Familie Niemeyer 115
4.2.5 Partnerschaftliche Rollenprofile
in anderen Untersuchungen 125
4.3 Der randständige Vater128
4.3.1 Ergebnisse der Clusteranalyse128
4.3.2 Ergebnisse der qualitativen Analyse 133
4.3.3 Portrait Familie Gruber134
4.3.4 Entscheidung zur Elternschaft: Die Paarbeziehung
als Ausgangspunkt der Elternschaft138
4.3.5 Die Elternschaft von Frau und Herrn Gruber 142
4.3.6 Die triadische Konstellation der Familie150
4.4 Der distanzierte Vater163
4.4.1 Merkmale traditioneller Vaterschaft163
4.4.2 Ergebnisse der Clusteranalyse165
4.4.3 Ergebnisse der qualitativen Analyse 171
4.4.4 Interviewausschnitt Familie Cäsar 171
4.4.5 Portrait Familie Falter178
4.4.6 Zur Beharrlichkeit traditioneller Rollenbilder192
4.5 Der unsichere Vater194
4.5.1 Verunsicherung: Ein spezifisches Merkmal
väterlichen Rollenwandels 194
4.5.2 Ergebnisse der Clusteranalyse 197
4.5.3 Ergebnisse der qualitativen Analyse 201
4.5.4 Portrait Familie Ober201
4.5.5 Portrait Familie Arnolt211
4.5.6 Resümee im Kontext weiterer Befunde220
4.6 Der egalitäre Vater222
4.6.1 Ergebnisse der Clusteranalyse222
4.6.2 Konturen egalitärer Vaterschaft 224
4.6.3 Studien zum Wandel der Vaterschaft
und zum egalitären Typus 224
4.6.4 Allgemeine Ergebnisse zum egalitären Vatertypus233
4.6.5 Portrait der Vaterschaft von Herrn Kaiser 234
4.6.6 Portrait der Vaterschaft von Herrn Brückner 249
4.6.7 Zwischen gerechter Arbeitsteilung
und zugewandter Vaterschaft262
5. Modernisierte Vaterschaft - Modernisierte Männlichkeit? 269
5.1 Eigene Befunde 271
5.2 Väter und Elternzeit 277
6. Theoretische Modelle zur familialen Integration 283
6.1 Honneths Konzept der Liebe als soziale Anerkennung 285
6.2 Maiwalds Kooperationsmodus als Integrationsform 291
6.3 Allerts strukturales Konzept der Familie 295
6.4 Die Triangulierung - Ein Modell affektiver
familialer Integration 302
6.5 Eine konflikthaft-ambivalente Integrationsform 316
7. Schlussbetrachtungen 329
Literatur 337


Vorwort
Aus nicht ganz unproblematischen Gründen stand die Figur des Vaters von Beginn an im Zentrum der klassischen Forschungen des Instituts für Sozialforschung zum gesellschaftlichen Strukturwandel der Familie. In der Tradition der Psychoanalyse Freuds war man überzeugt davon, dass über das Triebschicksal des Kindes und damit über seine späteren Charaktereigenschaften vor allem entscheidet, welche Haltung und Stellung der Vater im Erziehungsprozess einnimmt; solange dessen Autorität noch irgendeine, für das Kind wahrnehmbare Stützung durch eine herausgehobene Position im kapitalistischen Produktionsprozess erfährt, glaubte man auf eine halbwegs intakte Bildung von Ichstärke beim Kind schließen zu können, ist aber eine solche gesellschaftliche Verankerung nicht mehr gegeben, so sollte es auch um die kindlichen Reifungsprozesse viel schlechter bestellt sein und die Gefahr der Anfälligkeit für autoritäre Führer wachsen (vgl. Horkheimer 1988 [1936]). An diesem Deutungsschema, das von Anfang an nicht allzu plausibel gewesen war, hielt man in der Kerngruppe des Instituts auch dann noch fest, als sich in Folge des Weltkriegs die sozioökonomischen und politischen Verhältnisse so sehr gewandelt hatten, dass auch die Familien vollkommen neue Formen und Gestalten anzunehmen begannen; obwohl die Väter nun entweder aufgrund von Kriegserfahrung und Gefangenschaft psychisch erheblich geschwächt oder im Todesfall als Erziehungspersonen vollständig weggefallen waren, operierte man weiterhin mit der Vorstellung, nur bei stabiler Autoritätsfunktion des männlichen Elternteils könne das (männliche) Kind eine leidlich ichstarke Persönlichkeit entwickeln (vgl. Horkheimer 1987 [1947/1949]; vgl. auch: Institut für Sozialforschung 1956: Kap. IX). Aus dem Blick geriet bei alldem nicht allein die erzieherische oder sozialisatorische Rolle der Mutter, die schon bei Freud nur ein randständiges Dasein im frühen Triebleben des Kindes gefristet hatte, es wurde vielmehr auch wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass der Vater seine Funktion innerhalb der Familie nur angemessen erfüllen könne, wenn er dem Kind gegenüber als glaubwürdiger Repräsentant der in der Gesellschaft herrschenden Normen aufträte. Dieses ohnehin problematische Bild der sozialisatorischen Schlüsselstellung des Vaters muss inzwischen aufgrund des Strukturwandels der Familie endgültig als überholt betrachtet werden; die Väter werden allmählich, ob sie wollen oder nicht, unter dem Druck des unaufhaltsamen Prozesses der Gleichstellung der Frauen gezwungen, veränderte Rollen auch im häuslichen Leben anzunehmen und sich gegenüber Mutter und Kind gänzlich neu zu positionieren. Mit der Frage, wie weit dieser Prozess einer normativ erzwungenen Transformation der Vaterrolle mittlerweile fortgeschritten ist, beschäftigt sich die vorliegende Studie; sie darf als eine der umfassendsten deutschen Untersuchungen zum heute drängenden Thema gelten, wie es um die Parole vom "neuen Vater" hinter der Fassade von wohlmeinenden Bekundungen und Absichtserklärungen in den Familien tatsächlich steht.
Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger, die Autorin und der Autor des im Folgenden zu lesenden Buches, verfolgten schon vor 15 Jahren im Institut für Sozialforschung das Ziel, auf der Grundlage einer empirischen Studie zu erkunden, ob sich in Folge der zunehmend geforderten Gleichstellung der Geschlechter in den Familien ein Wandel hin zu einer anderen, stärker auf Fürsorge und Zuwendung zugeschnittenen Rolle des Vaters vollzogen haben könnte und wie sich das gegebenenfalls auf die kindliche Entwicklung auswirken würde. In ihrem seinerzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt gingen sie dieser Frage nach, indem sie zunächst mit Hilfe eines an mehr als 2 000 Väter von Grundschulkindern verschickten Fragebogens zu ermitteln versuchten, ob sich in Hinblick auf die familiale Rolle, den Umfang und die Art der erzieherischen Tätigkeit sowie der Haltung gegenüber dem Kind Wandlungen im väterlichen Selbstverständnis vollzogen haben; in einem zweiten Schritt wurde dann in Form von qualitativen Interviews mit ausgewählten Teilnehmern der erste Runde, allerdings unter Einbeziehung der jeweiligen Partnerinnen, geprüft und ausgelotet, ob und wie sich die in den Antworten auf die Fragebögen dokumentierenden Selbsteinschätzungen in den von beiden Seiten geschilderten Familienbeziehungen tatsächlich spiegeln. Auch in dem sich anschließenden Jahrzehnt hat die Frage, ob überhaupt und wenn, dann wie, heutzutage von "neuen" Vätern gesprochen werden kann, die beiden Autoren nicht mehr losgelassen; beruflich inzwischen zwar mit anderen Aufgaben befasst, blieben sie ihrem Thema verhaftet und nahmen jede sich bietende Möglichkeit wahr, ihr ursprüngliches Projekt in Auseinandersetzung mit der sich ausweitenden Diskussion weiterzuentwickeln. Dass jetzt die damals begonnene und zwischenzeitlich um wichtige Differenzierungen und Einsichten bereicherte Studie als Buch in der Schriftenreihe des Instituts für Sozialforschung erscheinen kann, erfüllt uns alle mit größter Genugtuung und Freude.
Schon die ursprüngliche Untersuchung mündete in dem Versuch, auf der Basis einer Integration der quantitativen und qualitativen Ergebnisse der Erhebung eine Typologie von unterschiedlich in die Familie einbezogenen und in ihr tätigen Vätern zu entwerfen - über die Absicht und den methodischen Aufbau ihrer empirischen Untersuchung berichten Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger ausführlich im dritten Kapitel ihres Buches. Was damals aber noch erste Hypothesenbildung und tastender Vorentwurf war, ist inzwischen dank der wiederholten Prüfung und Konkretisierung auf Fachtagungen und in weitverzweigten Debatten zum Kernstück der vorliegenden Studie geworden: eine auch quantitativ gewichtete Unterscheidung von sechs unterschiedlichen Typen von Vätern, die sich in Hinblick auf ihr Rollenverständnis, ihr Bindungsverhalten, ihre Erziehungsvorstellungen, ihre Auffassung von Partnerschaft und familialer Arbeitsteilung sowie schließlich ihre Einbeziehung in die Familie markant voneinander unterscheiden und heute doch alle den Alltag des Familienlebens in der ein oder anderen Weise prägen. Der Schilderung dieser verschiedenen Weisen, gegenwärtig Vaterschaft zu praktizieren, dient der Hauptteil der Studie; er besticht vor allem dadurch, dass im Falle aller sechs Typen die vorweg abstrakt umrissenen Charakterisierungen auf dem Weg einer feinziselierten Präsentation einzelner Fallbeispiele veranschaulicht und mit Leben gefüllt werden. Immer wieder zeigt sich so, was ein typisches Bündel von väterlichen Verhaltensweisen für die gegenwärtige Lebenswirklichkeit von Familien tatsächlich bedeutet: Da ist zunächst der "fassadenhafte Vater", dessen Typus ungefähr ein Viertel der untersuchten Männer entspricht, er orientiert sich zwar an den modernen Leitbildern der Geschlechtergleichheit und der zuwendungsvollen, auf jegliche Züchtigung verzichtenden Kindererziehung, nur bleiben diese Zielsetzungen eher abstrakt und schlagen sich noch nicht im alltäglichen Familienverhalten nieder, das eigene Ideal ist somit weitgehend Fassade, hinter der sich eine relativ konventionelle Praxis verbirgt; dann ist da der "partnerschaftliche Vater", ein Typus, dem mit sechs Prozent nur eine kleine Minderheit des untersuchten Samples angehört, er lässt sich in seinem familialen Rollenverhalten noch von traditionellen Vorstellungen leiten, hält tendenziell also an der überlieferten Arbeitsteilung im Haushalt fest, tritt aber sowohl seinen Kindern als auch seiner Partnerin gegenüber ausgesprochen umgänglich-kooperativ auf und ist von seinem emotionalen Engagement in der Familie selbst sehr überzeugt, was hier als Ausdruck einer starken Rollensicherheit gedeutet wird; im "randständigen Vater", der den dritten, etwa ein Zehntel der befragten Männer ausmachenden Typus repräsentiert, findet sich der Fall eines durch die Mutter aus welchen Gründen auch immer von der erzieherischen Praxis ausgeschlossenen Vaters, der sich aufgrund dessen als nur peripher zur Familie gehörendes Mitglied empfindet und zudem häufig zu Vorbehalten gegenüber den Auswirkungen der Frauenemanzipation neigt; der "distanzierte Vater" wiederum, dessen Verhaltensweisen sich bei rund 18 Prozent der untersuchten Männer antreffen ließen, weist in Fortsetzung traditioneller Leitbilder der Mutter die zentrale Verantwortung für die emotionalen Versorgungsleistungen in der Familie zu, betrachtet sich dementsprechend gegenüber den Kindern vor allem als für die Durchsetzung von normativen Regeln zuständig und ist andererseits doch auch schon von ersten Zweifeln bezüglich seines überkommenen Rollenmusters befallen; im "unsicheren Vater", der einen Typus repräsentiert, dem ungefähr 13 Prozent des Samples angehört, kommt in den Augen der beiden Autoren am deutlichsten zum Tragen, was im Augenblick die Situation von Vätern kennzeichnet, nämlich eine starke Verunsicherung über die eigene Rolle innerhalb der Familie, man schwankt in diesem Fall zwischen dem zögerlichen Einüben neuer, zuwendungsbetonter und vormals als "weiblich" verstandener Umgangsformen mit den eigenen Kindern und einem Festhalten an den alten Klischees des mit normativer Autorität ausgestatteten Familienoberhauptes - eine Spannung, die sich nicht selten in selbst als unangemessen empfundenen Reaktionen innerhalb des familialen Alltagslebens entlädt; und schließlich begegnen wir dem Typus des "egalitären Vaters", dem mit nahezu 29 Prozent die größte Anzahl der untersuchten Männer angehören, er scheint die neuen, sich aus dem Ideal der Geschlechtergleichheit ergebenden Rollenzumutungen am nachhaltigsten verinnerlicht zu haben und begreift dementsprechend die Kindererziehung in demselben Maße als seine Sache wie als Sache seiner Partnerin, verhält sich daher seinen Kindern gegenüber emotional zugewandt und sieht sich in diesen veränderten Verhaltensweisen vom Rest der Familie bestätigt.
Was hier nur in dürren Begrifflichkeiten wiedergegeben werden kann, wird freilich, wie gesagt, in dem vorliegenden Buch mit ergiebigstem Anschauungsmaterial versehen; kaum, dass die Charakterisierung eines Typus einleitend vorgenommen wurde, wird umgehend anhand von ausgewählten Ausschnitten der mit den Vätern und ihren Partnerinnen geführten Gespräche hermeneutisch vorgeführt, wie vielschichtig und komplex die einzelnen Fälle jeweils sind und welche Deutungsprobleme sie bereiten. Auf diese Weise bleiben die Leserinnen und Leser immer auf Augenhöhe mit den beiden Autoren - eine wahre Tugend empirischer Studien - und können jederzeit nachvollziehen, warum ein bestimmtes väterliches Verhalten der einen und nicht der anderen Klasse der sechs Typen zugerechnet wurde. Lässt man derart die verschiedenen Kapitel mit ihren dichten Beschreibungen der sechs Typen von Vätern Revue passieren und wird dadurch inne, in wie vielen Gestalten der Vater heutzutage innerhalb der Familie präsent ist, so bleibt von den gegenwärtig beliebten Zeitdiagnosen wenig übrig: Weder liegt es nahe, pessimistisch von einer umfassenden Krise der Vaterschaft zu sprechen, noch scheint es sinnvoll, optimistisch bereits den Siegeszug eines "neuen", fürsorglich gewordenen und egalitär eingestellten Vaters heraufzubeschwören. Die soziale Wirklichkeit der Familie ist, so lernen wir, viel zu buntscheckig, die Väter treten darin in zu verschiedenen Rollen auf, als dass schon sinnvoll von einer Tendenz in die eine oder andere Richtung die Rede sein könnte. Stattdessen wollen Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger im letzten Kapitel ihres Buches, in dem sie sich zugleich mit zeitgenössischen Modellen der familialen Integration auseinandersetzen, die Familie der Gegenwart als eine Sphäre umkämpfter Ansprüche und Rollenerwartungen verstehen; nachdem die alten, überkommenen Vorstellungen der innerfamilialen Arbeitsteilung ihre normative Legitimation verloren haben, vollzieht sich hier im Alltag ein alle Winkel des häuslichen Lebens berührender Konflikt, der um die Frage kreist, wer von den beiden Elternteilen in Zukunft welche Aufgaben wie zu erfüllen hat und wo in der neu zu verhandelnden Ordnung der angemessene Platz der Kinder sein soll. Es ist die Triangulierung selbst, um mit der Autorin und dem Autor zu sprechen, also die Dreiecksbeziehung zwischen Mutter, Vater und Kind, die heute in den Familien untergründig und permanent zur Debatte steht; umstritten ist unter den Parteien, wie dieses Verhältnis im Zuge der sich schleichend vollziehenden, aber unumkehrbaren Gleichstellung der Frau neu austariert werden soll. Insofern liefert die Studie, nüchtern und doch auch mit kaum verhohlener Anteilnahme, einen Report über den Zwischenstand eines seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts; und dass die Väter darin das eine Mal als verunsichert erscheinen, das andere Mal als rückwärtsgewandt auftreten und wieder ein anderes Mal bereits die Zukunft zu verkörpern scheinen, ist demzufolge nur Ausdruck einer Situation, in der sich die richtige Lösung allen Beteiligten nur erst in vagen Umrissen zu erkennen gibt.


Axel Honneth
Frankfurt am Main, im Juni 2017
1. Einleitung
Heutige Vaterschaft wird nicht mehr auf der Grundlage einer unhinterfragten Übernahme eines traditionellen Rollenverständnisses gestaltet. Vielmehr steht das traditionelle Vaterbild im Zentrum eines tiefgreifenden Wandels der Lebensform Familie, der deren traditionelle patriarchale Strukturen zunehmend in Frage stellt und vor diesem Hintergrund neue Rollen- und Identitätskonzepte notwendig werden lässt. Dieser Wandel wirkt auch auf das strukturelle "Herz" familialer Sozialisation, die triadische Konstellation Vater-Mutter-Kind, deren Verinnerlichung das innere Grundmuster der Sozialität darstellt. Dabei entstehen neue Modelle für die elterlichen Rollen, wobei Veränderungen der väterlichen Rolle besonders ausgeprägt erscheinen: Die sogenannte "neue Väterlichkeit" umfasst ein gestiegenes und vielfältigeres Engagement der Väter im Kontext einer intensiveren, das heißt emotionaleren Vater-Kind-Beziehung, dazu eine stärkere Familienorientierung sowie ein zunehmend egalitäres Ehe- beziehungsweise Partnerschaftsverständnis.
Die empirische Vaterforschung befasst sich mit der Umsetzung dieses neuen Rollenmodells. Die von LaRossa formulierte Differenz zwischen "culture of fatherhood" und "conduct of fatherhood" (vgl. LaRossa 1988), zwischen den Vorstellungen, Bildern von Vaterschaft und dem tatsächlichen Verhalten von Vätern findet dabei zwar nach wie vor Bestätigung, gleichwohl wird eine zunehmend sich durchsetzende Entwicklung von einer traditionellen hin zu einer eher partnerschaftlich-engagierten väterlichen Praxis festgestellt (vgl. Fthenakis unter anderem 1999, Matzner 2004, Volz und Zulehner 2009). Unstrittig ist dabei, dass die Transformation der Geschlechterrollen wie die Differenzierung der Familienformen eine breitere Varianz möglicher Rollenausgestaltungen in Bezug auf Elternschaft und familiales Zusammenleben mit sich gebracht haben. Der "Verbindlichkeitsgrad des Allgemeinen" (Dornes 2012: 261) ist dabei zugunsten zunehmender Komplexitäts- und Flexibilitätsanforderung zurückgewichen, insbesondere auch in Bezug auf die Gestaltung elterlicher, vor allem väterlicher Repräsentanz und Praxis (vgl. ebd.: 258 ff.). Hierarchien und Werte seien "in ihrer Allgemeinverbindlichkeit, Dauer und Fraglosigkeit relativiert" und der Vater "weniger zu einer verbietenden Gestalt, und mehr zu einem ›Daddy‹ geworden" (ebd.: 263). Der "symbolische Vater schrumpft und der partikulare wächst." (Ebd.) Mit dieser diagnostischen Zuspitzung lassen sich die Konsequenzen des vielschichtigen Modernisierungsprozesses der Lebensform Familie im Kontext gesellschaftlicher Pluralisierung und Individualisierung für die väterliche Rolle pointiert zusammenfassen. Die nicht länger "existierende kollektive Vaterimago" führe zu einer "Schwächung der symbolischen Ordnung" (ebd.: 264), mit der Dornes keine Krise der Vaterschaft verbunden sieht, sondern in nahezu allen Hinsichten vorteilhafte Auswirkungen insbesondere auf die kindliche Entwicklung erwartet. Damit wird die Frage, ob mit dem Bedeutungswandel von Vaterschaft die Voraussetzungen zur Stärkung verlässlicher familialer Fürsorgebeziehungen als stabilisiert zu betrachten sind, eher positiv beantwortet, während andere Autoren die innerfamilialen Bedingungen des Aufwachsens von Kindern insbesondere im Zusammenwirken mit sich wandelnden Zeitverhältnissen in Richtung Beschleunigung und Flexibilisierung unter Druck geraten sehen (vgl. King 2013). King hat eine "folgenreiche Paradoxie" (ebd.: 49) der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse gekennzeichnet: Während auf der einen Seite ein gesellschaftliches Ideal der Flexibilität und Mobilität, das sichere Trennungskompetenz und Autonomie erfordert, zu beobachten sei, zeige sich auf der anderen Seite infolge von mit Modernisierungsprozessen einhergehender Beschleunigung eine Labilisierung der Grundlagen des Erwerbs eben dieser Kompetenzen - nämlich der verlässlichen Fürsorgebeziehungen. So sind in der Tat etwa unter dem Druck eines rationalisierenden Zeitmangels innerfamilial Strategien zu beobachten, die die kindlichen Bedürfnisse nach Zuwendung zwar einzubetten versuchen, jedoch letztlich nicht angemessen berücksichtigen können. Im Unterschied dazu ist modernisierte, engagierte Väterlichkeit - zumindest deren Leitbild - explizit am Zeitnehmen, am Zuhören orientiert. Das modernisierte Rollenbild beinhaltet somit wesentliche Aspekte der Stabilisierung von Fürsorge, von Bindungsqualitäten. Unsere Befunde liefern Anhaltspunkte für die Annahme, dass entsprechende Aspekte im Leitbild (und in der Praxis) emotionaler Väterlichkeit zu verorten sind, dessen Virulenz, dessen diskursive "Wirksamkeit" die Untersuchung deutlich zeigt.
Zugleich steht bereits länger die empirisch gestützte These zur Diskussion, dass bezüglich der Wahrnehmung von Betreuungsaufgaben sowie der Gestaltung der Vater-Kind-Beziehung inzwischen "mehrere Kategorien von Vaterschaft" (Matzner 1998: 85) unterschieden werden sollten. Es sei es nicht mehr sinnvoll, so auch Matzner, "von den Vätern zu sprechen" (ebd.; Hervorh. M. M.). Gemeinsam ist den unterschiedlichen Ausgestaltungsformen von Vaterschaft - dies ist auch eine Ausgangsthese dieser Arbeit -, dass traditionelle Rollenscripts vor dem Hintergrund einer Infragestellung klassischer väterlicher Autorität nicht mehr selbstverständlich umgesetzt werden können (vgl. Jurczyk und Lange 2009: 18). Es "kann und muss reflexiv mit der Vaterrolle umgegangen werden" (ebd.). Die Folge sind "vielfältige väterliche Praxen" (ebd.). Deren künftige Entwicklung ist dabei nicht eindeutig erkennbar (vgl. Gumbinger und Bambey 2009). "Die Modernisierung von Vaterschaft ist nicht nur in Bezug auf die weitere Ausformung einer […] engagierten Vaterschaft offen", sondern lässt auch in Anbetracht der mit unserer Typologie beschriebenen "Friktionen und Umbrüche neue Konfliktlinien erwarten" (ebd.: 214).
Inzwischen ist die Thematik der Vaterschaft im Kontext der Familiensoziologie zu einem etablierten Forschungsfeld geworden. In aktuellen Studien wird jedoch sichtbar, dass disparate Rollenerwartungen sowie die Abkehr von einem traditionellen Rollenmodell nicht nur zu vielfältigen und unter Umständen auch gegenläufigen, sondern auch zu in sich widersprüchlichen, inhomogenen und fragmentierten Ausgestaltungsformen von Vaterschaft führen. Der Wandel vom traditionellen beziehungsweise patriarchalen Vater hin zu eher egalitären Rollenvorstellungen führt zu einem äußerst facettenreichen Spektrum väterlicher Rollengestaltungen. "At the moment there seems to be no normative, obligatory father image; instead we can find a wide range of representations and subjective concepts of fatherhood." (Oechsle, Müller und Hess 2012: 14)
Die vorliegende Untersuchung konnte das "Nebeneinander" unterschiedlicher Gestaltungsformen von Vaterschaft im Modernisierungsprozess der väterlichen Rolle bestätigen. Die gewählte Methodenkombination einer quantitativen und einer qualitativen Analyse führte im ersten Schritt zunächst zu einer Typologie auf der Basis einer Clusteranalyse. Hierzu wurden mit Hilfe einer Fragebogenerhebung rollenförmige, beziehungsstrukturelle und psychologische Dimensionen der Vaterschaft erfasst. Diese Typologie konnte im Anschluss auf der Grundlage leitfadengestützter Interviews überprüft, ergänzt und differenziert werden. Die Beschreibungen der zunächst statistisch ermittelten Vatertypen konnten auf diese Weise insbesondere unter Einbeziehung differenzierter Analysen der jeweils vorliegenden familialen Konstellationen vertieft werden. Die methodische Grundlage für die dazu gewählte fallrekonstruktive Interpretation der Interviews bildete die an dem Verfahren der objektiven Hermeneutik orientierte Sequenzanalyse. Aus diesem Schritt resultierten ausführliche Beschreibungen von Vatertypen, die in Einzelkapiteln auf der Grundlage ausführlicher Fallanalysen dargestellt werden:
der fassadenhafte Vater
der partnerschaftliche Vater
der randständige Vater
der distanzierte Vater
der unsichere Vater
der egalitäre Vater
Bei der hier vorgestellten fallbezogenen Betrachtung der empirischen Ausgestaltung aktueller Väterlichkeit haben sich dabei sehr unterschiedliche "Lösungen" für die komplexer werdenden Anforderungen im Kontext der Auseinandersetzung mit dem - überdies noch unklar konturierten - Leitbild modernisierter Vaterschaft gezeigt.
Die mit einem modernisierten väterlichen Leitbild verbundenen Anforderungen können, so zeigt sich, verunsichernd wirken. Neben daraus resultierenden ambivalenten Handlungsmustern (dies lässt sich in unserer Studie an bestimmten Vatertypen nachvollziehen) lassen sich ebenfalls Konstellationen weitreichender oder zumindest partieller Identifikation mit dem Bild des "neuen Vaters" beobachten, allerdings auch Verleugnungsstrategien oder Muster der Abwehr einer Auseinandersetzung mit einem modernisierten Rollenbild (auch dies lässt sich empirisch belegen). Dieses modernisierte Rollenbild wird somit nicht nur in identifikatorischen Orientierungsweisen sichtbar, sondern indirekt auch dort, wo eine Orientierung daran abgelehnt wird: Bei dem distanzierten Vater fanden wir Hinweise darauf, dass hier ein Einfluss des normativen Wandels auf das eigene Selbstverständnis zwar offensiv zurückgewiesen wird, das eigene Rollenkonzept aber auch als nicht mehr vorherrschend wahrgenommen wird und daher kompensatorisch ausdrücklich bestätigt werden muss - beispielsweise inszenatorisch in der Öffentlichkeit oder im Rahmen der Bewältigung von Paarkonflikten. Des Weiteren wird das modernisierte Rollenbild auch dort sichtbar, wo es verfehlt wird: Für den fassadenhaften Vater bleibt dessen Teilnahme an Familienaktivitäten, die er im Sinne einer engagierten Vaterschaft verstanden wissen will, zwar äußerliche Aufgabenerfüllung, doch wird damit explizit an die Norm modernisierter Vaterschaft unmittelbar angeknüpft.
Daher besteht zwischen den pluralisierten Formen von Vaterschaft eine (wenn auch indirekte) Beziehung: Sichtbar wird an allen Ausgestaltungsformen von Vaterschaft die - je spezifische - Auseinandersetzung mit diesem neuen Bild. Dieser Ansatzpunkt steht damit im Grunde genommen im Widerspruch beispielsweise zu den Annahmen Metzgers, der davon ausgeht, dass die Auflösung des Patriarchats "nicht zu einem neuen väterlichen Leitbild geführt [habe], sondern zu Fragmenten von Vaterschaften, die weitgehend unverbunden nebeneinander her bestehen" (Metzger 2015: 17). Zu verzeichnen sei der "Verlust eines anerkannten und handlungsrelevanten Leitbildes" (ebd.: 18). Die Befunde unserer Untersuchung weisen jedoch vielmehr darauf hin, dass unterschiedliche Wege der (individuellen und innerfamilialen) Auseinandersetzung zu beobachten sind, die mit dem neuen Leitbild - wenn auch auf unterschiedliche Weise - in Verbindung zu bringen sind.
Ob es zu identifikatorischen oder zu abwehrenden Reaktionen kommt - dafür ist auch das Selbstverständnis im Hinblick auf die männliche Identität nach wie vor zentral: Ist diese noch stark von traditionellen Männlichkeitsbildern geprägt, scheint dies mit den Anforderungen an die "neuen Väter" in weiten Teilen nicht vereinbar zu sein; dann "passt" aktive Vaterschaft "immer noch nicht zu echter Männlichkeit." (Knijn 1995: 176) Auch Zulehner und Volz beschreiben in ihren empirischen Untersuchungen entsprechende Konstellationen der Verunsicherung (vgl. Zulehner und Volz 1998, Volz und Zulehner 2009). Gleichzeitig kann jedoch insbesondere die Infragestellung traditioneller Rollenidentität als dynamisierender Aspekt des Wandels männlicher Identität verstanden werden: "Through involved fatherhood the familiy becomes an important arena for constructing masculinity […]. Changing practices of fatherhood therefore also changes the whole conditions for constructing masculinity" (Meuser und Behnke 2012: 143). Dies lässt sich auch an unseren Fallanalysen nachzeichnen.
Auf einer weiteren Ebene haben wir vor dem Hintergrund, Triangulierung als psychodynamische Ebene familialer Vergemeinschaftung zu verstehen, Mechanismen familialer Integration genauer zu erfassen versucht. Dabei ergaben sich differente Befunde und es zeigten sich spezifische elterliche Positionierungen beziehungsweise typenspezifische Muster. Für den randständigen Vater beispielsweise erweist sich dessen tendenzieller Ausschluss aus der Mutter-Kind-Beziehung auch als Folge der eigenen affektiven beziehungsweise emotionalen Ambivalenzen. Den unsicheren Vater stellt die Transformation der Paardyade in eine familiale Triade auf der Grundlage anderer Konstellationen vor innerpsychische Barrieren. Gleichwohl steht für diese Väter außer Zweifel, dem Bild, der Rolle eines zugewandten, engagierten Vaters gerecht werden zu wollen.
Väterlichkeit kann auf der Grundlage veränderter Rollenanforderungen aktuell nicht mehr mit der Anerkennung ihrer traditionellen innerfamilialen Positionierung rechnen. Jedoch sind nach wie vor viele Erwartungen, die ursprünglich an den patriarchalen Vater gekoppelt waren, noch nicht vollständig zum Erliegen gekommen, so dass Väterlichkeit immer noch mit dem traditionellen Rollenkonzept verbunden ist. - Und die Affirmation dieses Verlustes väterlicher Autorität seitens der Väter selbst ist dabei Bestandteil des neuen Rollenkonzeptes einer gleichberechtigten Elternschaft. Aus den im Rahmen der Untersuchung beschreibbaren Rollenumgestaltungen resultiert für die väterliche Rolle ein Prozess mit aktuell noch ambivalenten Zügen - aber mit markierbaren Schritten auf einem Weg der Egalisierung beider elterlicher Rollen, der Anerkennungschancen für beide Geschlechter in historisch neuem Ausmaß verwirklicht. Die auf dieser Basis entstehenden Spannungsfelder lassen sich anhand der hier vorliegenden Fallanalysen vielfach beleuchten.


Dr. Andrea Bambey ist Soziologin.
Dr. Hans-Walter Gumbinger ist Soziologe und arbeitet in einer psychoanalytisch orientierten Einrichtung der Jugend- und Erziehungshilfe.



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