Baumeister | Vom Bösen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 476 Seiten

Baumeister Vom Bösen

Warum es menschliche Grausamkeit gibt
1., Auflage 2014
ISBN: 978-3-456-95233-8
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Warum es menschliche Grausamkeit gibt

E-Book, Deutsch, 476 Seiten

ISBN: 978-3-456-95233-8
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Die Menschen sind zu unfassbarer Gewalttätigkeit und Grausamkeit fähig. Die Menschheitsgeschichte ist reich an Massenmorden und Genoziden. Aber auch tagtäglich berichten die Medien von Amokläufen oder Familientragödien. Vergewaltigungen und Missbrauch zeichnen die menschliche Natur tatsächlich ebenso aus wie unsere Fähigkeit zur Empathie und Nächstenliebe. In umfassenden Recherchen erkundet der Sozialpsychologe Baumeister die psychologischen Mechanismen hinter dem menschlichen Bösen. Was motiviert die Menschen dazu, grausam und gewalttätig zu sein? Wie können die Täter dies mit ihrem Selbstbild als menschliches Wesen vereinbaren? Wie reagiert die Gesellschaft auf den Ausbruch des Bösen in ihrer Mitte? Baumeister verzichtet konsequent auf jede moralisierende Sichtweise sowie ideologische oder emotionale Verzerrungen - und eröffnet damit den Blick auf die tatsächlichen Ursachen und Mechanismen des Bösen. Die Grausamkeit ist ein absolut zentrales Thema der Menschheit – und seit vielen Jahrhunderten Thema in der Philosophie, Theologie und Geschichtsschreibung. Immer wieder wird die Frage nach dem Bösen neu gestellt, inzwischen auch vermehrt von Sozialwissenschaftlern. Die Psychologie hält sich zumeist bedeckt, allerdings wurden bereits in den 1970er Jahren mit dem Stanford-Prison-Experiment und dem Milgram-Experiment zwei bahnbrechende Versuche in der Psychologie durchgeführt, die die Frage nach dem Bösen im Menschen mit einer ganz neuen Dringlichkeit stellten. Mit Baumeister hat sich nun endlich ein renommierter Sozialpsychologe der Herausforderung gestellt und eine Psychologie des Bösen entwickelt.
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Zielgruppe


Sozialwissenschaftler, interessierte Laien.

Weitere Infos & Material


1;Inhalt und Vorwort;6
2;1 Die Frage nach dem Bösen und die Antworten;16
3;2 Opfer und Täter;52
4;3 Der Mythos vom reinen Bösen;82
5;4 Habgier, Wollust, Ehrgeiz: Das Böse als Mittel zum Zweck;124
6;5 Egotismus und Rache;156
7;6 Wahre Gläubige und Idealisten;204
8;7 Kann das Böse Spaß machen? Die Freude, anderen wehzutun;242
9;8 Die rote Linie u¨berschreiten: Wie das Böse beginnt;296
10;9 Wie das Böse wächst und sich verbreitet;330
11;10 Umgang mit Schuldgefu¨hlen;356
12;11 Ambivalenzen und Mitläufer;400
13;12 Warum gibt es das Böse?;434
14;Anmerkungen;448
15;Register;474


In diesem Fall war es ein echter Fehlschluss und ein unglücklicher Zufall, aber in den meisten Fällen lässt sich das Böse in der Welt nicht so einfach wegerklären.

Hätte man die Frau gefragt, ob sie jemals in einem Flughafenrestaurant einem anderen sein Essen wegnehmen würde, hätte sie vermutlich verneint. Die gleiche Antwort kommt wahrscheinlich nach fast jeder hypothetischen Frage nach etwas Bösem: Würden Sie den Befehl befolgen, unschuldige Zivilisten zu töten? Würden Sie mithelfen, jemanden zu foltern? Würden Sie untätig danebenstehen, wenn die Geheimpolizei Ihre Nachbarn abholt, um sie ins Konzentrationslager zu bringen? Die meisten Menschen antworten darauf mit Nein.4 Wenn solche Dinge aber tatsächlich geschehen, sieht die Realität ganz anders aus.

Ganz normale Menschen haben zahlreiche böse Dinge getan, und manchmal hat es die Mehrzahl der Anwesenden geduldet. Um das Böse zu verstehen, müssen wir uns von der bequemen Überzeugung verabschieden, dass wir selbst nie etwas Schlechtes tun würden. Stattdessen ist zu fragen: Was muss geschehen, damit ich solche Taten begehe? Wir müssen davon ausgehen, dass es möglich wäre. Die Geschichte vom Flughafen macht zwei zentrale Aspekte des Bösen deutlich. Erstens fügt eine Person einer anderen einen Schaden zu, auch wenn es sich in diesem Fall um einen recht geringfügigen Schaden handelte, nämlich den Diebstahl einiger Kartoffelchips. In den meisten Fällen, die es verdienen, als böse bezeichnet zu werden, steht für das Opfer weitaus mehr auf dem Spiel. Der zweite Aspekt ist das Chaos: die Verletzung der freundlichen, geordneten, durchschaubaren Welt. Die Frau ärgerte sich nicht über den Verlust von ein paar Kartoffelchips. Sie war verärgert, weil etwas geschah, das völlig außerhalb ihrer Vorstellung vom Umgang unter anständigen Menschen lag. Sie hatte den Eindruck, einem Wesen begegnet zu sein, das nicht in ihre Welt gehörte.

Befassen wir uns als Nächstes mit der Frage, was man als böse bezeichnet.

Was ist böse?

Irgendwann diskutierten meine Frau und ich darüber, ob wir ein Kind adoptieren sollten. Seitdem ich selbst die Erfahrung gemacht habe, in einem fremden Land in einer Familie von Einheimischen zu leben, bin ich ein begeisterter Anhänger der Vielfalt innerhalb von Familien. Meine Frau und ich wollten beide am liebsten ein schwarzes Kind adoptieren. Wir beide sind Weiße, haben eine gute Ausbildung und leben in finanziell gesicherten Verhältnissen; deshalb glaubten wir, einem Kind einen guten Start ins Leben ermöglichen zu können. Unser Gedanke: Ein privilegiertes, gebildetes schwarzes Kind großzuziehen, könnte für die Gesellschaft von größerem Wert sein, als wenn es sich um ein privilegiertes, gut gebildetes weißes Kind handelte.

Glücklicherweise gelangten wir mit unseren Diskussionen nie über vage Spekulationen hinaus. Ich sage «glücklicherweise», weil es in den Augen vieler Menschen höchst böse von uns gewesen wäre, ein schwarzes Kind zu adoptieren. Die Association of Black Social Workers bezeichnete die Adoption schwarzer Babys durch weiße Eltern sogar als eine Form des Genozids.5 Wir waren davon ausgegangen, damit einem Kind zärtliche Liebe und einige Vorteile zu ermöglichen, was dazu beitragen könnte, Rassenunterschiede zu überwinden. Andere dagegen hätten uns damit auf eine Stufe mit Menschen gestellt, die mit Maschinengewehren oder Macheten systematisch Menschen abschlachten, nur weil diese zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gehören.

Damit will ich nicht sagen, dass ich der Ansicht zustimmen würde, dass die Adoption eines schwarzen Kindes durch weiße Eltern eine Form des Völkermords ist; wenn ich für staatliche Politik zuständig wäre, würde ich sie sogar (in allen Kombinationen) nicht zur Ausnahme, sondern zur Norm erklären. Aber auch hier liegt das Böse im Auge des Betrachters. Ich halte das, was ich tue, vielleicht für annehmbar oder sogar gut, würde mich aber in dieser Hinsicht nicht von den Völkermördern unterscheiden, die ebenfalls glauben, dass sie die Welt verbessern. Das Böse findet sich nur selten im Selbstbild des Täters. Weit häufiger ist es in den Urteilen anderer anzutreffen.

Das Vertrauen in die Urteile anderer ist jedoch wesentlich. Würden wir unsere Untersuchung auf Taten beschränken, deren Bösartigkeit die Täter selbst einräumen, hätten wir kaum Taten, die wir untersuchen könnten. Ein Beispiel ist der Amokläufer Frederick Treesh, der im August 1994 nach einer Schießerei mit der Polizei festgenommen wurde. Während der vorangegangenen zwei Wochen hatte er mehrere Bankund Ladenüberfälle sowie bewaffnete Autodiebstähle begangen. Seiner Einschätzung nach hatte er nichts besonders Schlimmes getan: «Abgesehen von den beiden, die wir getötet haben, den beiden, die wir verwundet haben, der Frau, die wir mit der Pistole geschlagen haben und den Glühbirnen, die wir den Leuten in den Mund gesteckt haben, haben wir eigentlich niemandem wehgetan.»6 Oder nehmen wir die Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens, in den Augen der meisten Menschen eine böse Tat. Sie wurde von einem Vierzehnjährigen begangen, der Anwalt konnte darin jedoch nichts Böses erkennen: «Das waren zwei Kinder, die nichts Besseres zu tun hatten. Sie haben kein Kabelfernsehen, was soll man da schon machen?»

Das Wort böse wird sehr unterschiedlich benutzt und definiert. Selbst präzisere Begriffe wie Genozid haben ganz unterschiedliche Bedeutungen. Für die National Association of Black Social Workers bedeutet Genozid, dass weiße Eltern schwarze Kinder adoptieren. Der Reverend Al Page verurteilte mit dem gleichen Begriff einen Plan der University of Virginia zur Erschließung eines Wohnviertels.8 Nach solchen Kriterien ist Genozid allgegenwärtig. Alain Destexhe dagegen, Generalsekretär der internationalen Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen», schrieb 1994, nur drei Ereignisse im 20. Jahrhundert könnten nach der offiziellen Definition der Vereinten Nationen als echter Genozid oder Völkermord bezeichnet werden: das Massaker der osmanischen Türken an den Armeniern 1915 bis 1917, die Vernichtung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs durch deutsche Nationalsozialisten und die Versuche der Hutu-Extremisten in den 1990er Jahren, in Ruanda die Tutsi auszulöschen.9 Insbesondere kritisierte Destexhe «die immer häufigere Verwendung des Begriffs ‹Genozid› ohne angemessenen Respekt für seine wirkliche Bedeutung».

Wenn man sich schon kaum darauf einigen kann, was ein Genozid ist, dann ist es noch schwieriger, für das Böse eine Definition zu finden, die alle zufriedenstellt. Viele Menschen halten den Begriff für zu hochtrabend oder sehen darin eine Bezeichnung für mystische, übernatürliche oder anderweitige esoterische Phänomene. Das Wort strahlt einen gewissen Anachronismus aus, insbesondere seitdem der Glaube an den Satan in unserer Kultur verblasst.10 Nach Angaben des Oxford English Dictionary wird das Wort evil in Alltagsgesprächen kaum noch benutzt.11 Und wenn es jemand in den Mund nimmt, dann häufig in spöttischer Weise, wie etwa, als der Manager der Baseballmannschaft Montreal Expos behauptete, der Profibaseball stehe mittlerweile unter der Kontrolle des Satans. Mit dieser Äußerung erregte er große Aufmerksamkeit und wurde gebeten, sie zu erläutern, woraufhin er meinte: «Die Kräfte des Bösen und der Dunkelheit haben großen Einfluss auf die Gesellschaft – und Baseball ist ein Mikrokosmos der Gesellschaft.»



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