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E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Becker Links

Ende und Anfang einer Utopie
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86489-850-1
Verlag: Westend Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ende und Anfang einer Utopie

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-86489-850-1
Verlag: Westend Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Rechte und die autoritären Aspirationen mancher Politiker und Regierenden machen uns wieder Angst - die Geschichte darf sich doch nicht wiederholen. Die Linken müssen sich neu aufstellen, müssen kämpfen, damit es in unseren globalisierten Gesellschaften ein Gleichgewicht der verschiedenen Kräfte und Denkweisen gibt. Dabei dürfen sie ihre Wurzeln nicht vergessen - erwachsen aus der Dialektik der Aufklärung besitzen die Linken die stärkste Waffe, die sie progressiv einsetzen können: die Utopie. Nur mit einer Utopie im Gepäck kann die Linke getrost in die Zukunft schauen.

Artur Becker, 1968 geboren als Sohn polnisch-deutscher Eltern in Bartoszyce (Masuren), lebt seit 1985 in Deutschland. Schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte und Aufsätze, auch als Übersetzer tätig. Er schreibt regelmäßig Essays und Artikel für die Frankfurter Rundschau, Ostragehege, den Rheinischen Merkur und andere Zeitungen. Becker wurde 2009 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet, 2012 erhielt er den DIALOG-Preis der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband. Mit dieser Auszeichnung werden Personen und Vereinigungen gewürdigt, die sich "in vorbildlicher Art und Weise für den Dialog der Völker und Kulturen in Europa sowie die Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen engagieren". 2020 wurde Artur Becker durch Sächsische Akademie der Künste und den Verein Bildung und Gesellschaft in Dresden die Chamisso-Poetikdozentur zuerkannt.

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Vorwort
»Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang,
sondern am Ende, und sie beginnt
erst anzufangen, wenn Gesellschaft
und Dasein radikal werden,
das heißt sich an der Wurzel fassen.« Ernst Bloch in »Das Prinzip Hoffnung« (1954) Ein Buch mit dem so einfach anmutenden Titel Links zu schreiben, hat selbst nicht wenig von einem utopischen Vorhaben. Der Begriff ›links‹ gehört schließlich nicht nur zu den am stärksten umkämpften, sondern vor allem zu den unschärfsten Begriffen unserer Gegenwart. ›Links‹, das kann heute gleich alles oder auch nichts bedeuten. Die einen kaprizieren den Begriff auf eine parteipolitische Linie und verbinden ›links‹ mit der Partei Die Linke, jener Partei, die bei der letzten Bundestagswahl knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist und nicht erst seitdem auf der Suche nach ihrer Identität ist. Diese Suche ist dabei durchaus repräsentativ für die Unschärfe des Begriffs ›links‹ insgesamt. Für andere meint ›links‹ nämlich viel mehr, und zwar eine grundlegende Lebensform, die sich auf Kernthemen besinnt, die historisch gemeinhin als ›links‹ gelten: den Kampf für die Nichtprivilegierten, die Unterdrückten und gegen den Kapitalismus als System, das Unterschiede und Wettkampf geradezu heraufbeschwört und letztlich nur ein Ziel verfolgt – möglichst viel Kapital anzuhäufen. Dass nicht wenige dieser Kernthemen als populistische Parolen von der internationalen Rechten gekapert werden konnten, ist nur ein weiterer Beleg für die Krise des Begriffs ›links‹. Ganz im Gegensatz zu diesem Wunsch nach historischer Rückbesinnung versteht eine Gegenbewegung »links« gerade als einen mit neuen Identifikationsmöglichkeiten zu füllenden Begriff, etwa mit der sogenannten ›Wokeness‹, die den Kampf für je einzelne, benachteiligte Gruppen meint, dabei aber, so eine gewichtige Kritik, das gesellschaftliche Allgemeine, ja, die soziale Frage aus dem Blick zu verlieren droht. ›Links‹ scheint aber nicht selten auch das Synonym zu sein für die Haltung einer Haltungslosigkeit, einem bloß noch privilegierten, pseudo-linken Öko-Lifestyle: ›Links‹, das kann heute auch bedeuten, im Elektro-SUV zum Biobäcker zu fahren, um einen Dinkelbrocken für 10 Euro zu kaufen. Ein Konsens-Kommunismus, bei dem sich moralischer Gemeinsinn oft darauf beschränkt, die Weltanschauung der eigenen Blase zu spiegeln. In einer Gegenwart, in der auf Kinderarbeit setzende Billigmodeketten Che-Guevara-Shirts verkaufen, ist eine Antwort auf die Frage danach, was ›links‹ eigentlich bedeutet, bedeutet hat und vor allem bedeuten kann, wichtiger denn je. In diesem Sinne scheint es mir absolut drängend, die Bedeutung von ›links‹ neu zu denken, zu definieren, zu positionieren. Denn ›links‹, das meint weder bloße Parteizugehörigkeit noch einzig den Lifestyle der Bionaden-Bourgeoisie. Ich möchte auf den folgenden Seiten versuchen, die Frage danach, was »links« eigentlich bedeuten kann, noch einmal grundlegend zu stellen, ich möchte sie, im Sinne Blochs, »an der Wurzel fassen«. Gegen die vorschnelle begriffliche Einengung auf eine bestimmte Bedeutungsdimension einerseits und der begrifflichen Entleerung aufgrund einer Vielzahl unscharfer Bedeutungsansprüche andererseits muss eine Definition von ›links‹ vielmehr einer definitorischen Offenheit ins Auge sehen, die gleichwohl nicht die Geschichte ihres Begriffs verleugnet. Wenn die linken Kräfte unserer Gesellschaft wieder zu einer wirklichen Kraft finden wollen, die Ideelles und Reales miteinander vereint, dann muss sie ihre Wurzeln wiederfinden. Sie muss die Utopie wiederentdecken – und zwar nicht als einen nie zu erreichenden Wunschtraum, sondern im Sinne eines dialektischen Kampfes um eine neue, eine gerechtere Welt. Die Utopie denken, das heißt, mit den eingangs zitierten Worten Blochs, einen neuen Anfang von einem imaginierten Ende her zu denken. Ich selbst kenne den Realsozialismus aus der Volksrepublik Polen und dem Kalten Krieg. Obwohl ich nur knapp 17 Jahre meines Lebens in diesem politischen System gelebt habe, konnte ich seine Schokoladen- wie seine krankhaften Schattenseiten ausgiebig kennenlernen und studieren. Polen ist natürlich ein spezifisches Land, der Sozialismus beziehungsweise Kommunismus konnte in meiner Heimat nach der Abrechnung mit dem Stalinismus nie so erfolgreich gedeihen wie in der DDR. In Polen hatte ich vielmehr den Eindruck, ich würde in einem Staat mit zwei Staatsreligionen oder -ideologien leben: der marxistischen Doktrin auf der einen Seite und der katholischen auf der anderen. Wir lebten in der Volksrepublik Polen in einer Diktatur, und obwohl die Linken den Nationalismus verabscheuen, waren der Nationalismus und der rechtskonservative Patriotismus – das Leben und Aufopfern für das Vaterland – wesentliche Parolen dieses sozialistischen Staates, der eigentlich von Rechten innerhalb einer linken Arbeiterpartei regiert wurde. Das zeigt schon, dass die Definition der Linken nicht nur heute keine einfache Sache ist, sondern, bei genauerem Hinsehen, schon damals war. Ja, überhaupt ist es schwer, holistisch zu erklären, was ›Links-sein‹ eigentlich bedeutet: Schließlich geht es nicht zuletzt um Mythos und Ideologie zugleich. Wer sich auf den Marxismus einlässt, muss wissen, so schreibt auch Leszek Kolakowski 19761, dass er sich auf eine moderne Mythologie einlässt. Er sagt dazu: »Die Entwicklung des Marxismus aber hat die Wissenschaft in eine Mythologie und in eine weiche Materie verwandelt, aus der das Rückgrat der Vernunft entfernt worden ist.« So habe auch ich als Jugendlicher den Realsozialismus erlebt: Er glich einem Glauben. Czeslaw Milosz2 spricht in diesem Zusammenhang sogar vom »Hegelianischen Bienenstich«, da sich die Weltgeschichte um jeden Preis positiv – bis zur Auflösung jedweder Form von Regierung und zur proletarischen Diktatur – erfüllen müsse, und zwar in einem vollkommenen Frieden für alle Menschen und nicht nur für die sozialistischen Staatsbürger. Die Situation war also höchst widersprüchlich. Zwar war das Glaubenskonzept des Sozialismus utopisch, doch zugleich erlebten wir in Polen täglich die Diktatur der Regierenden, der neuen Eliten, der ›Parteibonzen‹, die doch eigentlich abgeschafft werden sollten. Dieses Verständnis von Utopie, die begrifflich etwas permanent vorstellt, ohne es auch nur im Ansatz einzulösen, ist gerade nicht meines. Die Utopie, wie ich sie denke, ist eine dialektische, die von der Gleichzeitigkeit des Visionierens eines absolut Neuen wie des realistischen Betrachtens der realen Situation und der Reflektion über beides lebt. Der alltägliche Marxismus, der aus vielen Widersprüchen bestand, knüpfte in seiner Ideologie an ältere christliche Ideen an: an den Gottesstaat Augustinus’ oder den autoritären Staat Thomas von Aquins, in dem der Papst über dem König steht und Gott über den irdischen Angelegenheiten des Menschen. Der Marxismus, wie er in den Ländern des Realsozialismus täglich praktiziert wurde, hatte also erstaunlicherweise mit den Ideen der Aufklärung wenig zu tun, wenn er sich auch tolerant sowie bürger- und menschennah gab. Die Verfassungen waren modern und fortschrittlich, doch die sozialistischen, autoritär regierten Staaten erzeugten einen hässlichen Sumpf, in dem Rassenhass, Nationalismus, Kriegsgelüste und Korruption dominierten; selbstverständlich war da auch Platz für Antisemitismus. Die Linken hatten im Ostblock ihre ursprüngliche Idee des Widerstandes vollkommen aufgegeben. Die Arbeiterklasse durfte nicht mitregieren, sie musste sich mit hohen Lebensmittelpreisen herumschlagen, verfiel dem Alkoholismus und wählte nicht selten den Weg der Emigration und Flucht in den Westen. Im Namen der geschichtlichen Notwendigkeit und des Fortschritts haben die sozialistisch-kommunistischen Regierungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ihre eigenen Völker begangen. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, dass die Idee der Utopie, die meines Erachtens der Motor linken Denkens und Handelns ist, gänzlich aus den Augen verloren wurde. Sicher jedoch sind diese Entwicklungen ein Ergebnis der Vorstellung, eine bloße Verneinung des Vorherigen sei selbst schon eine neue Idee; bei Kolakowski heißt es in diesem Sinne: »Der Nationalsozialismus war eine Negierung der Weimarer Republik und deshalb doch nicht links.« Die Linke braucht folglich ein konkretes Denken der Utopie, ein utopisches Denken, dem notwendig Handlung folgen müssste. Links heißt in diesem Sinne nicht Moralisieren oder Träumen, es heißt, das Neue denken und so in die Welt bringen. Immer schon hat es mich gestört und wütend gemacht, dass die Kommunisten im Ostblock auf einem hohen Ross saßen, moralische Predigten hielten, aber zum Schluss für ihre Kritiker, die Dissidenten, stets nur eine Antwort hatten: Repressalien. Das Scheitern der marxistischen Linken in Polen und anderen Ostblockländern besteht ja darin, dass sie für die Wirklichkeit und damit auch für das Elend der desolaten Wirtschaft keine praktische Antwort gefunden haben. Der sozialistische Staat war korrupt und ökonomisch wie ideologisch ausgebrannt. Und die Linken, die regierten, waren in Wahrheit rechte nationalistische und konservative Ideologen, die ihre Privilegien genossen – unter dem Deckmantel der sozialistischen Erfolgspropaganda. Als ich 1985 die Volksrepublik verließ, hatte ich in Polen bereits Gedichte publiziert und hielt mich selbstverständlich für einen...



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