E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Behnken / Bois-Reymond Schule und Bildungspolitik in der 68er-Pädagogik
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-17-035719-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Generationen im Gespräch
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-17-035719-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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3 Die Zeitschriften b:e und päd.extra
3.1 Einleitung
Bei der Sichtung der ausgewählten Jahrgänge b:e und päd.extra kristallisierten sich vier thematische Schwerpunkte heraus, die damals die bildungspolitische und schulpädagogische Praxis und theoretische Reflexion beherrschten und dies bis heute tun, wenngleich nach einem halben Jahrhundert in einem anderen gesamtgesellschaftlichen Rahmen und Kontext. Wir haben folgende Schwerpunkte unterschieden: 1. Grundsatzartikel ( Kap. 3.3); 2. Schulorganisatorisch-pädagogische Artikel ( Kap. 3.4); 3. Themen zu Lehrerausbildung und Schulalltag ( Kap. 3.5); 4. Artikel über Kindererziehung, Sexualität und neue Beziehungsformen ( Kap. 3.6). Wir sind uns bewusst, dass diese Schwerpunkte einer gewissen Willkür unterliegen – man hätte andere wählen können. Auch sind die Schwerpunkte nicht immer schlüssig voneinander getrennt, Überlappungen ließen sich nicht vermeiden. Es geht hier vor allem darum, ein Zeitbild der damaligen Jahre aus der Sicht der linken pädagogischen und bildungspolitischen Gemeinschaft zu zeichnen. Das Material hierzu liefern uns die heute von vielen halb- oder ganz vergessenen Zeitschriften b:e und päd.extra. Die Schwerpunktauswahl bedeutet Weglassen. Wir hatten nicht die Absicht, eine repräsentative Dokumentation der beiden Zeitschriften zu erstellen. So berücksichtigen wir etwa allgemein politische und bildungspolitische Kontroversen und Entwicklungen jener Jahrzehnte nur insoweit, als sie zum Verständnis der Schwerpunkte beitragen. Andere Themen lassen wir aus, auch wenn sie für heutige Lehrer interessant wären, wie zum Beispiel die Sonderschule. Dazu gehören auch Reportagen aus außereuropäischen Ländern sowie viele aktuelle Schul- und Berufsnachrichten aus dem Inland, die damals zu Diskussionen führten, prominent die Diskriminierung linker Gewerkschaftsvertreter durch rechte Landespolitiker und die darauffolgenden Gegendemonstrationen. Auch auf die damals heiß umkämpften Berufsverbote, die seit 1972 hunderte Lehramtsanwärter am Eintritt in die Schule hinderten, gehen wir nur am Rande ein; nicht etwa, weil sie nicht zum Profil der Zeitschriften gehörten, sondern weil sie für die heutige Schulwirklichkeit und Bildungspolitik nur mehr historisch relevant sind. Bevor wir auf die einzelnen Schwerpunkte ausführlicher eingehen, rekapitulieren wir die Entstehungsgeschichte der beiden Zeitschriften ( Kap. 3.2). Wir schließen mit einer kurzen Würdigung des Materials. Bei allen vier Schwerpunkten folgen wir mit wenigen Ausnahmen der Zeitleiste, auf der die Artikel in b:e und päd.extra erschienen sind, wir besprechen also die Anfangsjahre zuerst, Artikel aus den letzten Jahren zum Schluss. Auf diese Weise können heutige Leser und Leserinnen in etwa die Entwicklungen und Verschiebungen von Themen und Kontroversen nachverfolgen. 3.2 Entstehungsgeschichte
Die Zeitschriften betrifft:erziehung (b:e, 1967–1978) und päd.extra (1973–1995) umfassen einen Zeitraum von knapp 30 Jahren: 1967 bis 1995. In diesen drei Jahrzehnten wandelte sich die Bundesrepublik von einer konservativen Nachkriegsgesellschaft mit wirtschaftlichem Aufbauwillen hin zu einer politischen und kulturellen Gestalt mit völlig neuen Mentalitäten. Daran hatte die Studentenbewegung einen wesentlichen Anteil. Als der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 vom Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras erschossen wurde, bestand die Bundesregierung aus einer Koalition von CDU und SPD unter Kurt Georg Kiesinger. 1969 wurde diese mit einer sehr knappen Mehrheit durch eine SPD-FDP-Koalition abgelöst, die das folgende Jahrzehnt mit einer Reformagenda prägte. Herz- und Kernstück dieser Agenda war eine durchgreifende Bildungsreform, die das deutsche Schulwesen nach 1945 an die westlichen Bündnispartnerländer anschlussfähig machen sollte. In diesen Zeitdiskurs fällt das Gründungsjahr von b:e. Die Zeitschrift wurde im Oktober 1967 vom Verlag Julius Beltz gegründet, der auch der Herausgeber war. Die Zeitschrift sollte ein Forum für Bildungspolitik und Erziehungswissenschaften sein und war das geistige Kind der erziehungswissenschaftlichen Publizisten Horst Speichert18, Gustaf Grauer, Hartmut Lüdke, Elke Peters, Lothar Schweim und Jürgen Zinnecker. Wissenschaftlicher Berater war Prof. Dr. Carl-Ludwig Furck, Leiter des neugegründeten Pädagogischen Zentrums in West-Berlin und mit seinem Geburtsjahr 1923 gut eine Generation älter als die Redaktionsmitglieder. Er galt als Reformer und Propagandist für die Einführung der Gesamtschule, die das verstockte dreigliedrige Schulwesen in (West-)Deutschland ersetzen sollte. Der Kampf um diese Reform kennzeichnet die Position der neuen Zeitschrift b:e bis zum Schluss ihres Bestehens. b:e initiierte einen alternativen bildungspolitischen sowie bildungs- und schulpädagogischen Diskurs, beide systemkritisch, und das sowohl in reformerischer als auch in revolutionärer Absicht. Aus bildungspolitischer Perspektive kämpfte man um die Einführung der Gesamtschule, wobei sowohl von einer systemimmanenten Warte aus auf das bestehende Bildungswesen geschaut wurde als auch von einer marxistisch-revolutionären, die das kapitalistische Gesellschaftssystem als solches in Frage stellte.19 Auch die eingenommenen bildungs- und schulpädagogischen Positionen umfassten sowohl reformerische Ansätze als auch marxistisch-revolutionäre Theorien und deren praktische Erprobung in Erziehungseinrichtungen, die die herrschende Klassenschule mit ihrer Funktion, die Schüler zu angepassten Staatsbürgern zu erziehen und sie entsprechend ihrer späteren Arbeit und Berufe frühzeitig zu selektieren, ersetzen sollte. Die Redakteure von b:e wollten eine Fachzeitschrift ins Leben rufen, die sich zentral an die Lehrerschaft wandte. »Wir wollen eine Zeitschrift machen, die der Lehrer auch noch nach der Korrektur einer Klassenarbeit mit Gewinn lesen kann.« (Nullnummer 20. Oktober 1967, S. 2) Der Lehrer – bis zum Aufkommen der zweiten Frauenbewegung in den 1970er Jahren wird ausschließlich die männliche Form verwendet – muss seinen Beruf mit wissenschaftlicher Kenntnis ausüben, die seine Praxis anleitet, und für diese Qualifikation braucht er »die Forschungsergebnisse der Erziehungswissenschaft«, womit er »Exponent ständiger Anregung zur Verbesserung der Organisation des Schulwesens« (S. 2) ist. b:e wird im Verlauf ihres 11-jährigen Bestehens 1968–1979 ein Forum für Bildungspolitik und Erziehungswissenschaft – so der Untertitel – sein und mit steigenden Auflagenzahlen zu der erfolgreichsten nachkriegsdeutschen Publikation auf dem Feld von Bildungspolitik und Schulpraxis werden. Dieser Erfolg verdankt sich einer geschickten Mischung aus Politik, Praxis und Forschung; eine Mischung, die noch dazu so angerührt ist, dass sie Pflicht- und Leibspeise sowohl von Landes- und Regierungspolitikern als auch von jungen (und alten) Bildungsintellektuellen wird, vorzugsweise aber von Lehrern und Lehrerinnen aller Schulzweige. Die ersten Ausgaben der neuen monatlich erscheinenden Zeitschrift umfassen etwa 34 Seiten, später steigert sich der Heftumfang auf über 70 bis zu über 90 Seiten. Das Heft hält das Versprechen, nicht »langweilig zu sein«, mit einem durch Karikaturen, Fotos und Kurznachrichten aufgelockerten Layout, das den Inhalt in einen farbigen Teil aktueller Informationen und einen schwarz-weißen Teil mit theoretischen Artikeln unterteilt. In der Nullnummer 0/1 werden im aktuellen Teil bereits die Themen benannt, die die weitere Geschichte von b:e durchziehen: Lehrerbildung, Chancengleichheit, Schaffung einer Ganztags- und Gesamtschule für alle Schüler und Schülerinnen, Berufsverbote, Interviews mit Schul- und Bildungspolitikern, Berichte aus dem Ausland zu diesen Fragen, Buchbesprechungen, Gewerkschaftsmitteilungen und vieles mehr. Im schwarz-weißen Teil informieren längere Artikel die Lehrer-Leserschaft über bildungspolitische Kontroversen und Standpunkte, über Forschungsergebnisse aus den Erziehungs- und Unterrichtswissenschaften, der Politischen Ökonomie, der Sozialisationsforschung und Sexualwissenschaften – dies alles vorwiegend im (west-)deutschen Raum angesiedelt, aber punktuell auch im Ausland, wenn es um politische und theoretische Entwicklungen geht, die hiesige Diskussionen anregen sollen. Nach sechs sehr erfolgreichen Jahren kommt es 1973 zwischen dem Chefredakteur Horst Speichert und dem Beltz Verlag zu einer Auseinandersetzung, die zum Ausscheiden von Speichert führt. Was war geschehen? Die Schuld gibt Speichert dem Finanzier – dem Beltz Verlag –, mit dem er bis dato eng zusammengearbeitet hatte und der...