Bandelow / Bleek Einzelinteressen und kollektives Handeln in modernen Demokratien
2007
ISBN: 978-3-531-90303-3
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Festschrift für Ulrich Widmaier
E-Book, Deutsch, 306 Seiten, eBook
Reihe: Forschung Politik
ISBN: 978-3-531-90303-3
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Das Spannungsverhältnis zwischen Einzelinteressen und kollektivem Handeln ist ein klassisches Phänomen der Politik. Die Beiträge des Bandes behandeln dieses Thema aus verschiedenen theoretischen und methodischen Perspektiven. Dabei wird deutlich, dass in der modernen Politikwissenschaft zentrale Argumente der politikwissenschaftlichen Ideengeschichte mit neuen Methoden bestätigt werden.
Nils C. Bandelow vertritt eine Professur für Politikwissenschaft an der TU Braunschweig.
Wilhelm Bleek ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;8
3;Einleitung;10
3.1;Literatur;12
4;Probleme einer Demokratisierung der Europäischen Union – oder: Warum es so schwer ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden;14
4.1;1 Demokratie-Konzeptionen;15
4.2;2 Nationale Varianten demokratischen Denkens;22
4.3;3 Ein europäisches Demokratiemodell?;26
4.4;Literatur;28
5;Vom nationalen Wohlfahrtsstaat zum europäischen Sozialmodell?;30
5.1;1 Einleitung;30
5.2;2 Zur Vergleichenden Sozialstaatsforschung;32
5.3;3 Globalisierung als Ende des Sozialstaates?;34
5.4;4 Vom wachsenden sozialpolitischen Einfluss der EU...;35
5.5;5 ...zu einem Europäischen Sozialmodell?;37
5.6;6 Zur Vielfalt europäischer Wohlfahrtsstaaten;38
5.7;Literatur;40
6;Interessenvermittlung und Policy-Making im europäischen Mehrebenensystem. Vom Korporatismus zum Pluralismus zur organisierten Anarchie?;44
6.1;1 Einleitung;44
6.2;2 Verbände und Interessenvermittlung – zum Forschungsstand;44
6.3;3 Konstellationen der Interessenvermittlung im politischen System der Europäischen Union – einige Besonderheiten;49
6.4;4 Europäisierung der nationalen Interessenvermittlung – Garbage Cans und Organized Anarchies als Rückkoppelungseffekte;52
6.5;5 Schlussbemerkungen;56
6.6;Literatur;56
7;Das Europäische Puzzle oder: Warum das Europäische Parlament an Macht gewonnen hat;60
7.1;1 Einleitung;60
7.2;2 Das Puzzle: Warum beschneiden die Mitgliedstaaten ihre Macht?;63
7.3;3 Principal-Agent im Europäischen Mehrebenensystem;67
7.4;4 Strategische Interaktion: Informationsvorsprung im Vermittlungsverfahren;69
7.5;5 Principal-Agent, strategisches Verhalten und der homo politicus;71
7.6;Literatur;73
8;Kollektive und individuelle Interessenvermittlung großer Unternehmen im europäischen Mehrebenensystem;76
8.1;1 Einleitung;76
8.2;2 Kollektive und individuelle Interessenvermittlung großer Elektrizitätsunternehmen in Frankreich und Deutschland;77
8.3;3 Kollektive und individuelle Interessenvermittlung großer Elektrizitätsunternehmen in der europäischen Elektrizitätspolitik;84
8.4;4 Fazit;89
8.5;Literatur;91
9;Der nordamerikanische „Softwood Lumber War“: Unterschiedliche Interessenvermittlung durch Parteien und Verbände in USA und Kanada;92
9.1;1 Vorbemerkung;92
9.2;2 Der Dauerstreit um „Softwood Lumber“;93
9.3;3 Die Schlachtordnungen der politischen Systeme;96
9.4;4 Die Scharmützel der Verbände;103
9.5;5 Nachwort: Zur politischen Kultur der zwischenstaatlichen Unterschiede in Nordamerika;107
9.6;Literatur;110
10;Verwaltungspolitik im Bundesländervergleich – Große Entwürfe statt inkrementalistische Reformen?;112
10.1;1 Verwaltungspolitik und Verwaltungsreformen – Dominanz des Inkrementalismus;113
10.2;2 Verwaltungsstrukturrefomen als große Entwürfe?;115
10.3;3 Wiederaneignung der Verwaltungspolitik – Chance oder Risiko?;120
10.4;Literatur;122
11;Zur Neujustierung von privaten und öffentlichen Interessen in der europäischen Infrastrukturpolitik – das Beispiel der Wasserversorgung;124
11.1;1 Einleitung;124
11.2;2 Wasserversorgung – ein besonderes Gut der öffentlichen Daseinsvorsorge;126
11.3;3 Institutioneller Wandel im Wassersektor;132
11.4;4 Institutioneller Wandel im Wassersektor oder: „Der kleine Unterschied“;137
11.5;Literatur;138
12;Unwissen als Problem politischer Steuerung in der Verkehrspolitik;140
12.1;1 Das Problem;140
12.2;2 Verkehr als Politikfeld;141
12.3;3 Akteure und Einzelinteressen in der Verkehrspolitik;143
12.4;4 Unwissen und kollektives Handeln;149
12.5;5 Politische Steuerung bei Unwissen;155
12.6;6 Ausblick;158
12.7;Literatur;160
13;Einzelinteressen und kollektives Handeln in Organisationen. Das Dilemma der Steuerung wissensintensiver Arbeit;164
13.1;1 Einleitung;164
13.2;2 Das Problem kollektiven Handelns bei wissensintensiver Arbeit;165
13.3;3 Welcher Institutionenbegriff kann hier weiterhelfen?;170
13.4;4 Was sind intra-organisationale Institutionen und wie steuern sie wissensintensive Arbeit?;174
13.5;5 Ein Fallbeispiel für die Steuerung wissensintensiver Arbeit;179
13.6;6 Resümee: Die Überwindung des Dilemmas kollektiven Handelns durch intra- organisationale Institutionen;183
13.7;Literatur;184
14;Die Verankerung der sozioökonomischen Konfliktlinie in den deutschen Eliten;188
14.1;1 Einleitung: Die Bedeutung der sozioökonomischen Konfliktlinie für das deutsche Parteiensystem und ihre Messung;188
14.2;2 Parteipräferenzen und Parteimitgliedschaften der Wirtschafts- und Gewerkschaftseliten;191
14.3;3 Einstellungen zu politischen Streitfragen;196
14.4;4 Differenzen innerhalb der beiden politischen Lager;203
14.5;5 Fazit;206
14.6;Literatur;207
15;Deutschland im OECD-Vergleich: Ein statistischer Annäherungsversuch;210
15.1;1 Die Problemstellung;210
15.2;2 Die Ausgangslage;212
15.3;3 Erklärungsansätze;214
15.4;4 Theoretische Grundlagen;215
15.5;5 Hypothesen;217
15.6;6 Univariate Auswertung;221
15.7;7 Statistische Zusammenhänge;221
15.8;8 Multiple Regression;232
15.9;9 Klassifikation;235
15.10;10 Fazit;236
15.11;Literatur;237
16;Gemeinwohl – a posteriori oder a priori? Ein Blick in die politische Ideengeschichte in pluralistischer Absicht;240
16.1;1 Gedankliche Parallelen: Rousseau und die;241
16.2;2 Fraenkels alternative Begründung moderner Demokratie;246
16.3;3 Vom eigentlichen Unterschied zweier Theorien der Demokratie;254
16.4;Literatur;259
17;Jenseits von Webers Bürokratietheorie: Einzelinteressen und parteipolitisches Handeln;260
17.1;1 Einleitung;260
17.2;2 Webers drei Thesen: Notwendigkeit, Effizienz und Unsterblichkeit;260
17.3;3 Ökonomische Einsichten: Interessen und Anreize;262
17.4;4 Bürokratisierung verdrängt Kapitalismus und Wachstum;268
17.5;5 Schlussfolgerung;271
17.6;Literatur;272
18;Wissenschaft als soziales Ereignis;274
19;Einzelinteressen und kollektives Handeln in unterschiedlichen politischen, historischen und kulturellen Kontexten;286
19.1;1 Einzelinteressen und kollektives Handeln im europäischen Mehrebenensystem;286
19.2;2 Einzelinteressen und kollektives Handeln in unterschiedlichen nationalen Kontexten;288
19.3;3 Neue Formen der Erbringung öffentlicher Güter durch Verwaltungen;290
19.4;4 Wissen und kollektives Handeln;291
19.5;5 Empirische und methodische Perspektiven;293
19.6;6 Ideengeschichtliche Perspektiven des Verhältnisses von Einzelinteressen und kollektivem Handeln;295
19.7;7 Politische, historische und kulturelle Rahmenbedingungen kollektiven Handeln;296
19.8;Literatur;297
20;Lebenslauf von Ulrich Widmaier;298
21;Schriftenverzeichnis von Ulrich Widmaier;300
21.1;1 Bücher;300
21.2;2 Artikel;301
21.3;3 Konferenz- und Diskussionspapiere;306
22;Autorenverzeichnis;310
Probleme einer Demokratisierung der Europäischen Union — oder: Warum es so schwer ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden.- Vom nationalen Wohlfahrtsstaat zum europäischen Sozialmodell?.- Interessenvermittlung und Policy-Making im europäischen Mehrebenensystem. Vom Korporatismus zum Pluralismus zur organisierten Anarchie?.- Das Europäische Puzzle oder: Warum das Europäische Parlament an Macht gewonnen hat.- Kollektive und individuelle Interessenvermittlung großer Unternehmen im europäischen Mehrebenensystem.- Der nordamerikanische „Softwood Lumber War“: Unterschiedliche Interessenvermittlung durch Parteien und Verbände in USA und Kanada.- Verwaltungspolitik im Bundesländervergleich — Große Entwürfe statt inkrementalistische Reformen?.- Zur Neujustierung von privaten und öffentlichen Interessen in der europäischen Infrastrukturpolitik— das Beispiel der Wasserversorgung.- Unwissen als Problem politischer Steuerung in der Verkehrspolitik.- Einzelinteressen und kollektives Handeln in Organisationen. Das Dilemma der Steuerung wissensintensiver Arbeit.- Die Verankerung der sozioökonomischen Konfliktlinie in den deutschen Eliten.- Deutschland im OECD-Vergleich: Ein statistischer Annäherungsversuch.- Gemeinwohl—a posteriori oder a priori? Ein Blick in die politische Ideengeschichte in pluralistischer Absicht.- Jenseits von Webers Bürokratietheorie: Einzelinteressen und parteipolitisches Handeln.- Wissenschaft als soziales Ereignis.- Einzelinteressen und kollektives Handeln in unterschiedlichen politischen, historischen und kulturellen Kontexten.
Probleme einer Demokratisierung der Europäischen Union – oder: Warum es so schwer ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden (S. 13)
Probleme einer Demokratisierung der EU
Heidrun Abromeit
Seit über zehn Jahren wird die Europaforschung geprägt von der Debatte über das europäische Demokratiedefizit, zu dessen Behebung eine überzeugende und konsensfähige Lösung nach wie vor nicht in Sicht ist – weder theoretisch noch praktisch. Das sollte eigentlich verwundern, wird doch bei offiziellen Anlässen immer wieder darauf verwiesen, dass Europa in den ‚abendländischen Werten’ geeint sei, und zu diesen zählt in vorderster Linie das Bekenntnis zum ‚demokratischen Verfassungsstaat’.
In der Tat verstehen die Mitgliedstaaten sich alle ‚irgendwie’ als Demokratien (das ist schließlich die Beitritts-Voraussetzung), doch liegt der Verdacht nahe, dass sie mit dem Begriff Demokratie ganz Unterschiedliches verbinden.
Die Frage, die uns im Folgenden beschäftigen wird, lautet darum: Gibt es wirklich ein gemeinsames Grundverständnis von Demokratie, das die Basis für eine erfolgreiche Demokratisierung der EU abgeben könnte? Natürlich kann ein kurzer Beitrag die Frage nicht erschöpfend behandeln. Was er zu leisten versucht, ist vielmehr, eine Systematik vorzulegen, an Hand derer das Thema abgearbeitet werden kann. Dazu gehe ich in zwei Schritten vor:
(1) Welche Demokratie- Konzeptionen lassen sich in Anlehnung an die gängige Definition des ‚Regieren durch und für das Volk’ denken und welche Institutionalisierungen implizieren sie – und lassen sich auf dieser grundlegenden Stufe des Vergleichs Gemeinsamkeiten ausmachen?
(2) Welche Denktraditionen verbinden sich national mit der jeweiligen Demokratiepraxis und -geschichte? Hierzu kann verständlicherweise derzeit nur Vorläufiges ausgesagt werden, denn den Vergleich demokratischer Denktraditionen gibt es noch nicht. Immerhin kann man sich Gedanken darüber machen, wie man bei einem solchen Vergleich vorzugehen hätte. Am Schluss (3) steht die Frage, welche Elemente eines gemeineuropäischen Demokratiemodells sich erkennen lassen und wie auf deren Basis die Chancen einer Demokratisierung der EU zu beurteilen sind.
1 Demokratie-Konzeptionen
Der Vergleich ‚etablierter’ Demokratien ist ein beliebtes Feld der Politikwissenschaft, eigentlich schon seit diese besteht. Man analysiert verschiedene Institutionensysteme, die den Anspruch erheben, demokratisch zu sein – parlamentarische, präsidentielle oder semi-präsidentielle, direkt-demokratische – und beurteilt sie im Hinblick auf ein bestimmtes Kriterium wie etwa dem der Leistungs- oder Problemlösungsfähigkeit.
Hierzu hat Ulrich Widmaier Wesentliches beigetragen (Lehner/Widmaier 2002). In unserem Zusammenhang geht es aber um etwas anderes, nämlich darum, den Vergleich der verschiedenen Institutionalisierungen von Demokratie anzureichern mit dem Vergleich der ihnen zugrundeliegenden generelleren Demokratie-Konzeptionen.
1.1 Zwecksetzungen
Für einen solchen Vergleich nimmt man sinnvollerweise die Zielvorstellungen zum Ausgangspunkt, die sich mit Demokratie verbinden und ihre Notwendigkeit begründen. Sie prägen die Logik des jeweiligen Konzepts sowie die Bedeutung der einzelnen möglichen Institutionen und Verfahren, geben also gewissermaßen die ‚Rahmung’ vor.
Am Beginn von Demokratisierungsprozessen stand häufig der Schlachtruf ‚Nieder mit den Tyrannen!’, der auf die Zielsetzung ‚Freiheit’ – des Individuums, des Volks als Ganzem, Freiheit von Intervention – verweist. Doch gemäß Lincolns Definition der Demokratie als „government by the people and for the people steht neben dem Freiheitsziel der Zweck der ‘allgemeinen Wohlfahrt’ bzw. das Regieren ‚im Interesse des Volkes’, das ganz unterschiedliche, spezifische Zwecksetzungen umschließt.