Barley | Die Raupenplage | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Barley Die Raupenplage

Von einem, der auszog, Ethnologie zu betreiben
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30595-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Von einem, der auszog, Ethnologie zu betreiben

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-293-30595-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Für Ethnologen gibt es heute nicht mehr viel zu entdecken. Umso erfreuter war Nigel Barley, dass bei den Dowayos eine seltene, noch nie von Weißen beobachtete Beschneidungszeremonie stattfinden sollte. Also machte er sich auf nach Kamerun – und dieses Buch, eher Reisebericht als Sachbuch, ist sein Protokoll eines großen Scheiterns. Es macht klar, welch riesige Lücke zwischen den Träumen von der heilen Welt der »Primitiven« und der alltäglichen Wirklichkeit klafft. Keine fröhliche, aber eine unfreiwillig komische Wissenschaft wird hier betrieben. Ehrlicher und amüsanter hat wohl noch kein Ethnologe von seinem Tun und Treiben berichtet.
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1
Wiedersehen mit Duala Sie sind also noch nie in unserem Land gewesen?« Der Grenzbeamte musterte mich misstrauisch und durchblätterte lustlos meinen Pass. Schweißflecke, die im Umriss dem afrikanischen Kontinent glichen, breiteten sich auf seinem Hemd unter den Achselhöhlen aus; denn in Duala war die heiße, trockene Jahreszeit auf ihrem Höhepunkt. Jeder einzelne Finger hinterließ einen braunen schweißigen Abdruck auf den Seiten. »So ist es.« Ich hatte es mir längst zur Regel gemacht, afrikanischen Beamten nie zu widersprechen. Der Aufwand an Zeit und Kraft war am Ende mit Sicherheit größer, als wenn man Fügsamkeit bewies und einfach nur zustimmte. Ein alter französischer Kenner der Kolonien hatte mir das als Verfahren erläutert, »die Tatsachen mit der Bürokratie in Einklang zu bringen«. In Wahrheit war es nicht mein erster, sondern mein zweiter Besuch im Land. Beim ersten Mal hatte ich achtzehn Monate in einem Bergdorf im Norden verbracht, wo ich als Ethnologe vom Dienst einen heidnischen Stamm erforschte. Da indes mein Pass von den mit allen Wassern gewaschenen Ganoven Roms gestohlen worden war, gab es kein Belastungsmaterial in Form alter Sichtvermerke, das mich hätte verraten können. Ich beglückwünschte mich zu der nichtssagenden Unauffälligkeit meines hübschen neuen Passes. Schwierigkeiten waren damit eigentlich nicht zu befürchten. Falls ich mich zu meinem früheren Aufenthalt im Land bekannte, würde man sogleich von mir verlangen, dass ich mich auf eine Orgie bürokratischer Aktivitäten einließ, Ein- und Ausreisedaten lieferte, die Anzahl früherer Sichtvermerke angab usw. Dass es schlicht unsinnig war, von einem einfachen Reisenden zu erwarten, er müsse all das im Kopf haben, würde mir dabei als Entschuldigung nicht helfen. »Warten Sie hier.« Mit herrischer Gebärde wurde ich zur Seite gewinkt, woraufhin mein Pass weggebracht wurde und hinter einem Wandschirm verschwand. Ein Gesicht tauchte über dem Wandschirm auf und musterte mich prüfend. Ich hörte das Rascheln von Buchseiten. Ich stellte mir vor, wie in den dicken Verzeichnissen unerwünschter Personen, die ich in der Kameruner Botschaft in London gesehen hatte, nach meinem Namen gesucht wurde. Der Beamte kam zurück und fing an, die Reisepapiere eines Libyers von zutiefst zwielichtigem Aussehen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Dieser Herr behauptete, »Generalunternehmer« zu sein, und besaß eine unwahrscheinliche Menge Gepäck. Mit atemberaubender Unverfrorenheit gab er als Grund für seinen Aufenthalt »die Suche nach geschäftlichen Gelegenheiten zum Nutzen des kamerunischen Volkes« an. Zu meinem großen Erstaunen wurde er ohne Weiteres durchgewinkt. Dann folgte eine ganze Kette schräger Vögel, ein grotesker Aufmarsch von Dieben, Schwindlern, Kunsthändlern – alle als Touristen verkleidet. Sie alle wurden unbesehen durchgelassen. Schließlich war nur ich noch da. Der Beamte durchwühlte gemächlich meine Papiere. Er hatte es nicht eilig. Als er seine Machtstellung mir gegenüber zu seiner Zufriedenheit etabliert hatte, schenkte er mir einen Blick, der von hochnäsiger Durchtriebenheit troff. »Auf Sie, Monsieur, wartet der Chefinspektor.« Ich wurde durch eine Tür einen Korridor entlanggeführt, der eindeutig nicht für den Publikumsverkehr bestimmt war. In einem kahlen Raum, dem jeder Komfort fehlte, wies man mir einen harten Sitzplatz an. Das Linoleum war abgewetzt und trug die Spuren unzähliger Schandtaten. Es herrschte eine glühende Hitze. In Sachen Gewissen haben wir alle ein überzogenes Konto. Sobald uns eine Autorität auch nur anschaut, werden tiefe Schuldgefühle in uns aufgerührt. In diesem Fall war meine Position mehr als nur ein bisschen wacklig. Während meines ersten Aufenthalts bei den Dowayos, meinem Bergstamm, hatte ich erfahren, was für eine zentrale Bedeutung für die ganze Stammeskultur die Beschneidungszeremonie besaß. Aber da diese nur in Abständen von sechs oder sieben Jahren stattfindet, hatte ich sie nie erleben können. Gewiss, ich hatte Schilderungen davon notiert und Teile der Zeremonie, die bei anderen Festen wiederkehren, fotografiert. Aber die Sache selbst war mir entgangen. Durch Kontakte, die ich am Ort hatte, war mir vor einem Monat die Nachricht zugegangen, dass die Zeremonie unmittelbar bevorstand. Wer konnte sagen, wann sie wieder einmal stattfinden würde – wenn überhaupt? Es war eine einzigartige Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen durfte. Frühere Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass ich keine Chance hatte, rechtzeitig die Erlaubnis für die Durchführung einer behördlich genehmigten ethnologischen Feldforschung zu bekommen; deshalb reiste ich als einfacher Tourist ins Land ein. Ich selbst machte mir daraus kein Gewissen; ich tat nur, was alle Touristen taten – ich fotografierte. Bei der Zeremonie würden garantiert noch andere Touristen anwesend sein und fleißig Bilder fürs Album zusammenknipsen. Es war nicht einzusehen, warum mir, dem Ethnologen, verboten sein sollte, was jedem Buchhalter im Urlaub erlaubt war. Aber nun war klar, dass sie Bescheid wussten. Wie hatten sie es herausgefunden? Ich konnte nicht glauben, dass all die Papiere, die ich in der Botschaft und am Flughafen hatte ausfüllen müssen, jemals von jemandem gelesen worden waren. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich ja noch 1500 Kilometer vom Gebiet der Dowayos entfernt war und mich deshalb eines großen Vergehens noch nicht schuldig gemacht haben konnte. Das Wartezimmer des Chefinspektors ist nicht der allerbeste Aufenthaltsort. Es ist geeignet, sogar das heiterste Gemüt mit Verzweiflung zu erfüllen. Die lange Wartezeit lieferte neuen Stoff für paranoische Ängste. Ich fing an, um mein Gepäck zu fürchten. (Vor meinem inneren Auge tauchten grinsende Zollbeamte auf, wie sie in meine Koffer griffen und meine Gewänder unter sich aufteilten. »Hier. Dieses Gepäck hat niemand abgeholt. Wir können es uns nehmen.«) Endlich führte man mich in ein spartanisch eingerichtetes Büro. Hinter dem Tisch saß ein gepflegt aussehender Mann mit soldatischem Schnurrbart und entsprechender Haltung. Er rauchte eine lange Zigarette, deren Rauch sich zu einem eiernden Deckenventilator hinaufkräuselte, der niedrig genug hing, um jeden nordischen Unhold, der den Raum betrat, zu enthaupten. Ich war unentschlossen, ob ich die beleidigte Unschuld spielen oder es mit französischer Kameraderie versuchen sollte. Da ich nicht wusste, was gegen mich vorlag, schien es mir das Beste, auf »bekloppter Engländer« zu machen. Die Engländer sind tatsächlich in der glücklichen Lage, von den meisten Völkern für ein bisschen absonderlich und für völlig hoffnungslos in bürokratischen Dingen gehalten zu werden. Der adrette Beamte schwenkte meinen Pass, der bereits von Zigarettenasche grauweiß bestäubt war. »Monsieur, das Problem heißt Südafrika.« Ich war ehrlich verblüfft. Was war passiert? Sollte ich als Vergeltung dafür ausgewiesen werden, dass irgendeine englische Cricket-Mannschaft in Südafrika fraternisiert hatte? Hielt man mich für einen Spion? »Aber ich habe keinerlei Verbindungen zu Südafrika. Ich bin da nie gewesen. Ich habe dort nicht einmal Verwandte.« Er seufzte. »Wir gestatten niemandem den Eintritt in unser Land, der die faschistische, rassistische Clique unterstützt, die jenes Land terrorisiert und sich den gerechten Forderungen der unterdrückten Völker widersetzt.« »Aber…« Er hob die Hand. »Lassen Sie mich ausreden. Um zu verhindern, dass wir in Erfahrung bringen, wer jenes unselige Land besucht hat und wer nicht, sind viele Regime so töricht, ihren Bürgern nach einem Aufenthalt in Südafrika neue Pässe auszustellen, damit sich in ihren Ausweispapieren keine verräterischen Visa finden. Sie, Monsieur, hat man mit einem nagelneuen Pass ausgestattet, obwohl ihr vorheriger noch gar nicht abgelaufen war. Für mich ist klar, dass Sie in Südafrika waren.« Eine Eidechse huschte die Wand entlang und sah mich mit ihren wachen Äuglein anklagend an. »Aber ich war nicht in Südafrika.« »Können Sie das beweisen?« »Natürlich nicht.« Wir wendeten das logische Problem, wie sich etwas Nichtexistentes beweisen lässt, hin und her, bis der Inspektor – ganz unvermittelt – genug hatte von unserem handgestrickten Philosophieren. Mit wahrem bürokratischem Ingenium brachte er einen Kompromiss in Vorschlag. Ich sollte mündlich meine Bereitschaft zu einer schriftlichen Erklärung erklären, dass ich nie in Südafrika gewesen sei. Das würde reichen. Die Eidechse bekundete durch Nicken ihre begeisterte Zustimmung. Draußen lag mein Gepäck auf einem Haufen, ausgesondert und zur Seite gedrängt. Als ich mich danach bückte, um es zur Zollabfertigung zu tragen, packte mich ein Mann von gewaltigem Umfang am Arm. »Pst, patron«, hauchte er. »Sie fliegen morgen in die Hauptstadt weiter?« Ich nickte. »Fragen Sie, wenn Sie Ihr Gepäck zur Abfertigung bringen oder wenn Sie auf der Rückreise sind, nach mir, Jacquo. Keine Gewichtsbeschränkung. Es kostet Sie nur ein Bier.« Er verdrückte sich. Der Zollbeamte war beleidigt, weil ich mich so lange bei den Kollegen von der Passbehörde aufgehalten hatte. Missgestimmt weigerte er sich, mein Gepäck auch nur zur Kenntnis zu nehmen, und winkte mich durch zu der Stelle, wo, wie ich wusste, die Taxifahrer...


Barley, Nigel
Nigel Barley, geboren 1947 in Kingston upon Thames, ist Anthropologe und Schriftsteller. Er studierte moderne Sprachen und Ethnologie in Cambridge und Oxford. In den Siebzigerjahren betrieb er Feldforschung im Norden Kameruns beim Volk der Dowayo. Seine Erlebnisse verarbeitete er im Reisebericht Die Raupenplage. Von 1981 bis 2003 war er am British Museum in London tätig.



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