E-Book, Deutsch, Band 10, 314 Seiten
Reihe: Chefober Leopold W. Hofer
Bauer Stiftertod
2017
ISBN: 978-3-8392-5439-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Ein Wiener Kaffeehauskrimi
E-Book, Deutsch, Band 10, 314 Seiten
Reihe: Chefober Leopold W. Hofer
ISBN: 978-3-8392-5439-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
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Kapitel 2
Das Maturatreffen hatte sich wieder einmal lange hingezogen. Man hatte einander viel zu erzählen gehabt. Als der Heurige in Stammersdorf schließlich die Sperrstunde ankündigte, lud Leopold noch seinen Freund, den Oberinspektor Richard Juricek, und Christian Stolz, Besitzer eines auf Trachten spezialisierten Bekleidungsgeschäftes, der, nachdem er sich schon seit längerer Zeit bei keiner dieser Zusammenkünfte hatte blicken lassen, wieder einmal erschienen war, auf ein Getränk in seine nicht weit entfernte Wohnung ein. Seine Lebensgefährtin Erika Haller hatte dort vorsorglich den Kühlschrank ein wenig gefüllt und eine Platte mit kalten Köstlichkeiten hergerichtet, ehe sie sich in ihre eigene Wohnung in der Taborstraße zurückgezogen hatte. Leopold und Juricek waren früher viel mit Stolz zusammen gewesen, doch dann hatte er sich immer weniger blicken lassen und so gut wie alle Kontakte abgebrochen. Als sie so vor ihren mit kühlem Bier gefüllten Gläsern und der Aufschnittplatte saßen, redete Leopold, der schon ein kleines Schwipserl hatte, Stolz auf ein Mädchen an, zu dem dieser in der letzten Klasse eine recht intensive Beziehung begonnen hatte. »Lisi hat sie geheißen, nicht wahr?«, vergewisserte er sich. Ein Schatten fiel auf das Gesicht von Stolz. »Ja, Lisi«, murmelte er. Sofort war er mit seinen Gedanken wieder zurück in der Vergangenheit und er geriet richtig ins Schwärmen. »Sie war so leidenschaftlich mit ihrem dunklen Teint und ihren langen schwarzen Haaren. Wenn man in ihre blauen Augen sah, war es, wie wenn man auf den Grund eines tiefen Sees blicken würde. Geheimnisse leuchteten darin, und die ganze verborgene Welt ihrer Seele breitete sich aus.« »Ihre Proportionen waren aber auch nicht zu verachten«, erwähnte Leopold ohne sonderliche Zurückhaltung. Stolz ging jedoch nicht darauf ein. »Sie war ein Mensch voller Gegensätze«, fuhr er in seinen Betrachtungen fort. »Auf der einen Seite wild, ungestüm und eigensinnig. Sie konnte kratzen und beißen wie eine Wildkatze. Wenn sie einen aber streichelte, tat sie es mit den zärtlichsten Berührungen, zu denen ein Mensch fähig ist.« »Ist eure Beziehung daran gescheitert? An den Gegensätzen?«, erkundigte sich Juricek, dem dieses Gesülze auf die Nerven ging. »Auch«, nickte Stolz nachdenklich. »Damals sind mehrere Dinge zusammengekommen: die Gegensätze, unser beider Stolz – bei mir ja schon im Namen enthalten –, das Schweigen über Dinge, die angesprochen hätten werden müssen, und nicht zuletzt unsere Eltern, vielmehr meine Eltern. Es gibt immer viele Gründe, aber nur eine Tatsache. Warum etwas geschehen ist, bleibt letztlich egal. Man kann es nicht mehr rückgängig machen, das ist der wesentliche Aspekt. Selbst wenn man wollte. Selbst wenn Lisi und ich gewollt hätten, hätten wir keine Chance gehabt. Somit ist eben alles so gekommen, wie es kommen musste.« Juricek und Leopold schwiegen betreten. Sie hatten nicht erwartet, dass ihre Fragen wieder solche Gefühle bei Stolz auslösen würden. Aber er war schon früher ein Mensch gewesen, der sein Inneres gern nach außen kehrte und dabei einen melancholischen Ton anschlug. Später hatte Stolz eine andere Frau geheiratet, die aber vor einigen Jahren bei einem Unfall verstorben war. So viel war bereits im Lauf des Maturatreffens herausgekommen. Weder Leopold noch Juricek trauten sich, nun hier anzuknüpfen. Doch Stolz war mitteilungsbedürftig geworden. »Dann kam das mit meiner Frau Ingrid«, erzählte er, an seinem Bier nippend. »Keine Angst, ich will euch damit nicht langweilen. Nur so viel: Wir führten eine glückliche, harmonische Ehe ohne besondere Höhen und Tiefen, aus der zwei Kinder entsprungen sind, ein Sohn und eine Tochter. Ich habe gelernt zurückzuschalten. Man bekommt nicht immer das, was man sich unbedingt einbildet, aber man kann lernen, mit dem vielen anderen, das man besitzt, glücklich zu sein. Zusätzlich muss man seinem Leben eine bestimmte Ordnung geben. Dann hat man eine Stütze, die einem über alles hinweghilft, mir etwa über den Tod meiner Gattin, so schlimm er auch war.« »So greift bitte zu«, forderte Leopold seine Gäste auf, um die gedrückte Stimmung der letzten Minuten wieder ein wenig zu heben. Er nahm die Plastikfolie von dem Aufschnitt herunter, verteilte Teller und Besteck und holte Brot aus der Küche. »Da hat sich deine Erika aber große Mühe gemacht«, lobte Juricek, der sich durch seinen Beruf angewöhnt hatte, zu allen Tages- und Nachtzeiten einen kräftigen Appetit zu entwickeln, sofern er seinen Magen nicht einzig und allein mit Kaffee bombardierte. Seine Augen waren aus lauter Vorfreude ganz wässrig geworden. Schon wollte er zugreifen. »Einen Augenblick«, schritt Stolz da ein. »Zerstört das Kunstwerk doch nicht gleich!« »Willst du etwa ein Foto machen? Das wäre beinahe zu viel der Ehre«, befand Leopold. »Foto? Ich will es betrachten, in meinem Kopf abspeichern«, erklärte Stolz. »Welch appetitliches Abbild dessen, was mir unter Ordnung im Kleinen so ans Herz gewachsen ist! Wie liebevoll die einzelnen Wurstsorten neben- und übereinander geschichtet sind, die Wiener, die Krakauer, die Polnische, die Extrawurst, der Schinken und der kalte Braten. Dazwischen ein paar Scheiben Emmentaler, der farblich hervorragend kontrastiert. Das alles wird durch feinblättrig geschnittene Essiggurkerln, die gewissermaßen eine Quadratur des Kreises erzeugen, indem sie vier imaginäre Eckpunkte in das Tellerrund setzen, garniert und weiter außen von den Hälften genau auf den Punkt hartgekochter Eier flankiert. Ein paar Tupfer Mayonnaise, ein paar Stängel Krauspetersilie, und schon ergibt sich ein mustergültiges Ganzes, das uns bei Weitem weniger zum Verzehr reizen würde, wenn man es bloß lieblos und unordentlich auf den Teller geworfen hätte. Bravo! Und selbst wenn wir jetzt mit unseren Gabeln hineinstechen und damit einen Prozess der allmählichen Zerstörung einleiten, bleibt beinahe bis zu unserem letzten Bissen ein Gerüst erhalten, das die große Sorgfalt erkennen lässt, die hier an den Tag gelegt wurde.« Leopold hatte den Brotkorb niedergestellt und andächtig gelauscht. Juricek wartete voll Ungeduld auf das Essen. Beide waren froh, dass mit der kleinen Mahlzeit schließlich Ruhe einkehrte und sie von den sonderbaren Ausführungen ihres ehemaligen Schulkollegen zumindest für kurze Zeit verschont blieben. Doch schon beim anschließenden Kaffee legte Stolz wieder los. Er drängte sich Leopold und Juricek mit einer Einladung, ihn demnächst in seinem Haus am Bisamberg zu besuchen, geradezu auf. »Wenn ihr seht, wo und wie ich lebe, kann ich euch meine Prinzipien am besten erläutern«, behauptete er. »Ihr werdet begeistert sein! Seit meine Kinder ausgezogen sind, habe ich mich so eingerichtet, dass meine sämtlichen bescheidenen Bedürfnisse befriedigt werden. Überall herrschen Einfachheit, Ordnung und Übersichtlichkeit. Mein größtes Glück besteht darin, die Dinge in meinem Haus so zu betrachten, wie ich vorhin den Teller mit dem köstlichen Aufschnitt betrachtet habe. Nach Möglichkeit verändere ich nichts und lasse alles so ruhen, wie es ist. Ich verlasse die einzelnen Räume immer in exakt jenem Zustand, in dem ich sie betreten habe. Unser ehemaliges Schlafzimmer benutze ich überhaupt nicht mehr. Es bleibt als ein Bild aus glücklicheren Tagen erhalten, zu dem ich manchmal die Tür öffne, um von draußen still hineinzuschauen und in der Vergangenheit zu schwelgen. Und dann erst der Garten! Wenn es schön ist, ist es mein größtes Vergnügen, mich am Vormittag all den Pflanzen, Sträuchern und vor allem meinen Rosen zu widmen. Die Zeit wird viel zu kurz werden, um euch alles zu zeigen und auseinanderzusetzen.« Juricek machte dem Ganzen ein Ende. »Selbstverständlich kommen wir«, kündigte er an. »Verrate uns bloß nicht zu viel, sonst wird es nur der halbe Spaß!« »Du hast recht, ein paar Überraschungen muss ich mir schon noch für euch aufheben«, lachte Stolz. »Jetzt bin ich aber müde geworden«, stellte Juricek fest und bekräftigte seine Aussage mit einem lauten Gähnen. »Ich darf doch heute wie besprochen bei dir übernachten, Leopold?« Bei dieser Frage zwinkerte er seinem Freund heimlich zu. Leopold riss es kurz, dann begriff er. »Natürlich, Richard, wie ausgemacht! Ich richte im Badezimmer gleich alles für dich her.« »Oh, da will ich nicht länger stören, versicherte Stolz. »Also dann … bis nächste Woche?« Juricek blickte ihn mit einem zugekniffenen Auge an. »Kommt ganz darauf an, wie viel ich zu tun habe. Wie du weißt, arbeite ich in einem Job mit sehr unsicheren Dienstzeiten.« Leopold schloss sich ihm gleich an: »Na und ich erst! Bei uns im Kaffeehaus ändert sich dauernd was. Und auf meinen Kollegen, den Waldi Waldbauer, muss ich auch Rücksicht nehmen!« »Dann komme ich auf einen Sprung im »Heller« vorbei, und wir machen uns einen Termin aus.« »Ruf mich einfach an«, ersuchte Leopold seinen früheren Mitschüler, um die Sache abzukürzen. Der verabschiedete sich nun langwierig und umständlich, woraufhin Juricek noch einmal gähnte. »Endlich«, seufzte der Oberinspektor, als Stolz gegangen war. »Also, lang hätte ich den jetzt nicht mehr ausgehalten«, pflichtete Leopold ihm bei. »Du hättest ihn eben nicht einladen dürfen«, äußerte Juricek mit leisem Vorwurf. »Schon beim Heurigen wollte ihm kaum einer zuhören.« »Mir ist das nicht so aufgefallen. Ich bin ja relativ weit weg von ihm gesessen«, entschuldigte sich Leopold. »Ich fürchte nur, dass wir nicht um die Hausbesichtigung herumkommen werden. Der Kerl ist...