Baumann / Hebel | Gute-Macht-Geschichten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Baumann / Hebel Gute-Macht-Geschichten

Politische Propaganda und wie wir sie durchschauen können
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86489-627-9
Verlag: Westend
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Politische Propaganda und wie wir sie durchschauen können

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-86489-627-9
Verlag: Westend
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



So werden wir durch Sprache manipuliert

Deutschland muss "fit für die Zukunft" gemacht, die "Wettbewerbsfähigkeit" gesteigert werden - das ist "alternativlos"! Solche Sprüche hören wir Tag für Tag. Dass die "Reformen" meist den Unternehmen nutzen und zu unseren Lasten gehen, wird verschwiegen. Dieses Buch entlarvt die Floskeln der Macht.

Die "Kostenexplosion" gefährdet unseren Sozialstaat, die "demografische Katastrophe" die Zukunft des Landes und steigende "Arbeitskosten" den Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit solchen vermeintlichen Gewissheiten wird in Deutschland Politik gemacht, werden "Reformen", die meistens Kürzungen für Normalbürger bedeuten, als "alternativlos" verkauft. Doch was ist dran? Stephan Hebel und Daniel Baumann übersetzen die wichtigsten Begriffe aus dem Wörterbuch der Irreführung in leicht verständlichen Klartext und benennen Alternativen. Ein Begleiter für alle, die die Sprache der Macht durchschauen wollen.

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aus|ge|ben (nicht mehr, als man einnimmt): Fragt man einen deutschen Finanzminister nach seiner Jobbeschreibung, dann hat er eine in der Regel klare Antwort: »dafür zu sorgen, dass man nicht mehr ausgibt als man einnimmt«, so zum Beispiel Wolfgang Schäuble Ende 2014 im Deutschlandfunk.49 Das ist die Logik der schwäbischen ?Hausfrau, die auch Bundeskanzlerin Angela Merkel so gern bemüht: Auf der einen Seite stehen die Einnahmen, die eben so fließen, wie sie fließen, je nach Unternehmergeist, Konjunktur und dem ?Fleiß der Bürger. Und auf der anderen Seite stehen die Ausgaben, die sich diesen Einnahmen anzupassen haben. Das klingt auf den ersten Blick überzeugend und trifft in der deutschen Öffentlichkeit auch selten auf Widerspruch. Dennoch ist es eine Banalisierung und damit eine grobe Verfälschung der Wahrheit. Unterschlagen wird nämlich die schlichte Tatsache, dass staatliche Einnahmen sich vor allem aus Steuern speisen. Und was der Staat an Steuern einnimmt, das hängt keineswegs allein vom Schicksal ab, sondern von politischen Entscheidungen: Der Staat kann seine Einkünfte, anders als die meisten seiner Bürgerinnen und Bürger, »steuern« – und damit auch das, was er auszugeben in der Lage ist. In all den Steuerdebatten wird häufig vergessen, dass der deutsche Staat (und nicht nur er) in den vergangenen Jahrzehnten genau das intensiv getan hat: Er hat seine Einnahmen »gesteuert«. Allerdings mit gewaltigem Drall in eine bestimmte Richtung: Er hat Steuern gesenkt – nicht nur, aber besonders für Spitzenverdiener und Unternehmen. Er hat also verhindert, dass diese Gruppen entsprechend ihrem wachsenden Reichtum zur Staatsfinanzierung beitragen, und damit selbst für die Begrenzung seiner finanziellen Ressourcen gesorgt. Als Beispiele sollen hier die Entwicklung des Spitzensteuersatzes und die vorerst letzte ?»Reform« der Unternehmensteuer (2008) angeführt werden. Den Spitzensteuersatz von derzeit 42 Prozent muss bezahlen, wer beim zu versteuernden Einkommen über einem bestimmten Betrag liegt (für 2015 waren das 52 882 Euro im Jahr50) – allerdings nur für den Teil des Einkommens, der diese Grenze überschreitet (ein Steuersatz, der ab einer bestimmten Einkommensgrenze gilt, wird deshalb im Fachjargon auch »Grenzbelastung« genannt). Für die ersten 52 882 Euro gelten niedrigere Sätze. Wer also 100 000 Euro versteuert, zahlt die 42 Prozent keineswegs auf die ganzen 100 000 Euro, sondern nur für den Teil, der über 52 882 Euro liegt, in diesem Fall also gut 47 000 Euro. Auf diese Unterscheidung kann nicht oft genug hingewiesen werden, denn oft klingt es in der öffentlichen Debatte so, als müssten Spitzenverdiener den Spitzensteuersatz auf ihr ganzes Einkommen zahlen. Im Jahre 1958 lag der Spitzensteuersatz, also die »Grenzbelastung« für die höchste Einkommensstufe (damals ab umgerechnet 60 000 Euro), bei 53 Prozent. Er stieg Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts auf bis zu 56 Prozent, ehe die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU, 1982 bis 1998) den Spitzensatz wieder bis auf 53 Prozent senkte. Es war dann die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder, die die »Grenzbelastung« auf die seit 2005 gültigen 42 Prozent reduzierte.51 Zum 1. Januar 2007 trat dann eine minimale Korrektur dieser Politik der Geschenke an die Spitzenverdiener hinzu, die von der großen Koalition eingeführte »Reichensteuer«: Für Einkommensbestandteile über 250 731 Euro im Jahr52 galt nun ein Steuersatz von 45 Prozent. Aber von jenem Maß an Steuergerechtigkeit, das selbst unter Helmut Kohl noch galt, ist auch das Lichtjahre entfernt. Schon unter Kohl und dann auch unter Schröder wurde, um wenigstens in Ansätzen Ausgewogenheit zu erreichen, auch die Belastung der niedrigsten Einkommen reduziert – was allerdings nichts daran ändert, dass der Staat einem Spitzenverdiener jeweils wesentlich mehr Geld »schenkte« als einem Beschäftigten am unteren Ende der Skala.53 Nur am Rande sei bemerkt, dass die Politik den bei der Einkommensteuer entlasteten Geringverdienern das Geld gleich wieder aus der anderen Tasche zog: Anfang 2007 erhöhte die große Koalition die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Von dieser Steuer sind niedrigere Einkommen, die zwangsläufig zum größten Teil für den Konsum ausgegeben werden, immer am stärksten betroffen (siehe auch ?Steuererhöhungen). Zweites Beispiel: die »Unternehmensteuerreform«, ebenfalls beschlossen von der ersten großen Koalition unter Angela Merkel im Jahr 2007 und in Kraft getreten 2008. Sie diente dem erklärten Ziel, die Firmen um fünf Milliarden Euro pro Jahr zu entlasten, und zwar durch die Senkung ihrer Steuerlast von knapp 39 auf knapp 30 Prozent. Die Begründung des Bundesfinanzministeriums entsprach der gängigen Ideologie, wonach die Steuerzahler in der Summe mehr bezahlen, wenn man weniger von ihnen verlangt. Was nichts anderes bedeutet, als das weit verbreitete, systematische Umgehen der Steuerpflicht durch eine Verringerung dieser Pflicht zu belohnen. In den Erläuterungen des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahre 2007 liest sich das so: »Folge der hohen deutschen nominalen Steuerbelastung ist, dass international operierende Unternehmen durch Gestaltungen dafür sorgen, dass ein erheblicher Teil der in Deutschland erwirtschafteten Gewinne nicht hier, sondern in anderen Ländern mit niedrigeren Steuersätzen versteuert werden. (…) Ziel der Unternehmensteuerreform ist es deshalb auch, Anreize für international tätige Unternehmen zu setzen, einen angemessenen Anteil der in Deutschland erwirtschafteten Gewinne hier zu versteuern.«54 (Siehe auch ?scheues Reh) »Gestaltungen« – das ist der feine Ausdruck für mehr oder weniger legale Tricks zur Umgehung der Steuerpflicht, die man dann auch noch durch Steuersenkungen belohnt. Die Idee (treffender: die Ideologie) hinter solchen Steuersenkungen besteht also in dem Glauben, es werde mehr Geld fließen, wenn die Belastungen sinken. Jedenfalls ist das die Geschichte, mit der die Bevorzugung der ohnehin Privilegierten in der Öffentlichkeit verkauft wird. Im Falle von Unternehmen geschieht das Wunder der Geldvermehrung diesem ideologischen Modell zufolge durch mehr Steuerehrlichkeit (siehe das obige Zitat des Finanzministeriums) und natürlich durch mehr Luft zum Investieren für diejenigen, die auch bisher schon ehrlich waren und künftig geringer belastet werden. Das ist die Argumentation der neoklassischen Volkswirtschaftslehre, die vor allem »angebotsorientiert« denkt, das heißt: Zu entlasten sind die »Anbieter« von Waren und Dienstleistungen, um Investitionen zu erleichtern und Konsumgüter günstig herstellen und verkaufen zu können. Die Nachfrage nach diesen Gütern entsteht nach dieser Logik dann wie von selbst, etwa durch mehr Beschäftigung in den von Steuern entlasteten Betrieben. »Nachfrageorientierte« Wirtschaftswissenschaftler haben an dieser These gut begründete Zweifel. Sie fordern Entlastungen und Sozialleistungen vor allem für diejenigen am unteren Ende der Einkommensskala, von denen zu erwarten ist, dass sie ihr zusätzliches Geld fast vollständig für Waren und Dienstleistungen ausgeben würden, was wiederum wegen gestiegener Nachfrage auch den Unternehmen hilft. Bei der Senkung der Einkommensteuer bediente sich die rot-grüne Bundesregierung interessanterweise genau dieses nachfrageorientierten Arguments: »Wir brauchen eine Nettoentlastung der Haushalte zur Belebung der Binnenkonjunktur, damit die Menschen auch kaufen können, was die Wirtschaft herstellt«55, sagte Gerhard Schröder gleich nach seiner Wahl zum Bundeskanzler am 10. November 1998 im Bundestag. Für die Senkung des Eingangssteuersatzes ist das sicher ein treffendes Argument. Es auch für die Entlastung der Einkommen über 50 000 Euro zu verwenden, stellt allerdings einen ziemlich skrupellosen Missbrauch der nachfrageorientierten Wirtschaftstheorie dar. Kurz vor Inkrafttreten der letzten Senkungsstufe zum Jahresbeginn 2005 wies ein SPD-interner Kritiker auf diesen Missbrauch mit klaren Worten hin: Wer wie er selbst »ordentlich verdiene«, brauche keine Entlastung, sagte dieser Politiker im August 2004. Und weiter: »Wenn wir Veränderungen von Arbeitslosen und Kleinverdienern verlangen, können die Reichen nicht abseits stehen.« Er finde es »geradezu obszön«, den Spitzensteuersatz zu senken und zeitgleich die Menschen mit Hartz IV zu belasten.56 Wie der mutige Schröder-Kritiker hieß? Sigmar Gabriel, damals SPD-Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag. Das war derselbe Gabriel, der sich als Vorsitzender seiner Partei nach der Bundestagswahl 2013 von jeder Forderung verabschiedete, den Spitzensteuersatz wieder zu erhöhen, um die Aufgaben des Staates auskömmlicher und gerechter zu finanzieren. Was...


Daniel Baumann
Daniel Baumann ist Ressortleiter Wirtschaft der Frankfurter Rundschau, zuvor schrieb er für Berliner Zeitung, Kölner Stadt-Anzeiger und FR. Er ist Schöpfer des Arbeitsmarktindex FRAX und wurde 2014 vom Fachmagazin Wirtschaftsjournalist zu den besten jungen Wirtschaftsjournalisten des Landes gewählt.


Stephan Hebel
Stephan Hebel ist seit zwei Jahrzehnten Leitartikler, Kommentator und politischer Autor. Er schreibt für die Frankfurter Rundschau sowie für Deutschlandradio, Freitag, Publik Forum und weitere Medien. Er ist zudem regelmäßiger Gast im »Presseclub" der ARD und ständiges Mitglied in der Jury für das »Unwort des Jahres".



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